vonAchmed Khammas 15.04.2015

Der Datenscheich

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Warum nicht? Eine kurze Geschichte zu dem im vorangegangenen Beitrag gezeigten Foto … als Vorgriff auf meine Biographie.

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Mit Grass im Jemen, 15. Januar 2004

Mit halsbrecherischem Tempo geht es durch die Gassen und Straßen der Stadt. Ich war im letzten Moment vorn in den Rover hineingesprungen. Nun klammere ich mich mit der einen Hand an den Deckengriff und versuchte gleichzeitig, mich mit der anderen Hand und den Beinen irgendwo abzustützen. Sicherheitsgurte gibt es nicht – schließlich befinden wir uns im traditionsreichen Sanaa, der nach Kardamom und Curry duftenden Hauptstadt des Jemen.

„Herr Khammas, beeilen Sie sich, der Präsident wartet…!“ hatte mir einer der Begleiter zugerufen und auf den Wagen des Protokolls gezeigt, der von zwei weiteren Landrovern gesichert wurde, aus deren Fenstern dunkle Gesichter und die Mündungen von Maschinengewehren herausschauten. Grass stieg gerade ein. Es machte also keinen Sinn mehr, zu protestieren und darauf hinzuweisen, daß ich mit meiner Jeans und dem T-Shirt nicht gerade passend gekleidet war. Kein Mensch hatte mich am Morgen darauf hingewiesen, daß eine Audienz geplant war. Geplant? Wohl eher spontan angesetzt. Gott sei Dank hatte ich wenigstens mein Sakko an.

Die Motorräder vor uns machen mit ihren Sirenen einen Heidenlärm, und Passanten wie Fahrzeuge beeilen sich, den Weg freizumachen. Ich drehe mich zu Günter Grass um, der sich ebenfalls gut festhalten muß, obwohl ich den Eindruck habe, daß er im Fond des Wagens nicht ganz so sehr durchgeschüttelt wird wie ich. Wie der Mann dabei noch seelenruhig seine Pfeife stopfen kann, ist mir allerdings schleierhaft. Da die Fenster des klimatisierten Wagens geschlossen sind, mußte ich wenigstens nicht brüllen.

„Wußten Sie denn von dem heutigen Treffen?“ Er schüttelt den Kopf. „Daß wir eingeladen werden, wußte ich natürlich, aber bis vor kurzem hatte man auch mir nicht gesagt, wann es passieren würde.“ Wir unterhalten uns noch etwas über die spontane Entscheidungsfreudigkeit arabischer Potentaten, anschließend nutze ich die Gelegenheit, um Grass kurz von einem Exposé zu erzählen, mit dem ich mich schon seit einiger Zeit herumschlage. Ich hatte schon lange Zeit keine Science-Fiction Kurzgeschichte mehr geschrieben, und für einen ganzen Roman hat es auch noch nicht gereicht. Nun wollte ich mich endlich wieder einmal hinsetzen und eine provokante, kleine Geschichte über den ‚ultimativen islamistischen Anschlag’ schreiben: Das Klonen des Propheten Mohammed!

Es ist ermutigend zu sehen, wie Grass die noch vage und unausgegorene Idee aufnimmt und mich schmunzelnd darin bestärkt, diese verrückte Geschichte niederzuschreiben. „Tun Sie das, Herr Khammas, unbedingt!“ … doch da ist die Fahrt auch schon zu Ende. Mit quietschenden Reifen bremst unsere kleine Kolonne vor einem riesigen, hübsch renovierten Kasernenbau aus osmanischer Zeit, wie ich kurz darauf erfuhr. In diesem hat Mohammed Ali Saleh, Präsident, Alleinherrscher der Republik Jemen und unser Gastgeber, eines seiner diversen Büros.

Die zivil gekleideten und gut bewaffneten Begleiter springen aus ihren Fahrzeugen und sicheren mit mißtrauischen Blicken die Umgebung, in der sich außer den Wachsoldaten aber niemand aufhält. Sprinkler bewässern die weiten Rasenflächen, obwohl es im Januar auch hier manchmal regnet, und nachdem sich der Staub unserer Ankunft etwas gelegt hat gibt es sogar einen Moment der Stille, in dem man Vögel zwitschern hört.

Doch dann krächzt irgendwo ein Funkgerät, unterbricht die Beschaulichkeit mit ein paar gebellten Befehlen, und schon werden wir weitergescheucht, hinein in das Gebäude und die breiten Treppenfluchten hinauf. Der Vertreter des Protokolls gibt hastig ein paar Hintergrundinformationen über das Gebäude zum besten, die ich ebenso hastig an den deutschen Ehrengast und die uns begleitenden Pressevertreter weitergebe. Deshalb bin ich ja mit dabei: als Dolmetscher. Fast im Laufschritt geht es weiter, und wohl einzig aus Rücksicht auf Herrn Grass schreit niemand „yalla, yalla“. Weder Durchsuchungen noch Metalldetektoren halten uns auf, man scheint also sich völlig auf die überraschende Kurzfristigkeit der anberaumten Audienz zu verlassen. Und auf die Würde des deutschen Nobelpreisträgers.

