vonHelmut Höge 22.10.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Es gibt eine Theorie (in der taz) zur Erklärung der so genannten Neuen Beliebigkeit, über die sich zuletzt die von Abwicklung bedrohten Mitarbeiter des Spandauer Bosch-Siemens-Werks für Haushaltsgeräte (BSH) in ihrem “Streikzelt” ärgerten (weil die taz nicht nur keine kontinuierliche Berichterstattung über ihren Arbeitsplatzkampf hinkriegte, sondern so gut wie gar keine). Die Neue Beliebigkeit ist dieser Theorie zufolge Ausdruck des Zerfalls eines Kollektivprojekts in eine Projektemacher-AG, das schafft dem Einzelnen zwar Freiheit, führt aber zur Beliebigkeit. Und die wiederum fördert die individuelle Datschenbindung. Wobei die taz dabei über die “ost-taz” einen gewissen Vorlauf gegenüber anderen Medien hatte, insofern die eingestellten Ostler sich ganz schnell alle Datschen bzw. Resthöfe im Umland (das bis an die Küste reichte) zulegten.
Was die taz an Reaktionsschnelligkeit den anderen “Hauptstadtmedien” (Botho Strauß) voraus hatte, das bremsten jedoch ihre niedrigen Gehälter wieder ab. Dennoch kann man hierbei von einem diesbezüglichen Trend sprechen. Das halbe “Büro” wohnt schon “im Grünen” – und in ihrem Postfach stapeln sich vor Frühjahrsbeginn die Versandhauskataloge für Sämereien und Zier- bzw. Heckensträucher. Legendär ist der Ausspruch eines der dortigen Mitarbeiter “Mich interessiert nur noch die taz-beilage ‘Bauen und Wohnen'” – er war gerade dabei, sein Landhaus mit Ökomaterialien zu isolieren.

Der wirtschaftliche Niedergang Ostelbiens und der Rückgang der Bevölkerung im Verein mit der dort steuerlich besonders begünstigten Bauwut zwecks Spekulation haben diesen Trend sicher begünstigt. Eine Scheune kriegt man dort schon “fürn Appel undn Ei”. Wenn es einen nicht stört, dass man hier wie überall als “Neusiedler” erst mal bei den Einheimischen Mißtrauen erweckt – und man als “Wessi” im Osten erst recht nicht wirklich willkommen ist. Es gibt schon ganze Bücher und Talkhows über dieses “Problem”. Einige Wessis haben im Osten einfach den Spieß umgedreht – und behandeln ihre neuen Nachbarn als ein zu verbesserndes Soziotop. Man könnte eine regelrechte Hitliste von wackeren Wessifrauen im Osteinsatz aufstellen.

An erster Stelle stünde vielleicht Renate Kantelberg-Abdullah, die gebildete Frau des Apothekers im sächsischen Sebnitz. Sie hat den Irak während der Golfkrise live überlebt, ist also besonders unbeugsam. Mit Privatdetektiven ging sie erst gegen die lokale Ärzteschaft vor, die angeblich gegen die Apothekenbelange der neu hinzugezogenen Wessis arbeitete – mit einer Art Rezeptboykott? Dann investierte sie 20.000 Mark, um den wahren Mörder ihres im Schwimmbad verunglückten Sohnes zu finden. Auch dabei bekam sie es mit einer Art Ostkomplott zu tun, gegen das sie mit allen Mitteln – vor allem mit Westmedien und Neonazi-Experten aus dem Westen – kämpfte.

Die zweite ist Inka Bach. Die inzwischen Mutter gewordene Schriftstellerin hatte einige Wochen lang ein Literaturstipendium in Rheinsberg und nutzte dieses, um den dortigen Neonazis endlich mal in aller Ruhe nachzuspüren. Sie fand keine, aber je weniger sie überhaupt herausfand, desto unheimlicher und gemeiner geriet ihr die vom Neonazismus geradezu durchtränkte (also nur scheinbar friedliche) Atmosphäre der märkischen Tucholsky-Tourismusstadt. Ihr Buch darüber ist eine Groteske.

Die dritte – Ursula Heldt – will erst ein Buch über ihre Erfahrungen mit Neonazis schreiben. Derzeit ist sie noch Chefin des Vereins “Horizonte” – zur Wiedereingliederung straffällig gewordener Rechter auf Usedom. Der Bürgermeister von Wolgast hatte die Hanauer Boutiquenbesitzerin Heldt im Urlaub auf Mallorca kennen und wohl auch schätzen gelernt und ihr daraufhin den Job vermittelt. Auf Mallorca hatte sie sechs Jahre als Malerin gelebt, nebenbei arbeitete sie aber auch als Journalistin, wobei sie sich “als Fachfrau für Gewalt” einen Namen machte. Auf Usedom wurde dann ihr langhaariger Mann von einem ihrer glatzköpfigen Schützlinge zusammengeschlagen.

Die nächste heißt Luise Endlich, eine Wuppertalerin, die mit ihrem Mann nach Frankfurt/Oder zog – er bekam dort einen guten Job, sie nutzte die Zeit, um den Osten gründlich zu erforschen. Ihre “Humoresken” veröffentlichte sie im Transit-Verlag unter den Buchtiteln “Neu-Land” und “Ost-Wind”. Die darin porträtierten Ostler waren jedoch not amused. Die Autorin hat deswegen inzwischen das Land wieder – wahrscheinlich kopfschüttelnd – verlassen.

Man könnte auch noch die IG-Metall-Chefin von Eisenach dazu zählen, die sich tapfer mit dem ihrer Meinung nach zu karrieristischen Ostbetriebsrat bei Opel anlegte. Sie ist dort die Pionierin einer kämpferisch-effizienten Gewerkschaftsverwaltung, träumt jedoch davon, noch einmal weiter nach Osten zu ziehen. In Eisenach ist ihr inzwischen schon alles viel zu viel Routine geworden.

Auch die Pastorin von Horno ist solch eine Kämpferin: Sie war Pastorin der Westberliner Gedächtniskirche und stand dann “auch theologisch voll auf Seiten der Hornoer”, die gegen die Abbaggerung ihres sorbischen Ortes durch die Energiefirma Laubag kämpften. In diesem Zusammenhang legte sie sich sowohl mit der brandenburgischen SPD als auch mit ihren kirchlichen Vorgesetzten an. Denn die hatten für die betroffenen Hornoer nicht mehr als ein paar müde Gebete übrig.

Nicht gekämpft, aber verkrampft hat sich die Sozialwissenschaftlerin Margit Weihrich – in einer Studie über “den Ostler”. Leseprobe: “Die perfekte Gemütlichkeit setzt indes Stimmigkeit voraus; Herrn Tikovskys Liebe zum Rotwein und das passende Setting symbolisieren seine Idealvorstellungen vom Umgang mit dem Leben …”

Das Zitat stammt aus ihrer Promotion an der Bundeswehr-Hochschule München: “Eine qualitative Paneluntersuchung der alltäglichen Lebensführung im ostdeutschen Transformationsprozess”.

So lange der Westen dem Osten derart “analytisch” zusetzt, meinte Christoph Hein – und erinnerte in diesem Zusammenhang noch einmal an den forschen süddeutschen “Forscher”, der zuletzt die “Verzwergung” und Verzweiflung der Ostler auf ihre frühkindliche Erziehung zurückführte -, können wenigstens noch einige Ausländer hoffen, dass sich die Deutschen nicht so bald geballt gegen sie wiedervereinigen werden.

Was jedoch den zur Beliebigkeit und im Zweifelsfall Mainstreamigkeit führenden taz-trend “Datsche” betrifft, inhaltlich hat er noch nicht journalistisch Fuß fassen können. Im Gegensatz z.B. zur “Brigitte”, deren Redakteurinnen in den frühen Achtzigern alle aufs Land zogen und sich Pferde anschafften, die dann von jungen Mädchen im “Ökojahr” versorgt wurden. Die Zeitung wurde darüber fast zu einem Zentralorgan der Landbewegung und der Pferdezucht. Ihre “Töchter” brachten es später zu einer regelrechten “Pferdemacke” – mit eigenen Zeitschriften und Reiterhöfen, die sich inzwischen zu einer soziokulturellen Bewegung entwickelt hat. Neulich war ich Gast bei einem Lesewettbewerb von 12jährigen in einer Steglitzer Schule: die Mädchen lasen alle Pferdegeschichten vor.

Auch dass die Spiegel-Redakteure in Lüchow-Dannenberg im Gegensatz zu allen anderen dort ebenfalls hingezogenen Künstlern und sonstigen Freischaffenden ihren polnischen Schwarzarbeitern, die ihnen das Landhaus renovierten nur 15 statt 20 DM zahlten, fand seinen Niederschlag – in einer nachsichtigen Berichterstattung über die polnische Ökonomie. Überhaupt gibt es eine starke Korrelation zwischen der Anzahl von zugelegten Datschen und der Versöhnung, ja Zufriedenheit mit dem Schweinesystem – in den Redaktionen.

Auf den Fluren des Kölner WDR, besonders in den Raucherecken, flucht man: “Der benimmt sich wie die Aix en Provence.” Das bezieht sich auf all jene Redakteure und Wellenleiter, die ein Haus in Südfrankreich haben, und für nichts anderes mehr Interesse. Eine Zeitlang zog es die Kulturschaffenden und ihre Multiplikatoren auch in die Toskana – als stille “Reserva di Caccia”.

Mit den medial statt mit der Basis kommunizierenden SPD-Politikern nach Brandt wurde daraus die “Toskana-Fraktion”. Sie löste die einst von Augstein und Boehnisch prominent gemachten “Sylt-Sauereien” ab. Vollends, nachdem das kommunistisch regierte Gourmet- Dreieck zwischen Florenz, Arezzo und Siena sich mit der Kronzucker-Entführung auch noch politisierte: “Da war was los!”

Einmal traf ich in Bonn auf einen alten HR-Redakteur. Er wußte alles: Warum die Sowjetunion auseinanderbrach, wie die Menschen im Osten hier denken, wie sie denken müßten usw. Im Zweifel hatte er sogar – z. B. mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Biedenkopf – das “Problem” schon höchstpersönlich erörtert. Das Wichtigste aber war ihm sein Haus in der Toskana, wo er 12 Olivenbäume gepflanzt hatte: “Zwölf Bäume, stellen Sie sich vor, vier tragen bereits anständig was.” Immer wieder kam er auf seine Olivenbäume zurück. Irgendwann wurde mir klar: Daß es in Deutschland keinen aggressiv-neugierigen Journalismus mehr gibt – das liegt vor allem an den Olivenbäumen!

Da ich selber mal ein Jahr bei Arezzo lebte, weiß ich, daß es dort inzwischen von olivenbaumpflanzenden Kulturschaffenden nur so wimmelt. In den achtziger Jahren gab es Sommer, da traf man z.B. auf der Piazza in Poppi mehr taz-Mitarbeiter als auf dem alternativen Schöneberger Winterfeldt-Markt, wo heute die handgepreßten Olivenöle aus Italien hektoliterweise angeboten werden. Zum Teil von Ex-Journalisten aus Westberlin.

Im Ausstrahlungsbereich der deutschen Küstensender hatte zunächst H. J. Kuhlenkampff mit seinem Kapitänspatent eine wahre Yacht-Welle ausgelöst. Die Kulturredaktionen übten nur noch Knoten, und wenn sie sich als Skipper zum Brainstorming auf einer dänischen Insel versammelten, riefen sie: “Hol over!” und “Habe die Öre!” Das waren alles Staatsbedienstete. Bei den privaten Print- und sonstigen -medien mußte das “Boot” dann schon im Mittelmeer ankern. Auch die Leitungsebene des Kreuzberger Medienkonzerns Schmidt & Partner z.B. legte sich dort nach der Wende angeblich sofort eine Yacht zu. Die tazler hatten sich vor der Wende höchstens getraut, ein Segelboot auf dem Wannsee zuzulegen. Jetzt macht eine taz-Mitarbeiterin schon ihr Hochsee-Kapitänspatent – in Holland.

Gegen die Überproduktion beschloß die EU gerade, für jeden gefällten Olivenbaum eine Prämie zu zahlen. “Die kann ich gut gebrauchen”, meinte mein Nachbar, ein ORB-Redakteur, erfreut, “ich muß das Dach neu decken. Und statt der Olivenbäume pflanze ich einfach Wein. Dafür gibt’s demnächst auch eine Prämie!”


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