vonHelmut Höge 29.09.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Eben bekam ich eine Reklamemail, die damit begann, dass der Absender meinte, meine Webpage bekäme nicht genug klicks, sie könnte viel mehr haben, wenn ich ihn damit beauftragen würde, eine bessere zu gestalten. So habe ich ihn jedenfalls verstanden. Sein Werbetext für diese “Botschaft” war ellenlang. Nun habe ich aber gar keine Webpage – und fände das auch zu eitel, abgesehen davon besitze ich überhaupt keine Elektronik, in meinem Haushalt gibt es bisher nur Elektrik (acht Glühbirnen, einen Kühlschrank, einen Rasierapparat und einen Diaprojektor). Das ist jedoch eher ein Luxus, den ich mir leisten kann, weil man mir in der taz freundlicherweise einen Schreibtisch zur Verfügung gestellt hat, seit dem Aushilfshausmeisterblog habe ich sogar einen Monitor mit Lautsprechern und dazu einen schnelleren Rechner vor mir auf den Tisch gestellt bekommen.

Es gibt aber noch mehr gegen die elektronische Selbstdarstellung zu sagen.

Bei der Zerschlagung bzw. Privatisierung der bisherigen Wirtschaftseinheiten und der wachsenden Priorität des Individuums vor allem Gesellschaftlichen – bietet sich ja als neue Möglichkeit, um zueinander zu finden, das Internet quasi von selbst an, das einige ihrer Nutzerkollektive – “Indymedia” und “Labournet” z.B. – inzwischen sogar als neue Alternative zu den alten Gewerkschaften und sonstigen politischen Organisationsformen begrüßen. Das Berliner online-magazin “infopartisan” kam unterdes nach über zehnjährigen Bestehen zu dem entgegengesetzten Resultat, dass man die Leute gerade nicht über so ein Internetforum organisieren könne – damit werde das Pferd gewissermaßen von hinten aufgezäumt: “Sie müssen sich erst zu konkreten Aktivitäten zusammenfinden, damit das für sie brauchbar wird”.

Dies gilt in etwa auch für Liebespaare – oder galt vielmehr, denn mit der nahezu weltweiten Ausbreitung der “Online-Partnersuchdienste” hat sich die Anbahnung von Beziehungen, das Zueinanderfinden von “Singles”, die nicht mehr länger allein sein wollen, umgedreht, d.h. sie treten zuerst an die Öffentlichkeit – indem sie ein Photo von sich, einen Text über sich und ihre Partnerwünsche – ins Netz stellen, um sich dann ggf. mit einem oder mehreren, die darauf ihrerseits mit einem ähnlichen “Profil” reagiert haben, zu treffen – d.h. schließlich zusammen zu privatisieren.

Die israelische Kulturwissenschaftlerin Eva Illouz hat einige Benutzer dieser Partnersuchdienste befragt. Die Forscherin kommt zu dem Schluß: Indem sie ein “Profil” von sich erstellen und es ins Internet stellen, wird ihr “privates Selbst in einen öffentlichen Auftritt verwandelt”. Dadurch erfährt die “Ordnung, in der romantische Interaktionen traditionellerweise stattfinden, eine Umkehrung…Die virtuelle Begegnung wird so buchstäblich innerhalb der Marktstrukturen organisiert….Das Internet setzt jeden, der nach anderen sucht, auf einem offenen Markt der Konkurrenz mit anderen aus. Meldet man sich auf einer Seite an, ist man sofort in einer Position, in der man mit anderen konkurriert, die man sogar sehen kann.”

Dadurch macht das Internet “aus dem Selbst eine öffentlich ausgestellt Ware”. Das heißt doch wohl, dass auch und gerade die seriösesten “Partnersuchdienste” wie Bordelle funktionieren – oder anders gesagt, dass wir uns alle prostituieren müssen, wenn wir nicht länger allein sein wollen. Damit ist jedoch die Prostitution (d.h. das Zur-Schau-Stellen, Ausstellen) im eigentlichen Sinne an ihr Ende gekommen. Eva Illouz sagt es so: “Durch die Präsentation (mit Photo und Text) finden sich die Individuen buchstäblich in der Position von Leuten wieder, die für die Schönheitsindustrie als Models oder Schauspieler arbeiten, d.h. sie finden sich in einer Position wieder, a) die ihnen ein Höchstmaß an Bewußtsein für ihre physische Erscheinung abverlangt; b) in der ihr Körper die Hauptquelle sozialer und ökonomischer Werte ist; c) wo sie über ihren Körper in Konkurrenz zu anderen treten; d) wo ihr Körper und ihre Erscheinung insgesamt öffentlich ausgestellt werden.”

Internet und Pornographie stehen in einem Verhältnis von Form und Inhalt zueinander. Der erste Pornoweltstar Linda Lovelace (Deep Throat) mußte noch von seinem Zuhälter/Regisseur gezwungen werden, öffentlich zu behaupten, es habe ihr Spaß gemacht, aber schon Debbie Harry (Blondie) nahm man es ab, dass es “Fun” sei, fürs Ficken auch noch bezahlt zu werden. “Die Pornographie seit den Neunzigerjahren dagegen hat ihre eigene politische Ökonomie zum Inhalt. Der pornographische Diskurs verwirft den weiblichen Körper nicht mehr (um ihn in einem seltsamen Jenseits, dem Pornotopia der Literatur wie des ‘Rotlichtmilieus’ und allen ihren Romantisierungen, zu restaurieren), er fügt ihn vielmehr in den Mainstream ein… Pornographie ist die letzte große Illusion der Teilhabe der unnützen Menschen am System,” meint Georg Seeßlen, der die “alte ‘Elendsprostitution’ – vorwiegend in der Form der sexuellen Ausbeutung der proletarischen Frau durch den bürgerlichen Mann oder der kolonialisierten Frau durch den kolonialistischen Mann” – nur noch für einen “Störfaktor” hält in der Entwicklung der globalen Prostitution, “die den Wert des ‘fuckable’ Menschen nicht durch institutionellen Zwang, sondern durch Marktkonkurrenz bestimmt.”

Seeßlen vermutet, dass die neue pornographische Sexualität, die auch den Krieg und die Folter “genußvoll” mit einschließt, auf folgende Kernaussage hinausläuft: “Dein Körper gehört dir, nicht wie ein geistiges oder historisches Eigentum, sondern wie ein Auto oder ein Bankkonto. Er gehört dir wie Waren im Kreislauf, du kannst ihn verkaufen, vermieten, drauf sitzenbleiben, ihm Mehrwert abtrotzen oder ihn verspekulieren. Je neosexueller du bist, desto weniger kannst du Heimat in ihm haben, aber desto mehr Profit kannst du ihm entnehmen.” Im Grunde ist bereits die gesamte (US-)Kulturindustrie ein einziges Body-Shaping, wie die New York Times anläßlich der Oscar-Verleihung vermutete: Biopolitik auf privatwirtschaftlicher Basis (auch die Eugenik funktioniert heute so).

Die NYT hatte sich 2005 auf die TV-Übertragungen und -Kommentierungen der Oscar-Verleihung konzentriert – und war dabei zu dem Schluß gekommen, dass es dabei um die “Dekonstruktion der Prominenz durch den Zuschauer” gehe, wobei deren Dekonstruktionskompetenz unterstützt werde von einer wachsenden Industrie der Stylisten, Dermatologen, Chirurgen und Trainern aller Art. Sie wittern die Fälschung noch hinter der natürlichsten Erscheinung. Die Dekonstruktion laufe zuletzt auf eine “Prominenz mit entmenschlichtem Antlitz” hinaus. Der Berliner Mythologe Peer Schmidt hält dieses NYT-Resümee für eine der neuen Kulturindustrie angemessene Form des “Klatsches”, denn es gehe dieser Industrie nicht mehr um kulturelle Inhalte oder ihre Verkitschung, “sondern um solche für die industrielle Fertigung des menschlichen Körpers, also um etwas wesentlich Weitergehendes. Der ominöse Begriff der Kulturindustrie kann mithin als veraltet gelten”. Zugearbeitet wird ihr von der Gentechnik-Branche – gleichsam aus der Tiefe des Mikroraumes. Dies ließ beim Berliner Molekularbiologiehistoriker Hans-Jörg Rheinberger bereits den Verdacht aufkommen, es hierbei mit einer neuen “Kulturwissenschaft” zu tun zu haben.

Vielleicht verstehen wir jetzt, warum für den “Haufen Sandkörner” (Mao tse tung), der wir selber werden, auch bald nur noch das gilt, was die Neodarwinisten für die einzig relevanten Kräfte der Evolution halten – erbarmungslose Auslese und Survival of the Fittest. “Eine globale Gesellschaft beruht auf Menschenstaub,” so sagte es Claude Lévy-Strauss. In diesem Zusammenhang ist es nicht ganz dumm, von einem Neid-Gen, Erfolgs-Gen, Geiz-Gen, Hass-Gen, Eifersuchts-Gen etc. zu sprechen. Es ist bloß die pragmatisch-reduktionistische Konsequenz aus dem, was z.B. der berühmte englische Biologe John Maynard Smith, den die Royal Society jüngst für seine Forschungen über die Evolution der Sexualität mit der “Darwin-Medaille” ehrte, behauptet, der den “Tanz der Taufliegen” (Drosophila melanogaster) studierte, um damit zu erklären, dass bei unserer (menschlichen) “sexuellen Selektion” die Männer zwar um die Frauen kämpfen (konkurrieren), diese jedoch ihre eigene Wahl treffen. Die Taufliegen-Weibchen, so fand Smith bei seinen Drosophila-Experimenten heraus, paaren sich nur “mit den gesündesten Männchen” – und die finden sie beim Tanz. “Dabei passiert folgendes: Das Männchen sieht das Weibchen, nähert sich und tritt ihm gegenüber. Wenn das Männchen dies tut, schießt das Weibchen schnell auf eine Seite, und das Männchen muß ebenfalls zur Seite schießen, um weiter seinem Weibchen gegenüberzutreten. Es kommt zu einem sehr schnellen Tanz, bei dem das Weibchen sich von einer Seite zur anderen bewegt und das Männchen ihm folgt. Gelingt es ihm, dem Weibchen ein paar Passagen lang gegenüberzutreten, steht dieses still, und es kommt zur Paarung. Ist das Männchen ingezüchtet oder alt, fällt es zurück und kann nicht mithalten, und das Weibchen fliegt einfach davon. Somit wählt das Weibchen aus, mit welchem Männchen es sich paart; das tut es durch Tanzen, und es zahlt sich durch gesündere Nachkommen aus.”

Eva Illouz kommt bei der Sichtung der “photographischen Profile” in den Internet-Partnersuchdiensten zu dem Resultat, daß sie “mit den etablierten Richtlinien für Schönheit und Fitness” übereinstimmen, während die Texte zur “Präsentation des Selbst” sich durch “Uniformität, Standardisierung und Verdinglichung” auszeichnen. Letzteres kann man auch den hiesigen Veranstaltungsmagazinen entnehmen, in denen immer mehr “Kontaktanzeigen” abgedruckt werden, die ähnlich formuliert sind – sowohl was die Selbstbeschreibung als auch den Wunschpartner betrifft. Am Ende steht sehr oft eine Emailadresse, so daß sich die Kontaktanbahnung vom Printmedium erst einmal ins Internet verlagert, wo dann auch meist Photgraphien ausgetauscht werden.

Die daran Interessierten stehen damit laut Eva Illouz vor dem Problem, wie sie mit der immer “größer werdenden Zahl und Geschwindigkeit romantischen Konsums und romantischer Tauschgeschäfte umgehen sollen.” Mit diesem Oxymoron bezeichnet die Kulturwissenschaftlerin einen “Prozeß”, der sich dem des “Tele-Marketings” angleicht: “Das Selbst muß hier wählen und seine Optionen maximieren, es ist gezwungen, Kosten-Nutzen-Analysen und Effizienzberechnungen durchzuführen.” Auf diese Weise “radikalisiert das Internet die Forderung, für sich selbst das beste (ökonomische und psychologische) Geschäft zu machen”…d.h. nach Wegen zur “Verbesserung der eigenen Marktposition zu suchen”.

Die Prostitution geht in diesem massenhaften “romantischen Konsum” auf, der seinerseits nichts anderes als ein Beziehungsdeal oder Dienstleistungsgeschäft auf Gegenseitigkeit ist: “Fast alle meine Interviewpartner, sowohl in Israel als auch in den USA, haben erwähnt, daß ein Treffen von ihnen verlangt, sich zu ‘vermarkten’ und sich so zu verhalten, als ginge es um ein Jobinterview” – ein Vorstellungsgespräch, bei dem sie sich optimal präsentieren müssen, um genommen zu werden. Anders als bei den wirklichen Vorstellungsgesprächen trifft dies jedoch sowohl auf den Interviewten als auch auf den Interviewer zu, die ihre Rollen beim Treffen ständig austauschen (müssen). Slavoj Zizek meint, daß die “Illusion” damit “schon auf der Seite der Realität selbst” ist, “auf der Seite dessen, was Menschen tun”. Dies geschieht über das Internet, das laut Eva Illouz einen “radikalen Bruch mit der Kultur der Liebe und der Romantik” vollzieht – mit dem Sich-Vereinigen überhaupt. Darauf deuten bereits die neuen Organisationen – Attac, Greepeace und die so genannten NGOs – hin – mit ihrer Überbetonung der Zurschaustellung und Selbstdarstellung. Internetideologen, wie der Bremer Organisationssoziologe Rainer Zoll, behaupten sogar: Die alte proletarische internationale Solidarität sei immer ein “Schwachpunkt” gewesen, heute gäbe es jedoch einige hervorragende Beispiele von “gewissermaßen individueller, oft auch kollektiver internationaler Solidarität, u.a. von jungen Menschen, “die sich in Entwicklungsländern engagieren”. Drittewelt-NGOs statt Befreiungskampf. So sehen das auch die Geberländer – inzwischen aber anscheinend auch die taz mit ihren Panterpreisen.

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kommentare

  • “Wenn Denken bedeutet, etwas zu Geld zu machen, dann ist das Denken der Leidenschaft Prostitution,” meint J.F. Lyotard, fügt jedoch hinzu: “So einfach ist es aber nicht.”

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