Dann betreten wir den Raum, in dem der Präsident gerade telefoniert. Schwere Lüster an der Decke, Holztäfelung und Marmorböden, dicke Samtvorhänge und ein Brokat-bezogener Sessel, der auf einem kleinen Podest steht. Die Begleiter verteilen sich möglichst leise und versuchen sich unsichtbar zu machen, den Gästen werden die Ehrenplätze neben dem ‚Thron’ zugewiesen, während ich mich bemühe, auf Tuchfühlung mit Grass zu bleiben. Das Sakko ziehe ich so weit wie nur möglich über die leicht ausgebleichten Jeans. Nun ja, rausschmeißen kann man mich ja wohl kaum…

Der heikelste Moment bei dem anschließenden Gespräch, das der hohe Gast mit dem Gebieter von Arabia Felix führt, ist wohl jener, in welchem Grass auf die Insel Sokatra zu sprechen kommt, die wir zwei Tage zuvor besucht hatten. Grass war – zusammen mit einer Gruppe deutschsprachiger Autoren und Journalisten beiderlei Geschlechts sowie mir als sein persönlicher Dolmetscher – zwar auf Einladung des Präsidenten hier und hatte damit Gastrecht, doch arabische Staatsführer sind es nicht gewohnt, Kritik zu hören. Und ganz besonders keine, die ihnen selbst oder ihren Entscheidungen gilt.

„Herr Präsident! Sie dürfen auf Sokatra keine Küstenautobahn bauen. Diese wunderbare, fast noch vollständig erhaltene natürliche Umwelt – das ist ein Schatz, der weltweit einmalig ist! Eine Autobahn, nicht auszudenken, würde das alles schnell zerstören.“ Der Staatschef blinzelt irritiert und strafft seine Schultern. Ich hätte die Aussage wie einen Schaschlik-Spieß drehen und wenden können – doch wenn Grass etwas sagt, dann bringt er es immer auf den Punkt. Und dies kann dann auch kein Dolmetscher mehr entschärfen. Ganz abgesehen davon, daß auch ich mich in diese wundervolle, einzigartige Insel mit ihren seltenen Pflanzen und Tieren verliebt hatte und daher ganz seiner Meinung bin. Und so tut es richtig gut, dies in seinem Auftrag auch auszusprechen zu dürfen.

In der arabischen Welt kommen die Dichter gleich nach den Propheten. Sie stehen in der Rangfolge der Würde sogar noch über den Herrschern. Die Antwort des Präsidenten ist daher schon fast so etwas eine Entschuldigung: „Nein, Herr Grass, das haben Sie mißverstanden. Wir wollen nur zwischen dem Hafen und dem Flughafen eine vierspurige Strecke anlegen, die Ringstraße um die Insel wird dagegen nur zwei Spuren haben. Machen Sie sich also bitte keine Sorgen!“ Ali Saleh versucht dabei sogar zu lächeln, was aussieht, als hätte er gerade in eine dicke Zitrone gebissen. Immerhin: Auf seinem erhöhten Stuhl ist er auf gleicher Augenhöhe mit dem Nobelpreisträger, und das scheint ihn versöhnlich zu stimmen.

Den ‚Flughafen’ auf Sokatra hatten wir gesehen, denn unsere Gruppe war mit einem Jet der staatlichen Fluglinie dort gelandet, den uns der Präsident in vollendeter arabischer Großzügigkeit einfach für ein paar Tage überlassen hatte. Eine schmale Piste, von mehreren Flakbatterien umrahmt, ohne Tower oder sichtbare Radaranlage. Und der ‚Hafen’ bestand aus einer aufgeschütteten Mole, an deren Ende ein winziger Frachter verankert lag, der gerade das einzige Exportgut der Insel einlud: Fische. Wofür man hier eine verbindende Autobahn brauchte, war beim besten Willen nicht einzusehen. Doch so großzügig der Präsident ist, so höflich ist der Nobelpreisträger, und nach dem Austausch weiterer Freundlichkeiten und der Verleihung eines Ordens an Grass verabschiedet uns Ali Saleh, um zu den wichtigeren Tätigkeiten seines präsidialen Berufslebens zurückzukehren. Daß ich meine Aufgabe der sprachlichen Vermittlung ohne Anzug und Schlips wahrgenommen hatte, war völlig unbemerkt geblieben.

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