vonHelmut Höge 31.07.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Neben der Hausmeisterprosa gibt es auch noch die Mitarbeiterpoesie. Man findet sie fast an jedem Büroarbeitsplatz – meistens allerdings fertig gekauft – und ungereimt: “Hetzen Sie mich nicht, ich bin hier nicht auf der Flucht, sondern auf Arbeit!” oder: “Wer glaubt, dass Abteilungsleiter Abteilungen leiten, glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten!” Im Osten fand man jahrelang überall diesen Spruch: “Es gibt 3 Möglichkeiten, einen Betrieb zugrunde zu richten. Mit Alkohol – das ist am Sichersten, mit Frauen – das ist am Schönsten, mit einem Wessi – das geht am Schnellsten!” Daneben gab es auch noch diesen: “Der Fuchs ist schlau/ er stellt sich dumm/ Beim Wessi ist es andersrum!”
Darüberhinaus hält sich aber noch eine Vielzahl von sozusagen handgemachter Mitarbeiterpoesie. Man sagt, Bertold Brecht erfand einst das Genre der Mitarbeiterinnengedichte, die er den Damen widmete, die für ihn sorgten und außerdem unermüdlich Ordnung in seine Produktion brachten, so dass er leichten Herzens schreiben konnte: “Ordnung ist meistens dort, wo sonst nichts ist – es ist eine Mangelerscheinung.” Wahrscheinlich zielte diese Bemerkung auf den weiblichen Penisneid.

Auch heute noch sind die Mitarbeitergedichte meistens eher genital als genial gedacht. In einem Kreuzberger Postamt fand sich der folgende Krampfvers:

Am Schalter 4 die Uta / Ist schon frühmorgens jut da / Doch ihr verhuschtes Äußeres … / Selten sah man Keuscheres …

Und so weiter, zwölf Postamt-Strophen lang. Auf der Frauentoilette des Ku’damm-Karrees stand lange Zeit dieses Gedicht – in rot:

Alle Albaner sind süß – wie Lakritze / Doch Hamlet ist die einsame Spitze / Ich verteidige ihn mit Maul und Klauen / Dafür geht er für mich durch Stechen und Hauen. Darunter stand – in schwarz: “Schwester! Hüte dich vor Albanern, sie können tödlich sein!!”

Das Splatter-Abenteuer gleich um die Ecke wünschte sich auch eine Kerstin – im “Loretta am Wannsee”:

Schräg gegenüber schaukeln die Boote / Ich wär so gern eine Mausetote / Schwämme einfach rüber / Und träfe da den Krüger / Er läge in seiner Koje / Und wartet auf seine Heulboje / Statt dessen komme ich / Und er erschrickt fürchterlich / Die eigene MTA als Wasserleiche / Das ist nichts für Wannsee-Reiche

Umgekehrt entstand im Seglerheim am Müggelsee dieses postsozialistische Mitarbeiterinnengedicht:

Mit unseren ABM-Kräften hatten wir immer Glück / Aber mit LKZ und HZA gibt es nun kein Zurück / Es sei denn der Junge ist mal breit / Und geht über Bord – / noch vor Ablauf der Ewigkeit

Die Sache rundet sich am Ostberliner Brechtzentrum:

Die IDA-Maßnahme bewies endlich Mut / Und taute auf am Abend / Seufzte leise: das tut mal gut! / Und laut …

Der Rest ist unleserlich. Aber wahrscheinlich so zotig wie “Praktikantinnenwitze”, die inzwischen die Blondinenwitze abgelöst und den Quantensprung zum Brechtschen Mitarbeiterinnengedicht geschafft haben. Ohne dabei jedoch das dem um sich greifenden Praktikantinnenwesen zugrunde liegende Ausbeutungsverhältnis zu problematisieren: à la “Simone steht am Farbkopierer …” oder “Kerstin, du könntest ruhig wieder Sie zu mir sagen!” Exploitation-Cut-ups.

Ein Abschiedsgedicht von einem Praktikanten im Werbebüro geht so:

“Superbilder machen die / Aber Sie meinen es nicht so / Grad sagte ich ihren Pixeln Adee / Vorn, die letzte Rose vom Euphrat / wünscht mir noch ganz viele Dornen.

Der Achtzeiler eines Elektrotechnikers bezieht seine halbe Bauwagencrew mit ein:

Meine Kollegin Tatjana / Hat Erwin den breiten Brigadier / Auflaufen lassen wie noch je / Klaus und Uwe sind völlig baff / Ich verstehe als einziger / neben den Polieren: / Sie wollte allen bloß imponieren / – Weiber!

Ähnlich klingen die Kollegengedichte in den Gästebüchern, wenn zum Beispiel Pensionswirte aus dem Westen in einer Pension im Osten übernachteten:

Ein 5-Minutenei ist und bleibt nun mal weich / Ansonsten wurden wir hier durch Erfahrung reich / Manche Dienstleistung grenzte – ans Betrügen / Insgesamt ist der Weg jedoch klar – für Rügen

Recht hübsch sind auch gewerkschaftliche Mitarbeiterinnengedichte:

Der Stadtteilsekretär Kollege X / begriff von der Liebe nix / Zwar geh’n ihm die Belegschaftssorgen / alle ganz tief ans Herz / Aber als alter Stadtindianer / kennt er natürlich kein Schmerz / Alldieweil versinkt die rote Sonne / hinter dem Humboldthain / Bald schenkt ihm niemand mehr / – reinen Wein ein (außer Uschi)

Apropos: Der Karin-Kramer-Verlag machte bereits der Anfang mit einer feministischen “Uschi-Reihe”. Angeblich sollen die fünf Autorinnen darin einem “postheroischen Self-Management” das Wort reden: Neben Sabine Vogel, die bereits mit einer kleinen Chefprosa hervortrat, sind das unter anderem Katrin Schings und die Dichterin Christiane Seiffert, die vor der Wende schon “Die schönsten Stellen aus der Dissertation meines Mannes” veröffentlichte.

“Uschi – wem die Glocken schlugen” stand lange Zeit mit großen Buchstaben an den Yorckbrücken – gleich hinter “Keine Rinderzucht auf Regenwaldböden”. Große Mitarbeiter-Dichttalente sind auch die Obdachlosenzeitungsverkäufer. Kürzlich hörte ich folgendes:

Ich habe keine Bleibe mehr / Dabei bin ich voll auf Entzug / Und mir tun sämtliche Knochen weh / Trotzdem wünsche ich Ihnen noch eine angenehme Weiterfahrt

Im strengen Sinne ist dies jedoch an keine Mitarbeiterinnen mehr adressiert. Ich selber schrieb mal einer Vorgesetzten:

Liebe Christiane, daß in der taz kein Alkohol außer Sekt erlaubt sein soll – während der Produktion, kann ich einfach nicht glauben. Johanna ebenfalls nicht. Erkundige dich bitte noch mal. Dein Hilfsredakteur

Das war zwar genaugenommen kein Gedicht, aber ich schrieb es immerhin per Hand und auf Papier. Im 5. Stock hielt sich lange Jahre der Hinweis:

Dieser Kaktus gehört dem Vertrieb. Hände weg.

Das ganze Flob (Floristisches Objekt) ist dort im übrigen ein einziges Mitarbeiterinnengedicht. Unlängst verließen drei Kulturredakteure das Haus. Auf einer Abschiedsfeier hieß es später- schriftlich:

Harry geht nach Frankfurt zur EfEr / Jörg fängt in der Berliner FAZ-Redaktion an / Und Petra bekommt in bälde ein Kind oder gar zwei.

An sich hat das Mitarbeiterabschiedsgedicht eine lange Tradition, es entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als man unter dem Druck der erstarkenden Arbeiterbewegung auch noch dem geringsten Mitarbeiter am Ende etwas mit auf den Weg geben wollte – möglichst gereimt: Schiller über alle Parteien. Mit zunehmender vertikaler Mobilität geriet dieses Genre, das zunächst gewaltig ausgeufert war, immer knapper. Zuletzt ähnelte es sich in der besonders schnellen Branche Massenmedien der beliebten Rubrik “Leute” des Zentralorgans der IG Medien “Menschen machen Meinungen” an. Und da sind wir nun, auch wenn die Gewerkschaft jetzt ver-di heißt. “veni vidi verdi” stand übrigens neulich ganz klein geschrieben auf deren Männerklo. Und im taz-Intranet bedanken sich immer öfter die PraktikanInnen für ihre Ausbeutung mit einer höflichen Abschiedsmail – ungereimt. Es werden darin komischerweise keine “internen Stellenausschreibungen” von den Abteilungen veröffentlicht – dafür ist noch immer und sinnigerweise der Fahrstuhl obligatorisch. So eine interne Stellenausschreibung ähnelt oft den Mitarbeitergedichten – insofern ihre “Aufgabengeschreibung” bei den davon Angesprochenen durchaus poetische Gefühle wecken kann, wenn er z.B. vom Zwoten in den Fünften fährt und das liest. Daneben hängt dort noch die tägliche Speisekarte des taz-Cafés aus.


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