vonHelmut Höge 28.07.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Es muß eine Wiedervereinigung von Hand- und Kopfarbeit geben, aber erst mal müssen wir all den Verblödungen nachgehen, die aus ihrer Trennung erfolgten. Man könnte auch von “Scheidewegen des Sozialen” sprechen.

Michel Foucault unterschied 1977 den “universellen Intellektuellen”, dessen Ursprünge er bei Voltaire ansetzte und der vor allem von gebildeten Juristen verkörpert wurde, vom “spezifischen Intellektuellen”, der in seiner besonderen Stellung zur Macht, durch seine berufliche Tätigkeit selbst zum moralischen Widerstand gelangt. Das “Scharnier” zwischen diesen beiden Intellektuellentypen war für ihn Robert Oppenheimer. Der Atomphysiker blieb quasi unpolitisch bei seiner speziellen beruflichen Tätigkeit, aber ihre vermeintlichen Auswirkungen waren universell – und das mußte er in seiner Arbeit, ähnlich wie später auf der anderen Seite Andrej Sacharow, berücksichtigen. Ich möchte hier auf ein anderes “Scharnier” zu sprechen kommen – aus der Zeit der Zerstörung der handwerklichen und bäuerlichen Einheit von Kopf und Hand am Vorabend des Großen Deutschen Bauernkriegs, das sich nicht zuletzt dagegen richtete – vergeblich.

Laut Alfred Sohn-Rethel kann die Trennung von Hand- und Kopfarbeit am Vordringen der Mathematik in der Produktionstechnik (vor allem in der Bautätigkeit und speziell der Militärarchiktektur) gemessen werden. Die Durchsetzung der “Methoden der mathematischen Naturwissenschaft” bewirkte, dass sich das Handwerk spaltete: zu großen Teilen sank es in Lohnarbeit und Schuldknechtschaft herab, ein kleiner Teil raffte sich jedoch zu “experimentierenden Meistern” auf, zu selbständigen Ingenieuren und Künstlern. In diesem Prozeß tritt, vermittelt über die langsam sich radikalisierenden Bauern und Handwerker, Albrecht Dürer als “Scharnier” dazwischen. Er ist Handwerker, Meister und Künstler und hat bei dem Humanisten Pirckheimer Mathematik gelernt. Zwischen 1525 und 1527 veröffentlicht er eine “Unterweisung der Messung mit Richtscheit und Zirkel” und den “Unterricht zur Befestigung von Stadt, Schloß und Flecken”. Hierin gebraucht er die Mathematik jedoch nicht mehr in ihrer “gelehrten griechischen und arabischen Form”, sondern formt sie um zur “Unterrichtung von Lehrlingen und Werkleuten der Baukunst, Metallgießerei, Tischlerei und Goldschmiedekunst”. Dabei geht es ihm nicht um die reine Mathematik, sondern um eine praktische “Näherungskonstruktion”. Dürer ist damit laut Cantor “der erste”. Gemessen an seinem Ziel, damit den Handwerkern zu dienen, ist er gleichzeitig aber auch der letzte, denn er scheitert: Weder haben seine Lehrlinge genügend mathematisches Verständnis dafür, noch nehmen die führenden Mathematiker in Italien seine soziale bzw. politische Idee dabei auf – im Gegenteil: Sie, die sich gerade selbständig machen, schätzen zwar Dürers Werke sehr, aber sie trennen ihr Wissen desungeachtet nur noch mehr von den Handwerkern, denn diese müssen sie nun bezahlen – für ihre Kopfarbeit. Es ist bald ihre Haupteinnahmequelle, meint Sohn-Rethel: “Sie arbeiten auf ständige Vertiefung der Scheidung zwischen Kopf und Hand hin und tasten nach der Wissenschaft, welche die vollendete Kluft beider zur methodologischen Grundlage hat”.

