vonHelmut Höge 04.10.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Anfang der 80er-Jahre besuchte mich Holger Klotzbach auf dem Land. Er tourte damals mit der linken Kabarettgruppe Die 3 Tornados, und sie befanden sich gerade in der Nähe. Heute betreibt er die Bar jeder Vernunft und das Tipi am Kanzleramt. Von dem Gewinn daraus hat er sich mit seinem Freund eine “Hütte” in Lüchow-Dannenberg angeschafft. Damals wollte er mich überreden, den Verwalter eines “Tornado-Altersheims” zu spielen, das sie sich erst noch anschaffen wollten – in Lüchow-Dannenberg. Da könnte ich mich doch dann um den Garten kümmern und auch ein paar Tiere halten, meinte Holger. Die Idee einer Seniorenkommune fand ich gut, dort den Hausmeister zu spielen allerdings weniger. Heute sähe ich das vielleicht anders – “struktureller”.

Das Kreuzberger Mietshaus, in dem wohne, gehört dem ehemaligen Adjudanten des Wüstenfuchses (Rommel). Und sein damaliger Adjudant wiederum ist heute sein Hausverwalter. Weil sie beide so alt sind, beschäftigen sie aber noch extra eine kleine dynamische Hausverwaltung. Unten im Seitenflügel befindet sich eine Bäckerei und vorne ein Café und ein Döner-Imbiß – all das gehört Herrn Topal, der auch unser Hausmeister ist. Er macht das ehrenamtlich, d.h. wenn man ein Problem hat, geht man einfach zu ihm – und meistens weiß er Rat.  Neulich brauchte ich wegen eines Kabelbrandes einen Elektriker. Herr Topal  kannte einen – und der reparierte mir dann auch alles ganz prima. Als ich ihn fragte, was er dafür haben wolle und ob ich eine Quittung bekommen könne, damit der Hauseigentümer mir das Geld zurückgebe, schickte er mich zu Herrn Topal. Dieser meinte dann: “Das mach ich selber mit dem Eigentümer klar, notfalls ziehe ich es ihm von der Miete ab.” “Aber, Herr Topal”, sagte ich, “dass kann ich doch auch – es von der Miete abziehen …” “Nein, nein –  lassen Sie, ist schon gut!”  “Wie kann ich das wieder gutmachen?”, fragte ich ihn zuletzt. “Behalten Sie mich in Ihrem Herzen”, antwortete Herr Topal. Tief beeindruckt über so viel Nachbarschaftshilfe schlich ich in meinen Seitenflügel zurück.

Von ähnlichem Kaliber ist der Hausmeister des Bürokomplexes “Oberbaum-City” Michael Müller. Der gelernte Schlosser aus der Abteilung  Allgebrauchslampe bei Narva wurde in der Wende zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt und schaffte es nicht nur, das “Narva-Modell” bei der Treuhand zur Sicherung der Gehälter der letzten 1.100 Kollegen auf drei Jahre durchzusetzen, er gründete auch noch die ostdeutsche Betriebsräteinitiative. Deren Aktionen wiederum brachten Heiner Müller auf den Gedanken: “Erst seit der Vereinigung ist wieder Klassenkampf in Deutschland möglich.” Der äußerte sich die ganze Zeit, da die Betriebsräteinitiative sich ausweitete, auch als ein Gewerkschaftsstreit: Während der DGB der Ostinitiative half, versuchte die IG Metall sie zu zermürben. Um sie zu spalten, ließ man sogar Walter Momper eine SPD-Gegenbetriebsräteinitiative gründen, die übrigens nicht ganz schlecht war. Aber im Endeffekt lief es doch darauf hinaus, was die “Arbeiteropposition”, zu der u.a. Alexandra Kollontai gehörte, 1921 bereits Lenin und Trotzki vorwarf: Dass sie aus den Gewerkschaften bloß “Schulen für Hausmeister” machen wollen… So geschah es dann auch tatsächlich – bis zum Ende der Sowjetunion. Erst seitdem gründen sich wieder neue – kämpferische  – Gewerkschaften. Während die führenden Bolschewiki die Gewerkschaften bloß für Umfeldverbesserungen heranziehen wollten, ging es der Arbeiteropposition um die Macht in der Wirtschaft. Die sibirischen neuen Gewerkschafter und Syndikalisten, die vor einiger Zeit im Haus der Demokratie über ihre Tätigkeit berichteten,  sprachen denn auch von einer “Doppelherrschaft” in den dortigen Betrieben – sie gelte es zu halten bzw. zu erhalten. Mit Hausmeistern ist das nicht zu schaffen!

Anruf beim Narva-Hausmeister Michael Müller: “Der Fahrstuhl geht nicht, was soll ich machen, Kollege?” “Wir haben hier alles neue Technik, aber kuck mal nach der Sicherung, oben auf dem Fahrstuhl!”  Noch ein typischer Hausmeister-Dialog (bei der Firma Impek), dem ich ein irrtümlich bei der taz gelandetes Paket vorbeibringe: “Der Bote war noch müde.” “Ach, das sind doch Penner, die bringen alles durcheinander, auch wenn sie putzmunter sind … Und wir müssen das dann wieder ausbaden … Also vielen Dank, Kollege.”

In der Friedrichstraße treffe ich manchmal Bernd: Der Elektrotechniker  war früher Betriebsrat beim EAW, das dann der Immobilienentwickler Roland Ernst übernahm (jetzt ist dort die Allianz drinne). Bernd wurde jedoch nicht arbeitslos – Roland Ernst verschaffte ihm eine Hausmeister-Stelle in seinem vornehmen Friedrichstraßen-“Quartier”, wobei er allerdings nicht von Hausmeisterei, sondern von “Facility-Management” sprach, ein Wort, das Bernd inzwischen auch verwendet – jedoch ironisch.

In der Frankfurter Karl-Marx-Buchhandlung traf ich einmal einen gutaussehenden Arbeitslosen  namens Thilo. Er behauptete, in Bonn Hausmeister im Kanzleramt gewesen zu sein – zu Helmut Schmidts Zeiten. Dieser habe sich  abends öfter in die Hausmeister-Loge gesetzt, wo auch seine Bodyguards gerne rumsaßen. Er beteiligte sich am Skatspiel und gab manchmal eine Runde Weinbrand aus. Als Helmut Kohl an die Macht kam, sei es jedoch mit der Gemütlichkeit schlagartig vorbei gewesen: Er habe sie behandelt wie ein Duodezfürst seine Kammerdiener. Der Hausmeister, Thilo, hielt das nicht lange aus, kündigte und zog nach Frankfurt.

Das ständige Hausmeisteropfer Anke Jahn aus Treptow meint, weil der neue Immobilienwahn die Fortsetzung der alten Blut-und-Boden-Ideologie mit anderen (Abschreibungs-)Mitteln ist, verkörpern die Hausmeister quasi die deutsche Kontinuität. Und dies dergestalt, dass sie – obwohl proletarisch-technisch stellenfixiert – eine primär kommunikative Funktion im Haus ausfüllen, für die sie weder geschult noch geeignet sind. So gesehen seien die “guten Hausmeister” eine glatte Fehlbesetzung, ja geradezu eine Gefahr: So gebe es z. B. in Treptow Hausmeister, die sich mit ihren Ost-Mietern gegen die West-Hauseigentümer solidarisiert hätten. “Das ist doch prima,” warf ich ein. Sie ließ sich jedoch nicht unterbrechen: Bemerkenswert sei ferner, dass sie das einzig Mobile an diesen ganzen Scheißimmobilien seien: “Nie sind sie an ihrem Platz, wenn man sie braucht!”

Vielleicht kann man es so sagen: Busfahrer, Bademeister und Hausmeister – das sind die drei Proloberufe mit Menschenführungsmacht, deren faschistische und Spitzel-Disposition sprichwörtlich ist. Es gibt aber doch sone und solche. Der Chefredakteur der DGB-Jugendzeitung “Soli aktuell”, Jürgen Kiontke, und die taz-Wirtschaftsredakteurin Beate Willms haben bei ihren Recherchen für eine geplante Zeitschrift “Der Hauswart/Die Hauswartin” einige geradezu antifaschistische Exemplare gefunden. U.a. erwähnten sie mir gegenüber das “Hausgespenst” im alten ND-Gebäude in Friedrichshain – Krenzebach, der zum Beispiel gerne dadurch belehrt, dass er Lenin-Bände verschenkt. Und ferner Hans-Peter Lange, früherer Haustechniker im Willy-Brandt-Haus, der als guter Fußballspieler bekannt ist. Einen “Top-Hauswart” soll auch die Immobilienfirma Optima in Prenzlauer Berg haben. Während über die zwei Hausmeister des Mehringshofs Unterschiedliches gesagt bzw. gedacht wird.

Umgekehrt gilt Ähnliches: Wenn jemand von den Redakteuren annimmt, ich spreche ihn wie gewohnt als taz-Autor an, wiegelt er gerne ab: “Nachher, ich hab jetzt keine Zeit”, geht er aber davon aus, dass ich nun eher als Aushilfshausmeister vor ihm stehe, der vielleicht nur den Verpackungsmüll vor der Technikertür wegschaffen oder die kaputte Energiesparlampe im hinteren Treppenhaus auswechseln will, weicht seine Miene genervten Überlastet- und Überfordertseins sofort einem jovial-freundlichen “Ich bin ganz Ohr”.

Noch eine letzte – strukturelle – Hausmeistergeschichte: Vor einiger Zeit  war ich an einem Sonntag mit meinem Freund Andersen auf einer Einzugsparty im Grunewald. Andersen war dort in der Nähe Gärtner bei reichen Dänen gewesen – er ist selber Däne (“Habe die Öre!”). Es war schon fast hell, als wir nach Hause gingen. Vor einer schönen Villa mit Garten blieben wir stehen. “Friede den Palästen, Krieg den Hütten”, murmelte ich. Da trat ein dicker Mann mit Mülltüten aus dem Haus. “Was suchen Sie hier?”, fragte er uns. Der immer noch angetrunkene Andersen antwortete: “Wir kommen aus Kreuzberg und kucken uns nur um!” Dann – nach einer Pause: “Wenn das hier alles enteignet wird, dann brauchen wir ein Haus für die Kinder, und dies ist nicht schlecht!” – “Sind Sie betrunken?”, fauchte der Mann. “Nein”, sagte Andersen, “aber sagen Sie, gibt es hinten auch noch einen Garten?” – “Wenn Sie nicht gleich verschwinden, hole ich die Polizei!”, schrie der Mann.  Auf den Nachbargrundstücken tauchten prompt einige Leute auf und kamen neugierig-feindselig näher. “Ja, wenn Sie so leicht erregbar sind, können wir Sie nicht brauchen, ich dachte erst, Sie könnten hier dann Reparaturen durchführen und ein bisschen den Hausmeister spielen …” meinte Andersen beleidigt – und zu mir gewandt sagte er dann: “Komm, wir gehen, aber schreib auf – 10 bis 12 Zimmer!”

Kaum waren wir um die Ecke, da fuhr auch schon ein Polizeiwagen langsam an uns vorbei. An der nächsten Ecke kam ein zweiter – uns entgegen. Dieser hielt an und man fragte uns, wo wir hinwollten: Zur S-Bahn – wir durften weiter gehen. Am Bahnhof stand aber schon der andere Polizeiwagen.  In der S-Bahn fiel mir ein, dass die Initiative Bankenskandal von Peter Grottian im Herbst einen “Grunewaldspaziergang” durchgeführt hatte, wobei den Teilnehmern angesichts der vielen Villen sofort ähnliche Umnutzungsideen eingefallen waren. Und der Redebeitrag der Sprecherin vom “Autonomen Mädchenhaus”, dem man gerade die finanzielle Förderung gestrichen hatte, begann mit dem Büchner-Satz: “Friede den Hütten, Krieg den Palästen!”

Wir beide waren aber gar nicht dabei gewesen, ich hatte nur davon gehört oder gelesen. Wahrscheinlich im Internet. Oder reichte es bereits, wenn 10.000 Leute die Rede anklickten, dass man es dann automatisch auch wusste?  Andersen meinte sich erinnern zu können, dass Lenin der Münchner Räterepublik 1919 einmal ein Telegramm geschickt hatte, in dem er sie an “das Wichtigste” erinnerte: sofort die Bürgervillen beschlagnahmen und sie obdachlosen bzw. in allzu beengten Wohnverhältnissen lebenden Proletariern zuweisen. Das Telegramm von Lenin endete mit den Worten: “Friede den Hütten, Krieg den Palästen!” Es erreichte die Münchner Genossen jedoch nicht mehr: Die Reaktion hatte die Räteregierung bereits verjagt und ihre Mitglieder großenteils erschossen. “Das Telegramm wurde erst ein paar Jahre später bekannt und dann so berühmt, dass viele der Meinung waren, der Büchnersatz stamme von Lenin.”

Ein paar Wochen  nach diesem Grunewalderlebnis mit Andersen traf ich im PDS-Buchladen am Rosa-Luxemburg-Platz den Altgenossen Sirius, dem ich gleich davon erzählte. Er war mäßig beeindruckt und meinte dann: “Was ihr aus Kreuzberg da angeblich im Grunewald erlebt habt, das ist ein alter Hut, aber von zwei Weddingern – und die haben den Grunewaldspaziergang nicht spontan gemacht, sondern geplant. Das stand schon 1930 oder so in der Roten Fahne, wo die bei den Lesern damals so gut angekommen ist, dass die DDR die Geschichte später in einen Sammelband mit aufgenommen hat. Ich habe leider vergessen, wie der hieß.”

Diese Auskunft ließ mir keine Ruhe. Bereits am nächsten Tag fand ich den Text im Antiquariat Zossener Straße: “Wir sind die Rote Garde” (Band 1 und 2). Den hatte Kurt Held – alias Kurt Kleber – 1931 veröffentlicht und er hieß: “Perlemann geht in den Grunewald”. Da geht die Geschichte dann jedoch so weiter, dass die beiden Spaziergänger aus dem Wedding von einem Polizisten mit Fahrrad bis zum S-Bahnhof Grunewald begleitet werden, unterwegs beschimpfen die Anwohner sie als “freches Proletenpack”. Und Perlemann meinte zum Schluss: “Wirklich eine herrliche Gegend, ganz so, wie wir sie brauchen!”

Ich war anderer Meinung: Dort möchte ich nicht tot übern Gartenzaun hängen! Erstens zieht der Bezirk Steglitz/Zehlendorf alle reaktionären und reichen Drecksäcke wie magisch an. Dann haben deren Sprösslinge ihn zu einer Hochburg der harten Drogen gemacht – und außerdem wird man dort viel öfter als in Neukölln, Kreuzberg oder Wedding überfallen.  Die Täter sind meistens ebenfalls gelangweilte und verrohte Kinder von Reichen.  In der Berliner Presse ist natürlich immer nur von den sozialen Brennpunkten in den Vierteln der Armen die Rede – und dass die “Ausländer”  dort immer dreister und gefährlicher werden. Besonders die Schweinejournalisten von der Springerpresse pflegen diese Sicht auf die Stadt – und alle anderen Presseerzeugnisse tun es ihnen nach: Hier im Westen die gepflegten, anständigen “Berliner”, dort im Osten, Norden und Südosten die heruntergekommenen und gefährlichen Ausländer. Dabei ist es genau andersherum!  Gestern morgen kam es z.B. nach einer Tanzveranstaltung im neu-edlen Steglitzer Einkaufszentrum “Schloß” (sic!), wo “Baccara” (Yes Sir, I can boogie) ujhd “Cuban” aufspielten,  zwischen sechs und sieben Uhr morgens  wegen Kokain zu einer Schlägerei auf der Kreuzung  Schloßstraße/Grunewaldstraße: Etwa 60 bis 80  Jungmänner droschen schließlich aufeinander los, während die Mädchen kreischend und sie bedröhnt anfeuernd am Rand standen. Ein Polizeiwagen, der sich der Prügelei näherte, drehte ganz schnell ab – und gab nicht einmal einen “Tätigkeitsbericht” durch, wie ich heute von der Polizeipressestelle erfuhr. Auch die Springerpresse meldete nichts in ihren heutigen Ausgaben. Anders ist es wenn man durch Kreuzberg 61 fährt – in manchen Nächten kommt man allein auf dem Mehringdamm und in der Gneisenaustraße an fünf bis sechs Stellen vorbei, wo die Polizei irgendwelche Türken oder Araber an die Wand gestellt hat, um sie zu überprüfen.

Das alles erzählte ich vorhin Andersen am Telefon. Aber er sah und sieht das alles anders – als Gärtner: “Die schönen Straßenbäume dort – meistens Linden, dann die üppigen Vorgärten und die vielen Parkanlagen mit altem Baumbestand und üppigen Blumenbeeten, die bewachsenen Hausfassaden, die von Bienen und Hummeln umsummt werden…Nein, ich bleibe dabei, das ist dort eine schöne ruhige Wohngegend. Scheiß auf die Bewohner – die tauschen wir komplett aus! Die sind doch sowieso alle fertig.  An allen Ecken, die ich da kenne, haben sich die Ehepaare längst getrennt – und die Männer wohnen nun ein paar Häuser weiter alleine, von wo aus sie die Wohnungen ihrer Ex-Frauen durch die Gardine beobachten – immer in der Hoffnung, dass es denen auch nicht besser geht und sie sich wohlmöglich noch einsamer fühlen, nachdem die Kinder aus dem Haus sind. Das ist doch kein Leben – so was! Nein, nein, die müssen da alle raus.” “Ich will da aber gar nicht hin – in diese Eigentums-Elendsquartiere,” erwiderte ich, mußte mir aber sagen lassen, dass auch ich nicht gefragt werde – “wenn es so weit ist:  Du machst da  irgendwo den Hausmeister  und damit basta!”

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