vonAchmed Khammas 16.03.2008

Der Datenscheich

Erneuerbare Energie, Science Fiction, Technikarchäologie und Naher Osten – verifiziert, subversiv, authentisch.

Mehr über diesen Blog

Auzug:

Wir sind stolz, in einem Land zu leben, in dessen Grundgesetz, Art. 1, I es heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ (…) Und doch werden Sie am kommenden Wochenende in ein Land reisen, daß seit 1967 palästinensisches Territorium besetzt und seit ebenso langer Zeit ein riesiges Gefängnis für die Menschen ist. Die tagtäglichen Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen sind in der Region fast beispiellos.

Hier folgt der gesamte offene Brief:

Bundeskanzleramt

Frau Dr. Angela Merkel
Bundeskanzlerin

Willy-Brandt-Platz 1
11011 Berlin

Berlin, 14. März 2008

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

Wir sind stolz, in einem Land zu leben, in dessen Grundgesetz, Art. 1, I es heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Und haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, nicht erst kürzlich auf einem Symposium der Konrad-Adenauer-Stiftung betont, daß „unsere Wertvorstellungen nicht an unseren Grenzen oder den Grenzen der Europäischen Gemeinschaft enden dürfen?

Und doch werden Sie am kommenden Wochenende in ein Land reisen, daß seit 1967 palästinensisches Territorium besetzt und seit ebenso langer Zeit ein riesiges Gefängnis für die Menschen ist. Die tagtäglichen Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen sind in der Region fast beispiellos. Westbank und Gaza-Streifen weisen nunmehr den Charakter eines Guantanamo auf, dessen Bewohner de facto in einem Rechtsvakuum leben.

Kontinuierlich mißachtet Israel seit vier Jahrzehnten sämtliche UN-Resolutionen. Wurden nicht in der vergangenen Woche abermals neue Siedlungspläne bekannt gegeben? In Jerusalem sollen Siedlungen, wie Givat Seev oder Pisgat Seev um insgesamt 750 neue Wohnungen erweitert werden, gleiches wurde zuvor in Gabal Abu Gneim angekündigt – und das nur drei Monate nach der Friedenskonferenz von Annapolis.

Hat nicht der Internationale Gerichtshof in Den Haag die Mauer, die Israel in der Westbank auf palästinensischem Gebiet errichten läßt, für völkerrechtswidrig erklärt und bestimmt, das diese abzubauen ist? Während Sie, Frau Bundeskanzlerin, diese Zeilen lesen, sind fast 70% dieses perfiden Monstrums fertig gestellt – inklusive einer genozidaler Politik der Landannektierung, Vertreibung und ethnischen Säuberung.

Muß nicht auf einer Fläche von 5.860m² die palästinensische Bevölkerung permanent Schikanen, Erniedrigungen, Entwürdigungen an den rund 580 israelischen Checkpoints über sich ergehen lassen? Massaker, Mißhandlungen und Entführungen gehören ebenso zum Alltag. Sind nicht noch immer mehr als 10.000 Palästinenser, darunter ein Drittel Frauen und Kinder, in israelischen Gefängnissen inhaftiert? Wurde nicht Israel mehrfach aufgefordert, die in freien und demokratischen Wahlen – übrigens von der Roadmap vorgesehen – gewählten Parlamentarier unverzüglich freizulassen?

Kein palästinensischer Bauer kann, während Sie, Frau Bundeskanzlerin, diese Zeilen lesen, ohne Angst vor Besatzern und gewaltbereiten Siedlern sein Feld bestellen! Keine in Not geratene Frau ist sicher, während Sie diese Zeilen lesen, daß sie das rettende Krankenhaus rechtzeitig erreichen wird! Und wirklich keine palästinensische Familie weiß, während Sie diese Zeilen lesen, ob Sie das verbliebene Land auch morgen noch ihr Eigentum nennen, Kinder in die so wichtigen Lehr- und Bildungseinrichtungen gehen können und ob alle Familienmitglieder unversehrt sind.

