vonHelmut Höge 07.12.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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In Berlin-Adlershof wurden die nach dem Krieg zunächst in Amerika und in der Sowjetunion tätig gewordenen “Peenemünder” (Raketeningenieure) wiedervereinigt, d.h. “Wernher von Brauns Enkel”, wie die BZ präzisierte. Sie stammen aus dem DDR-Institut für Kosmosforschung und der Technischen Universität Westberlin. Ihre Adlershofer Reunion wurde sinnigerweise von Albert Speer Junior architektonisch mitgestaltet und geschieht im Rahmen eines EU-Aufschwungs ins All! Während in Bremen das erste “Space-Center” schon nach kurzer Zeit in Konkurs ging, das eigentlich gemäß eines Dasa-Konzepts auf Peenemünde passen sollte.

In Rußland wird nun bald das erste proletarische Kosmodrom (Baikonur) verschrottet, wo bis 1985 über 150.000 Arbeitsplätze entstanden waren. Eine geheime “Gartenstadt” der Zukunft und der Superlative – mit 52 Startrampen, 34 Forschungsstätten, 10 Fabriken, einem Kosmonautenausbildungszentrum, drei Kulturpalästen, einem Gymnasium, 15 Schulen, davon zwei Musikschulen, einer eigenen Landwirtschaft, einem exquisit ausgerüsteten Krankenhaus, drei Kinos, ein Stadion, ein luxuriöses Schwimmbad, und Badestränden an künstlichen Seen. Daneben gab es noch – bei Moskau – das “Sternenstädtchen”. Aber insgesamt war die Sowjetunion mit solchen Hightech-Großprojekten überfordert, wie der stellvertretende Leiter der sowjetischen Raketenbau-Programme Boris E. Tschertok in seinen vierbändigen Memoiren schreibt, die auf Deutsch im “Elbe-Dnjepr-Verlag” erschienen: “Das Land war einfach nicht in der Lage, allen drei auf diesen Gebieten arbeitenden Industrien – der Kern-, Raketen- und Funkortungsindustrie – solch komfortable Bedingungen zu schaffen”.

Die sowjetischen Spezialisten konnten davon jedoch profitierten: Sie wurden mit der Zeit wichtiger für die Macht, als die Beamten und sogar das Militär, wie ihr Biograph Daniil Granin meint. Vor einiger Zeit feierte man im Haus der russischen Kultur den 40. Jahrestag des ersten Weltraumsflugs von Juri Gagarin, dessen Biographie ebenfalls der “Elbe-Dnjepr-Verlag” wiederaufgelegt hat. Gleichzeitig trauerte man dort über das baldige Ende der sowjetischen Raumstation MIR. Sigmund Jähn meinte jedoch, dass die internationale Station ISS eine gute Nachfolgerin sei, weil solche “Objekte des Stolzes” den einzelnen Nationen zu teuer kämen.

Dennoch ist der (sowjetische) Kosmos damit wieder zu einem (amerikanischen) Weltraum geworden, was ein großer Unterschied ist, wie die Kulturwissenschaftlerin Swetlana Boym in dem nostalgischen Baikonur-Photoband “Kosmos” meint: Der amerikanische “outer space” unterscheidet sich vom sowjetischen “Kosmos” u.a. dadurch daß dieser mit der irdischen Lebenswelt “harmonisch” verbunden ist, während der US-“Outer Space” so etwas wie eine “New Frontier” darstellt.

Aber der alte “russische Schwung” ist hin – beklagten jüngst Natalja Handke in einem Vortrag im Zeiss-Planetarium und Tina Veihelmann im “Freitag”: Gagarin hätte noch, statt endlos über “Sicherheitsmängel” und “Pannen” zu lamentieren, bei seinem Start bloß “Auf gehts!” gerufen – und sein Lächeln nach der Rückkehr aus dem Kosmos sei unschlagbar gewesen. Auch der Philosoph des Judentums, Emmanuel Lévinas, war davon hingerissen: Mit Gagarin wurde endgültig das Privileg “der Verwurzelung und des Exils” beseitigt, meinte er. Man könnte auch sagen: Seit Gagarins Weltraumflug gilt die einstige jüdische “Juxtaposition” für jeden und niemanden mehr. Hinzu kam, dass in der Kosmonautik die sowjetische Psychoanalyse überlebte, d.h. jeder Kosmonaut hatte – wegen seiner irren Träume dort oben, über die auch Siegmund Jähn einmal berichtete – neben dem Ground-Control-Diensthabenden noch einen Psychoanalytiker am Boden.

Es waren aber nicht die Neurosen, sondern etwas ganz anderes, was die Männer und Frauen dort oben zermürbte, wie ein MIR-Kosmonaut 1996 berichtete: “Wir haben unser Hauptproblem dort oben nicht gelöst. Wir können seit Gagarin in den Weltraum fliegen, dort arbeiten und wieder zurückkehren, aber wir haben keine natürliche menschliche Betätigung im Weltraum – im Zustand der Schwerelosigkeit – gefunden. Bis jetzt haben wir keine produktive Tätigkeit dort oben entwickeln können. Ich empfinde das als persönliches Versagen.” Dazu kommt noch eine Mitschuld, dass es auch hier unten bald nicht mehr zu tun gibt.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/12/07/expandierender-weltraum-schrumpfender-kosmos/

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