vonHans Cousto 07.04.2014

Drogerie

Aufklärung über Drogen – die legalen und illegalen Highs & Downs und die Politik, die damit gemacht wird.

Mehr über diesen Blog

In vielen Ländern, in denen es Spritzenaustauschprogramme und Substitutionsprogramme für Heroinabhängige gibt, ist die Zahl der Neuinfektionen mit HIV und Hepatitis C (HCV) deutlich geringer als in Ländern, in denen es keine solche Programme gibt. Solche Programme sind eine Interventionsstrategie zur Erhaltung von Gesundheit und zur Senkung der Kosten für medizinische Behandlungen.

Drogensüchtigen auf der Krim droht ein kalter Entzug

Laura Mills schrieb am 6. April 2014 unter dem Titel „Drogensüchtigen auf der Krim droht ein kalter Entzug“ in der Basler Zeitung zur Situation auf der Halbinsel Krim nach der Wiedervereinigung mit Russland:

Rund 800 Drogenabhängige beteiligen sich auf der Krim an einem Entzugsprogramm. In Russland ist der Ersatzstoff Methadon jedoch verboten. Nun droht der Halbinsel die Ausbreitung von HIV und Aids. Die Abgabe des Ersatzstoffs Methadon an Drogenabhängige auf der Krim hat die Ausbreitung von HIV auf der Halbinsel verlangsamt. Dieser Erfolg steht nun auf dem Spiel, weil Russland das Medikament verbietet.

[…] Auf der Krim sind nach Schätzungen des UN-Kinderhilfswerks Unicef rund 12.000 der zwei Millionen Bewohner mit dem HI-Virus infiziert. Jahrelang stiegen die Infektionsraten immer weiter an. Erst 2012 konnte das ukrainische Gesundheitsministerium erstmals einen Rückgang der Neuinfektionen vermelden. Dieser Erfolg wird auch der Methadon-Therapie zugeschrieben, wie die Hilfsorganisation International HIV/Aids Alliance of Ukraine erklärt. So hätten injizierende Drogenkonsumenten 2002 noch 62 Prozent aller neuen HIV-Infektionen ausgemacht. Bis 2013 sank diese Zahl auf 33 Prozent.

[…] In Russland, das Süchtigen einen kalten Entzug empfiehlt, breitet sich HIV rasch aus. Die Zahl der registrierten Infizierten stieg nach Angaben der russischen Behörden 2013 um fast elf Prozent. […] Die Patienten erzählen, dass die Ärzte auf der Krim das Programm seit dem Start vor fünf Jahren stets unterstützt hätten. Sie versicherten den Teilnehmern vor dem Referendum, die Methadon-Abgabe werde mindestens bis zum Ende des Jahres fortgeführt. Am 20. März 2014 jedoch erklärte Viktor Iwanow, der Leiter der russischen Behörde zur Drogenbekämpfung, das Methadon-Programm auf der Krim werde beendet.

Analyse der Weltkommission für Drogenpolitik

In ihrem Bericht vom Mai 2013 „Die verheerenden Auswirkungen des Drogenkriegs auf ­die Volksgesundheit: Die versteckte Hepatitis-C-Epidemie“ schreibt die Weltkommission für Drogenpolitik (Global Commission on Drug Policy):

Hepatitis C ist eine weit verbreitete chronische Virusinfek­tion, welche vor allem in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen die Volksgesundheit, die Wirtschaft und den Sozialbereich stark belastet. Obschon die Hepatitis-C-Epidemie von der Weltgesundheitsorganisation als „virale Zeitbombe“ bezeichnet wird, erhält sie noch immer kaum Aufmerksamkeit. Der Zugang zu präventiven Maßnahmen ist limitiert, und Diagnose und Behandlung sind viel zu teuer und für die Betroffenen oft unerreichbar. Das Problembewusstsein in der Bevölkerung und die politische Handlungsbereitschaft in Bezug auf Hepatitis C sind viel zu schwach ausgeprägt, und eine wissenschaftliche Hepatitis-Überwachung ist oft nicht vorhanden.

Das Hepatitis-C-Virus ist hoch ansteckend und via Blutkontakt übertragbar. Deshalb sind Menschen, die Drogen injizieren, überproportional stark davon betroffen: Weltweit leben geschätzte 10 der 16 Millionen Menschen mit intravenösem Drogenkonsum mit Hepatitis C. In Ländern mit besonders restriktiven Drogengesetzen sind es oft mehr als die Hälfte, die das Virus in sich tragen – in Thailand und Teilen von Russland sogar über 90 Prozent.

Hepatitis C nimmt bei etwa einem Viertel der chronisch Infizierten einen schweren oder sogar tödlichen Verlauf und ist zunehmend für frühzeitige Todesfälle bei intravenösem Drogenkonsum verantwortlich. Weltweit sind die meisten HIV-positiven Menschen, die Drogen injizieren, gleichzeitig von einer Hepatitis-C-Infektion betroffen. Schadenminderungsprogramme – zum Beispiel die Abgabe von sterilen Nadeln und Spritzen oder Opioid-Substitutionstherapien – können eine Verbreitung des Hepatitis-C-Virus unter Drogenkonsumierenden effizient verhindern, sofern sie für alle zugänglich sind und in angemessenem Umfang angeboten werden.

