vonHelmut Höge 01.12.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Es geht mir dabei nicht um ein Denken des Balkan, sondern um das dort aus der Zersplitterung und Vervielfältigung entstandene Herumphilosophieren, das hier immer wieder begeistert. Ich denke dabei nicht an die “Praxis-Philosophen”, sondern z.B. an Aleksandar Tisma, Boris Buden, Ivan Colovic, Slavoj Zizek, Zoran Solomun, Emir Kusturiza und Alenka Zupancic. Letztere hat jüngst  auf Deutsch “Das Reale einer Illusion” veröffentlicht, bei dessen Lektüre Slavoj Zizek sich fragte, “wie ein solch authentisches Denken heute überhaupt noch möglich ist”. Dabei gibt die Autorin doch gerade zu bedenken: “Es geht nicht etwa um einen Aufruf ‘nach unseren tiefsten Überzeugungen’ zu handeln, eine Haltung, der heute eine Ideologie entspricht, die uns ermahnt, unseren ‘authentischen Neigungen’ und unserem ‘wahren Selbst’ Gehör zu schenken.” Denn “das Kennzeichen einer freien Handlung liegt darin, dass sie den Neigungen des Subjekts ganz fremd ist”, wie Zupancic anhand ihres Traktats “über” Kant, das eine “Rückkehr zur Zukunft” ist, herausarbeitet.

Es geht darin   um Kants “Ethik”, die im Zuge der Umwandlung des Sozialstaats zu einem Sicherheitsstaat, der mit kostengünstigen Gesetzen nur so um sich wirft, immer mehr in deren Dienste genommen wird: Und das eben ist die Scheiße! Denn dadurch wird die Ethik etwas “im Kern Restriktives, eine Funktion”. Möglich wird dies laut  Zupancic dadurch, dass man “jeder Erfindung oder Schöpfung des Guten entsagt und ganz im Gegenteil als höchstes Gut ein bereits fest Etabliertes oder Gegebenes annimmt (das Leben etwa) und Ethik als Erhaltung dieses Gutes definiert.” Das Leben mag die Voraussetzung jeder Ausübung von Ethik sein, aber wenn man aus dieser Voraussetzung das letzte Ziel der Ethik macht, ist es Schluß mit der Ethik. Sie basiert nunmehr auf einer regelrechten Ideologie des Lebens. “Das Leben sagt man uns, ist zu kurz und zu ‘kostbar’, um sich in die Verfolgung dieser oder jener ‘illusorischen’ Projekte verstricken zu lassen”. Die Individuen müssen sich immer öfter Fragen lassen: Was hast du aus deinem Leben gemacht? Du hast zehn Jahre mit einer Sache verloren, die zu keinem greifbaren Ergebnis geführt hat? Du hast keine Nachkommen? Du bist nicht einmal berühmt? Wo sind denn die Ergebnisse deines Lebens? Bist du wenigstens glücklich? Nicht einmal das! Du rauchst?”

Zupancic fährt fort: Man wird nicht nur für sein Unglück verantwortlich gemacht, die Lage ist noch viel perverser: das Unglück wird zur Hauptquelle der Schuldigkeit, zum Zeichen dafür, dass wir nicht auf der Höhe dieses wunderbaren Lebens waren, das uns ‘geschenkt’ worden ist. Man ist nicht etwa elend, weil man sich schuldig fühlt, man ist schuldig, weil man sich elend fühlt. Das Unglück ist Folge eines moralischen Fehlers. Wenn du also moralisch sein willst, dann sei glücklich! Nach diesen uns allen nur allzu bekannten Schlußfolgerungen aus der scheußlichen Indienstnahme der Ethik durch das Gesetz, versteht man, warum Zizek auf Zupancic’ Traktak “neidisch” reagierte und sich im Vergleich zu ihr wie ein  philosophischer Schwätzer vorkam.

Der Autorin geht es mit Lacan darum, “dass der Kampf für ein Reales der Ethik zu wichtig ist,…um ihn den Moralisten zu überlassen.” Was heute um so dringlicher  erscheint, da die Ethik inzwischen zu einer der Ordnungsbegriffe der ‘neuen Weltordnung’ geworden ist. Die Slowenin Alenka Zupancic soll eine “Schülerin” des Psychoanalytikers Slavoj Zizek sein, ist also vielleicht zu jung, um neben dem Amerikanismus auch noch die sozialistische Ideologie dabei im Auge zu haben. Zuletzt, auf einer internationalen Konferenz über die “Kultur der Lüge” in Regensburg, geriet ihr Vortrag “Die Psychoanalyse und die Frage der Lüge”  zum wichtigsten Beitrag der ganzen Tagung, deren “Schlusspunkt” von der Sprecherin des “Lügen-Kollegs”, Andreja Zoric gesetzt wurde, die die neuen Nationalidentitäten  von Serben und Kroaten als “Kulturlügen” bezeichnete. In Berlin zieht man es deswegen vor, ganz pauschal, quasi neobanal von einer “balkan black box” zu sprechen: Real ist, was dabei herauskommt.

Daneben werden aber auch immer mehr Theoretiker aus dem Balkan eingeladen. Zuletzt hörte ich in den Räumen der österreichischen Botschaft Boris Buden, der dort sein erstes auf Deutsch geschriebenes Buch vorstellte:

“Der Schacht von Babel” heißt es – es erschien im Kadmos-Verlag. Der Philosoph Boris Buden bezeichnete sich als österreichisch-ungarisch-kommunistischer Kroate. Das habe zwar keinerlei Gebrauchswert, aber einen Marktwert – wenn mal wieder für irgendeine internationale Konferenz ein Osteuropäer, ein Postkommunist oder ein Kroate gebraucht werde.

Zu Hause ist der in Wien, Zagreb, Berlin und London lebende Buden “in keiner Sprache mehr”, er lebt “in der ständigen Übersetzung”. Zumal die jetzige (neue) kroatische Sprache seit dem Krieg gegen Serbien “von oben verordnet wird”. Dies geht auch polnischen, serbischen und russischen Exilanten so, wenn sie heute ihre alte Heimat besuchen: Die dort gesprochene Sprache hat sich in den letzten 14 Jahren von ihnen entfremdet. Das Herausarbeiten der Differenz (zwischen Serbisch und Kroatisch) bedarf laut Buden “einer sprachwissenschaftlichen Anstrengung, wenn nicht, kümmert sich der Staat darum”, Gleiches gilt für eine gemeinsame europäische Kultur. Die österreichisch-ungarische Herkunft des Kroatischen brachte ihn in diesem Zusammenhang dazu, sich von jeglicher Identität zu verabschieden.

Übersetzungsprobleme sind für ihn politische Probleme, wobei es ihm konkret um eine noch zu schaffende gemeinsame Kultur geht: “Darauf gibt es keine nichtradikale Antwort. Soll es eine Art Meganation werden oder eine neue Form von Föderation?” Den Begriff der Multikulturalität lehnt Buden dabei ab, weil er eine Art Patchwork von Identitäten bedeutet, die jede für sich auf ihre Reinheit pochen, wo es sich in Wahrheit längst um Hybriditäten handelt – in der zudem die Vergangenheit als fremde Kultur erinnert wird. In diesem Zusammenhang entstehen überall im Osten “Museen des Kommunismus”, in Kroatien spricht man vom “Serbokommunismus” oder in Tschechien von der “russischen Vergangenheit”.

Wie überhaupt rund um den Globus laut Buden spätestens seit 1989 und vor allem seit dem 9. 11. die politischen Probleme zunehmend nur noch als kulturelle wahrgenommen werden, “es gibt geradezu eine Hegemonie des Kulturbegriffs”. Man spricht von Körperkultur, Wohnkultur, politischer Kultur, Unternehmenskultur usw. “Diese Kultur läßt sich aber in nichts anderes mehr übersetzen.”

Der postfaschistische Geopolitiker Samuel Huntington ist für ihn ein Multikulturalist, weil er die unterschiedlichen Kulturen sauber auseinander halten möchte, während Buden demgegenüber davon ausgeht, dass durch die Anglifizierung, Französisierung und Russifizierung beispielsweise der deutschen Sprache diese reicher wird – und nicht ärmer. Obwohl er dabei immer irgendwelche Mächte, Staaten, nationalistische Interessen am Werk sieht, unterscheidet Buden jedoch nicht, ob diese Übersetzungstätigkeit von oben oder von unten geschieht. Kommt es demnach aufs selbe heraus, wenn das Englische wie zunächst ab den Sechzigerjahren aus der US-Studentenbewegung und der Rockmusik hier einfließt oder, wie nun, fast ausschließlich über die wissenschaftliche, wirtschaftliche und militärische Dominanz der USA?

Für Buden hat das Konzept der permanenten Übersetzung selbst einen universellen Anspruch, wobei er ein ganz anderes oben und unten am Werk sieht: Einmal die alte Mehrsprachigkeit der polyglotten Gebildeten und zum anderen die mühsamen Verständigungsversuche der arbeitsuchenden Migranten, die zusammen bereits ein Babylon geschaffen haben. Mit Walter Benjamin geht Buden davon aus, “die Übersetzung berührt das Original wie eine Tangente den Kreis – danach sucht sie sich eigene Ziele”. Wiewohl die erste Übersetzerschule Mitte des 13. Jahrhunderts im arabischen Toledo entstand, setzt Budens Untersuchung, die der sprachlichen Gemeinschaftsbildung misstraut, mit den ersten Übersetzungstheorien der Romantiker Wilhelm von Humboldt und Friedrich Schleiermacher an, denen es bei der Übertragung fremdsprachiger Texte um eine Verstärkung der “eigenen” – damals noch national verstandenen – Ausdrucksfähigkeit ging. Buden zielt demgegenüber auf eine “hybridisierende” Übersetzung zur Beförderung der gesellschaftlichen Emanzipation.

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