vonhausblog 07.02.2011

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Innenansichten, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

Mehr über diesen Blog
taz-Chefredakteurin Ines Pohl
taz-Chefredakteurin Ines Pohl

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ich hoffe, Sie hatten Gelegenheit, den Solidaritätsaufruf für die inhaftierten iranischen Regisseure genau zu lesen. Und ich wünsche mir, dass Sie einen Moment innegehalten und über den Inhalt nachgedacht haben. Im Iran wurden zwei Filmemacher zu einer sechsjährigen Gefängnisstrafe und zu 20 Jahren Berufs- und Reise- und Interviewverbot verurteilt, weil sie dabei waren, an einem Film zu arbeiten. Zwei Menschen werden brutaler Repression ausgesetzt und ihres Rechts auf Meinungsäußerung beraubt, weil sie etwas vorhatten, weil sie etwas gedacht haben, was einer Regierung missfallen könnte.

Die taz, die tageszeitung hat eine lange Tradition, sich für die Freiheit der Kunst und für das Recht auf ungehinderte Meinungsäußerung zu engagieren. Und so haben wir uns entschieden, auf diesen bislang einzigartigen Vorgang mit einer herausragenden Aktion zu reagieren: Mit ebenjenem Aufruf zur Solidarität und zur verstärkten Berichterstattung über die Situation von Kulturschaffenden und kritischen Geistern im Iran. Wir folgen damit der Initiative des iranischen Regisseurs Rafi Pitts, der Ende des letzten Jahres den Mut besaß, in einem offenen Brief an Präsident Ahmadinedschad die Rücknahme des Urteils zu fordern. Gleichzeitig rief er alle MedienvertreterInnen und Kulturschaffende dazu auf, am 11. Februar 2011 für zwei Stunden die Routine zu unterbrechen, das heißt zu streiken. Es ist der 32. Jahrestag der Iranischen Revolution, und es ist der erste Tag der Berlinale. Jafar Panahi war von dem Filmfestival in die Wettbewerbsjury eingeladen worden – und dürfte kaum nach Berlin kommen können.

Wir als MedienvertreterInnen in Deutschland sehen es als unsere Aufgabe an, angesichts dieser eklatanten Menschenrechtsverletzung unseren täglichen Betrieb zu unterbrechen und gleichzeitig mit all unserer publizistischen Kraft über die Situation im Iran zu berichten. Wir, die wir die Möglichkeit haben, unsere Meinung zu äußern und unsere Projekte zu realisieren, wir streiken nicht, sondern möchten mit all unseren KollegInnen zusammen eine Öffentlichkeit schaffen, die verhindert, dass Menschen in ihrer beruflichen wie intellektuellen Existenz vernichtet werden, weil ihre Gedanken und ihre Kritik den Machthabenden nicht gefallen.

Die Studentenrevolte, der 68er Aufbruch, ist eng mit der iranischen Befreiungsbewegung gegen den Schah verbunden. Sein Berlinbesuch, der Tod von Benno Ohnesorg und der Angriff auf Rudi Dutschke haben viel mit der Gründungsidee der taz zu tun. Diese Geschichte prägt bis heute unser Selbstverständnis. Entsprechend wichtig ist für die taz der Blick in den Iran, über den wir seit Jahrzehnten kompetent und engagiert berichten.

Wer die Demokratiebewegungen in Ägypten, in Tunesien und Jemen in den letzten Tagen verfolgt hat, wird auch öfter die Frage gehört haben, welche Rolle die westlichen Ländern für die Diktatoren gespielt haben – und welche Verantwortung sie nicht zuletzt jetzt haben, die demokratischen Kräfte vor Ort zu unterstützen. Wir sind überzeugt davon, dass es Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof hilft, wenn wir den Blick auf ihre Situation richten und ihre Verurteilung aufs Schärfste verurteilen. Und nicht müde werden, das zu tun. Auch über den 11. Februar hinaus. Mit dieser Einschätzung stehen wir nicht allein, namhafte KünstlerInnen und Kultureinrichtungen unterstützen uns dabei. Doch wir wünschen uns eine noch viel stärkere Beteiligung!

Natürlich haben wir auch versucht, andere Medien für diese Kampagne zu erwärmen. Wir bekamen viel unterstützende Worte, doch außer der österreichischen Tageszeitung Der Standard, Spiegel Online und der Zeitschrift Cicero wollte sich kein Medium aktiv beteiligen. Selbstverständlich respektieren wir diese Entscheidung, doch die Begründung teilen wir nicht. Die lautete einhellig: Man betreibe keinen Kampagnenjournalismus, die journalistische Neutralität gehe vor.

Auch in der taz diskutieren wir zu Recht jedes Mal aufs Neue, wann es gerechtfertigt ist, als ganze Zeitung die journalistische Distanz aufzugeben und sich klar auf einer Seite zu positionieren. In Sachen Panahi und Rasoulof war die große Mehrheit im Haus uneingeschränkt für eine Kampagne.

Die taz ist verortet, wir verstehen uns als eine Zeitung, die eine klare Agenda verfolgt: Wir setzen uns für mehr Gerechtigkeit ein. An dieser Stelle sind wir nicht neutral. Konsequenterweise war die taz das erste Medium, das ausführlich, solidarisch und mithilfe ihres KorrespondentInnennetzes groß über die demokratischen Entwicklungen in Tunesien berichtet hat. Für uns steht unser publizistisches Selbstverständnis im Vordergrund, jenen eine Stimme zu geben, die sonst nicht gehört werden.

Vor diesem Hintergrund sind auch Kampagnen wie die aktuelle zu sehen. Durch solche konzentrierten und konzertieren Aktionen schlagen wir uns auf eine Seite, das ist richtig. Wir geben unsere Neutralität auf. Das ist gewollt. Unserem Selbstverständnis nach ist die publizistische Öffentlichkeit gefordert, sich einzumischen, wenn es darum geht, auf extreme Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen.

Wir tun das seit Jahren durch unsere Berichterstattung, unsere Analysen, unsere Augenzeugenberichte, unsere Recherchen. Und eben auch immer wieder durch Kampagnen, in der Hoffnung, dass die errungene Aufmerksamkeit den Betroffenen hilft, ihre Rechte einzuklagen. Gerechtigkeit und also das konkrete Eintreten gegen Menschenrechtsverletzungen – das ist unser ganz konkretes Anliegen, dafür möchten wir Öffentlichkeit schaffen, und dafür bitten wir Sie, liebe Leserin und lieber Leser, um Ihre Aufmerksamkeit.

Ines Pohl ist Chefredakteurin der taz

Die Petition können Sie hier unterzeichnen

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausblog/warum-die-taz-nicht-bei-der-journalistischen-neutralitaet-bleibt/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • journalistische neutralität ist sowieso unfug. nennen sie mir eine zeitung, die diesem sinnbild gerecht wird. von daher kann man ruhig auch offen gegen ungerechtigkeiten wie diese partei ergreifen.

    lol mohammedkarikaturen… manche leute haben wirklich probleme.

    und den friedensnobelpreis für sarrazin.

  • Bei allem Respekt Frau Pohl, allmählich frage ich mich, ob dieser Schlingerkurs der taz mit dem Zeitpunkt der chefredaktion durch Sie zusammen fällt.
    Erich

  • Meinung ist wichtig, dazu braucht es gute Journalisten.
    Links zu sein bedeutet aber nicht automatisch immer Recht zu haben. Auch die Meinungsvielfalt ist mir wichtig, dazu gehört auch zuhören und seine Meinung zu verteidigen.
    Was überhaupt nicht geht ist Propaganda! Und da sehe ich derzeit ein Problem in den Medien, auch der TAZ. Es werden zu viele Agenturmeldungen einfach übernommen, oder gar überhöht.
    Es darf nichts und niemand ausgeblendet werden, somit unterstütze ich auch diese Aktion von Frau Pohl.

  • Journalistische Neutralität ist ein Märchen. Sie existiert schlichtweg nicht, nirgends. Sie ist sogar logisch unmöglich, denn Journalisten schreiben über Themen öffentlichen Interesses. Allein schon durch ihre Auswahl von Themen beziehen sie unweigerlich Position: Was ist wichtig und warum und wofür? Worüber soll und muss aus welchen Gründen geredet werden?

    In jeder Gesellschaft gibt es Themen und es gibt Zustände. Wird über ein Thema nicht geredet, heißt das nicht, daß nichts passiert. Gesellschaften sind nicht neutral, das Leben selbst ist nicht neutral. Es gibt keine Neutralität in einem fahrenden Zug (Howard Zinn).

    Was es für Journalisten geben kann sind Objektivität, Sachlichkeit und Wahrheitstreue. Neutralität jedoch heißt Schweigen – Erhalt des Status Quo.

  • Ein Herr Churchill sagte einmal: “Wenn ich zwischen dem Feuer und der Feuerwehr zu wählen habe, kenne ich keine Neutralität.”

    Das passt hier gut!

  • Wenn man die taz regelmäßig liest und nicht permanent damit beschäftigt ist, ZWISCHEN den Zeilen Verschwörungen, böse Absichten, Anbiederei, etc… vermeintlich aufzuspüren, sondern sich auf die IN den Zeilen transportierten Inhalte beschränkt, erübrigt sich die Sache ziemlich bald – zumindest in Bezug auf angeblich islamistische Tendenzen. Hier sehe ich in erster Linie ein mittlerweile ziemlich ausgewogene Berichterstattung.

    Ich halte es grundsätzlich für fragwürdig und unreflektiert, Behauptungen in die Welt zu setzen, ohne diese wenigstens ansatzweise belegen zu können.

    Obwohl ich zugeben muss, dass diese eher unseriösen Praktiken mitunter auch bei der taz anzutreffen sind. Besonders unangenehm fallen dabei Kommentare von Ines Kappert und Philip Gessler auf.

  • “Wir, die wir die Möglichkeit haben, unsere Meinung zu äußern und unsere Projekte zu realisieren, wir streiken nicht, sondern möchten mit all unseren KollegInnen zusammen eine Öffentlichkeit schaffen, die verhindert, dass Menschen in ihrer beruflichen wie intellektuellen Existenz vernichtet werden, weil ihre Gedanken und ihre Kritik den Machthabenden nicht gefallen.
    Dieser Satz passt haargenau auf die Kampagne gegen T.Sarrazin

  • “…wenn weiterhin die Anbiederung zu Hisbollah, Hamas, Muslimbruderschaft, Gülensekte beibehalten wird.”

    ???
    Bin jetzt schon gespannt auf Belege für diese Vorwürfe. Dürfte schwierig werden.

  • Die taz ist eine Meinungszeitung, ds widerspricht einer Neutralität und spricht für die taz. Deswegen begrüße ich diese Aktion außerordentlich. Vielleicht kommt die taz bei Ihren Recherchen auch dahinter, warum die Umstände in Iran so sind wie sie sind und überdenkt kritisch ihre kulturelativistische Einstellung zum Islam. Die wertvolle Aktion wäre reine Heuchelei, wenn weiterhin die Anbiederung zu Hisbollah, Hamas, Muslimbruderschaft, Gülensekte beibehalten wird.

  • Was für eine grandiose Leistung, einen Zusammenhang zwischen der derzeitigen taz-Kampagne und den Mohammed-Karikaturen des “Jyllands Posten” herbeizukonstruieren.

    Aus meiner Sicht besteht da nun wirklich überhaupt kein Zusammenhang. Und es dürfte gute Gründe gehabt haben, weshalb sich die taz damals entschlossen hat, diese Karikaturen nicht nachzudrucken.
    Möglicherweise hatte es etwas mit Respekt gegenüber einer Religionsgemeinschaft zu tun? Oder mit der allgemeinen Ausrichtung (konservativ-wirtschaftsliberal) dieser dänischen Zeitung, was nun wirklich so gar nicht zur Linie der taz passt?

    Hieraus nun Heuchelei seitens der taz abzuleiten, zeugt wirklich von ausufernder und eventuell leicht paranoider Phantasie.

    Man kann sicher darüber debattieren, ob es Aufgabe einer Zeitung – die ja in erster Linie fundiert und kritisch informieren will – sein kann, eine derartige Kampagne zu starten.
    Vielleicht kann man sogar noch darüber debattieren, ob eine explizit links ausgerichtete Zeitung eine “journalistische Neutralität” überhaupt beibehalten kann (journalistisch neutral oder links-alternativ? Es geht vermutlich nur eins von beiden).

    Aber Zusammenhänge “aufzudecken”, wo beim besten Willen keine sind, wird der Angelegenheit definitiv nicht gerecht.

  • “Die taz, die tageszeitung hat eine lange Tradition, sich für die Freiheit der Kunst und für das Recht auf ungehinderte Meinungsäußerung zu engagieren.”

    Was für ein großartiges Stück Heuchelei! Könnt ihr eigentlich morgens noch in den Spiegel schauen?

    Wenn der Redaktion die Freiheit der Kunst und das Racht auf ungehinderte Meinungsäußerung eine derartige Herzensangelegenheit ist: Wo war dann die taz vor ein paar Jahren, als die dänische Zeitung “Jyllands-Posten” die berühmten Mohammed-Karikaturen veröffentlichte und niemand in Deutschland sich traute, sie nachzudrucken?

    Die großen Verteidiger der Kunstfreiheit hatten klammheimlich die Seiten gewechselt. Aus einem Kommentar von damals: “Sie wusste, was für ein Süppchen sie da kochte, die dänische Zeitung Jyllands-Posten, die als Sprachrohr des rechtsreaktionären Dänemark gilt…” Und: “Jyllands-Posten” könne “auf eine ungute Vergangenheit des unverblümten Antisemitismus in den dreißiger Jahren zurückblicken”, heute kühle sie “ihr Mütchen” lieber an den Muslimen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert