vonHelmut Höge 01.11.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Es geht dabei um “Kleinkunst” –

Die Kleinkunst – das ist das ewige “noch nicht”, die Vorstufe zur nationalen, zur Weltkunst gar, eine endlose Kette von Verkennungen. Ständiges Bemühen! Daneben gibt es aber noch eine ganz andere, dem entgegengesetzte Kunst-“Richtung” – sie will ein “Kleinwerden schaffen”. Gilles Deleuze spricht davon in seinem Text über Kafka, ebenso der Kafka-Forscher Klaus Wagenbach. Und Alexander Etkind bezeichnete das verfemte Werk von Michail Soschtschenko als “Kleinkunst”.

Über die Berliner Regionalliga hat Detlef Kuhlbrodt einmal einen Tabellenstand veröffentlicht, das heißt einige der hiesigen Kleinkünstler abgefeiert: Daggi Brundert und Thomas Kapielski zum Beispiel. Ich möchte hier nun noch die Kleinkunst-Kaderschmiede Ex & Pop hinzufügen. Immer wieder traten von dort – meistens gegen Morgen – hervorragende Kleinkünstler ins Freie. Sie arbeiteten sowohl vor als auch hinter der Theke.

Im Ex & Pop entstand einmal sogar ein regelrechtes Kleinkunst-Förderwerk namens Konradin-Leiner-Stiftung. Benannt nach Kurt Leimer, auch “Fascho- Kurt” genannt, weil er wie ein Neonazi herumlief und sich auch gerne so aufführte. Bis zur Wende war er Philosophiestudent in den FU-Seminaren von Kamper, Bolz und Böhringer, die man gut und gerne als seine “Schüler” bezeichnen könnte, insofern sie von seinen Referaten (zum Beispiel zweihundert Seiten über den Film “Apocalypse Now”) profitierten.

Er war laut Böhringer “der Beste” dort – und alle haßten ihn, schon allein wegen seiner ewig knarzenden Nazistiefel, wenn er zu spät ins Seminar kam. “Drachenblut” hieß dann seine Magisterarbeit (bei Kamper). Zusammen mit den Ex-&-Pop-Leuten Tom Lamberti, Frank Wulf, Krypton und Hu-Sen veranstaltete er eine Lesungstournee zur “Kritik der reinen Vernunft”. In der autonom betriebenen Schweinemensa (der FU) bot er mit Frank Wochenendseminare über Splatter-Filme an. Der autonome Hausmeister dort schmiß sie jedoch irgendwann raus, mit der Begründung, er dulde dort keine Neonaziveranstaltungen. Sie arbeiteten an einer “Hardcore-Theorie”, deren Leitwissenschaft die Pornographie sein sollte – mit Teresa Orlowski als Begründerin einer neuen “Hannoveraner Schule”. Zuletzt arbeitete Kurt als Autor beim kostenlosen Veranstaltungsmagazin der “Zweiten Hand: 030”.

Er heiratete gegen Bezahlung eine Nigerianerin. Von dem Geld kaufte er sich einen Porsche. Als er 1996 an einer Überdosis Heroin starb (er hatte sich einen “Goldenen Schuß” gesetzt, um auch noch das auszuprobieren), bekam Krypton den Porsche, und Anthony Justice, der jüngste Sohn der Nigerianerin, erbte ein Haus, das Kurt zuvor von seiner Tante bekommen hatte. Sein restlicher Nachlaß (Texte, Videos, Musik und Comics) paßte zum größten Teil in einen Computer – und umfaßte etwa 40 Megabites. Laut Testament aus dem Jahr 1994, das Kurt mit einem blutigen Daumenabdruck signiert hatte, sollten sich die “Berliner Freunde” darum kümmern.

Dazu gehörte auch noch eine Oberarmtätowierung. Da sich der Obduktionsarzt in Konstanz weigerte, sie auf Keilrahmen zu präparieren, mußte extra ein Stuttgarter Chirurg anreisen. Später, zur Beerdigung, reiste auch noch eine große nigerianische Abordnung aus Berlin an: “Mit einem ganz anderen Trauerverhalten als das Konstanzer Bürgertum”, wie einer der Trauergäste aus Berlin sich lachend erinnerte. Kurts Vater, Diethelm Leiner, ein schon früh erblindeter Philosoph, Freund von Heidegger, hatte Kunst gesammelt (Kubin, Macke, Kollwitz, Heckel und vor allem Karl Hofer).

Davon verkauften nun Kurts Mutter und seine Tante etliche wertvolle Stücke. Von dem Geld – eine knappe Million Mark – wurde hernach die Stiftung gegründet, die in Kurts Sinne wirken und ihm so einen “kleinen” Nachruhm sichern soll. Im Kuratorium der Stiftung hat der Leiter der Pankower Literaturwerkstatt, Thomas, Sitz und Stimme. Er kennt die Kurt-Truppe seit ihrer Lesungstournee.

