vonAline Lüllmann 16.12.2009

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Innenansichten, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

Mehr über diesen Blog

merkel-titelEigentlich hätte es nicht öffentlich werden sollen: Das Bundeskanzleramt bezieht Strom, der besonders wenig Geld kostet und besonders viel CO2 in die Luft bläst. Auch viele Bundesministerien bekommen den gleichen Strom von der RWE-Tochter Envia. Der Bund versuchte ein halbes Jahr lang, dies Informationen unter Verschluss zu halten. Die taz kam erst daran, als sie vor dem Verwaltungsgericht ihren Auskunftsanspruch nach Landespressegesetz einklagte. Hier folgt nun eine Dokumentation dieser Recherche. Den Schriftverkehr von der ersten Anfrage über die Klage bis zur Auskunft gibt es auch zum Download als PDF.

22. Mai 2009: Die taz fragt erstmals bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben an. Diese Behörde kauft zentral für das Kanzleramt, für viele Bundesministerien und zahlreiche andere Behörden und Stiftungen den Strom ein. Uns interessiert: Für welche Behörden kauft die Anstalt Strom ein, was kostet dieser Strom und wie viel CO2-Ausstoß verursacht er?

27. Mai: Die Bundesanstalt antwortet und listet auf, für wen sie Ökostrom und für wen sie den billigsten Strom ohne besondere Herkunft einkauft. Die Kosten für den Strom nennt die Anstalt nicht: Der Stromeinkauf wurde europaweit ausgeschrieben und “aus vergaberechtlichen Gründen ist mir leider nicht möglich, Ihnen die nachgefragten Auftragswerte bekannt zu geben.” Außerdem behauptete die Bundesanstalt, ihr sei nicht bekannt, aus welchen Energiequellen wie der Billigstrom erzeugt wurde: Weil “Strom ohne vorgegebene Herkunft nachgefragt wurde, verfügt die Bundesanstalt naturgemäß über keine diesbezüglichen Informationen; dies gilt auch in Bezug auf die Angabe bestimmter Erzeugungsarten und der CO2-Emissionen”.

8. Juni: Die taz erläutert in einem Brief an die Bundesanstalt den Umfang der Auskunftspflicht nach dem Pressegesetz und bittet um erneute Überprüfung nach diesen Maßstäben.

18. Juni: Die Bundesanstalt beharrt darauf, dass sie die Strompreise nicht nennen könne. Die EU-rechtlichen Vergabevorschriften würden einem presserechtlichen Auskunftsanspruch entgegenstehen. Der Inhalt der Angebote und insbesondere die Preisgestaltung unterliege gemäß der Artikel 6, 35 Abs. 4 und 41 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG zur Vergabe öffentlicher Aufträge dem Gebot der vertraulichen Behandlung. Außerdem müssten die Stromlieferanten darauf vertrauen können, dass die Bundesanstalt Informationen, die üblicherweise vertraulich behandelt werden, nicht an die Presse gibt.

21. Juni: Die taz antwortet, die Vertraulichkeitsklausel in der EU-Richtlinie gelte bereits dem Wortlaut nach nur “nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts”. Die EU habe mit dieser Richtlinie also nicht die Auskunftspflicht von deutschen Behörden gegenüber der Presse einschränken wollen. Es müsse auch das Grundrecht der Pressefreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes berücksichtigt werden. Es gebe auch keinen Vertrauensschutz für die Stromlieferanten. Denn die wüssten doch, dass die Bundesanstalt eine Behörde ist. Die Stromlieferanten könnten nicht ernsthaft davon ausgehen, dass die Bundesanstalt ihrer gesetzlichen Auskunftspflicht nicht nachkäme. Und würden sie doch davon ausgehen, so sei dieser Irrtum jedenfalls nicht schützenswert. Die Bundesanstalt soll daher innerhalb der nächsten zwei Wochen die Auskunft erteilen.

13. Juli: Die Bundesanstalt teilt mit, “dass Vertragsinhalte grundsätzlich als Geschäftsgeheimnis der hiesigen Vertragspartner zu werten sind”. Bei Geschäftsgeheimnissen handele es sich um ein “schutzwürdiges privates Interesse”, das laut Pressegesetz von der Auskunftspflicht ausgenommen ist: “Ein presserechtlicher Auskunftsanspruch ist damit zu verneinen.”

Am gleichen Tag schickt die taz die Klage auf Auskunft an das Verwaltungsgericht Köln (das ist für die in Bonn sitzende Bundesanstalt zuständig). Es gebe ein erhebliches öffentliches Interesse an der Auskunft, wie teuer der von der Bundesanstalt eingekaufte Strom sei. Die Bundeskanzlerin habe in ihren Reden im Bundestag und in Gastbeiträgen für Zeitungen wiederholt betont, dass der Klimaschutz eines der wichtigsten Themen für ihr Kabinett sei. Die Öffentlichkeit habe ein großes Interesse daran, zu erfahren, warum die Bundeskanzlerin und Teile ihrer Regierung trotz der nach außen postulierten Ansprüche für die eigenen Liegenschaften keinen Ökostrom einkaufen. In der Regel werde dies damit begründet, dass Ökostrom zu teuer sei. Damit jeder Bürger sich dazu eine eigene Meinung bilden könne, müsse der genaue Preisunterschied bekannt sein. Auch ganz allgemein gebe es immer ein hohes Informationsinteresse der Öffentlichkeit an allen staatlichen Aufgaben. Es handele sich schließlich um Steuergeld, das die Allgemeinheit aufgebracht habe. Bei der Frage, ob die Auskunft ein schutzwürdiges privates Interesse verletzt, komme es auf eine Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Interesse der Unternehmen auf Geheimhaltung an. Die Auskunft greife nicht sonderlich tief in die Interessen der Stromlieferanten ein. Aus dem Preis sei weder die interne Preiskalkulation ersichtlich noch der Fakt, ob ein Unternehmen Gewinne oder Verluste macht. Man könne daran höchstens sehen, welche Preise für Großverbraucher auf dem Markt gelten. Es gebe zwar ein gewisses Interesse, diese Preise für Großverbraucher gegenüber dem Privatverbraucher geheim zu halten (weil der höhere Preise zahlen muss). Im Vergleich zum hohen öffentlichen Informationsinteresse sei dieses Geheimhaltungsinteresse der Stromlieferanten aber nicht schützenswert. Das Gericht solle die Bundesanstalt daher verurteilen, die Auskunft zu geben.

Das Gericht setzt der Bundesanstalt eine Frist bis zum 27. August, um auf die Klage zu antworten.

14. August: Die Bundesanstalt hat die Großkanzlei Redeker Sellner Dahs & Widmaier eingeschaltet, die nun eine Fristverlängerung beantragt. Der Anwalt, der den Fall bearbeitet, sei gerade erst aus dem Urlaub zurückgekehrt, betreue auch zahlreiche andere Verfahren. Man wolle daher erst bis zum 24. September antworten – drei Tage vor der Bundestagswahl. Das Gericht gewährt die Fristverlängerung.

23. September: Ein Tag vor Ablauf der Frist bittet die Rechtsanwaltskanzlei um eine weitere Fristverlängerung um vier Wochen bis zum 22. Oktober 2009. Bei der Bearbeitung der Klage habe sich herausgestellt, dass “eine Rücksprache mit verschiedenen weiteren Beteiligten erforderlich ist”. Man werde sich bemühen, die Fristverlängerung “nicht auszuschöpfen, sondern so zügig wie möglich die Klageerwiederung vorzulegen”. Das Gericht gewährt die erneute Fristverlängerung.

19. Oktober: Drei Tage vor Ablauf der Frist schickt die Kanzlei ihren nächten Brief – und teilt die Preise mit, die der Strom in den einzelnen Teilen der Ausschreibung kostet. Anstatt also vor Gericht gegenzuhalten, ist die Bundesanstalt eingeknickt und gibt nun doch die Informationen.

27. Oktober: Die taz antwortet, dass sie sich über die Auskunft freut und damit die Klage nahezu erledigt ist. Jetzt haben wir noch ein paar Nachfragen, mit denen es ermöglicht werden soll, den Durchschnittspreis für den Billigstrom zu berechnen. Außerdem fragen wir noch einmal nach, ob die Bundesanstalt wirklich nicht weiß, wie viel CO2 der Billigstrom verursacht. Schließlich seien Stromlieferanten gemäß § 42 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes verpflichtet, in ihren Rechnungen und in ihrem Werbematerial den Anteil der einzelnen Energieträger und den CO2-Ausstoß pro Kilowattstunde bekannt zu geben.

25. November: Die Bundesanstalt beantwortet alle Fragen. Auch die Informationen über den CO2-Ausstoß, die zuvor der Behörde angeblich überhaupt nicht vorlagen, erhalten wir jetzt. Nach gut sechs Monaten sind damit alle Fragen beantwortet, die wir am 22. Mai gestellt hatten. Jetzt geht es darum, die einzelnen Bundesministerien anzufragen, warum sie Ökostrom bzw. keinen Ökostrom eingekauft haben.

16. Dezember: Der Text erscheint in der taz und wird dort auch zum Titelthema auf Seite 1.

Den Schriftverkehr von der ersten Anfrage über die Klage bis zur ersten Auskunft gibt es auch zum Download als PDF (dabei sind die Namen der Behördenmitarbeiter und Anwälte geschwärzt; meine Mailadresse ist zum Spamschutz verändert).

Wenn Sie diesen Eintrag interessant fanden, interessiert Sie womöglich auch die Geschichte von der Klage gegen die Freie Universität Berlin. Die wollte uns zunächst nicht mitteilen, wie viel Geld sie von McKinsey dafür bekommt, dass sie besonders leistungsstarke Studierende auswählt und denen Werbebriefe von McKinsey schickt.

In dem Reader Auskunftsrechte kennen und nutzen (PDF) ist beschrieben, wie Journalisten die Auskunftsrechte nach Pressegesetz, Informationsfreiheitsgesetz, Umweltinformationsgesetz oder die Grundbuchauskunft nutzen können, um so Informationen zu recherchieren.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausblog/merkel-mags-billig/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert