vonHelmut Höge 18.10.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Lange bevor ich den linken Heidelberger Buchladen von Jörg Burkhard das erste Mal aufsuchte, bekamen wir in Berlin das Buch “Als ich noch ein Ultrakurzwellenbub war” von ihm in die Hand: Opa und Oma Rüstig, Onkel Hilde, Tante Willi – dumpfeste  Konsumisten, dazwischen des Autors Kindheitsbilder. Mit “richtigen  Geschichten” kam er uns auch noch in “live in zombombie”, aber seine Texte wurden  immer zer-splatterter, zerfaserter und zerbröselter und gingen bisweilen sogar ganz im Kakophonischen unter, zumal Jörg Burkhard angefangen hatte, “akustisch zu arbeiten” – und sich dabei von einem Lyriker zu einem Elektronikbastler wandelte. Ein Beispiel: “Ich habe einen leeren Kugelschreiber, in dem vier Widerstände drin sind, da gehen also vier Kabel rein. Ich spucke auf den Tisch und schließe das mit einem Draht an das Mischpult an. Wenn ich mit einer der vier Spitzen dieses Kugelschreibers in die Spucke gehe, dann kann ich eine Tonspur schneiden oder mehrere mischen und kann mit einer kaum merklichen Handbewegung irrsinnigen Krach machen und meine eigenen Texte durcheinanderwirbeln. Wenn ich die Spucke auseinanderziehe wird es leiser, wenn ich sie verdichte, wird es lauter.”

Im übrigen holte und holt er sich das Ausgangsmaterial für seine Töne und Texte beim Zappen aus den offiziellen TV-Kanälen: Wie aus Kanalisationsröhren fischt er sich da die Scheiße raus – und macht dann mit seiner Technik “muzak” daraus, die er anschließend in so genannten Performances präsentiert. Sein  Buchladen wurde 1984 geschlossen, weil sich ab da etwa die Alternativ-Szene breit machte, mit der Jörg Burkhard nichts am Hut hatte, eher schon mit der Punkbewegung, für die er sich jedoch (1943 geboren) schon “zu alt” fühlte. Charles Bukowski schrieb einmal – als man ihn auf seiner BRD-Lesetour 1978 das Heidelberger Schloß zeigen wollte: “Auf dem Weg dahin lotste man mich in eine Buchhandlung, wo fast alles Bücher von mir zu finden waren. Aber für mich war es mehr peinlich als angenehm, da vor meinen Büchern zu stehen und sie zu betrachten. Deswegen hatte ich sie nicht geschrieben!”

Damals war Jörg Burkhard noch schwer politisch – und das ist er heute noch. Bücher veröffentlicht er auch noch, aber sie sind wie gesagt immer weniger erzählerisch und immer mehr abgecuttet: “Schwarze Chroniken” aus Aphorismen. Auf der vorletzten und letzten Frankfurter Buchmesse trug er einige Passagen aus seinem neuesten Band “Frozen City Finalized” vor, in dem er  mal wieder seine Heimatstadt Heidelberg sowie die dortigen Alt- und Neunazis thematisierte, und nicht zu vergessen den CDU-Bürgermeister, der vornehmlich mit Beton klotzte – und dessen eigener Sohn dann folgerichtig auch von einem Fertigbeton-Laster überrollt wurde.

Jörg Burkhard ist ein guter Mensch, in seinen Texten aber böse, und er war es schon, als er noch seine Kolumnen in der Heidelberger Wochenzeitung “Communale” verfaßte: z.B. über den Polizisten, der den Philosophen Gadamer von einer Parkbank verscheuchte. Nebenbeibemerkt: Als Gadamer vor einiger Zeit starb, veranstalteten Stadt, Land und Hochschule eine pompöse Gedenkfeier. Der Rektor führte dort aus, dass sie an der Uni noch immer mit der Beseitigung der Folgen der unseligen 68er-Revolte beschäftigt seien. Der Ministerpräsident fügte dann, im Beisein des Hauptredners Derrida, hinzu: Auch die Postmoderne würde doch nur unsere Jugend verderben. Jörg Burkhard war bei dieser Feier nicht anwesend: Er befand sich gerade auf Lesetournee – und er hätte auch keine böse Kolumne darüber veröffentlichen können: die “Communale” wurde 1988 eingestellt. Aber was da von den ganzen Prominenten und Politikern über Radio und Fernsehen täglich auf uns und ihn  ausgekübelt wird, “bis zur Reklame” – macht ihn nach wie vor so wütend, dass er es sofort zermixt retourniert: “Was über die Medien kommt, geht über meinen eigenen Sender wieder zurück. Mein Sender operiert auf der Hörfrequenz von 40 Hertz bis 14 Kilohertz, während das, was über den Fernseher kommt, Hochfrequenz ist, HF, also Herrschaftsfrequenz.”

Auszüge aus seinem Niederfrequenz-Salat veröffentlicht als Buch und CD, man kann schon fast sagen: regelmäßig, – der Dichter und Behindertenpädagoge Peter Engstler in seinem gleichnamigen Verlag in der Rhön. Auf einer Jungviehweide nahebei veranstaltet er daneben auch immer wieder Lesungen für seine  Kollegen und Autoren. Neben dem Berliner Anarchodichter Bert Papenfuß trug Jörg Burkhard dort zuletzt im Schein einer Taschenlampe u.a. Kapitel aus “Kevin Limbos größter Fall”, “Euroica” und “Der grosse Roman” vor. Letzterer beginnt autobiographisch:

“an diesem dienstagmorgen zeigte das fliesskristall im display der waage einhundertkommadrei, floss aber zu romans grosser erleichterung zurück auf neunundneunzigkommasieben – deutlich unter hundert! roman meggle war erleichtert.
soeben zurückgekehrt von tour durch tarnfarbene schweiz oberrheinische industrietiefebene von abgasen noch völlig benommen vom getrampel der nachbarn punkt sieben uhr nachdem roman meggle fünfuhrdreissig wie jeden morgen mit einem hammer auf den fußboden zu klopfen gezwungen das frühstücksfernsehen von frau zombie auf zimmerlautstärke zu trimmen versuchte roman mit zitternder hand aus der Kilopackung Red Label eine portion ‘frühstücksmischung’ mit kochendem wasser zu überschütten, was irgendwie misslang und zu überlaufender nässe plus verbrennungen ersten grades führte.
in diesem augenblick setzte von nebenan das BUMMZAKK einer hifi-anlage ein…”

Jörg Burkhard ist heute Hausmeister in einem Heidelberger Mietshaus, ob er dort auch Hausbesitzer ist (zusammen mit seiner Mutter) entzieht sich meiner Kenntnis. Auf alle Fälle veröffentlichte er zuletzt im Engstler-Verlag das Buch “Die Welt ist schön”.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/10/18/hausmeister-strukturen-5/

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kommentare

  • Korrektur von Jörg Burkhards Rhön-Verleger Peter Engstler:

    Der Heidelberger Hauptdichter ist kein Hausmeister in seinem Haus und seine Mutter ist leider schon vor einigen Jahren verstorben. Der Rest stimmt aber.

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