Die Stiftung ist bis heute noch nicht ins Leben gerufen, angeblich soll auch gar kein Geld mehr dafür da sein. Aber sie funktioniert dennoch: Erst einmal erschienen – von seinen Freunden herausgegeben – drei Merve-Bände mit Texten aus dem Computer von Kurt – wobei der verstorbene Autor als QRT firmiert: “Schlachtfelder, Tekknologic, Drachensaat”, ein vierter Merve-TXT ist in Vorbereitung. Darüberhinaus wurde heute im “Museum für Kommunikation” eine Doktorarbeit von Martin Carlé vorgestellt – “Signalmusik MK II” betitelt, die eine “zeitkritischer Archäologie des Technosystems QRT” sein will. Das Cover ziert ein Comic von QRT. Vorab wurde des verstorbenen Autors gedacht – als eines “Media Warriors”, dessen “Zombologie” die Generation der “Agonie des Realen” hinter sich gelassen habe – und der nun endlich – mit dem Namen “Kurt Leiner” – seinen “Autorenfrieden” gefunden habe. Fröhliche Wissenschaft statt Trauerarbeit. Dennoch hat jede Seite des Buches einen schwarzen Rand bekommen. Inhaltlich verfolgt “Signalmusik MK II” “die selbst induzierte Auflösung des Eigennamens ‘Kurt’ (Markus Konradin Leiners) zur a-vokalischen Zeichenkette ‘Q R T”, analysiert die Umschriften des Codes und integriert die entstehenden Korrespondenzen, Resonanzen und Interferenzen mit Schaltungen und Diskursen über die transieten Zeiten eines zunehmend a-grammatischen Seins.”

Die Veranstaltung im Ex-“Postmuseum” war eingebettet in die Vorstellung einer neuen Buchreihe der Medienwissenschaft der Humboldt-Universität – im Kulturverlag “Kadmos”. Die neue Reihe wurde von den Herausgebern Wolfgang Ernst und Friedrich Kittler vorgestellt. Ersterer sprach von der “Berliner Schule der Medienwissenschaft”, wozu Personen, Programm und Schriften gehören und nun auch noch die Kadmos-Reihe – für Arbeiten, “die im Kontext der Sophienstraße entstanden sind”. Letzterer erzählte, dass er bei der Umwidmung und -benennung des Museums für Kommunikation mitgewirkt habe und einmal dem Vernehmen nachgegangen sei, dass Goethe die Briefmarke quasi-erfunden habe, weil zu seiner Zeit noch der Empfänger einer Sendung für diese zahlen mußte – und Goethe sich deswegen über seine ganze Fanpost nie richtig freuen konnte. Angeblich erwirkte er dann bei Thurn & Taxis eine Ausnahmegenehmigung – eine Goethe-Briefmarke sozusagen. Aber das konnte Kittler nicht verifizieren, weil das Thurn & Taxis-Archiv dafür zu unaufgeräumt und der Archivverwalter zu schlecht gelaunt war.

To cut a long story short: Die Kurt-Leimer-Stiftung lebt – eben irgendwie doch. Im Nachwort des ersten Mervebandes von QRT (be)schrieben seine Freunde – als Herausgeber – ihn so:

“Schädel und Silhouette im Nahkampfschnitt, Combat-Boots, BuWe-Overall in Nato-Oliv, im Winter eine Lederjacke mit Frettchenbesatz, im Sommer ein geripptes Spaghettiträgerunterhemd zur kurzen Stars-‘n’-Stripes-Turnhose, und unvergeßbar: der notorische schwarze Aktenkoffer. Anfang der 80er war Qrt, damals noch ohne Q, “Kantianer”. Später rüstete er “vehement auf Baudrillard, Foucault, Lacan und Virilio um … Niemals aber gab er die Systematik auf, die sein Markenzeichen wurde.”

Ich erinnere mich darüberhinaus: Zwar war er zuletzt quasi journalistisch tätig, aber am liebsten dealte er mit den demiritorischen Gütern: Drogen, Prostitution, Glücksspiel etc. Das ließ an Puschkin denken, der für ihn natürlich als “Meisterdenker” passé war. Der geniale Halbabessinier aus St. Petersburg, mit dem der russische Realismus begann, war auch wesentlich demiritorisch beschäftigt – zum Schreiben kam er eigentlich nur, wenn er mal wieder geschlechtskrank oder pleite war. Zum Schluß hatte er sich aber von diesem “Untergrund” derart – familial, finanziell und volksnah – abgeschnitten, daß er im Duell den Tod suchte, und fand. Sein Gegner war ausgerechnet ein Franzose! Was für den Petersburger Tschetschenien, war für Kurt die Puff-Hochburg Phadong (in Bangkok). Aber, schreiben die Herausgeber, “es gab (auch) Jahre, da ging Qrt jeden Tag ins Kino”. Und dazu wurde er noch Miteigentümer der Schöneberger Kneipe “Ex & Pop”, sowie Sänger & Frontman einer Frauenband, die “unsere Ohren malträtierte …”Aber immer öfter “beklagte er die fortschreitende Entleerung und Langeweile seines Lebens”. Hinzugefügt sei, dass es bei Puschkin zwar wesentlich länger als bei Kurt Leiner dauerte, bis die erste Doktorarbeit über ihn erschien – er war dennoch viel wichtiger. Vielleicht ist es aber noch zu früh für solch ein Urteil.

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