Der Aufstand der Bauern unter der Führung von Thomas Müntzer wird in Frankenhausen niedergeschlagen und überall werden seine Parteigänger verfolgt und hingerichtet. Auch Dürer fürchtet um sein Leben und versteckt sich eine zeitlang. Er entwirft währenddessen ein großartiges Denkmal zu Ehren all der wegen ihres Aufstands ermordeten Bauern. Nicht einmal die DDR, die immerhin mit dem größten Gemälde der Welt des Bauernkriegs in Frankenhausen gedachte, traute sich, die “Bauern-Säule” von Dürer aufzustellen, denn sie hatte auch noch die letzten freien Bauern zu (LPG-)Lohnarbeitern gemacht – und gleichzeitig in der Landwirtschaft einen den Handwerkern analogen Prozeß der Trennung von Hand und Kopf durchgesetzt: Fürderhin gab es dort spezialisierte Landarbeiter, die auf Weisung von wissenschaftlich gebildeten LPG-Leitern und Parteikadern handelten. Deren “proletarische Wissenschaft” war zwar anfänglich auf die (revolutionäre) Praxis der Kolchosen ausgerichtet, aber schon bald scheiterte ihr Vordenker Trofim Lyssenko damit noch kläglicher als Dürer, so daß man auch dort zur nunmehr universell gültigen “bürgerlichen Wissenschaft” zurück kehrte. Im Westen wurde der “Lyssenkismus” von einigen Wissenschaftlern aufgegriffen, in Frankreich z.B. von Jacques Monod, aber als die USA anfingen, Druck auf ihn auszuüben und De Gaulle ihm ein neues Institut versprach, verabschiedete auch er sich schnell von der “proletarischen Biologie”, die dann in Anspielung auf eine Monodkritik von Louis Althusser höchstens noch als “spontane Philosophie eines Gärtners” durchging.

Derzeit kommt es unter den Staaten immer mehr in Mode, mit ihren Armeen in andere Länder einzumarschieren. Gleichzeitig vermehren sich auch die Guerillabewegungen wie blöd. Was vielen Staaten wiederum Gelegenheit gibt, ihre Überfälle auf andere Länder als Kampf gegen den Terror zu deklarieren, womit sie sich von vorneherein die Möglichkeit zum Verständnis der Kräfteverhältnisse nehmen. Am Ende läuft alles immer auf einen Gendefekt hinaus – auf hochspezialisierte Hass-, Neid-, Wut- und Terror-Gene.
Die französischen Intellektuellen scheinen noch immer irgendwie an Descartes zu hängen, für den alle Lebewesen bis auf den Menschen seelenlose Maschinen waren. Zuletzt kreierten die beiden Marxisten Félix Guattari und Gilles Deleuze ein ganzes, aus der Sicht der Psychoanalyse Pandämonium von “Wunschmaschinen” – in ihrer Schizo-Analyse “Anti-Ödipus”, wobei sie auch die verschiedenen Gesellschaftstypen mit je einem Maschinentyp in Beziehung setzten – also Descartes quasi radikalisierten: “einfache oder dynamische Maschinen für die Souveränitätsgesellschaften, energetische Maschinen für die Disziplinargesellschaften, Kybernetik und Computer für die Kontrollgesellschaften”. Derzeit befinden wir uns im Übergang von der Disziplinar- in eine Kontrollgesellschaft, “die nicht mehr durch Internierung funktioniert, sondern durch unablässige Kontrolle und unmittelbare Kommunikation” (wir erinnern uns: dieses ganze Planen und Handeln begann mit den aus der Kriegsforschung hervorgegangenen Ideen von Norbert Wiener, die er 1946 in seinem Buch “Kybernetik oder die Wissenschaft von Kommunikation und Kontrolle im Tier und in der Maschine” veröffentlichte). Die daraus quasi hervorgegangene Dritte Industrielle Revolution läßt nicht nur infolge der Transnationalisierung des Kapitals die Volkswirtschaften obsolet werden und produziert immer mehr Arbeitslose, sie hat auch alle Institutionen in eine Krise gestürzt, indem deren bloßer Disziplinarcharakter immer offensichtlicher wird: die Kleinfamilie, Kitas, Schulen, Kasernen, Krankenhäuser, Universitäten, Gefängnisse, Irrenanstalten, Fabriken, Firmen – sie alle müssen sich öffnen. Die Irren werden entlassen, die Krankenpflege findet zu Hause statt, die Gesetzesbrecher bekommen elektronische Fußfesseln oder ihre Konzentrationshäuser werden – wie in Schweden – am Uni -Campus angesiedelt, wo sie die resozialisierenden Folgen von Vorlesungen über sich ergehen lassen sollen, die Büroarbeitsplätze werden in elektronische Heimarbeiten umgewandelt oder nur noch temporär und “projektbezogen” angeboten bzw. wie beim Militär von Kontraktarbeitern (Söldnern) erledigt. Kurzum: all die alten “geschlossenen Milieus” werden aufgebrochen – zugunsten einer “schrecklichen permanenten Fortbildung” (Lifelonglearning): “In einem Kontroll-Regime” hat man laut Deleuze “nie mit irgend etwas abgeschlossen. Angesichts der kommenden Formen permanenter Kontrolle im offenen Milieu könnte es sein, dass uns die härtesten Internierungen zu einer freundlichen und rosigen Vergangenheit zu gehören scheinen”.

Schon jetzt sehnen sich z.B. inhaftierte DDR-Bürger im Weststrafvollzug nach den “guten alten DDR-Knästen” zurück, wie man in dem Tegelreport “Einschluß” von Hans-Joachim Neubauer nachlesen kann. Deleuze/Guattari sahen bereits einen neuen Faschismus heraufdämmern, aber auch neue Formen des Widerstands: als Beispiele erwähnten sie Computer-Hacker, elektronische Viren, und das “Explodieren von Slums und Ghettos”, die an die Stelle von Streiks und Sabotage (abgeleitet von “sabot”: ein in die Maschine geklemmter Holzschuh) treten. Ihre Hoffnungen setzten sie jedoch auf das “Klein-Werden”, auf die “Minoritäten”, die im Gegensatz zur Majorität etwas Neues entstehen lassen, die sich jedoch hüten sollten, dabei das Wort zu ergreifen: “Schöpferisch sein ist stets etwas anderes gewesen als kommunizieren. Das Wichtigste wird vielleicht sogar sein, leere Zwischenräume der Nicht-Kommunikation zu schaffen, störende Unterbrechungen, um der Kontrolle zu entgehen.” Also z.B. nicht noch mehr freie Radios, sondern höchstens Störsender. Das Hauptinstrument der sozialen Kontrolle ist jedoch das Marketing – der neue Mensch “ist nicht mehr der eingeschlossene, sondern der verschuldete Mensch”. Und das ist er laut der ebenfalls an Lacan geschulten Philosophin Alenka Zupancic bereits, wenn er nicht glücklich ist. Damit wird das Unglücklichsein, die “Krankheit”, bereits zu einer Form von Widerstand.

Wenn ich nicht irre, gibt es neuerdings immer mehr Kriegsforscherinnen. Und ihre Wahrheitssuche ähnelt nicht selten einem Opfergang, bei dem nicht klar ist, ob die Autorin ihn überhaupt überlebt. Dies gilt z.B. für die russische Journalistin Anna Politkovskaja, die kürzlich in Berlin für ihre Tschetschenien-Aufklärung “Die Wahrheit über den Krieg” geehrt wurde. Noch haarsträubender waren die Tschetschenien-Recherchen der französischen Journalistin Anne Nivat: “Mitten durch den Krieg”, weil sie sich den Partisanen anschloß, nachdem die Rote Armee ihr eine Akkreditierung verweigert hatte. Davor hatte bereits Swetlana Alexijewitschs Buch über russische Afghanistanveteranen “Zinkjungen” die Armeeführung derart erbost, dass man sie vor Gericht zerrte. Hierzulande bekam sie dafür jedoch den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis verliehen. In einem taz-Artikel bezeichnete sie das Militär als “Romantisierte Sklaverei”. Ähnlich beseelt forschte auch Slavenka Drakulic über das “Sterben in Kroatien”. Und neuerdings ist die in den palästinensischen Siedlungsgebieten lebende israelische Journalistin Amira Hass für ihr Buch “Gaza” den dortigen Kämpfern sozusagen zu Leibe gerückt. Das selbe nahm Carla Solinas im Ost-Irak auf sich, wo sie sich ein Jahr den PKK-Partisaninnen anschloß: “Der Weg in die Berge” heißt ihr Bericht darüber. Wenig später sammelte dort Anja Flach zwei Jahre lang Erfahrungen bei der ” Ersten kurdischen Frauenarmee”. Über die andere – türkische, soldatische – Seite schrieb zuvor bereits Nadire Mater in “Mehmets Buch”. Und sozusagen live von den unsichtbaren Fronten der nepalesischen Guerilla berichtete die US-Journalistin Li Onesto in ihrem Buch “Rote Fahnen auf dem Dach der Welt”. Während die deutsche Autorin Gaby Weber immer wieder über die lateinamerikanischen Bürgerkriege schreibt – ihr letztes Buch heißt: “Die Guerilla zieht Bilanz”. Erwähnt seien in diesem Zusammenhang ferner Eva Horns Studie über “Geheimdienste”, sowie die Recherchen von Ingrid Strobl über Partisaninnen im Zweiten Weltkrieg. Auch Swetlana Alexijewitsch hat darüber bereits einige Bücher veröffentlicht. Sowie die Mutter von Amira Hass: Hanna Levy-Hass. Im Rotbuch-Verlag erschien von ihr 1982 ein Text mit dem Titel “Vielleicht war das alles erst der Anfang?” All die anderen eben erwähnten Bücher wurden im letzten Jahrzehnt veröffentlicht. Diese Häufung von sozusagen feministischen Kriegsberichten verdient eine Erklärung – zumal wenn man die neoexistentialistisch anmutende Wißbegier der Autorinnen gegen das eitle Geschwätz der männlichen Kriegsforscher hält. Anna Politkovskaja hat bereits darauf hingewiesen, dass in Tschetschenien nur noch “Journalistinnen” um die Wahrheit kämpfen und dafür ihr Leben riskieren – ihre männliche Kollegen haben sich längst abgesetzt. Ähnliches gilt für die Kämpfe der PKK-Guerilla im Ostirak, wo derzeit ebenfalls etliche Frauen an Kriegsberichten arbeiten. Die Schweizerin Barbara Kistler und die Deutsche Andrea Wolf kamen dabei ums Leben. Ich habe keine gute Erklärung für diesen Ansturm an Kriegsforscherinnen, wollte aber dennoch meine Verwunderung darüber erst mal äußern.

Und dies umso mehr, als die taz ständig und ausgerechnet den in Berlin verbeamteten Kriegsforscher Herfried Münkler interviewt. Sein Buch “Die neuen Kriege” wird glaube ich sogar im taz-café verkauft. Der Autor ist seit einigen Jahren Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität, davor war er Assistent des Frankfurter Marxforschers Iring Fetscher. Davon merkt man aber nichts. Seitdem er den Gipfel deutscher Wissenschaftlichkeit erreicht hat, veröffentlicht er fast wöchentlich irgendwo einen Text. Seit dem Anschlag auf das World-Trade-Center kommt diesen eine gewisse Aktualität zu, insofern sie meistens Terrorismus, Partisanentum, Bürgerkriege und Staatenkriege thematisieren. Sein Buch über “Die neuen Kriege” greift all dies noch einmal auf und konzentriert es auf die These, daß “low intensity Konflikte” – wie etwa die in Afghanistan, im Kongo und in Angola – nicht nur Rückfälle in Barbarei und in gleichsam vormoderne Kriegsführung bedeuten, sondern im Gegenteil auch bereits auf die zukünftig wieder mehr enthegten Kriege neuen Typs hinweisen.

Der deutsche Philosophieprofessor an der Humboldtuniversität analysiert aber die einzelnen “Konfliktherde” nicht, auch zieht es ihn nicht nach Kabul oder Bosnien – also vor Ort, geschweige denn daß er sich Filmmaterial von dort ansieht oder Beteiligte interviewt. Er studiert vor allem die angesagte Literatur seiner Kollegen aus der Kriegs- bzw. Terrorismusforschung, bucht diesbezügliche Kongresse und verfolgt das Weltgeschehen ansonsten unaufgeregt über die Tagespresse. Das, was er anschließend daraus an eigenen Texten macht, könnte man neubürgerliche Politikwissenschaft nennen. Es ist der alte Versuch, gegenüber den an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten aufeinanderstoßenden Konfliktparteien und ihren Interpretationen des Geschehens und der Gegner so etwas wie eine dritte Position zu gewinnen – mittels eines Apparates aus scheinbar neutralen Begrifflichkeiten – wie etwa: “Asymmetrisierung”, “postheroische Gesellschaften” und die “Hervorbringung eines zu interessierenden Dritten”. Dabei hebt Münkler immer wieder gerne bei Clausewitz und Carl Schmitt an. Wie sie strebt er eine Politikberatung an, für die er mit seiner Kurztext-Streuung – bis in den “Merkur – der deutschen Zeitschrift für europäisches Denken” hinein – wirbt. Seine Position ist dabei etwa die eines stets sachlich bleibenden Bellizisten: Der jetzt gegenüber den sich seit dem Zerfall der Sowjetunion privatisierenden Kriegern wieder mehr die Verteidigungsminister ins Spiel bringen möchte, Vorbild dafür sind ihm anscheinend die “Kabinettskriege”. Münklers Bücher sind mithin staatstragende Werke. Sein letztes endet mit dem tiefsinnigen Gedanken: “Bei symmetrischen Konfliktkonstallationen…sind die Chancen von Lernen und Lernverweigerung tendenziell gleichmäßig verteilt; asymmetrische Konstellationen hingegen bringen Ungleichheiten bei Lernvermögen und Lernblockaden mit sich.”

Kurz davor ist auch noch von “Kreativität” die Rede. Es ist dennoch keine Pisa-Studie (über Krisengebiete), sondern einfach der zweitneueste Output eines Professors – aus dem Politikzentrum Deutschlands, in der Mitte Berlins. Genau so einen Stuß finden wir im alljährlichen Buch des New Yorker Globalisierungskritikers Richard Sennett oder in den Poemen des Charlottenburger Transformationsforschers Karl Schlögel – auf den gekalkten Seiten der Samstags-FAZ. Ohne Sinn und Verstand wird hier von einer höheren Warte aus abgewogen die postsowjetische Welt interpretiert. Der Verfall von Respekt, der osteuropäische Ameisenhandel, die blutigsten Hotspots. Was schert diese abgesicherten Akademiker die Gefahr, daß es immer schon zu viel Deutung gibt und nie genug Fakten – und daß die Akte durch Deutung am gefährlichsten für die Freiheit sind?! Sennett war sogar einmal ein Mitarbeiter und Liebhaber von Michel Foucault. Während Schlögel sich von links nach rechts fortfaselt: vom Maoisten bis zum Sänger der Marktwirtschaft. Münkler schreibt: “Im asymmetrischen Krieg sind die Medien selbst zu einem Mittel der Kriegsführung geworden”. An diesem Punkt wird dann bei den Medienforschern der Humboldtuniversität nebenan weiter gedacht, wo man von Homer bis Paul Virilio alles mitbedenkt (“Terrorismus ist Guerillakrieg im Zeitalter der Medien”). Das ganze ist eine Art Ping-Pong-Spiel über Banden. Wobei sich dann aus Talkshows und Expertenrunden immer mal wieder ein “Highfligher in Science” performatorisch herausmendelt.

Aus mir spricht die Enttäuschung – darüber, daß nur wenig mehr dabei herauskommt. Münkler hat diesmal seinen Text sogar noch mit – völlig überflüssigen, geradezu bescheuerten – Photos angereichert (z.B. von einem “Pick-Up”, dem Hauptfortbewegungsmittel des modernen Partisanentums, laut Münckler. Er schreibt: “Warlords und Warlordfigurationen” galten lange Zeit als typisch für stecken gebliebene Modernisierungsprozesse, bei denen der Staat (noch) nicht zum Monopolisten der legitimen physischen Gewalt avanciert ist”, aber jetzt haben “die Warlords ihrerseits einen Modernisierungsprozeß durchlaufen”. In diesem Zusammenhang erwähnt er die Guerillera Kolumbiens, wobei der Gedanke, daß in diesem Land die “Warlords und Warlordfigurationen” sich aus dem Regierungspersonal, den Killerkommandos der Grundbesitzer und den US-Beratern rekrutieren, bei ihm nicht einmal am Rande aufscheint. Das meinte ich mit “scheinbar neutraler” Darstellung. Der deutsche Professor ist, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, ein Wendehals und seine Publikationen legen Zeugnis von seiner Anpassung an den jeweiligen Diskurs-Mainstream ab, auf etwas vornehmere Art als der Springerstiefelverlag, der seinen Mitarbeitern seit dem “11.9.” eine Demutsadresse gegenüber dem Bündnis mit den Amis abverlangt. Wir gehen “in ausgesprochen unruhige und bewegte Zeiten hinein”, so lautet der allerletzte Satz in Münklers Buch “Die neuen Kriege”, d.h. die “Kriegsunternehmer” sind wieder unterwegs, und die “Freiwilligen” kämpfen “in vielen Fällen aus wirtschaftlichen Gründen”. Dies bezieht sich bei ihm konkret auf die serbischen “Tschetniks”, Münkler berichtet jedoch von keinem einzigen Fall – und so schreibt er sich von Krise zu Krise fort, holt mal hier bis zum 30jährigen Krieg aus und zählt dort mal eben alle Söldnerfirmen mit Sitz in London auf. Sind es wirklich nur sechs? wem gehören sie eigentlich? und haben einige vielleicht schon fusioniert? Der Leser erfährt nur: “In Schwarzfafrika ist (darüber) die Meinung verbreitet…” Dann geht es hastig weiter zu den “Netzwerken der Mudschaheddin”, die ihre Kämpfer ebenfalls sehr “hastig” rekrutieren. Manchmal hat es den Anschein, als wüßten unsere Terrorismusforscher bald nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht – weil ihr Gegenstand, die Terroristen, auch nicht mehr alle Tassen im Schrank haben…

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