vonHelmut Höge 31.01.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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In den Siebzigerjahren prozessierte die Siemens AG gegen ein Buch über Siemens von F.C. Delius. Auf der heutigen Webpage des Dichters F.C. Delius heißt es – gleich vorneweg:

“Seit 1963 in Berlin, Studium an der Freien und Technischen Universität (Dr. phil. 1970). 1970 bis 1978 Lektor für Literatur in den Verlagen Klaus Wagenbach und Rotbuch. Prozesse, welche die Siemens AG (1972 – 76) und Helmut Horten (1979 – 82) gegen ihn führten, erfolgreich überstanden.”

Umgekehrt heißt es in einer Laudation auf F.C.Delius – von Irmela von der Lühe 2002:

“Insbesondere in den frühen Arbeiten zeigt er sich als scharfsichtiger und scharfsinniger Satiriker, ja als poetischer Rächer an einer selbstzufriedenen Wirtschaftswunderwelt, die mit dem Kanzler Ludwig Erhard nicht nur freimütig einbekannte “wir sind wieder wer”, sondern die überdies auch noch glaubte, sie dürfe alles. Solcher kapitalgestützten und phrasengesättigten Siegermentalität ist F. C. Delius früh ins Wort “gefallen”: mit der Dokumentarpolemik “Wir Unternehmer” (1966), mit der satirischen Festschrift “Unsere Siemens-Welt” (1972)…In der Maske des Festredners zum 125-jährigen Jubiläum des Hauses Siemens agierte Delius 1972 indes zu heftig; die imaginäre Festschrift “Unsere Siemens-Welt”, die den singulären Erfolg eines Wirtschaftsunternehmens über zwei Weltkriege hinweg und durch den Nationalsozialismus hindurch faktengestützt karikiert, ging dem Konzern dann doch zu weit. Ein dreijähriger Prozess war die Folge, der den Rotbuch-Verlag, dessen Lektor Delius seinerzeit war, in seiner ökonomischen Existenz bedrohte. Am Ende mussten neun Stellen des Buches eingeschwärzt werden und von höchstrichterlicher Seite wurde erklärt: “Satiren müssen richtig sein”. Wie wahr die Delius’schen sind, erweist nicht zuletzt diese blamable Plattitüde.”

(Am Rande sei bemerkt, dass ich als Autor ebenfalls einmal wegen einer Privatklage eines Siemens-Pressesprechers – ebenfalls in einem Rotbuch – einen Satz einschwärzen mußte – und das gleich in 800 Exemplaren, wobei mir jedoch die schnelle Vogelsbergerin Eva Machnitzke mit ihrem Edding half.)

Anläßlich der Vergabe der Grimme-Gastprofessur an F.C. Delius teilte die Uni Kassel mit: Der “Realismus” seiner Romane und Erzählungen “ist gleichzeitig oft von ausgesprochen satirisch entlarvendem Charakter (“Unsere Siemens-Welt”, 1972)”.

Auf der Literatur-Webpage “arslonga” ist über F.C.Delius vermerkt:

“Außerdem: 1976 ‘Punktsieg über die Siemens AG'”.

Die Germanisten Durzak/Steinecke schreiben in einer Studie über sein litarerisches Werk:

“Er hat die Form der Dokumentar-Satire vor allem in seiner Festschrift Unsere Siemens-Welt begründet und damit politisches Engagement aus dem Umfeld theoretischer Programmatik befreit und zum literarischen Analyse-Instrument gesellschaftlicher Mißstände werden lassen.”

HR-online bietet ein Hörbuch des Autors u.a. mit diesen Worten an:

Wen wundert’s da, dass Friedrich Christian Delius als Autor der 68er Generation, … Unbequeme Fragen an die Siemens-Spitze.”

Die Kulturwissenschaftlerin Mandy Fischer schrieb 2002 eine Hausarbeit über “Den Fall Siemens/Delius” unter der Fragestellung: “Was darf Satire?” (eine Frage, die sich gelegentlich auch bei der taz-wahrheits-redaktion juristisch stellt). Die Hausarbeit kann man sich für 8 Euro 99 (sic) runterladen, ihr Inhaltsverzeichnis sieht so aus:

