vonHelmut Höge 17.10.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Tage- wenn nicht wochenlang hat eine Freundin von mir  mit dem Gedanken gespielt, ihren alten weißen Wohnzimmerteppich, den die Katzen mehrmals vollgekotzt hatten, gegen einen neuen auszutauschen. Dazu ließ sie sich immer mal wieder in den diversen Teppichläden und (schwedischen) Möbelkaufhäusern von versierten Teppichhändlern beraten. Jetzt hat sie aber endlich einen gefunden – der die Katzenkotzränder bereits in Form von Farbtupfern eingearbeitet hat, denn das ihre zwei Katzen aufhören zu kotzen – ist doch eher unwahrscheinlich.

Bei mir führten diese ganzen Auslegeware-Diskurse zu der Überzeugung, dass Berlin das “Teppichland” schlechthin ist. Nirgendwo gibt es so absurd viele Teppichläden wie hier. Die US-“Berlin Brigade” hatte früher sogar eine spezielle Abteilung, die nichts anderes tat als alle Militärwohnungen mit Auslegeware und darüberhinaus schönen Teppichen auszustatten hatte.

In den Siebzigerjahren wurde das liberale Boulevardblatt “Der Abend” von dem großartigen Hubschrauber-Teppich-Händler Sabed (“Ährlische Preise!”) übernommen. Und noch heute könnte man jedes Hauptstadtmedium einem Teppichhändler zuordnen. Die Hürriyet Kelim-Genç, die taz Teppich-Kibek, zitty und tip Ikea. Der persische Teppichhändler Ferdousi erklärte dem polnischen Journalisten Kapuscinski einmal die Bedeutung von Teppichen: “Sie breiten sie in der öden, verbrannten Wüste aus, legen sich darauf nieder und fühlen, daß Sie auf einen Wiese ruhen. Sie sehen Blumen, sehen einen Garten, einen Weiher und einen Springbrunnen. Zwischen den Büschen spazieren Pfauen. Ein Teppich ist dauerhaft, ein gutes Stück behält über Jahrhunderte seine Farben. Auf diese Weise leben Sie, obwohl sich ringsum nackte, monotone Wüste dehnt, wie in einem ewigen Garten, der nie an Farbe und Frische verliert. Und man kann sich noch weiter vorstellen, wie dieser Garten duftet, wie die Bäche rauschen und die Vögel singen. Dann fühlen Sie sich ausgezeichnet, dann fühlen Sie sich bevorzugt, sind dem Paradies nahe und ein Dichter.”

Nun verstehen wir vielleicht, warum die Polit-Teppichhändler ausgerechnet jetzt, beim derzeitig desolaten Zustand der sozialen und ökonomischen Verhältnisse, eine Kampagne “Sauberes Berlin” vom Stapel lassen – und u.a. mit neuartigen Staubsaugern gegen Hundescheiße vorgehen. Außerdem wurden mehrere Bezirksämter “publikumsfreundlich” mit neuer Auslegeware ausgestattet: Teppichland Berlin! Nur hier konnte eine Zeitschrift wie “Ich und mein Staubsauger” entstehen, aus dem dann die “Neue Berliner Hoover- Schule” (für Besinnungsaufsätze) hervorging. Und hier wurde auch der “Kobolt”-Staubsauger zuerst zweckentfremt – als Onanierhilfe, was jedoch mehrmals zu Eichelverletzungen führte.

Bis zur Wende campierten alljährlich rings um den Reichstag Sinti-Teppichhändler aus Köln. Seitdem man sie von dort vertrieben hat, gibt es alljährlich auf dem Messe-Gelände eine Verkaufsausstellung für Wohnaccesoires. Von minderjährigen Mädchen geknüpfte Hanfteppiche gehen in Schöneberg weg wie warme Semmeln, und die oberste (Kreuzberger) Verhaltensmaxime lautete lange Zeit: “Bleib auf dem Flokati.” Der Regierende Eberhard Diepgen galt weltweit als Groß-“Meister der Auslegeware” (New York Times), ja als Eintänzer “auf dem Roten Läufer” gar (soll wohl “im Roten Rathaus” heißen). Die neuen Mieter von Dienstleistungscentern können hier zwischen zwanzig verschiedenfarbigen Bodenbelägen wählen, und täglich werden in der Hauptstadtpresse doppelt so viele Secondfootteppiche annonciert wie offene Stellen.

Die Neue Zürcher Zeitung vermeldete einmal: “Diepgen will die Jahrtausendwende in der deutschen Hauptstadt zu einem Anlaß für einen nachdenklichen Rückblick auf das letzte Jahrhundert machen.” Wumm! Mit seiner “Trilogie des laufenden Schwachsinns” hat Eckard Henscheid bereits solch “Sprachgewalt” ein Denkmal gesetzt: in dem Band “Arnos Teppichladen”. In der NZZ-Ausgabe kam auch die Weltkunst-Kuratorin Catherine David zu Wort, die sich im Gegensatz zum Regiermeister jedoch weigerte, “Schauspieler von Überzeugungen” zu sein und den “Zirkus um den Direktor” ablehnte, auch wenn sie die “Verantwortung” annehme. Als Direktorin der Kassler “documenta” kam sie sodann auf das Politische der Kunst – in der seit der Wiedervereinigung von Arbeitslosigkeit schwer gebeutelten Stadt Kassel – zu sprechen: “Es geht nicht um die speziellen Probleme Kassels, sondern um den Zustand der Welt an einem präzisen Standort.” Diesen Satz muß man sich auf der Zunge zergehen lassen (Paris oh, là, là!). David zitierte Walter Benjamin, der die Geschichte wie die Unterseite eines Teppichs aufknüpfen wollte: “Wir müssen von einer Kultur der Rezipienten zu einer von Produzenten (zurück-)kommen”. Das sagte sie zu einem Zeitpunkt, da zumindest in Kassel und Berlin der Produktionssektor größtenteils abgewickelt ist – und einzig die Teppichhändler übriggeblieben sind! Daneben macht sich aber nun  immer mehr das äußerst aktive “Zentrum für Literatur- und Kulturforschung” – mit seiner Zeitschrift “Trajekte” bemerkbar – dieser Tage veranstaltet es gerade ein hochkarätig besetztes Benjamin-Symposium. Und danach eins über den Wiener Antidarwinisten Paul Kammerer, bzw. dessen “Gesetz-der-Serie”-Forschung”. Wenn ihnen da  nicht das neodarwinistische Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte steckt: “Bleibt auf dem Teppich!”

Wer dachte, mit dem Einrollen des Diepgen-Teppichs und des CDU-Filzes sei es nun endlich vorbei – mit der Teppich-Metaphorik in Berlin, der hat sich schwer geirrt: Unter Wowereit ging es erst richtig damit los!

“Wowereit: ‘Wir rollen für jeden den roten Teppich aus!'” (tsp)

“Wowereit gefällt sich auf dem roten Teppich.” (WamS)

“Wowereit: ‘Wir rollen ihnen nicht nur den roten Teppich aus, sondern auch den goldenen Teppich.'” (Berliner Zeitung)

“Wowereit über die Berlinale: ‘Der rote Teppich liegt goldrichtig’.” (rathaus aktuell)

“Wowereit: Deutschlands Hauptstadt hat wieder den roten Teppich für Filmstars aus aller Welt ausgerollt’.” (rathaus aktuell)

Danach gab er sich jedoch selbstkritisch, fast schon zerknirscht: “Berlin besteht nicht nur aus Gendarmenmarkt und rotem Teppich”. (super-illu)

Legte dann aber wenig später schon erneut los: “Wir rollen für alle Investoren den roten Teppich aus.” (Webpage des Berlin Business Centers)

Sein CDU-Herausforderer, der Teppichexperte Peter Schwenkow, meinte jedoch: “Er müßte für Investoren den roten Teppich ausrollen, aber das ist nicht Wowereits Ding.” (Die Welt)

Nach der Wahl mußte Wowereit sich zudem sagen lassen: “Auch wenn man etwas mehr als 30% geholt hat, sollte man doch auf dem Teppich bleiben”. (focus)

Wowereit legte nun aber erst recht los: “Der rote Teppich liegt richtig,” vertraute er dem “Spiegel” an.

Und die “uni leipzig”  vermeldete: “Klaus Wowereit bleibt auf dem Teppich.”

Der Regiermeister selbst gelobte jedoch, er wolle die “Gefahren nicht unter den Teppich kehren”.

Das online-magazin “etuxx” jubelte: “Wowereit ist der erste, der sich traut, Grün untern Teppich zu kehren.”

Dem wiedersprach allerdings Wowereit selbst – in der “Berliner Zeitung”: “Es wird nichts unter den Teppich gekehrt.”

Laut Tagesspiegel sagte daraufhin  ein Reporter zu ihm – mitfühlend: “Sie sehen müde aus, Herr Wowereit…Es war ja schließlich schon ihr dritter Teppich.”

Und die Zeitschrift “Hörzu” unkte im Zusammenhang mit den Wowereitschen roten Teppichen: “Es ist Auslegeware, auf die jeder will”.

Die Grünen berichteten laut “Berliner Zeitung: “Bei der CDU wird das Parkett rausgerissen und neuer Teppichboden verlegt. Und fingen sofort an zu grübeln, ob die Auslegeware von CDU-Fraktionschef Frank Steffel geliefert wird, schließlich ist der auch Chef einer Raumausstattungsfirma. “Quatsch”, sagt Steffels Sprecher. Es wird auch kein Parkett ausgetauscht, sondern der alte Teppichboden gegen einen neuen. Und wieder einmal lernt man: So schnell entstehen Gerüchte.”

Laut “stern” dachte Wowereit unterdes schon “ganz als Politiker” und sagte “Ich spreche von der Auslegeware”.

Und “Die Welt” berichtete – über die Berliner Weltpremiere von “Troja”, zu der auch Wowereit antanzte: ” Die wertvolle Auslegeware war diesmal nicht schnöde auf dem Steinboden des Sony-Centers ausgebreitet worden. Man hatte eigens eine Rampe aufgebaut…”

Das online-info “Taipans Board” wußte dazu Näheres – unter der Überschrift: “Der rote Teppich – Mysterium, Mythos Masche.  Silver Schrodi von der Berliner Firma Minuth wird genau schauen, ob der Teppich auch schön im Licht leuchtet und keine Falten schlägt: Das Unternehmen kümmert sich seit 1988 um die Auslegeware bei den Filmfestspielen. 120 Quadratmeter ist der rote Teppich groß, gefertigt aus einem Juterücken und Polyethylen. “Das Wesentliche ist, daß es ein Teppich ist, der im Außenbereich funktioniert!” so formuliert es der Fachmann nüchtern. Bei der Berlinale heißt das meistens: Kaltes Schmuddelwetter. Man ist halt nicht in Cannes an der Cote d’Azur oder bei den Oscars in Los Angeles.”

Auch das online-magazin “Anton Info” berichtete über Wowi und die Teppiche – allerdings ohne sie in einen Zusammenhang zu stellen. Aber die Botschaft war klar, wenn es um Teppiche geht, kann der Regiermeister noch viel von den islamischen Teppichknüpfern bzw. -kennern lernen: “So berichtet etwa eine muslimische Gemeinde von einem Koran-Rezitations-Wettbewerb in ihrer Moschee. Weil bei einem Regenschauer Wasser durchs undichte Dach tropfte, stellte jemand einen Topf auf den Teppich. Als eine Gläubige das Gefäß wenig später hochhob, war das Wunder geschehen: Auf der Auslegeware erschien der Name Allahs.”

Lassen wir es damit genug sein. Auch dem Dümmsten müßte inzwischen klar geworden sein: Berlin ist Teppichland!

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/10/17/teppichland-berlin/

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