vonHelmut Höge 22.11.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Die Folgen der nachgeholten – bolschewistischen – Modernisierung bedrohen erneut die russische Intelligenzija: “Dead again!” wie sich die Moskauer Schriftstellerin Masha Gessen bereits im Titel ihres US-Buches über diese Spezies äußerte. Als soziale Gruppe entstand sie in Rußland erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts und fand dann ihren wichtigsten Bezugspunkt im Leben und Werk von Puschkin, den sie bis heute nicht verloren hat. Ihr hoher moralischer Anspruch war ebenso persönlich wie stets aufs Ganze gerichtet. 1863 veröffentlichte Nikolai Tschernyschewski die Erzählung “Was tun?”. Der Philosoph und Dichter schrieb sie in der Peter- und-Paul-Festung, er wurde dann 19 Jahre nach Sibirien verbannt. In “Was tun?” skizzierte er für die kommende Intelligenzija den “Neuen Menschen” – den Revolutionär als “Beweger”. “Wir lasen es mit gebeugten Knien”, erinnerte sich ein ebenfalls nach Sibirien Verbannter, der sich davon mit vielen anderen zusammen zum Terrorismus inspirieren ließ. Die zweite Beantwortung der russischen Frage “Was tun?” stammt aus dem Jahr 1902 von Lenin und befaßte sich mit dem bolschewistischen Parteiaufbau, der Avantgarde. Lenin entwickelte darin die Konzeption des Berufsrevolutionärs, den die objektiven Interessen der Arbeiterklasse bewegen. 1997 erschien auch noch ein drittes Werk mit dem Titel “Was tun?”: eine Beantwortung der “russischen Frage” auf einem Kolloquium der Deutschen Bank mit Siemens, Daimler-Benz und entsprechenden “Verantwortlichen” in Rußland. Der Titel ist Hilmar Koppers Referat entnommen, der darin ein Bewegungs-“Programm” entwirft, “das Macht, Geist und Geld zusammenführt”. Es ist die Fortsetzung dessen, was Gorbatschow “umzusetzen” versucht hatte, nämlich eines der Szenarien, die bereits unter seinem Vorgänger Andropow von verschiedenen ZK-“Braintrusts” ausgearbeitet worden waren, um den Machterhalt der Parteielite in einer vom “Neuen Denken” bestimmten sozialistischen “Transformationsperiode” zu gewährleisten: “durch Umwandlung des Kollektivbesitzes der Nomenklatura in Privatbesitz ihrer einzelnen Mitglieder” – so der ehemalige ZK-Mitarbeiter Jewgeni Nowikow 1994 in New York.

Danach wurde es erst einmal still in der Linken – auch im Westen. Aber nun stellt man sich doch wieder hier und da die Frage “Was tun?”

Die Zeitschrift “Aktion” des Nautilus-Verlags hat vor einiger Zeit bereits eine Serie aufgelegt, in der es um die “Guerilla”-Frage geht, die darin von allen möglichen Seiten und aus vielen Jahrzehnten beantwortet wird.

In einer Besprechung der Berliner  RAF-Ausstellung für die “konkret” kam Peter O. Chotjewitz zu dem Schluß: Keiner der Künstler habe sich die Mühe gemacht, “der RAF zuliebe seine eingefahrenen Gleise zu verlassen, trotzdem solle man sich das Event – “auf der Höhe der Medientheorie,” mit Peter Weibel zu reden – anschauen, meinte er. “Es hält das Thema bewaffneter Kampf in den Metropolen offen, was immer wichtig  ist”. Das dachte sich wohl auch die “militante gruppe” (mg), als sie im “interim”, dem vierzehntägigen Info der Berliner Autonomen, und im Anschluß an den Trierer Kongreß über “Stadtguerilla und bewaffneten Kampf in der BRD” anläßlich des 30. Todestages von Holger Meins eine zweiteilige Serie über “(Stadt-) Guerilla oder Miliz?” veröffentlichte. Bei den jüngeren “interim”-Lesern stieß dieses “Theoriepapier” auf großes Interesse, nicht zuletzt, weil die “Stadtguerilla”-Aktivitäten  – vor allem im Irak und in Lateinamerika – (wieder) stark zugenommen haben.

Die Kreuzberger “Kiezmiliz” zog 1991  aufs Land, die “mg” gibt es seit 2001. Aber noch immer sind “Defizite militanter Politik in der BRD” zu beklagen, schreiben die Autoren. Ihre Gruppe legt deswegen “großen Wert auf die inhaltliche Begründung von klandestiner Praxis”, und eine “plausible Alternative dazu” hat sie bisher noch nirgendwo vernommen. Auch warnt sie davor, dass man trotz oder gerade wegen ihrer “relativ hohen Aktionsfähigkeit” sagt: “Die Leute von der mg werden’s schon machen…” Und dann hat die “Militanzdebatte” seit Jahresbeginn auch “neuen Auftrieb bekommen”, wobei die mg vor allem “die Genossinnen der Autonomen Zelle in Gedenken an Ulrike Meinhof vor Augen hat” – nicht jedoch die RAF-Ausstellung, die von den Autoren als schnöde “Abrechnungsshow” begriffen wird, der “Roten Hilfe Berlin” aber immerhin Gelegenheit bot, an die noch immer – teilweise seit 23 Jahren – inhaftierten RAF-Mitglieder Brigitte Mohnhaupt, Eva Haule, Christian Klar und Birgit Hogefeld zu erinnern – bis die “Kunst-Werke”-Geschäftsführer ihnen Hausverbot erteilten.

Die 20seitige “mg”-Aufarbeitung der (Stadt-)Guerilla-Erfahrungen beginnt mit Mao Tse Tungs Partisanenkriegslehre, um dann die Guerillakonzeptionen von Che Guevara und Régis Debray zu rekapitulieren, wobei für diese militanten Theoretiker vor allem der “ländliche Raum” zur Entfaltung einer Widerstandsbewegung wichtig war, die mit “bewaffneter   Propaganda” ihren Anfang nahm. Das spätere Scheitern von Chés “Fokus-Theorie” in Bolivien sei natürlich kein “nachahmenswertes Beispiel”, aber “Kuba” habe nach wie vor “Modellcharakter”. Im Gegensatz zu Mao Tse Tung hielt Débray jedoch nichts von (befreiten) “Stützpunktgebieten”, weil die Guerilla dadurch ihre “territoriale Beweglichkeit” verliere, außerdem kritisierte er die Konzeption des “bewaffneten Arms” einer politischen Befreiungsfront: Militärische Pläne sollten nur von denen erstellt werden, “die sie auch auszuführen haben” – also erst militärische Foci bilden und nicht politische. Die “städtische Guerilla” lehnte Débray ab, da sie nur auf einem begrenzten Gebiet operieren kann und “in der Tat weder die Wahl des Zeitpunktes noch des Ortes hat”.

Die brasilianische MIR operierte dann aber sowohl auf dem Land als auch in den Städten, und die MLN-Tupamaros in Uruguay führten sogar fast ausschließlich einen “städtischen Kampf” – die ländlichen Regionen hatten “nur eine geringe Bedeutung” für sie. Die Dialektik zwischen Militärischem und Politischem wurden dabei von den MLN-Tupamaros fast poetisch dargestellt: “Jede Guerilla, die praktisch im Herzen der Bevölkerung kämpft, führt in direktem Kontakt mit den Massen einen politischen Krieg”.

Im Gegensatz dazu bestand die brasilianische ALN auf einer von der “politischen” nicht getrennten “militärischen Linie”, was für Carlos Marighelas Stadtguerilleros bedeutete, sich “ständig mit der Sache des Volkes (zu) identifizieren”, denn ihre “Einflusszone” reiche nur so weit “wie die Unterstützung des Volkes”.

Bei der Diskussion der “Miliz als bewaffnete Formation” holen die Autoren noch weiter aus – bis auf Marx, Engels, Rosa Luxemburg und die “bürgerliche Milizauffassung von Clausewitz”, wobei es “grundsätzlich” immer um “eine Form der ‘Volksbewaffnung’ geht, die der regulären Armee der herrschenden Klasse entgegen gestellt wird”. Von Marx und Engels werden dazu von der “mg” jene Passagen zitiert, in denen sie sich für eine eigenständige politische und militärische Organisation der Arbeiterklasse aussprechen, damit diese nicht “zum bloßen Anhängsel der offiziellen bürgerlichen Demokratie” werde. Aus dem amerikanischen Bürgerkrieg zogen Marx und Engels dann jedoch einen ähnlichen  Schluß wie später Lenin aus dem russischen Bürgerkrieg: Eine Freiwilligen-Armee kann eine reguläre Armee in keiner Weise ersetzen. In Deutschland wollte dagegen Rosa Luxemburg das stehende Herr durch eine Miliz ablösen, was sich dann in der Forderung des “Spartakusbundes” niederschlug, eine “proletarische Rote Garde” zu formieren – “zum Schutz der Revolution vor gegenrevolutionären Anschlägen”. Für Clausewitz hatte sich – über 100 Jahre zuvor – das Problem noch so dargestellt: “Die Landwehr vermehrt die Gefahr der Revolution; die Entwaffnung der Landwehr vermehrt die Gefahr einer Invasion”.

