von 07.11.2011

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Innenansichten, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

Mehr über diesen Blog

Das Interview führten Maria Grace Krause und Markus Pöhlking. Beide sind Teilnehmer am 9. Workshop der taz Panter Stiftung, der für die Montagsausgabe der taz eine vierseitige Beilage erstellt hat. Thema diesmal: Scheitern. Sie interviewten Sebastian Scheerer, Direktor des Instituts für kriminologische Sozialforschung an der Universität Hamburg, der die Drogenpolitik komplett für gescheitert hält.

Drogenpolitik ist ein Thema, das immer wieder kontrovers diskutiert wird. Wie bewerten Sie die Drogenpolitik in der Bundesrepublik?

Die aktuelle Drogenpolitik ist gescheitert. Nicht nur in der Bundesrepublik übrigens, sondern weltweit. Sie hat ihre selbst gesteckten Ziele nicht erreicht.

Ziele bedeutet hier konkret?

Konkret darf die Nutzung bewusstseinsverändernder Substanzen außerhalb eines medizinischen oder wissenschaftlichen Rahmens nicht stattfinden. Auf der Straße dürfte es kein Cannabis, Kokain oder Crack geben. Fakt ist aber, das es all das gibt, weswegen man von einem absoluten Scheitern der Drogenpolitik sprechen kann. Perfekter kann man sich das Scheitern gar nicht vorstellen.

Wenn das so offensichtlich ist, warum wird dann überhaupt weiter an der Zielsetzung festgehalten?

Die Weltgeschichte ist voller gescheiterter Projekte, die – mit unvorstellbaren Kosten – noch über lange Zeit künstlich weitergeführt wurden. Für die Drogenpolitik ist kennzeichnend, das sie zwar gescheitert ist und nie zum Erfolg führen kann, dass aber ihr Scheitern systematisch und aus bestimmten Interessen heraus geleugnet wird. In der UNO und ihren Unterorganisationen werden sogar Leute dafür bezahlt, die Realität nicht wahrzunehmen und mit der Attitüde des Als-Ob so zu tun, als wäre alles auf bestem Wege. Wenn man irgend etwas mit vollem Recht als pervers bezeichnen kann, dann ist es das.

Sie werfen der UNO also gewissermaßen eine gezielte Fehlinformation der Öffentlichkeit vor?

Im Grunde kann man das so sagen. Das geschieht über Tricks und Manipulationen. Der Erfolg oder die Umsetzbarkeit der Drogenpolitik sind seit ihren Anfängen niemals evaluiert worden, sonst wäre das Scheitern ganz offensichtlich und deutlich schwerer zu negieren.

Das sich eine Zielsetzung nicht realisieren lässt, ist die eine Seite. Aber gibt es Alternativen?

Alternativen gibt es durchaus. Prominentestes Beispiel für die Berichtigung einer verfehlten Drogenpolitik ist sicherlich das Ende der Prohibition in den USA 1932. Danach hat sich auch nicht jeder sinnlos betrunken.

Woran konkret ist die Prohibition gescheitert?

Die Erscheinungen, die man eigentlich bekämpfen wollte, wurden durch die Prohibtion letztlich nur verstärkt. Alkohol verschwand ja nicht aus der amerikanischen Gesellschaft sondern wurde weiterhin von einer großen Zahl Menschen nachgefragt, wodurch sich letztlich außergesetzliche Strukturen zur Deckung des Bedarfs etablierten.

Aber das war in den zwanziger und dreißiger Jahren. Wo leiten Sie daraus Bedeutungen für die Gegenwart ab?

Die Entwicklungen gleichen sich ganz einfach. Nehmen wir beispielsweise die Situation in Mexiko. Staatschef Felipe Calderón hat 2006 angekündigt, die Politik der Drogenprohibition zu intensivieren. Seitdem eskaliert die Situation dort völlig. Nach offiziellen Einschätzungen wurden dort in den letzten fünf Jahren über 40.000 Menschen im Zusammenhang mit der Drogenpolitik ermordet. Die Legalisierung von Drogen würde im Vergleich dazu nur einen Bruchteil an Opfern fordern. Man muss sich also fragen: Wie kann eine Politik, die ja nicht nur in Mexiko, sondern weltweit derart viele Todesopfer zur Folge hat, überhaupt fortgeführt werden?

Man könnte argumentieren, dass das Vorgehen gegen kriminelle Strukturen intensiviert werden müsste, um so die Zielsetzung zu erreichen.

Aber das funktioniert ja ganz offensichtlich nicht. Genau hier liegt ja die Ursache für das Scheitern der Prohibition in den USA damals und in Mexiko jetzt. Die kriminellen Strukturen lassen sich nicht beseitigen. In den USA hat sich eine in hohem Maße organisierte Kriminalität letztlich ja erst durch die Prohibition etabliert. Und in Mexiko ist die Entwicklung ganz ähnlich. Da die Polizei korrupt ist, hat man das Militär zum Kampf gegen die Drogenkriminalität eingesetzt. Das wird seitdem ebenfalls zunehmend korrumpiert. Zudem gehen viele ehemalige Soldaten zu den Drogenkartellen und tragen dort sozusagen ihre Expertise zu Markte. Die Politik ist da komplett gescheitert und es wäre wünschenswert, wenn das endlich einmal jemand öffentlich eingestehen würde. Da von offizieller Seite aber überhaupt kein Interesse zu bestehen scheint, dies publik zu machen.

Aber sind die Bedingungen in Mexiko und einem Land wie beispielsweise Deutschland vergleichbar? Eine derartige Eskalation scheint hier nur schwer denkbar, also warum sollte man hier Drogen legalisieren?

Zunächst mal ist Drogenkriminalität ein internationales Phänomen, dass sich nicht auf irgendwelche Staatsgrenzen beschränkt. Aber der Kampf gegen die Drogen ist auch auf andere, hier vor Ort vielleicht stärker präsenten Art überhaupt nicht zu gewinnen. Allein die Ausdifferenzierung und die Multiplikation bei den chemischen Verbindungen und Substanzen, die psychotrop wirken, hat ein Ausmaß angenommen, das ein wirksame Bekämpfung unmöglich macht.

Nichtsdestotrotz besteht aber in Zusammenhang mit berauschenden Substanzen eine Suchtproblematik. Eine Legalisierung von Drogen würde diese vermutlich verstärken.

Eben das halte ich für einen Trugschluss. Die Befürchtung, das eine Droge die Gesellschaft überflutet oder verführt, scheint nicht haltbar zu sein. Genauso wenig, wie die USA nach dem Ende der Prohibition kollektiv dem Alkohol verfiel, würde die Legalisierung anderer Substanzen eine solche Entwicklung zur Folge haben. Es hat sich auch in der Praxis längst gezeigt, das dort, wo man versucht, Drogenpolitik liberaler zu gestalten, kein Anstieg des Konsums zu verzeichnen ist. In den Niederlanden, wo man die Auswirkungen der Cannabisfreigabe wissenschaftlich sehr eng begleitet. Es gibt da sehr viele gründliche Studien, die alle zu dem Schluss kommen, das es keine negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft gibt. Der Cannabiskonsum niederländischer Schüler ist sogar geringer als der von deutschen Schülern.

Vielen Dank für das Gespräch!

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausblog/perfekter_kann_man_sich_das_scheitern_gar_nicht_vorstellen/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Ich glaube, es hängt alles von der Mehrheitsbevölkerung ab. Stützt diese, wenn auch nur indirekt, Drogenkonsum, Korruption, Gewaltbefürwortung usw., dann wird jedes staatliche Eingreifen auf eine hohle, paradox wirkende Grundlage gestellt.
    Das mit den vielen Toten in Mexiko ist natürlich der absolute Horror. Ich lese auch immer wieder ähnliche Zahlen “seit den Drogenbanden der Krieg” erklärt wurde. Aber niemals wieviele Tote es vorher gab. Wieviele waren es denn? Und kann es sein, dass man jetzt viel genauer hinsieht, als vorher? Es muss doch einen Grund gegeben haben, dass man den Kampf gegen Drogenbanden verstärkt hat.

    Natürlich leidet Mediko auch unter seiner Lage. Aber letztendlich müssen noch ganz andere gesellschaftliche Probleme eine Rolle spielen, dass die Situation derart eskaliert ist.

  • Vielen Dank für den Beitrag!

    Endlich mal ein Synonym für Drogenpolitik das sich nicht auf Fäkalien bezieht.

    Mit besten grüßen,

    ihre Flauschmittelfront

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert