vonHelmut Höge 19.11.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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“Viele können nicht squatten – die lassen sich schon von einem Stuhl korrumpieren,” meinte einmal ein junger Hausbesetzer aus Soweto (Johannesburg) zu mir. Ähnlich gilt für das Journalisieren: Viele lassen sich schon von einer Fußballspielfreikarte, einem Kunstkatalog,  einer Einladung zu einer Pressekonferenz mit anschließendem Büfett  korrumpieren.  Das sind zwar alles peanuts, aber die Korruption scheint bei dieser in der Künstlersozialkasse versicherten Berufsgruppe zum Handwerkszeug zu gehören: “Die Produktivität der Künstler resultiert aus ihrer Fähigkeit, sich den wechselnden geistigen Strömungen anzupassen – aus ihrer moralischen Verkommenheit,” so drückte es Joachim C. Fest aus, der dabei jedoch einen nach New York emigrierten Künstler plagiierte.

Auch beim Siemens-Konzern scheint der Hang zur Korruption epi oder quasi “genetisch” zu sein:

Seit über 150 Jahren korrumpiert der Siemens-Konzern Politiker und Staatsbeamte weltweit. 2005 klagte ein direkt damit befaßter ehemaliger Vertriebsleiter von Siemens, Sam Tsekhman, den Konzern an, mit russischen Stellen über Schmiergeldzahlungen in Höhe von 7 Millionen Euro verhandelt zu haben, um an einen Vertrag über 28,2 Millionen Euro mit dem Moskauer neurochirurgischen Burdenko-Institut zu gelangen. Wie immer reagierte Siemens darauf mit der Versicherung, man werde unverzüglich eine “interne Untersuchung” einleiten. Wenig später wurde der Konzern erneut der Korruption bezichtigt, diesmal von einer amerikanischen Untersuchungskommission unter der Leitung des ehemaligen US-Notenbankchefs Paul Volcker: Im Rahmen des Programms “Öl für Lebensmittel” sollen drei Siemens-Firmen 1,6 Millionen Dollar Schmiergeld an das irakische Regime unter Sadam Hussein bezahlt haben, um an Aufträge heran zu kommen. Die deutsche Justiz spricht von einem “Anfangsverdacht”, der Konzern selbst ließ seine Sprecher erklären: “Uns ist davon nichts bekannt!”

In Singapur erhielt Siemens 1996 sogar für fünf Jahre ein Verbot für öffentliche Aufträge – wegen Bestechung. Davor fiel er diesbezüglich in Russland, Spanien, Italien, Griechenland, Indonesien und in einigen lateinamerikanischen Ländern unangenehm auf. Solche geschäftlichen Aufwendungen im Ausland sind in Deutschland immer noch steuerlich absetzbar, während sie in den USA gesetzwidrig, weil wettbewerbsverzerrend  sind.

Nun ist Siemens jedoch von Anfang an ein Konzern gewesen, der sich vornehmlich um (große) Staatsaufträge bemühte. Einmal war sogar der Entwicklungshilfeminister ein Siemensmann – und die BRD-Entwicklungshilfe dementsprechend, zudem ist man Siemens im BRD-Forschungsministerium mehr als gewogen – was Fördergelder betrifft. Diese Konzernpolitik  führte bereits frühzeitig zu einem Bruch zwischen dem AEG-Gründer Emil Rathenau und Werner von Siemens. Sie hatten zuvor gemeinsam die Osram KG gegründet. Während Rathenau erst einmal mittels Werbung für die elektrische Beleuchtung das “Bedürfnis” danach wecken wollte, lehnte Siemens solche “Marketingstrategien” ab – und setzt stattdessen auf die Beeinflussung von Staatspolitiken und -politiker. Dabei wurde der Siemenskonzern  zum größten Profiteur der deutschen Kriege, wobei er im Zweiten Weltkrieg  darüberhinaus auch noch von der Sklavenarbeit in den KZs profitierte; danach vom Hightech-Embargo gegen den Ostblock, wobei die Pankower KoKo-Firma F.C. Gerlach eine Art Brückenkopf bildete.

Nach dem Ende der DDR übernahm die  Siemens AG zig “Filetstücke” der Treuhand – fast geschenkt. Bei anderen sorgte sie dafür, dass die Betriebe abgewickelt wurden, damit die Konkurrenz sie nicht bekam. 2000 bestritt der Konzern die Hannoveraner “Expo”, die von der letzten Teuhand-Chefin Birgit Breuel geleitet wurde, fast alleine: Siemens verlegte die 100.000 km Glasfaserkabel auf dem Hannoveraner Gelände, seine Sparte Medizintechnik war mitverantwortlich für den Themenbereich “Gesundheit”, außerdem war Siemens natürlich auch noch beim Themenbereich “Energie” mit dabei, sowie bei der “Mobilität”, und ferner in der Arbeitsgruppe zum Thema “Wissen”. Seinen größten Expo-Auftritt hatte der Konzern aber im Themenpark “Zukunft” wo dieser “weltweit führende Anbieter von Infrastrukturlösungen” zusammen mit der Stadtverwaltung von Shanghai “Ideen und Visionen” vorstellte. Beim Verkauf von Infrastrukturlösungen hat man es meist mit Verwaltungen zu tun – und die werden weltweit immer korruptionsanfälliger, so daß die Siemenssche Beeinflussungsstrategie immer erfolgreicher wird – nicht trotz, sondern wegen der weltweit andauernden Privatisierungen.

Der ehemalige Elpro-Vorständler, Schmolcke, schrieb während der Privatisierung dieses einstigen – aus der ersten AEG-Glühlampenfabrik entstandenen – DDR- Vorzeigeunternehmens in der Elpro-Hauszeitung “Kontakt”: “Die Widersacher, mit denen wir es aufnehmen müssen, sind im Vergleich zu der Größe unseres Unternehmens übermächtig”. Er verhandelte mit verschiedenen IEA-Mitgliedern – zuletzt war alles vergeblich. Aus dem, was er dabei – von Alcatel-Cegelec, Schneider, Siemens und General Electric – mitbekam, gewann er jedoch den Eindruck: “Da spielen sich die echten Dinge ab, und vielleicht noch da drunter!” Laut Schmolcke wollte General Electric die Elpro AG übernehmen, aber einen Tag vor Vertragsunterzeichnung trafen sich die GE-Manager mit Kollegen von Siemens, die ihnen diesen Deal ausredeten und dafür versprachen, GE zu helfen, wieder im Iran Fuß fassen zu können. Die Elpro AG wurde dann abgewickelt. Auch Narva war zuvor  angeblich von Siemens-Managern in der Treuhand auf die Abwicklungsliste gesetzt worden.

Siemens versuchte danach mehrmals auch die Privatisierung des Öko-Kühlschrankherstellers Foron zu torpedieren: Zuerst beteiligten sie sich an einem Rundschreiben an alle deutschen “Weiße Ware”-Händler, in dem sie vor dem Kauf der Foron-Kühlschränke aus Sicherheitsgründen (Explosionsgefahr) warnten. Dann gerieten die Scharfensteiner aufgrund einer Pseudoprivatisierung durch den ominösen Londoner “East German Investment Trust” in Schwierigkeiten. Im Mittelpunkt stand dabei der deutsche EGIT-Manager Harald Lang, der zuvor für die Treuhand schon bei Narva und der Elpro AG aktiv gewesen war. Schließlich bewarb sich der Multikonzern Samsung um Foron. Die vermutlich in mehreren IEA-Sektionen vertretenen Südkoreaner bekamen jedoch einen Brief aus München – des Inhalts, daß Siemens eine Übernahme von Foron durch Samsung als unfreundlichen Akt ansehen würde. Samsung zog daraufhin seine Kaufofferte zurück.

Der Konzern gründete 1910 das internationale Elektrokartell IEA, das in Pully bei Lausanne domiziliert ist. Die darin vertretenen großen Elektrokonzerne teilten sich die Welt in Einflußsphären, producing und non-producing countries, auf und sprachen die Preise ihrer Produkte untereinander ab – von der Glühbirne über bis zum AKW. Wegen ihres Kabelkartells verhängte ein deutsches Gericht unlängst die höchste Geldstrafe, die bisher für solch verbotenes Tun gezahlt werden mußte. Aber schon unter Pierer  war es langsam zu einer Änderung der Konzernpolitik gekommen: Statt ein Beamtenstaat im Staat zu sein, der seine ehemaligen Manager in allen Treuhandanstalten und Dienststellen sitzen hat, wie der Münchner Klärwerksskandal jüngst wieder zeigte, wird der schwerfällige Konzern zu einer Batterie von Profit-Centern umgebaut, der sich immer rücksichtsloser von seinen alten “Denkweisen” (Mitarbeitern) trennt zugunsten von jungen “Flexiblen”. Es gab Rückschläge – so in Hannover, wo Siemens die kurz zuvor entlassenen alten  Ingenieure wieder einstellen mußte, nachdem die jungen zu viel Mist gebaut hatten. Derzeit scheint der Konzern noch eine Doppelstrategie zu verfolgen: Einmal über Beratungs- und Informationsmakler weiter Schmiergelder an Staatsbeamte zu zahlen, die im Zuge der Globalisierung immer korrupter geworden sind, und zum anderen nach innen seine Mitarbeiter permanent auf  Trapp und ins Rotieren zu bringen, verbunden mit Lohnverzicht.

Nun steht ein neuer Korruptionsprozeß an – die ersten verhafteten Siemensmanager sollen bereits gestanden haben. Es geht um Schmiergelder für Großaufträge, die über ein “international weit verzweigtes Finanzsystem” (SZ) gezahlt wurden. Bei den “Projekten” handelt es sich um eins bei den Olympischen Sommerspielen in Athen 2004, sowie um Telekommunikationsvorhaben in Ägypten, Saudi-Arabien, Kuwait, Indonesien und in Vietnam. Dem Konzern scheint es jedoch bei seinem Vorgehen – mittels Scheinrechnungen (von angeblichen “Beratern”) und Briefkastenfirmen (in der Karibik, in Liechtenstein und in der Schweiz) – gelungen zu sein, dass bloß die beschuldigten Bereichs-Vorständler wegen “Veruntreuung von erheblichen Mitteln von Siemens” angeklagt werden – und nicht der Konzern selbst, der sich gegenüber den Ermittlungsbehörden laut Staatsanwaltschaft bisher “kooperativ verhalten” habe. Die SZ schreibt jedoch: “Bislang waren die meisten Vernehmungen offenbar wenig ergiebig. Nein, sagen die Beschäftigten, man habe nichts gewußt…Und das Geflecht zur Zahlung von Bestechungsgeldern sei von der Konzernspitze nicht gewollt gewesen” (es geht dabei um mindestens 20 Millionen Euro).

Bestritten wird nach wie vor auch, was ein EX-Manager der Siemenssparte Medizintechnik 2005 behauptete – in einer Art Selbstbeschuldigung: dass er regelmäßig für den Konzern Bargeld nach Moskau transportiert habe. Und ferner, was eine UN-Untersuchungskommission Siemens immer noch vorwirft: Dass der Konzern im Öl-für-Lebensmittel-Programm im Irak Bestechungsgelder gezahlt habe (s.o.). Hinzu kommt nun aber noch ein weiterer Siemens-Koruptionsverdacht – bei seiner Sparte “Power Generation”, wo es um Schmiergelder geht, die der Konzern zahlte, um an Großaufträge für Kraftwerke in Osteuropa sowie auch in Italien und Serbien  heranzukommen. Ein ehemaliger Mitarbeiter aus dieser Sparte meinte unterdes: “Ihm seien nur wenige Kraftwerksprojekte bekannt, die ohne Bestechung abgelaufen seien.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/11/19/korrumpieren-und-sich-korrumpieren-lassen/

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kommentare

  • 2. Nachtrag zum “Siemens-Skandal”:

    Dieser weitet sich nun erst mal aus – was zu erwarten war. Nun ist es die Siemens-Tochter SBS (Siemens Business Services). Sie hatte das norwegische Verteidigungsministerium jahrelang mit überhöhten Rechnungen um Millionenbeträge geprellt – und wurde nun auf die schwarze Liste gesetzt. Ein SBS-Controller war dahinter gekommen und hatte anonym die Siemens-Zentrale in München davon unterrichtet. Seine Unterlagen waren von Siemens jedoch bloß an seinen Vorgesetzten (zurück)geschickt worden,der den Controller daraufhin entließ – als “Maulwurf”. Um mit den überhöhten Rechnungen durch zu kommen, hatte Siemens mehrere Berater und Mitarbeiter im norwegischen Verteidigungsministerium bestochen – mit “Reisen und Geschenken”, so die Süddeutsche Zeitung. Der Controller ging vor Gericht, das ihm Schadensersatz zusprach, außerdem mußte Siemens “viele Millionen an das Verteidigungsministerium zurückzahlen”. Der Controller schreibt nun ein Buch über den Fall und will eine Stiftung gründen, die Korruptions-Tippgebern wie ihn künftig unterstützen will.

  • 1. Nachtrag zum “Siemens-Skandal”:

    Jetzt geht es schon um 200 Millionen Euro und vor allem um die Bestechung eines inzwischen verstorbenen nigerianischen Staatspräsidenten sowie um ein Siemens-Konto in Salzburg. Der eine oder andere Bereichs-Vorständler hat auch schon gestanden, in U-Haft befindet sich aber auch ein “kleiner Angestellter”, der Geldbotendienste übernehmen sollte/mußte.

    Die bürgerliche Presse von Süddeutsche bis BILD begnügt sich mit investigativem US-Jorunalismus – d.h. verbummfiedelt alles, um nicht das “Siemens-System” in Frage stellen zu müssen, sondern albern saubermännerisch eine Verfehlung von einigen wenigen Untergebenen geißelt, das höchste der Gefühle ist die Forderung von Aktionärsvereinigungen und -Lobbies, der ehemalige Siemenschef Pierer soll nun als Aufsichtsratsvorsitzender zurücktreten. Was für ein bürgerlich-demokratischer Quatsch. Außerdem profitieren die Aktionäre und ähnliches Gesindel doch von der Siemens-Korruption. Den jetzigen Siemenschef halten sie da raus – denn das sei nicht unter seiner Ägide geschehen. Alles verlogen.

    Dabei bleibt das Wichtigste unangetastet: das Elektrokartell IEA in Pully, die Mutter aller marktwirtschafts-verbrecherischen Kartelle. Als ich deswegen mal beim Gründer von Transparency International vorsprach, bei Peter Eigen, kannte der die IEA nicht einmal, ich mußte ihm erst Kopien eines Rowohlt-Buches über dieses von Siemens einst gegründete Weltkartell geben, aber auch dann äußerte er sich nie darüber. Die Kartellmanager selbst schrieben mir 1993: die IEA habe sich 1989 aufgelöst – quasi rechtzeitig vor dem Mauerfall, um ohne Gebietsabsprachen und sonstige selbstauferlegte Konkurrenz-Restriktionen gemeinsam, doch getrennt über den Ostblock herzufallen – bis nach Jakutien.Ihr Brief ist abgedruckt in dem Reader “Das Glühbirnenbuch” (edition selene 2001).

    Wenn man wirklich ernsthaft gegen die Siemens-Korruption vorgehen will, dann muß man sich um das IEA in Pully bei Lausanne kümmern – und dazu die Unterlagen von US-Antikartell-Untersuchungen studieren. Alles andere ist dumme bürgerliche Augenwischerei und albern-feuilletonistische Faktenhuberei: Wer wann mit wieviel Geld über welchen Grenzübergang ging und was welcher Zollbeamte dazu nun gesagt hat oder auch nicht.Nicht einmal die BILD mutet das ihren subproletaroiden Kümmerexistenzen zum Lesen zu.

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