Nach dem Bürgerkrieg und der Reorganisierung der russischen Armee durch Trotzki bestand Frunse auf den Aufbau einer “Roten Arbeiter- und Bauern-Miliz”, die auch im Kampf der Werktätigen gegen den Imperialismus in anderen Ländern “eine schlagkräftige Waffe” sein sollte. Trotzki sah darin (mit Lenin) den verderblichen Versuch, den Guerillakampf zu einem “dauernden und universellen System” zu erheben, dennoch machte auch er sich für eine “Arbeitermiliz” stark, was dann später – in der DDR etwa – auf “Betriebskampfgruppen” hinauslief und  davor – in der Komintern – auf die internationale Organisierung z.B. von Seeleuten, damit diese dann u.a. Schiffe in die Luft sprengten, die im Auftrag der (faschistischen) Achsenmächte unterwegs waren.

Zurück zur Frage “(Stadt-)Guerilla oder Militanz?” Die Autoren nehmen es “gleich vorweg: eine Beantwortung ist an dieser Stelle nicht beabsichtigt”, aber als militante Gruppe sehen sie im bewaffneten Kampf eine “objektive Notwendigkeit” – und befinden sich damit “in keiner allzu schlechten Gesellschaft”. Die ländlichen Gebiete der BRD, genannt werden Uckermark, Emsland und Alpen, kämen dafür jedoch nicht mehr in Frage, ebensowenig ein temporäres Ausweichen etwa der Berliner Militanten in den Grunewald. Dennoch bestehen sie darauf, dass die Guerilla oder Miliz als “Keimzelle” einer “Volks- oder Roten Armee” gesehen werden muß: Und “daraus resultiert die strategische Relevanz einer Guerillapolitik”, wobei deren Differenz zur Miliz eher “semantisch als organisatorisch” sei: “Beide ‘Formate’ des bewaffneten (Abwehr-) Kampfes resultieren aus der eigenen militärischen Schwäche gegenüber stehenden Heeren”. Die “bewaffneten Arbeiterwehren” z.B. von Max Hoelz Anfang der Zwanzigerjahre bieten deswegen ebenso “(historische) Orientierungspunkte” wie das aus Lateinamerika auf die hiesigen Verhältnisse übertragene “Konzept Stadtguerilla” der RAF. Allerdings, so fügen die Autoren hinzu, hätten sich die Guerillas in Lateinamerika aus “einem Aufschwung der (revolutionären) Massen-Bewegung” entwickelt, während die deutsche RAF aus der “Konkursmasse des studentischen 68er-Aufbruchs” hervorgegangen sei. Und was die “mg” nun von der RAF unterscheidet, ist, dass sie nicht “die gesamte Struktur, die bisher eine militante Praxis verfolgte, in ein ‘bewaffnetes Format’ überführen” will: Dies “würde unseren Vorstellungen eines widerstandsebenenübergreifenden Netzwerks völlig zuwiderlaufen”. Stattdessen soll ihr Text dem gerecht werden, was die “mg” seit ihrem “Plattformpapier” 2002 als “komplexen revolutionären Aufbauprozeß” bezeichnet.

Wie kann aber eine Aufarbeitung der Ideen von zumeist Gescheiterten – Clausewitz, Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Frunse, Hoelz, Mao, Ché, Débray, die RAF, die weder die (unterschiedlichen) Gründe für ihr Scheitern benennt, noch daraus Schlüsse für eine militante Praxis hier und jetzt zieht, einem “komplexen revolutionären Aufbauprozeß” gerecht werden? Ihr Text über “Stadtguerilla oder Miliz?” verdankt sich dem vorübergehenden Rückzug einer kleinen  kommunistischen Gruppe, die sich dabei in die “Klassiker” (wozu Stalin nicht mehr gehört) eingelesen hat – und dabei so ins Schwärmen geriet, dass sie sich ungeachtet aller Alltagsprobleme an eine historische Aufarbeitung machte. Mit einem “Aufbauprozeß” hat das jedoch noch nichts zu tun, sonst gehörte auch die RAF-Ausstellung dazu. Die “mg” hat sich mit diesem Text eher einen revolutionären Abstammungsnachweis verschafft, der ihre punktuellen Aktionen in den historischen Kontext des bewaffneten Widerstands stellt, der einst mit der spanischen Guerilla gegen Napoleon und ihre Aufarbeitung durch die preußischen “Reformer” seinen Anfang nahm. Das ist ziemlich geschichtsbewußt, jedenfalls für westdeutsche Verhältnisse (in der DDR lernte jedes Kind diesen Kontext), aber es reicht nicht: Noch eine Anstrengung, Genossen! möchte man den Autoren zurufen. Sonst unterscheidet ihr euch in euren Analysen von dem eines deutschen Professors und Politikberaters, wie etwa Herfried Münkler, nur dadurch, dass ihr den “Gegenstand” nicht in denunziatorischer Absicht, sondern mit einigem genealogischen  Stolz behandelt – und das ist zu wenig! Insofern hat die Redaktion der “interim” (von Heft 608 und 609) recht gehabt, als die den “mg”-Text auf die Hälfte der Seitenzahl runterverkleinerte, um mehr Platz für Berichte – vom “antirassistischen Grenzcamp”, von Anti-Hartz-IV-Aktionen (“Agenturschluss”), vom Castor-Transport 2004, vom Borchardt-Go-In usw. – zu haben. Denn diese Aktivitäten sind es, die sich – bestenfalls – zu einem “komplexen revolutionären Aufbauprozess” entwickeln, wobei noch gut und gerne eine Reihe weiterer Widerstandsaktionen hinzukommt, die nicht ihren Niederschlag in der “interim” findet. Erwähnt seien die Obstbauern im Alten Land bei Hamburg, die eine Erweiterung der Start- und Landebahn des Airbuskonzerns verhindern wollen, die Proteste gegen die erneute Startbahnerweiterung des Frankfurter Flughafens, der letzte Widerständler gegen den Bau des neuen Flughafens  Berlin-Schönefeld, ferner die Aktivisten gegen die Abbaggerung ihrer Dörfer durch Braunkohlekonzerne – in der Lausitz und in Nordrhein-Westfalen, die schleswig-holsteinischen Marschbauern, die sich gegen eine Zerstörung ihrer Existenz durch Ausweitung der Natur- und Naherholungsflächen wehren sowie all die Prostituiertenorganisationen, die gegen das rotgrüne Gesetz gegen Menschenhandel kämpfen, weil es der Willkür der Polizei gegenüber Illegalen Tür und Tor öffnet…Ich habe bestimmt noch einige hundert weitere ähnliche Initiativen vergessen zu erwähnen, aber deutlich wird dabei schon, dass es sich bei der “interim” und erst recht bei dem “mg”-Papier um eine Szene-Info handelt, ähnlich dem “telegraph”, dem “gegner”, der “myriapoda” u.a., die sich ebenfalls immer wieder gerne mit Aktionen und Geschichten wie den o.e. befassen.

Wie kann daraus ein (gemeinsamer) “Aufbauprozeß” werden? Und ist das überhaupt wunschenswert? Nehmen wir nur die auch in der “interim” oft thematisierte “Berliner Bankeninitiative”: Da gibt es die publizistischen Mudracker Mathew Rose und Michael Sontheimer, die ebenso betroffenen wie engagierten Sammelkläger um Jürgen Lindemann, den prominenten Widerstandsorganisierer Peter Grottian, die anonymen Luxusauto-Abfackler in Zehlendorf, die rumänische Villenknackerbande von Nikolai, die auf Banker spezialisierten Trickprostituierten Jana und Helena usw….Müssen oder sollen die sich alle praktisch und theoretisch vereinen – oder sich gar um ein “widerstandsebenenübergreifendes Netzwerk” bemühen? Nein, denn sie sind es in gewisser Weise bereits! Und ob sich dieses “Netzwerk”, auf das im übrigen auch die “indymedia”-Redakteurin schwört, ausweitet, stabilisiert, militarisiert usw., ist eine Frage der “Konjunktur”, die man jedoch weder herbeianalysieren noch sich wünschen sollte, denn dann haben zwar alle linken Gruppen regen Zulauf – und radikalisieren sich rapide, aber gleichzeitig wird man dadurch auch mit einem anschwellenden Haufen Gesindel konfrontiert: “Am Anfang waren wir im SDS zwölf Leute, und jetzt sind wir in etwa  wieder genau so viel,” so sagte es der Widerstandsforscher H.D. Heilmann, selber erstaunt über diese Tatsache.

Und dass diese zwölf einer ganzen Partei zur Regierungsmacht verholfen hat sowie etwa 8000 Linke zu einer Professorenstelle, davon haben weder die Protagonisten etwas gehabt, noch sind dadurch ihre  revolutionären Ideen der Verwirklichung näher gekommen. Im Gegenteil – die ganzen zeitweilig “Bewegten” setzten vielmehr alles daran, um ihre “Vergangenheit” als Jugendirrtum und sich als nunmehr geläutert darzustellen, wobei für sie jetzt Rechts gleich Links faschistisch ist und sie bestenfalls noch “Abrechnungsshows” zu inszenieren in der Lage sind. Also ein Klein-Werden Schaffen! Mit dieser  französischen Formel war einmal zweierlei gemeint: Zum einen sollten die Aktivistengruppen nicht ständig danach trachten, größer zu werden und zum anderen sich bemühen, ihre sozialen Zusammenhänge dergestalt zu erweitern, dass sie darin aufgehen, um tendenziell sogar zu “verschwinden”, d.h. ein “Klein-Werden Schaffen”.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/11/22/was-tun/

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kommentare

  • Über dieses “Verschwinden” gibt es ein ganzes Kapitel in den “Milles Plateaus” von Gilles Deleuze und Félix Guattari, wobei sie ausgehend von Kafkas “Tier-Werdungen” vom “Frau-Werden”, vom “Wolf-Werden” und schließlich vom “Unwahrnehmbar-Werden” sprechen. In einem späteren Kapitel wird dieser Begriff noch einmal aufgenommen – im Zusammenhang ihrer musiktheoretischen Überlegungen.

    Zuletzt fand ich diesen Gedanken in einer Aufsatzsammlung über den Maji-Maji-Aufstand” gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Ostafrika. Maji heißt Wasser. Gemeint ist damit ein Wunderwasser, das ein Heiler – ihm ist heute ein Denkmal in Tansania gewidmet – den Männern in einem Amulett gab. Es sollte sie – verbunden mit Keuschheit und Besitzlosigkeit – vor den Kugeln der deutschen Gewehre, vor allem ihrer Maschinengewehre, schützen, gewissermaßen unverwundbar machen. Als das Maji nicht half, konnten die Medizinmänner argumentieren: Ja,ihr wart aber auch nicht enthaltsam und geplündert habt ihr auch.

    Der Maji-Maji-Aufstand vereinigte erstmals zwanzig Stämme, die sich vorher teilweise bekriegt hatten. Einige schlossen sich dem Krieg gegen die Deutschen auch ohne das Maji an, sie meinten, ihre eigenen Heiler hätten ebenso brauchbare Mittel füe den Kampf – z.B. welche, die sie unsichtbar machen, indem sie sie in Termitenhügel und Wälder verwandeln würde.

    In Osteuropa sind die Partisanen stets in die Wälder gegangen bzw. haben von dort aus angegriffen, im Maji-Maji-Aufstand gingen die Partisanen noch einen wesentlich Schritt weiter: Sie verwandelten sich in Wälder. Das wäre ein typischer Fall für den lamarckistischen Mimikryforscher Peter Berz. Vielleicht kann er dieses ostafrikanische “Unwahrnehmbar-Werden” erklären.Den deleuzianischen Biologen Cord Riechelmann, der gerade über die osteuropäischen “Urwälder” und ihre Tierwelt (Wisente u.a.) schreibt,könnte man die Frage stellen: ob die Partisanen, die aus diesen Wäldern heraus und das immer wieder in der Geschichte operierten, schon ein Mittel besaßen, um darin Unwahrnehmbar zu werden. Von Wiktor Pelewin weiß man – aus seiner Erzählung “Werwölfe in der mittelrussischen Ebene”, die er jetzt zu einem ganzen Buch erweiterte, dass sich auf den weissrussischen Waldlichtungen nächtens kriminelle Banden in Wölfe verwandeln, wobei sie nach alter Partisanenart die Angewohnheit beibehalten, sich Kommandeure und Kommissare sowie deren Stellvertreter zu wählen.

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