vontaz zahl ich-Team 18.07.2017

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Die Diskussionskultur verroht, Unwahrheiten verbreiten sich rasend, persönliche Daten werden missbraucht. Die taz fragt: Wie sehen Gegenstrategien aus?

von HEYE JENSEN

Am 14. Juli 2017 wurde nicht nur das Richtfest des taz-Neubaus gefeiert, sondern auch die 10.000 Unterstützer*innen von taz.zahl ich. Die Veranstaltung startete mit drei spannenden Kurzvorträgen über Fake News, Trolle und Big Data sowie einer regen Diskussion – die auch den gesamten Abend hätte füllen können.

Wer diese kleinen Tech-Talks von der re:publica, Ted oder beispielsweise den Netzpolitischen Abenden in der c-base kennt, fühlte sich gleich zu Hause. Stets mit einer Brise Humor werden komplizierte Themen leicht verdaulich und anschaulich dargestellt, sodass alle verstehen, worum es geht.

Wir haben den Abend auch aufgezeichnet, hier können die Vorträge und die Diskussion angehört werden.

Die Gerüchteküche entlarven 

Zunächst stellte Karolin Schwarz ihr Projekt hoaxmap.org vor. Das Portal sammelt Falschmeldungen deutschsprachiger Medien und stellt diese auf einer Übersichtskarte dar. Einerseits seien Falschmeldungen mindestens so alt wie der Journalismus selbst, so die Initiatorin, andererseits sei das Jahr 2016 auch das Jahr der Falschmeldungen. Insbesondere über Geflüchtete kursierten auffallend viele Unwahrheiten.

Auf hoaxmap.org sind derzeit 476 (Stand 17.07.17) solcher Falschmeldungen gesammelt und verschlagwortet. Schlagworte sind beispielsweise Raub/Diebstahl, Geldleistung/Sachleistung, Körperverletzung oder Sexualisierte Gewalt, aber auch religiöser Fanatismus oder gar Wilderei – wohlgemerkt, es handelt sich stets um (mutmaßlich bewusste) Falschmeldungen.

Hoaxmap führt auch den „Pro-Kopf-Gerücht“-Index, der das Verhältnis der Gerüchte zu Einwohner*innen in der jeweiligen Region misst. Hier sind Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt Spitzenreiter, vermutlich auch wegen PEGIDA bzw. der lokalen Ableger. Die Karte speist sich durch ehrenamtliche Arbeit aus der Online-Community.

Trump dank Microtargeting? 

Ingo Dachwitz , Redakteur bei netzpolitik.org, stellte im Anschluss die Themen Big Data und Targeting vor. Seit den US-Wahlen und dem Sieg Donald Trumps wird darüber öffentlich diskutiert.  Auch wenn gleichzeitig kaum jemand weiß, was es damit genau auf sich hat. Impulsgebend für die aktuelle Debatte war mit Sicherheit auch der Artikel „Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt”, der zusammengefasst festhält: Big Data ist für den Wahlsieg Trumps verantwortlich.

Dabei ist Big Data zunächst ein Analyse-Tool für große Datensätze und wird beispielsweise auch für die Wettervorhersage verwendet. In sozialen Netzwerken stellen nun auch Menschen ihre Daten ganz freiwillig zur Verfügung – und das in immer größeren Mengen. Davon lassen sich dann auch Prognosen ableiten und Rückschlüsse auf Menschen ziehen, auf deren Bildungsstand, Religion, Hobbies oder etwa auch ihre sexuelle Orientierung.

Dies ist die Grundlage des Targetings, also gezielter Ansprache von User*innen. Seit etwa 10 Jahren gibt es im Internet personalisierte Werbung , etwa bei Amazon, Ebay oder Google. Entsprechend unserer Online-Vorlieben und Aktivitäten erhalten wir ganz gezielt darauf abgestimmte Werbung oder personalisierte Nachrichten. Im US-Wahlkampf wurden zum Beispiel gezielt „Dark Ads” geschaltet, die den politischen Gegner der Adressaten diffamierten und für die eigene Seite warben. Entsprechend wertvoll sind diese Userdaten und in den USA hat sich dafür ein großer Mark entwickelt.

Auch wenn in Deutschland mit Datensätzen aus sozialen Netzwerken nicht gehandelt werden darf, auch hier werben Parteien zielgruppengerichtet, indem sie auf den Datensatz von Facebook zurückgreifen. So fing beispielsweise im Frühjahr die CSU an, online gezielt auf Russisch zu werben, um Russland-Deutsche zu erreichen.Problematisch dabei ist die mangelnde Transparenz und das damit einhergehende Missbrauchspotential. Außerdem verhindert das Targeting den Diskurs mit dem politischen Gegner. Wünschenswert, so Dachwitz, wäre deshalb eine Offenlegung der Werbestrategien der einzelnen Parteien, wie es die Grünen zuletzt umgesetzt haben. Hilfreich sei außerdem der Hashtag #politikads, unter dem User*innen Screenshots von eingespielten Anzeigen und den Erklärungen veröffentlichen, warum sie diese Werbung angezeigt bekommen.

Trolls mit Sachlichtkeit begegnen

Kommentare unter Beiträgen großer Medienhäuser bei Facebook haben in den vergangenen Jahren einen schockierenden Wandel erfahren. Sprachliche Tabubrüche, so Hannes Ley von #ichbinhier,  gehören schon längst zum neuen „Internetton” dazu. Da er das nicht länger hinnehmen konnte und wollte, gründete er eine geschlossene Facebook-Gruppe mit dem Titel #ichbinhier. Dort werden Beiträge herausgesucht, die besonders von Fremdenfeindlichkeit, Sexismus, Islamophobie, Medienbashing oder Staatsfeindlichkeit geprägt sind. Diese Kommentare werden durch viele Likes medial verstärkt und bekommen eine große Reichweite.

Die Gruppe versucht so den Spieß umzudrehen. Nachdem ein Beitrag herausgesucht wurde, schreibt eine Person aus der Gruppe einen Beitrag mit dem Hashtag „ichbinhier” und begegnet auf sachliche Weise dem vorherrschenden Ton, entkräftet Argumente. Die übrigen User*innen aus der Gruppe überhäufen den Kommentar mit Likes, sodass er in der Folge als Top-Kommentar angezeigt wird. Das Konzept verschafft der Gruppe eine große Reichweite, mittlerweile hat sie schon über 35.000 Mitglieder, die in 80% der Fälle zwischen 25 und 54 Jahren alt sind. Ziel der Gruppe ist keine Positionierung gegen oder für eine bestimmte Partei, sondern eine sachliche und differenzierte Kommunikation, die nicht auf Pöbeln, sondern auf Argumenten basiert.

Paywall? Ohne uns!

Verena Schneider, Ressortleiterin von taz.de, zog am Ende des Abends ein positives Résumé und verdeutlichte noch einmal, warum die taz-Inhalte online mit einer freiwilligen Bezahlschranke grundsätzlich kostenlos angeboten werden. Vertrauen, Transparenz und der verantwortungsvolle Umgang mit Inhalten der taz spieke eine wichtige Rolle bei der Motivation hinter taz.zahl ich.

Fotos: Alexander Viktorin

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