Israelischer Friedensrhetorik müssen endlich auch Friedenstaten folgen!

In seinem vor rund zwei Wochen dem UN-Menschenrechtsrat vorgelegten Bericht stellt Rechtsprofessor John Dugard fest, daß es außer Israel keine andere mit dem Westen verbündete Regierung gibt, die einem Volk Selbstbestimmung und Menschenrechte derart verwehrt. Kolonisation, Apartheid und Okkupation – diese Politik verfolgt Israel bis heute in der Westbank und im Gaza-Streifen. Zudem ermöglicht die technologische Entwicklung, die Menschen in Gaza auch ohne permanente militärische Präsenz zu kontrollieren – dank israelischer Hoheit über Luft, Wasser und die Grenzen in und um den abgeriegelten Küstenstreifen.

Seit der israelischen Abkoppelung im August 2005 müssen nunmehr rund 1,5 Millionen Palästinenser im abgeschotteten, gefangenen und besetzten Gebiet des Gaza-Streifens ausharren – unmenschlich grausame Besatzungspolitik erstickt jeglichen Hoffnungsschimmer der heranwachsenden Generation. Nicht minder schrecklich sind die israelischen Angriffe auf palästinensische Zivilisten, Frauen und Kinder. Und während Sie diese Zeilen lesen, betrauern wieder Familien die jüngsten Opfer dieser Aggressionen.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

mehr denn je benötigt das palästinensische Volk internationalen Schutz und Begleitung! Helfen Sie mit, UN-Resolutionen umzusetzen, eine dauerhafte Friedenslösung auf Basis des Völkerrechts zu ebnen und einen lebensfähigen souveränen Staat Palästina im Gaza-Streifen und in der seit 1967 besetzten Westbank, einschließlich Ost-Jerusalem fest zu verankern.

Erinnern Sie Israel daran, daß die Vorgaben der Roadmap, wie auch in Annapolis bestätigt, umgesetzt werden müssen! Ein dauerhafter Friede in der Region setzt voraus, daß auch das palästinensische Volk ein Leben in Achtung und Würde führen kann. Und letztendlich möchten wir Sie erinnern, daß Wertvorstellungen nicht an den Grenzen der Bundesrepublik oder den Grenzen der Europäischen Gemeinschaft enden dürfen.

Hochachtungsvoll

—————————————————

Die palästinensische Gemeinde Berlin e.V.

Palästinensische Studenten Vereinigung in Berlin

Verein palästinensischer Ingenieure in Berlin

Palästinensische Ärzte und Apotheker Verein in Berlin

Dr. Nabil Bushnaq

Palästinensische Gemeinde Koblenz e.V.

Palästinensische Gemeinde Stuttgart e.V.

Nachtrag:

Treffend, passend und sehr empfehlenswert ist auch der Artikel von Anis Hamadeh:

Israel, Israel über alles – Merkel vor der Knesset

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/datenscheich/2008/03/16/offener-brief-an-die-bundeskanzlerin/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Und hierzu Merkels Antwort.
    Wohl unter so vielem Anderen das schaebigste was dieses Frau bisher losgelassen hat.

    http://jakester-express.blogspot.com/2008/03/schlagzeilen-neues-premierminister-in.html

    Gruss J.

    ————-

    Der Datenscheich:

    Ja, danke!!

    Dazu paßt auch aktuelle die Haarez-Anzeige von Gush Shalom / Uri Averny:


    Kanzlerin Merkel

    Made a pilgrimage to Israel

    And groveled before

    Olmert and Barak.

     

    Before and after her,

    Other world leaders

    Did the same

    They did not do

    Any good to Israel.

    They hurt it.

     

    Real friends of Israel

    Would not encourage

    Olmert and Barak

    To continue on a road

    That leads to disaster.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert