von 24.10.2009

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Innenansichten, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

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Jonas Schaible ist einer von 20 Teilnehmern beim zweiten Workshop der taz-Akademie.

Jonas Schaible
Jonas Schaible
Vor ein paar Wochen wurde ich aus meinem Nachmittagsschlaf gerissen: Anruf aus Berlin. Ein ausnehmend freundlicher taz-Mitarbeiter – was bei solchen Anrufen durchaus nicht üblich ist – teilte mir am Telefon mit, mein Probe-Abo laufe nun aus und übrigens, ob ich nicht Interesse an einem längerfristigen Abonnement hätte?

Meine ehrliche Antwort: Ja. Aber ich schließe trotzdem keines ab. Vorerst.

Geht es um die taz, wird häufig gefragt, ob sie denn noch radikal genug sei oder ob sie ihre Wurzeln verraten habe. Die Umstellung des Layouts, bei der leider etwas von der bisher beeindruckenden Präzision und Eleganz verloren ging, heizte diese Debatte wieder einmal an.

Der allfällige Heribert Prantl listete vor einiger Zeit in einer Rede „systemrelevant[e]“ Zeitungen auf. Die taz gehörte zu den namentlich Genannten, genauso wie vier weitere Tageszeitungen: SZ, FAZ, FR und Welt. Das ist eine interessante Liste. Fünf Tageszeitungen, alle überregional. Drei Überregionale fehlen. BILD, vom rechten Rand. Und Neues Deutschland sowie Junge Welt, vom linken.

Die taz also als eine der gemäßigten Publikationen. Gerade so weit links, dass sie mit dem Image kokettieren, aber doch so weit in der Mitte, dass sie als seriös gelten kann. Diese Einschätzung, wenngleich nur implizit vorgenommen, trifft den Kern der Sache recht gut: Auch wenn sich die taz gerne als völlig unangepasste Alternative zum medialen Einheitsbrei geriert, so ist sie im Kern doch eine einigermaßen moderate Zeitung.

Das aber ist, um Missverständnissen vorzubeugen, kein Makel. Im Gegenteil. Wer meint, eine Zeitung müsse zwingend radikal sein, der geht fehl. Eine gesunde Skepsis Macht und Machthabern gegenüber, eine klare Haltung, schonungsloses Aufdecken von Missständen, all das darf, nein muss eine Zeitung prägen, will sie eine gute Zeitung sein. Dazu gehört es, unbequeme Punkte anzusprechen. Dazu kann gehören, sich auch einmal unbeliebt zu machen, klar Stellung zu beziehen, anzuklagen, ganz im Sinne Zolas.

Das allerdings kann nur in der Sache geschehen, und nur, wenn es angebracht ist. Es kann kein Selbstzweck sein. Wenn moderat heißt, gemäßigt zu sein und überlegt, einen kühlen Kopf zu bewahren, dann kann es nur Ziel einer Zeitung sein, moderat zu werden. Auch dann den kühlen Kopf zu bewahren, wenn ein Thema emotionsgeladen ist oder den berüchtigten metaphorischen Sprengstoff beinhaltet. In diesen Momenten muss eine Zeitung ruhig bleiben, sich von Fakten und nicht von Meinungen leiten lassen und manchmal auch eine Geschichte nicht veröffentlichen, weil die Faktenlage einfach zu dünn ist.

Nur wer so arbeitet, eben gemäßigt und nicht im Übereifer, der kann leisten, was unter allen Umständen oberste Priorität haben muss: guten Journalismus zu machen.

Dieser Punkt scheint zu oft vergessen zu werden, wenn über die Qualität einer Publikation debattiert wird. Die taz ist meistens moderat, im oben beschriebenen Sinne, und das zeichnet sie aus. Bezeichnenderweise ist sie auch meist dann am schwächsten, wenn sie scheinbar radikal wird, also zurück zu den Wurzeln, zu ihren Anfängen geht, sich von Ideologien leiten lässt und eine festgelegte Position bezieht. Oft sind es Themen und Probleme, um deren Behandlung sich die taz als Avantgardistin durchaus verdient gemacht hat, die jetzt aber zu starrsinnig betrachtet werden: Sexismus etwa oder Bildungspolitik oder Ökologie. Manchmal sprechen aus den Texten zu diesen Themen vorgefertigte Meinungen, die für die so wichtige Auseinandersetzung damit leider eher hinderlich denn förderlich sind.

Ute Scheub sprach in einem Seminar im Workshop über die Gründe, wegen derer sie Journalistin wurde und heute noch ist. Sie erzählte von ihrer Anfangszeit und über Ideale, darüber, dass sie die Welt verändern und ein Stückchen besser machen wollte, irgendwie. Die Leidenschaft, mit der sie ihre Ideale verteidigte, war beeindruckend. Die Werte, die sie heute noch vertritt, könnten Modell stehen für einen Leitfaden für junge Journalisten.

Jemand, der Menschen eigentlich verachte, könne ein guter Rechercheur, Berichterstatter oder Blattmacher werden, aber niemals ein guter Reporter, schrieb der Journalistikprofessor Michael Haller. Diese Aussage trifft nach meinem Verständnis allerdings nicht nur auf Reporter, sondern auf jeden Journalisten zu. Wer nicht nach Gerechtigkeit strebt, nicht nach Freiheit und Frieden und wer nicht davon überzeugt ist, dass jeder Mensch gleichwertig ist, der kann gute PR machen. Guten Journalismus aber nie. Dieser Gerechtigkeitsgedanken, um wieder den Bogen zu schlagen, scheint in der taz nach wie vor sehr präsent.

Ohne einen weiteren Aspekt geht es allerdings auch nicht: die Liebe zur Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit.

Das störte mich dann auch an Ute Scheubs spannenden Ausführungen. Die Wahrheitsbeugungen der taz in früheren Jahren verteidigt sie nach wie vor energisch. Fast stolz schilderte sie, wie sie einmal mit Michael Sontheimer um Teilnehmerzahlen einer Demo gefeilscht und sie so in die Höhe getrieben hatte, um das Anliegen der Demonstranten zu unterstützen. Ehrenwert vielleicht – aber doch falsch. Der noch so gute Zweck heiligt eben nicht die Mittel.

Der Eindruck, dass auch heute noch in der taz teilweise ähnlich gedacht wird, ist für mich ein Problem. Einen guten Einblick gab da die Redaktionssitzung zur strittigen „CSU wieder schwanger“-Titelseite. So erfrischend es war, wie formlos das Ganze ablief, so schade war es, dass es einen nicht unerheblichen Teil innerhalb der Redaktion gab, der den Aufmacher vehement verteidigte.

Provokation ist erfrischend. Wenn sie aber, wie hier, auf Kosten des sauberen Handwerks und der journalistischen Redlichkeit geht, dann lässt sie eher schaudern. Auch wenn sie gegen den vielleicht sogar wirklich bigotten politischen Gegner gerichtet ist.

Dieses Provozieren um des Provozierens willen, das Überordnen von Prinzipien über den sauberen Journalismus ist es, was bei der taz bisweilen – wenn auch nicht oft – unangenehm auffällt. Das ließ sich auch an anderer Stelle erkennen. Wir erfuhren, dass hitzige Debatten vor allem innerhalb der Genossenschaft geführt werden, ob es beispielsweise in Ordnung sei, in Anzeigen Atomkraft bewerben zu lassen. An dieser alten Prinzipienfrage schieden sich die Geister. Dagegen schien es keiner auch nur ansatzweise für kritisch zu halten, dass bei der Suche nach einem Aufmacher gezielt geprüft wird, welche Themen in der Vergangenheit viele Gelegenheitskäufer anzogen. Vermarktbarkeit und nicht Relevanz eines Themas als Hauptkriterium für die Seite 1, das monierte kaum jemand.

Als Journalist kommt einem eine bestimmte Aufgabe zu, und die heißt in erster Linie: Menschen informieren. Es geht darum, sie aufzuklären. Aufklärung auch im viel zitierten Sinne des Ausgangs aus der Unmündigkeit des Menschen. In erster Linie durch Information und durch das Vermitteln von Fakten müssen die Leser aufgerüttelt werden. Dass ergänzend kommentiert wird, ist unverzichtbar – aber es muss eben ergänzend geschehen. So und nur so kann dann vielleicht auch erreichet werden, wovon womöglich jeder Journalist träumen sollte: die Welt ein Stückchen besser zu machen. Nicht durch Radikalität, sondern durch moderates, durch bedachtes Handeln.

Insofern ist es ein großes Lob, wenn man die taz als nicht mehr so radikal bezeichnet, wie sie es vielleicht einmal war. Sie dürfte allerdings durchaus noch unangepasster sein: Sie dürfte nämlich gerne nicht nur das schreiben, was die breite Masse ungern liest und wofür es von der Stammklientel Applaus gibt, sondern auch noch häufiger einmal das, was dem Weltbild der Stammleserschaft entgegenläuft. Sofern es aufgrund der Faktenlage journalistisch geboten und argumentativ nachvollziehbar ist, selbstverständlich. Das wäre dann eine Art von Unangepasstheit, die wirklich außergewöhnlich und damit dem Anspruch der taz angemessen wäre.

Ach ja: Ein Abo würde ich übrigens sogar dann nicht abschließen. Vorerst nicht. Vorher möchte ich mir ausgiebig ein Bild darüber machen, welche der vielen Zeitungen am ehesten zu mir passt. Und vielleicht auch das schreibt, was nicht in mein vorgefertigtes Weltbild passt.

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