vonHelmut Höge 09.12.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Die Versupermarktung hat jetzt auch das Hundefutter erfaßt. In diesen riesigen neuen Selbstbedienungsläden, die “Wuff” oder “Freßnapf” heißen, kann man jedoch nicht nur Futter für alle Haustiere finden, bis hin zu Fliegenlarven für Geckos und Grillen für Warane, sondern auch das absurdeste Spielzeug für sie. Und daneben auch noch lebende Zierfische, Schlangen und kleine Nagetiere. Die Zunahme an Haustieren –  zuletzt legten die japanischen Designerkarpfen zu  (es gibt heute 4,5 Mio Aquarien und 3 Mio Gartenteiche in der BRD) – deutet auf eine weitere Atomisierung der Gesellschaft hin. Zuerst zerfiel die Groß- und dann auch die Kleinfamilie: “Familie – das ist wie eine gute noch intakte Maschine, die von der Welt abgenutzt wird, schade sie aufzugeben, aber sinnlos sie neu aufzuziehen. Es gelingt nicht, Mann und Frau müssen jeden Tag das Defizit decken,” meinte Viktor Schklowski bereits 1925.

Seit der Auflösung der Sowjetunion blüht auch dort der Haustierhandel wie blöd. Der Psychiater Erich Wulff bemerkte 1966 in Vietnam: “Ein Gefühl wie Tierliebe war den meisten Vietnamesen fremd. In ihrem Seelenhaushalt gab es keinen offenen Posten dafür…Das Heer der Ammen, Boys und Boyessen okkupierte bei der mandarinalen Oberschicht die Haustierstelle.”

Anders in Russland: Scholochow z.B. berichtet in seinen Werken über den Bürgerkrieg und die Kollektivierung immer wieder, wie viele Sorgen und Gedanken sich die Kosaken um ihre Pferde machten. Und Sergej Tretjakow erwähnt in seinem 1968 veröffentlichten Roman “Das Ableben”, der die  Geschichte des Kirchdorfes Poshary von 1917 bis in die Chruschtschow-Zeit erzählt, ausführlich ein Erlebnis des an der Kollektivierung “gescheiterten Bauernführers” Iwan: Er will einem Kutscherjungen, der gerade mit Pferd und Wagen von der Molkerei gekommen ist, beim Abladen helfen. “Das Pferd war groß, schmutzig, unter dem enthaarten Fell stachen die Rippen hervor, traurig ließ es den Kopf hängen. Als Iwan hinzutrat hob es plötzlich den Kopf, sah ihn mit feuchtem Blick an und begann leise und wehmütig zu wiehern. Er hatte es nicht erkannt, aber das Pferd hatte ihn erkannt…Einer seiner beiden ‘grauen Schwäne’ – die Hufe beschädigt, die Fesseln geschwollen, der Bauch schmutzverkrustet, und der feuchte Blick, voller Wehmut und Trauer um das frühere Leben, um die warme Box und die liebevolle Hand des Herrn, die ihm Zuckerstückchen zwischen die samtigen Lippen gesteckt hatte.

Er hatte seine Pferde geliebt, war stolz auf sie gewesen…Nie warf er einen Blick in den Pferdestall der Kolchose; wenn er seine Grauen irgendwo unterwegs sah, wandte er sich ab, zu schmerzlich war ihm der Anblick. Und nun stand er einem seiner Pferde Auge in Auge gegenüber, und das Tier hatte ihn zuerst erkannt.” .

Tolstoi erklärte einmal in einer seiner Geschichten das ganze Elend des Privateigentums aus der Sicht eines Pferdes. Und Isaac Babel schreibt in der “Reiterarmee” erstaunt, dass und wie die Roten Kosaken Dreiviertel des Tages sich auf dem Polenfeldzug mit ihrem Gaul beschäftigten. Es ist ihnen das Wichtigste. Bis dahin mußten sie sich immer zusammen mit einem Pferd den Wehrdienst stellen – und es wurde ebenso wie sie gemustert. Über ihr  Pferd machten sie sich mehr Gedanken als über Menschen. Ähnliches läßt sich auch von den Mongolen und anderen nomadischen Völkern sagen, bei denen Pferd und Reiter eine Einheit bilden (eine “Kriegsmaschine”, wie Deleuze und Guattari sie nennen). Zwar ist das wohl auch heute noch so, aber im Gegensatz zu früher werden jetzt z.B. die mongolischen Pferde vielfach als Hundefutter in Dosen nach Japan verkauft.  Das ist ihr Absatzmarkt.

Die seßhaften Bauern bilden mit ihren Nutztieren ebenfalls eine “Einheit”, die bei ihrer Kollektivierung zu LPGen und ihrer Umwandlung zu Landarbeitern im Osten weitgehend zerstört wurde, aber mit der Rationalisierung und Industrialisierung verschwindet diese auch hier. In Österreich konnten die Knechte, Mägde und Dienstboten zu Lichtmess ihren Arbeitgeber wechseln, dazu sahen sie sich genau um: “Schau, wo Hund und Katze ihren Platz haben; geht es den Tieren gut, so wird es dem Gesinde auch nicht schlecht gehen,” hieß es.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/12/09/haustiere/

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kommentare

  • nunja. die grabenkämpfe zwischen wolkenträumern mit gefahrenherden unter ihren sohlen alswie leinenfreien haushaltern unter wild herumfliegenden gefahrenguttransporten grauen gefieders gehen ja in engmaschiger bewohnten gebieten alljährich gerne in die nächste runde.
    im sommer dieses jahres ging durch das radio die meldung, daß nun offiziell ein loch mit steinen auf der grünfläche, die der exmauerverlauf in zwei hälften schneidet, zum hundeswimmingpool ernannt worden.
    wir applaudieren.
    wolkenträumer aber halten gerne leinen, heißt es. haushalter von gefahrengütlern schmücken währenddes ihre fensterbretter mit nadeln: da werde einer mal schlau draus, und versuche, sich von vergleichen zu lösen. es dürfte unbeantwortbar bleiben, was besser sei, der hang zum lein oder der blick auf den gehweg.

    übrigens wurden fußballspielende tauben gesichtet. vor fast-food-ketten tummeln sie gerne und spielen sich salamischeiben zu, es gibt unleugbare fotos.
    tauben lassen das vegerianertum?
    waren tauben je vegetarier?

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