Anstatt in wirksame Präventivmassnahmen und Behandlungsprogramme zu investieren, um die erforderlich Abdeckung zu erreichen, verschwenden die Regierungen weiterhin Milliarden von Dollar für die Festnahme und Bestrafung von Drogenkonsumierenden – eine grobe Fehlverteilung limitierter Ressourcen, die besser für die Volksgesundheit und Präventivmaßnahmen eingesetzt werden würden. Gleichzeitig hat die repressive Drogenpolitik der Stigmatisierung und Kriminalisierung sowie massenhaften Inhaftierungen von Drogenkonsumierenden Vorschub geleistet. Dabei konnten die wenigsten Länder einen bedeutsamen Rückgang von Neuinfektionen mit dem Hepatitis-C-Virus in dieser Menschengruppe verzeichnen. Das Scheitern der Regierungen, die Krankheit zu verhindern und einzudämmen, wird in vielen Ländern weitreichende Konsequenzen für die zukünftigen Gesundheitskosten und die Sozialhilfe haben.“

­Im Bericht, der 2012 veröffentlicht wurde, beschreibt die Weltkommission für Drogenpolitik, wie der weltweite Drogenkrieg die HIV-Epidemie unter Drogenkonsumierenden anheizt. Der neue Bericht legt den Fokus auf Hepatitis C, eine weitere tödliche Epidemie innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe. Nach einer kurzen Übersicht wird darauf eingegangen, wie der „Krieg gegen die Drogen“ und die repressive Drogenpolitik die Eindämmung der Hepatitis-C-Infektionen verhindern.

Das Schweigen über die Leiden, die eine repressive Drogenpolitik verursacht, wurde gebrochen. Sie ist unwirksam, verletzt die Menschenrechte, erzeugt Gewalt und setzt einzelne Menschen und Menschengruppen unnötigen Risiken aus. Hepatitis C ist eines dieser Leiden – ein vermeid- und heilbares Leiden, vorausgesetzt, die Maßnahmen gegen die Drogenproblematik sind auf die Interessen der öffentlichen Gesundheit ausgerichtet. Es ist Zeit, neue Wege zu gehen.

Auch in Deutschland versagt die Gesundheitspolitik

Heino Stöver, Frankfurt am Main, und Bärbel Knorr, Berlin, schreiben in ihrem Bericht „HIV, Hepatitis und Haft“ (HIV & more, Ausgabe 4/2013) zur Situation in Deutschland:

Prinzipiell gelten für die medizinische Versorgung von Gefangenen die gleichen Standards wie für Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung. Dennoch gibt es hinter Gittern eine Fülle von Besonderheiten, bedingt durch das enge Zusammenleben, durch gehäuft auftretende Krankheitsbilder wie HIV und Hepatitis C (HCV) und durch die Doppelfunktion des Arztes als Teil der staatlichen Macht und zugleich als Anwalt des Patienten.

In Deutschland befinden sich rund 70.000 Menschen im Strafvollzug und in Untersuchungshaft. Weitere 10.000 Menschen sind im Maßregelvollzug (d.h. psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter) untergebracht. […] Etwa jeder Zehnte der allgemein angenommenen Gesamtzahl von mind. 150.000 problematischen Drogenabhängigen ist inhaftiert. Bei 11.000 zur Verfügung stehenden Therapieplätzen befinden sich also etwa 1,5 Mal mehr Drogenkonsumenten im Gefängnis als in Therapieeinrichtungen.

Die Infektionsdynamik wird überwiegend von drogen-bedingten Infektionsrisiken befeuert. Entsprechend hoch ist die Zahl Opioidabhängiger mit einer schwerwiegenden Infektionskrankheit: 17,6% aller Gefangenen haben eine Hepatitis C, 10,6% haben oder hatten eine Hepatitis B, 0,8% sind HIV-positiv. Jeder zweite Gefangene (50,6%), der jemals Drogen injizierte, ist HCV-positiv und 1,6% sind HIV-positiv. Das heißt jeder fünfte bis sechste Gefangene hat mindestens eine dieser Infektionserkrankungen.

Die Problemlage gleicht der einer suchtmedizinisch-infektiologischen Schwerpunktpraxis in Freiheit: doch ist man dafür gerüstet? Allein diese Zahlen beantworten diese Frage: Von 186 Justizvollzugsanstalten bietet nur eine JVA einen Spritzentausch an, d.h. von den 70.000 Gefangenen haben 110 Gefangene einen Zugang zu sterilen Spritzen (0,16%).

Aufgaben für die Drogenbeauftragte Marlene Mortler

Wenn die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, Schaden vom Volk abwenden will, dann muss sie dafür sorgen, dass in Justizvollzugsanstalten flächendeckend Spritzenaustauschprogramme und Substitutionsprogramme eingeführt werden, bundesweit flächendeckend Fixerstuben etabliert werden und die Rahmenbedingungen für die Substitution mit Methadon und Buprenorphin sowie für die Originalstoffvergabe (Diamorphin) verbessert werden.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/drogerie/2014/04/07/der-krieg-gegen-drogen-fordert-die-ausbreitung-von-infektionskrankheiten/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Für meinen Begriff eine Sache für den Petitionsausschuß. Die Regierung hat aktiv zu werden und kann nur sachgemäße Handlungen wünschen. Diese sind von Frau Mortler aus Kompetenzmagel nicht zu erwarten. Halsstarrigkeit kann und darf nicht weiter Methode sein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert