vonHans Cousto 29.05.2010

Drogerie

Aufklärung über Drogen – die legalen und illegalen Highs & Downs und die Politik, die damit gemacht wird.

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Die in Zürich erscheinende SonntagsZeitung berichtete am 23. Mai 2010, dass sich 4.000 Menschen in der Agglomeration Bern täglich eine Linie Kokain gönnen. Eine neue Abwasser-Analyse lieferte die bisher verlässlichsten Daten. Die Universität Bern hat erstmals in einem Pilotprojekt im Sommer 2009 systematisch den Gehalt von Benzoylecgonin (ein Stoffwechselprodukt von Kokain) im Abwasser von fünf Schweizer Städten untersucht. Erste Hochrechnungen zeigen, dass knapp drei Prozent der 140.000 Berner im Alter zwischen 16 und 64 Jahren täglich eine Linie Kokain (à 100 mg) konsumieren. Bisher wurde die Durchschnittszahl der Konsumenten aufgrund von Umfragen auf rund ein Prozent geschätzt.

Studienautor Christoph Mathieu arbeitete mit dem Gewässer­ und Bodenschutzlabor des Kantons Bern zusammen, das über ein hochempfindliches Analysegerät verfügt, welches selbst Abbauprodukte von Drogen im Bereich von einem Milliardstelgramm pro Liter erkennt. Das konsumierte Kokain wurde mit Modellrechnungen ermittelt, welche Faktoren wie Einzugsgebiet, Volumen der Abwässer und den Stoffwechsel der Konsumenten berücksichtigen. Die Messungen zeigten deutlich, dass an Wochenenden mehr gekokst wird als in der Woche. In der größten Schweizer Stadt lieferte das ­Wochenende der »Street Parade« Anfang August den absoluten Spitzenwert aller Proben: Ein Liter Abwasser enthielt fast 3 Mikrogramm Benzoylecgonin. Das ist doppelt so viel wie an einem normalen Wochenende, wobei anzumerken ist, dass an diesem Wochenende mehr als doppelt so viele Menschen sich in Zürich aufhalten, als die Stadt Einwohner hat. Somit lässt sich aus diesem Befund nicht schließen, dass Raver mehr Kokain Konsumieren als die ständigen Bewohner der Stadt.

In der Stadt und der Agglomeration Luzern werden täglich gut 1.000 Linien Kokain à 100 mg konsumiert. Kokain ist damit in Luzern die Problemdroge Nummer eins, konstatierte die Neue Luzerner Zeitung am 26. Mai 2010 unter dem Titel »1000 Einheiten Kokain pro Tag in Luzern«. Das ist jedoch deutlich weniger als in Basel, Bern, Genf oder Zürich.

In Italien hat das Mario-Negri-Institut für Pharmakologische Forschung in Mailand sich auf solche Untersuchungen spezialisiert. Der Wissenschaftler Ettore Zuccato hat seit 2006 jährlich beispielsweise gezielt nach der Substanz Benzoylecgonin im Abwasser der Stadt gesucht. Von Montag bis Mittwoch werden gemäß dem amtlichen Drogenbericht von Italien (S. 233 ff.) in Mailand (1.300.000 Einwohner) 1 kg Kokain verbraucht, am Donerstag, Freitag und Sonntag etwa 1,2 kg und am Samstag etwa 1,5 kg. Auch in Mailand ist Samstag Kokstag.

Hinweise auf eine größere Verbreitung des Kokainkonsums auch in Deutschland

Als im November 2005 die Ergebnisse der Studie des Nürnberger Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) bekannt wurden, ging zwar eine Welle der Verwunderung quer durch die Bevölkerung, an drogenpolitische Konsequenzen dachte aber niemand. So richtig wollte man es eigentlich lieber gar nicht glauben, was das IBMP veröffentlichte: Im Wasser von allen zwölf untersuchten, durch Deutschland fließenden Flüssen fand das Institut das Kokain-Abbauprodukt Benzoylecgonin. Anhand der Konzentrationen von Benzoylecgonin im Flusswasser konnten die Forscher auf die konsumierte Menge von Kokain schließen, denn Benzoylecgonin entsteht nur durch Kokainabbau im Körper.

Glaubt man den Ergebnissen des IBMP, müssen alle offiziellen Schätzungen über die Verbreitung des Gebrauchs von Kokain für unzutreffend erklärt werden, da die kleine Gruppe der Dauerkonsumenten, die in Deutschland auf deutlich weniger als eine halbe Million geschätzt wird, selbst bei bester Beschaffenheit der Nasenscheidewand gar nicht in der Lage wäre, diese Mengen von Kokain zu konsumieren, die konsumiert wurden, um die vorgefundenen Mengen an Benzoylecgonin entstehen zu lassen. Die von den Therapeuten beäugte Gruppe der schwer abhängigen Kokser und die von den Epidemiologen erfasste Gruppe der Dauerkonsumenten können gar nicht alleine für das Ausmaß der »drogenpolitischen Überraschung« zuständig sein. In Deutschland und den Anrainerstaaten koksen viele Menschen – manche häufiger und manche nur ab und zu. Und wie immer man die Ergebnisse auch dreht und wendet, der Anteil der Kokser wird sich bei einer Verbesserung der Messmethode eher noch erhöhen. Es muss also eine große Gruppe von Normalbürgern geben, die, ohne zu Zombies zu mutieren oder sonst irgendwie auffällig zu werden, gerne Mal den Geldschein rollen.

Einige wundersame Ergebnisse hat die Studie, in deren Rahmen 250 Wasserproben aus zwölf Flüssen entnommen und untersucht wurden, erbracht: So wird nicht in den als wild geltenden Großstädten Hamburg (Elbe) oder Berlin (Spree) das meiste Kokain genossen, sondern am Rhein bei Köln und Düsseldorf. Für besonders aufschlussreich halten die Nürnberger Forscher die Analyse des Rheinwassers. Etwa elf Tonnen reines Kokain pro Jahr verbrauchen demnach allein die rund 38,5 Millionen Menschen, deren Abwässer der Rhein bei Düsseldorf enthält. Erste Analysen lassen die Schlussfolgerung zu, dass die bisher gültigen Statistiken den Kokain-Verbrauch der Deutschen deutlich unterschätzen. Die Bundesregierung war in ihrem Drogen- und Suchtbericht 2005 davon ausgegangen, dass lediglich rund 440.000 Deutsche zwischen 18 und 59 Jahren mindestens einmal im Jahr koksen. Dies entspräche weniger als einem Prozent (0,8%) der Bevölkerung. Nach den vom IBMP gemessenen Rückständen müsste die Rate nun allerdings mindestens doppelt so hoch sein. Die offiziellen Statistiken zeichnen somit ein zu rosiges Bild bezüglich des Verbrauchs von Kokain.

In der Tat ergibt es kaum plausible Resultate, wenn man die bisherige 0,8-Prozent-Quote auf die Messungen der Nürnberger Chemiker anwendet. Von den 38,5 Millionen Menschen, die nach Zahlen der Wasserwirtschaftsämter im Einzugsgebiet des Rheins oberhalb von Düsseldorf leben, sind etwa 23 Millionen zwischen 18 und 59 Jahre alt. Nach den bisherigen Statistiken müssten 0,8 Prozent von ihnen, also 184.000, für einen Jahresverbrauch von 11 Tonnen Kokain verantwortlich sein. Das würde bedeuten, dass ein Kokser 60 Gramm pro Jahr oder 164 Milligramm pro Tag reines Kokain verbraucht. Da die übliche Straßenprobe nach Angaben des Bundeskriminalamts aber nur einen Reinheitsgrad von durchschnittlich 40 Prozent besitzt, wären für den Durchschnittskokser täglich 410 Milligramm Pulver fällig. Doch soviel konsumieren nur weniger Hardcore-User, jedoch nicht die große Mehrheit der Konsumenten von Kokain. Die Vereinten Nationen geben im »World Drug Report 2005« auf Basis der bisherigen Schätzungen an, dass der durchschnittliche Kokser in Mittel- und Westeuropa 35 Gramm reines Kokain pro Jahr zu sich nimmt. Hochgerechnet anhand der von den Forschern bei Düsseldorf gemessenen Werte bedeutet dies, dass mindestens doppelt so viele Menschen wie bisher angenommen in Deutschland Kokain konsumieren.

Vergl. hierzu: Jörg Auf dem Hövel: Mal ganz unten, mal ganz oben, aber immer: Kokain, Telepolis, 7. Januar 2006

Markus Becker: Flußwasserstudie: Deutsche koksen ungeahnte Mengen, in: Der Spiegel Online, 9. November 2005

Pressemitteilung von Eve & Rave Berlin vom 15. September 2006 zum Kokainkonsum: Kokain tanzt aus der Reihe

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