vonHelmut Höge 10.10.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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In den Pausen las ich zwei Houellebecqs: nur Alters- und Fickprobleme – das machte mich prompt im Verein mit der Großwetterlage (“Alle reden vom Wetter – Wir nicht!”) und einem rausgebrochenen Weisheitszahn noch depressiver. Da halfen auch keine Spaßzigarettchen mehr. Stattdessen griff  ich zu einigen kleinen Schriften von Helmut Salzinger – der hatte noch andere Probleme.

Von Helmut Salzinger hatte ich in den Sechzigerjahren nur gelegentlich mal einen Text – in der Zeit und dann in der Sounds – gelesen. Aber dann gaben wir 1970 in Westberlin eine Zeitung namens “Hundert Blumen” heraus, die sich u.a. auch mit der Rock-Szene in Berlin befaßte. In diesem Zusammenhang kam uns Helmut Salzingers Buch “Rock Power” wie eine Generallinie vor. Ähnlich war es dann mit seinem Buch “Swinging Benjamin”, das der Verödung Benjamins durch universitäre Vereinnahmung und Zurichtung entgegenwirkte (wir entfernten uns damals immer mehr von der Uni). Als ich 1976 nach der portugiesischen Nelkenrevolution aufs Land zog, hörte ich irgendwann, dass Helmut Salzinger nicht weit von uns in Norddeutschland ebenfalls aufs Land gezogen sei – in die “Headfarm Odisheim”. Er hätte ein oder mehrere Häuser in Hamburg geerbt und lebe nun zusammen mit seiner Freundin Mo, einer ehemaligen Krankenschwester,  von den Mieteinahmen. Kein Hausmeister – sondern Hausbesitzer – Mo und er versuchten jedoch beides zu zugleich zu sein, wie das praktisch aussah, kann ich nicht sagen. Obwohl es bald mehrere Kreise oder Scenes gab, die sich gelegentlich berührten: Hilka Nordhausens Hamburger “Buch Laden Welt”, die Künstler, mit denen sie dort zu tun hatte, ihr Mitarbeiter Michael Kellner, der weiter Texte von Helmut Salzinger verlegte, die taz, der Pionierverleger Pieper und seine “Grüne Kraft” im Odenwald, das Frankfurter Bräunungsstudio “Malaria”…um nur einige zu nennen.

Einmal besuchte ich Mo und Helmut Salzinger in Odisheim. Wir saßen in der Küche und tranken Tee. Zwischendurch zeigte er mir den Garten. Danach bekam ich fast regelmäßig sein selbstkopiertes Fanzine “Falk” zugeschickt. Einige Male fungierte ich als Zwischenträger für einen taz-Artikel von ihm. Er kam auch einmal in die Redaktion, um den Kulturredakteur Mathias Broeckers näher kennen zu lernen. Irgendwann beschlossen wir, Salzinger und ich, ein und das selbe Buch zu rezensieren – von E.M. Cioran. Er negativ, ich positiv. Der in Paris lebende Philosoph des Pessimismus fragte mich anschließend über eine junge Freundin von ihm, ob ich nicht mit ihr zusammen seine Biographie schreiben wolle, über Salzingers wütenden Verriß kein Wort.

Dann fingen Broeckers und ich ausgehend von Thomas Pynchons Roman “Die Enden der Parabel” an, uns mit der Glühbirne – als Metapher für Aufklärung, Fortschritt, Sozialismus etc. – zu beschäftigen. Nach einiger Zeit kam eine Anfrage von Helmut Salzinger, ob wir nicht Lust hätten, darüber eine Falk-Nummer zu machen. Schließlich kam es so, dass der damalige Heidelberger taz-Korrespondent und Dichterrezensent Michael Braun die Falk-Ausgabe Nr. 33 zusammestellte – mit Glühbirnenmaterial, das wir ihm dafür schickten. Das Heft hieß “Neues aus dem Beleuchtungswesen”. Ich war unterdes im Vogelsberg gelandet, wo wir uns als “Agentur Standardtext” vorwiegend mit “Kammlagenkritik” befaßten, auch hierüber gab es einen Austausch mit Helmut Salzinger bzw. mit seiner Falk-Heftreihe – über den Erfinder dieser Kritik Micky Remann. So gelangte da hinein über den Umweg der Vogelsberg-Agentur z.B. ein Zitat von Herbert Achternbusch: “Da wo früher Pasing und Weilheim waren, ist heute Welt. Die Welt hat uns vernichtet, das kann man sagen!”

Umgekehrt verfaßte Mathias Broeckers eine enthusiastische Besprechung des Buches “Der Gärtner im Dschungel” von Helmut Salzinger in der taz. Da ich mich zu der Zeit schon wieder aus der Landwirtschaft so gut wie ausgeklinkt hatte, obwohl ich noch im Vogelsberg lebte, hat mich dieses Buch erst sehr viel später interessiert – da lebten Helmut und Mo schon nicht mehr. Ihr gemeinsames Projekt auf dem Land hieß “Head Farm Odisheim”. Das ist “Überohrs Factory, sein letzter verzweifelter Griff nach der Weltmacht,” wie Helmut Salzinger selbst einmal erklärte. Dazu durchstöberte er die Zeitung nach Spuren des alltäglichen urbanen Wahnsinns, verfolgte den Vogelflug vom Garten aus, rauchte Haschisch, las Thoreau, Castaneda, Pirsig, und dachte sich das handelnde Subjekt weg – in drei Büchern, die “Ohne Menschen”, “Gärtner im Dschungel” und “Moor” hießen.

Diese ganzen Unternehmungen waren noch Teil einer ebenso kollektiven wie internationalen Anstrengung, die damals unter dem Namen “Landkommune-Bewegung” firmierte und in den USA zum Beispiel Bücher mit Titeln wie “Was die Bäume sagen” hervorbrachte. Helmut Salzinger blieb dabei – und versuchte, diese Bewegung praktisch und literarisch bis zu seinem Tod zu vertiefen. Aus dieser heute vor allem zeitlichen Tiefe kommen  jetzt einige seiner damaligen Lesungen auf CD über uns (herausgegeben vom Verlag Peter Engstler). Es geht darin um “Die Allgegenwart des Holunders”, um Wolken, Wind, Mitte Februar, drei Raben, eine Lerche, Bruder Bussard, immer wieder Falken und eine neugierige Fledermaus. Die “Poesie des Landes” äußert sich ihm in “grauen Regengüssen, Weiden, Birken, diesigen Wäldern, einer Herde Kühe”. Es ist eine Poesie oder “Kultur des Landes”, die ihre Kraft aus der Erde erhält: “Die neue Gesellschaft wird biologisch sein”, zitiert er dazu einen US-Ökologen – und keinen Blubo-Dichter, denn Helmut Salzinger versuchte sich gegen die Vernutzung des Landes und auf die Seite der letzten Biotope zu stellen und entdeckte dort sogar mitunter noch oder schon wieder einen Silberstreifen am Horizont. Heute, da die industrielle Landwirtschaft ebenso wie die Landflucht und die Konsumgesellschaft an ihre Grenzen stoßen und wieder Subsistenzwirtschaften in die Perspektive geraten, kann man seinen zwei ebenso avantgardistischen wie unverdrossenen Kleinverlegern (Kellner und Engstler) danken, dass sie diesem “Anfänger” treu blieben. Ich zog dagegen irgendwann wieder nach Berlin. Aber dort arbeitete ich u.a. an einer Land-Kolumne, die ich “Agronauten” nannte.

In diesem Zusammenhang rief ich einmal Peter Engstler in der Rhön an und fragte ihn, da er doch das Gärnterbuch verlegt habe, ob er mir nicht ein Rezensionsexemplar schicken könne. “Klar,” sagte er, “ich habe aber noch viel mehr Bücher von Helmut Salzinger verlegt,” woraufhin ich etwas naßforsch erwiderte: Ja, ich weiß, aber mich würde erst mal nur dieses eine interessieren. Am Schluß meinte Peter: “Ach, ich schick dir alle Bücher von ihm, das ist doch besser, als wenn sie unter meinem Bett verschimmeln.” Und so geschah es dann auch. Darüberhinaus geschah aber noch etwas: Peter Engstler bot mir wenig später an, in seinem Verlag ein Buch zu veröffentlichen  (es hieß dann “Neurosibirsk”), außerdem lud er mich zwei mal auf die Jungviehweide nahe seines Dorfes ein, wo er regelmäßig Lesungen organisiert, zu der im wesentlichen Leute aus den o.e. Kreisen hinkommen. Bei dieser Gelegenheit lernte ich auch gleich Peter Engstlers  Buchladen und sein Helmut-Salzinger-Archiv kennen, das in dem Haus untergebracht ist, wo Mo zuletzt lebte. Statt des Gärtnerbuches nahm ich mir dann das Moorbuch vor, das mir inzwischen fast das liebste von allen ist – und machte daraus einen Agronauten-Text, der eine Art Nachruf auf Helmut Salzinger sein sollte, insofern er das noch einmal hervorhob, was der Autor gerne tat (mit seinem Hund rumlaufen) und was er dabei dachte (Fortschrittskritik üben):

Helmut Salzinger geht im Frühherbst in der Nähe seines Dorfes Odisheim mit dem Hund spazieren, “auf einem Weg zum Raterbusch hinüber”.  – ins “Lange Moor, das zu einem System von Hoch- und Niedermooren gehört, welches sich vom Ahlenmoor im Norden bis Ebersdorf im Süden erstreckt”.

Dabei kommt er an einem  Schild vorbei: “Achtung! Floratorf Produkt. Aus dem vor Ihnen liegenden Hochmoor – werden die reinen Rohtorfe für die Herstellung der natürlichen Floratorf-Produkte gewonnen. Floratorf-Produkte helfen, alles besser wachsen und blühen zu lassen. Gärten werden schöner und Städte grüner. Helfen Sie mit, daß unsere Flächen und Gräben sauber bleiben und eine Zerstörung durch Feuer und Abfälle unterbleibt. Köhlener Torfwerk WK. Strenge GmbH”.

Helmut Salzinger bemerkt dazu: “Das Hochmoor als Betriebsgelände des Torfwerks. Und die Floratorf-Produkte, die mit der Vollkraft der Natur das Geschäft der Stadtbegrünung betreiben. Man stellt sich ein gutes Zeugnis aus und nutzt die Gelegenheit zur Werbung. Inzwischen wird das Hochmoor hier in Torf verwandelt und in den Städten auf Blumenbeete und -töpfe gekrümelt. Wenn man die Flächen, wo der Torf abgeräumt worden ist, sich selbst überläßt, ziehen sie das Wasser an und haben sich in wenigen Jahren neu begrünt. Das renaturierte Moor erstreckt sich bereits kilometerweit. Ob nun auch das Hochmoor anfangen wird zu wachsen, das wird sich erst noch zeigen. Vorerst erstreckt sich vom Firmenschild aus ein unabsehbares, weiß schäumendes Meer von nickendem Wollgras”.

Helmut Salzinger und sein Hund gehen einen verbotenen Grenzweg am Moorrand entlang, dabei entdecken sie: “Nach Nordosten erstrecken sich jetzt die Torfstiche mit ihrem ausgedehnten System von Gräben, Wällen, Wegen und zum Trocknen gestapelten Torfsoden, alles Braun in Braun. Inselartig haben sich bereits Gräser auf dem Torf angesiedelt. Es folgen Sauerampfer und Brombeere, Glockenheide…Dahinter ist der Abbau in vollem Gange. Vor meinem Auge walzt ein Gefährt, irgendetwas zwischen Raupe, Wanze oder Käfer mit Pflug, es schält im Vorbeifahren den Torf als ununterbrochenen Streifen vom Boden, der dann wohl in handliche Soden geteilt und geschichtet wird. Ob es das ist, was sie ‘ringeln’ nennen? An einem halb verfallenenen aber noch benutzten Schuppen habe ich ein Papier angeheftet gefunden, mit dem die Firma bekannt gab: ‘Am 13.9. wird wieder geringelt’.”

Helmut Salzinger kommt über diese Nachricht ins Grübeln: “Nun, heute ist erst der 9.9.. Für wen die Nachricht wohl ist? Der 13. ist doch erst nächste Woche, und es sieht nicht so aus, als würde bis dahin jemand hier vorbeikommen, um sie zu lesen. Doch wer weiß? Ich bin ja auch vorbeigekommen. Und damit konnte keiner rechnen”. Am Ende des Randweges stoßen Helmut Salzinger und sein Hund  auf einen “knallrot aufgemotzten BWM, der dort abgestellt ist”. Ein paar hundert Meter weiter stehen  Hütten und schweres Räumgerät.

Helmut Salzinger kommt dabei der Gedanke:  “Für mich wäre die Vorstellung, dass das Moor abgetorft wird, leichter erträglich, wenn ich dabei Menschen sähe, die mit dem Torfspaten persönlich dem Moor zuleibe gehen…Aber was hier geschieht, ist mechanisierter, industrieller Abbau, professionelle Ausbeutung des Moors”.

Wieder zurück in seinem  Haus wird Helmut Salzinger diese und andere Gedanken/Eindrücke als “Versuch, nichts zu erzählen” niederschreiben. Die ersten Zugvögel haben die Gegend bereits verlassen, “aus dem Norden kommend überfliegt eine Schar Wildgänse keilförmig das Moor. Auch die ersten Kraniche aus Schweden sind hier schon gesehen worden.”

P.S.: Im kommenden “Frühsommer”, so er denn kommt, ich meine das ganz subjektiv, erscheint eine Buch über Helmut Salzinger – von seinen Freunden, Weggenossen usw.: im Verlag Peter Engstler, herausgegeben wird das Buch von Caroline Hartge. Salzinger lebte in Odisheim, Entgstler in Ostheim, wo die Herausgeberin wohnt, weiß ich nicht – das Wort “gmx” in ihrer mailadresse könnte auf germanisch-xanten hindeuten, “de” meint jedenfalls (ein virtuelles)  Großdeutschland, da bin ich mir sicher. Ansonsten weiß ich, dass sie sehr eigen ist. Das Buch scheint ihr eine Herzensangelegenheit zu sein. Das sind viele Bücher, die im Engstler-Verlag erscheinen, der Verlag selbst ist so eine Angelegenheit (kein Projekt). Wiewohl das eine wie das andere natürlich organisiert werden muß.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/10/10/das-moor-hat-seine-schuldigkeit-getan/

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kommentare

  • Die Frage ist: Was will uns Helmut Salzinger heute sagen?
    Oder: Lebt er noch? – Anscheinend -was das Leben betrifft. Peter Engstler, höre ich also, hat noch was von ihm unter seinem Bett liegen, und Helmut S. hat Helmut Höge so gekitzelt, dass der sich im Jahre 2006 noch Gedanken macht – über das Leben, die Gesellschaft, die Natur und dergleichen. Auch, dass man doch möglichst sein Ding durchziehen sollte, er selbst, wie auch Peter Engstler oder Michael Kellner. Und vielleicht sogar ich selbst? Hat Helmut S. über Helmut H.’s Text auch mich ins Grübeln gebracht? Wirkt Helmut S. noch in meinen Werken? Ich meine, vielleicht bleibe ich auch deshalb am Ball, weil Helmut S. wirkt? Tatsächlich habe ich mir wieder das Buch über das Moor rausgenommen, was Helmut H. erwähnte, und drin geblättert, und auch wieder “Ohne Menschen”, die Beschreibung des Sturms, und wieder ein Impuls. Und dann auch mein letztes Manuskript (von weitem) betrachtet: Gedichte über die Natur. ich liebe nicht sehr Gedichte über die Natur, aber sie sind mir so unter der Hand entstanden. Ich wusste bisher nicht, warum. Das Wirken von Helmut S.? Oder auch, dass ich letztens – mal wieder – über meine Besuche damals in Odisheim schrieb. 20 Jahre her!
    Mir fällt gerade ein (wegen “taz”- Berlin), dass seinzeit Helmut S. durch Berlin irrte, auf der Suche nach einem Interview mit Renate Gerhardt (?), Ex-Freundin von Henry Miller, Witwe von einem jungen Mann (Dichter) aus Freiburg, der als erster nach dem Krieg Texte von Pound, Olson, Creeley nach Deutschland brachte (aber dann Selbstmord machte). Das Interview kam nicht zustande (oder nicht richtig). – Was ist mit der Renate weiter passiert? Gibt es Interwiews?
    Nun, Helmut H. (plus – S.) – wirken, das isses. Hat funktioniert. Gratulation!
    Bert Brune

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