vonHans Cousto 14.01.2012

Drogerie

Aufklärung über Drogen – die legalen und illegalen Highs & Downs und die Politik, die damit gemacht wird.

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In Deutschland wurde die Öffentlichkeit in den letzten Jahren im Zusammenhang mit dem Begehren einer erweiterten Telekommunikationsüberwachung des öfteren mit äußerst fragwürdigen Argumenten getäuscht. Allen voran ist hier Ursula von der Leyen, von 2005 bis 2009 Familienministerin, zu nennen. Sie machte umstrittene Vorstöße zur Sperrung von Webseiten mit kinderpornographischem Inhalt. Von der Leyen nannte regelmäßig falsche Fallzahlen und behauptete, es gebe eine regelrechte „Kinderpornoindustrie“. Stephanie Anna Charlotte Freifrau von und zu Guttenberg sekundierte ihr dabei in der der RTL-2-Sendung „Tatort Internet – Schützt endlich unsere Kinder“. Am 5. April 2011 beschloss die Bundesregierung, das heftig umstrittene Zugangserschwerungsgesetz aufzuheben.

Wie wichtig die Telekommunikationsüberwachung für die Bekämpfung von Kinderpornographie und Terrorismus in Wirklichkeit ist, offenbart die Justizstatistik des Bundesministeriums für Justiz. Die Anzahl der Überwachungsanordnungen (Maßnahmen nach § 100a Strafprozessordnung) bezüglich Telekommunikation (Festnetz, Mobilfunk, Internet) lag im Jahr 2010 bei insgesamt 20.398. Im Jahr 2009 lag die Anzahl bei 20.358 und im Jahr 2008 bei 16.463. Darin nicht enthalten sind Abhörmaßnahmen der Polizei zu präventiven Zwecken und die nicht von der Justiz kontrollierten Eingriffe der Nachrichtendienste in das Fernmeldegeheimnis. Den Jahresübersichten des Bundesministeriums für Justiz kann entnommen werden, aufgrund welcher einzelnen Katalogtat des § 100a Strafprozessordnung die Überwachungen angeordnet wurden. Die meisten Abhörmaßnahmen wurden wegen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgrund von § 100a Abs. 2 Nr. 7a und Nr. 7b StPO angeordnet. Im Jahr 2010 wurden hierzu 6.880 Fälle registriert (33,73% aller Fälle). Im Jahr 2009 waren es 7.174 Fälle (35,24% aller Fälle) und im Jahr 2008 waren es 5.498 Fälle (33,40% aller Fälle). Im Zusammenhang mit der Verbreitung, dem Erwerb und dem Besitz von Kinderpornographie wurden im Jahr 2010 lediglich 19 Fälle registriert (0,093% aller Fälle). Im Jahr 2009 waren es ebenfalls 19 Fälle (0,093% aller Fälle) und im Jahr 2008 waren es 14 Fälle (0,085% aller Fälle).Kinderpornographie spielte in den letzten Jahren bei der Telekommunikationsüberwachung in der Praxis nur eine marginale Rolle, ganz im Gegensatz zur medialen Berichterstattung bezüglich dieses Themenkomplexes.

Die meisten Überwachungen der Telekommunikation wurden im Bereich Drogen angeordnet. Jahr für Jahr mehr als ein Drittel aller Maßnahmen. Zu keinem anderen Bereich wurden so viele Überwachungsmaßnahmen angeordnet. Drogenkontrollmaßnahmen – nicht nur bei der Telekommunikationsüberwachung – sind jedoch als ineffizient und nutzlos zu klassifizieren, da sie ein großes Hindernis zur Einführung von neuen Strategien, um das Problem sowohl auf globaler wie auf lokaler Ebene anzugehen, darstellen. Es ist zu befürchten, dass die Verstärkung der aktuellen Politik zu einer Verschlechterung der Drogensituation beiträgt und zunehmend die Glaubwürdigkeit dieser Politik in der breiten Öffentlichkeit im allgemeinen schwindet. So erklärte beispielsweise der Ex-UN-Generalsekretär Javier Pérez de Cuéllar im Jahre 1998: „Wir glauben, dass der weltweite Krieg gegen Drogen derzeit mehr Schaden anrichtet als der Drogenmissbrauch selbst… Die Fortsetzung unserer aktuellen Politik wird nur zu mehr Drogenmissbrauch, mehr Macht für Drogenmärkte und Kriminelle, mehr Krankheit und Leid führen.“ Und die Globale Kommission zur Drogenpolitik unter Federführung von Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan ließ im Juni 2011 verlauten: „Beendet die Kriminalisierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung von Menschen, die Drogen gebrauchen und dabei anderen Menschen keinen Schaden zufügen.

Zwei ehemalige UNO-Generalsekretäre haben eingesehen, dass die gegenwärtige Drogenpolitik für das Wohl der Menschen kontraproduktiv ist, und zu einer grundlegenden Änderung in der Politik aufgerufen. Ja, bei genauer Betrachtung der Gegebenheiten ist festzustellen, dass immer mehr Menschen durch die wachsenden Auswirkungen des illegalen Drogenhandels sowie der Politik, welche diesen zu kontrollieren versucht, beunruhigt sind. Es ist zu befürchten, dass die Verstärkung der aktuellen Politik zu einer Verschlechterung der Drogensituation beiträgt und zunehmend die Glaubwürdigkeit dieser Politik in der breiten Öffentlichkeit im allgemeinen schwindet. Die globale Entwicklung zeigt, dass der von den Vereinten Nationen eingeschlagene Weg zur Drogenkontrolle gescheitert ist.

Drogenpolitik muss sich den Prinzipien einer guten Regierungsführung unterordnen, wie sie in den universalen Menschenrechtserklärungen, in der Konvention über Biodiversität und in anderen internationalen Abkommen zugrunde gelegt sind. Insbesondere sind die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rechte sowie das Recht auf kulturelle Vielfalt für alle Individuen zu garantieren. Deshalb müssen auch deutsche Politiker von der Öffentlichkeit in die Pflicht genommen werden, die Vereinten Nationen dazu aufzufordern, das Politikfeld „Drogenkontrolle“ respektive „Umgang mit psychotrop wirkenden Substanzen“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Suchtstoffkommission (Commission on Narcotic Drugs, CND) und dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (United Nations Office on Drugs and Crime, UNODC) zu entziehen und der Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) anzuvertrauen. Dies ist notwendig, da einerseits die allermeisten Drogengebraucher per se nicht krank sind, und andererseits, da eine Schadensminderung beim Umgang mit psychotrop wirkenden Substanzen weit mehr durch Bildung, Wissenschaft und Kultur bewerkstelligt werden kann als durch die Kriminalisierung der Drogengebraucher und den für sie arbeitenden Dienstleister (Lieferanten, Händler). Mit in die Irre führenden Behauptungen, wie im Fall der Telekommunikationsüberwachung in Sachen Kinderpornographie, kommt man auch in der Drogenpolitik auf keinen grünen Zweig.

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