“Einleitung 1 1. “Unsere Siemens Welt”: Erläuterungen zur Methode 2 2. Reaktionen auf “Unsere Siemens Welt” 3 2.1 Siemens geht vor Gericht 3 2.2 Die Verfasser wehren sich 5 3. Exkurs: Das Problem der Dokumentarsatire 6 4. Der Streit um die Kunst 9 4.1 Eine Dokumentation kann nicht Kunst sein 9 4.2 Die Entscheidung des Landgericht Stuttgart 10 5. Der Kunststreit: Die zweite Instanz 12 5.1 Die Kunstbestimmung des OLG Stuttgart 12 5.2 Das Urteil des OLG 5.2.1 Unterlassungen 14 5.2.2 Kreditschädigung und Schadenersatz 15 6. Zum Konflikt zwischen Satire und Justiz 18 6.1 Die Tendenz zur Konfliktlösung im Zivilrecht 18 6.2 Der Siemens Prozess- ein Liquidierungsverfahren gegen Kritiker? 19 Fazit 20 Literaturliste”

Auf der anderen Seite hatte zuvor der ehemalige Siemenschef und Aufsichtsratsvorsitzende Bernhard Plettner 1994 in seinem Buch “Abenteuer Elektrotechnik – Siemens und die Entiwcklung der Elektrotechnik seit 1945″ zu dem Fall Siemens/Delius Stellung genommen:

” Über die Geschichte des größten elektrotechnischen Unternehmens Deutschlands sind wir bis 1945 recht gut unterichtet. Hier ist vor allem die dreibändige “Geschichte des Hauses Siemens” zu nennen, die Georg Siemens – ein ehemaliger Mitarbeiter des Unternehmens und entfernter Verwandter der Gründerfamilie – kurz nach dem zweiten Weltkrieg veröffentlichte und die später unter dem Titel “Der Weg der Elektrotechnik” nochmals eine zweibändige, bebilderte Neuauflage erlebt hat. In der Öffentlichkeit die meiste Beachtung fand allerdings kein seriöses historisches Werk, sondern eine “Dokumentarsatire”, die 1972 der Schriftsteller F. C. Delius als unerbetenen Beitrag zum 125jährigen Firmenjubiläum vorlegte (“Unsere Siemenswelt – eine Festschrift”). Sie enthielt in literarischer Form allerlei Andeutungen über Vorgänge in der Zeit des Nationalsozialismus, die in firmenoffiziellen Darstellungen verschwiegen oder geschönt würden. Als Siemens vor Gericht zog, mußte Delius in etlichen Punkten zurückstecken. Dennoch wurde das Buch – dafür sorgte gerade die gerichtliche Auseinandersetzung – zu einem Verkaufserfolg.”

Auch unter den Literaturempfehlungen der “Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre über Siemens” blieb das Buch von Delius nicht unerwähnt. Ich erwähne ihre Liste hier, weil sie noch weitaus interessantere Siemens-Literatur enthält:

Conrad Schuhler (Hrsg.), IG Metall Bayern, isw: “Schöne Neue SiemensWelt”, München, 2003 , 60 Seiten DIN A4, Broschur, Euro 3,50, Bezug: isw, Johann-von-Werth-Str. 3, D-80639 München, Fax +49-89-1689415, isw_muenchen@t-online.de, www.isw-muenchen.de

isw — sozialökologische Wirtschaftsforschung München e.V.: “150 Jahre Geschäfte des Siemens-Konzerns”, isw Report Nr. 33, München, Oktober 1997, 44 Seiten, DIN A4, Broschur, DM 6,– zzgl. Versandkosten, Bezug: isw, Johann-von-Werth-Str. 3, D-80639 München, Fax +49-89-1689415

Koordinationskreis Siemens-Boykott: “Siemens Nuklear”, Hintergrundbroschüre zum Siemens-Boykott, Berlin 1997, 36 Seiten, DIN A4, DM 6,–, erhältlich bei der IPPNW Berlin

Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre (Hrsg.): “Atomschmiede Siemens — Hintergründe zum Siemens-Boykott”, Köln, Februar 1994, 36 Seiten DIN A4, Broschur, Euro 3,50, zu beziehen beim Dachverband (fast vergriffen)

Ferdl Achter u.a.: “Die Geschäfte des Siemens-Konzerns”, isw — sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München e.V. (Hrsg.), München, Mai 1992, 24 Seiten, DIN A4, Broschur, DM 5,– zzgl. Versandkosten, Bezug: isw, Johann-von-Werth-Str. 3, D-80639 München, Fax +49-89-1689415

Helthey/Kratz: “In bester Gesellschaft”, Göttingen, 1991 Entwicklungspolitische Korrespondenz (Hrsg.): “Siemens — Vom Dritten Reich zur Dritten Welt”, Hamburg, 1983, 120 Seiten DIN A5, Broschur, ISBN 3-923785-01-1, (vergriffen, Kopie auf Anfrage beim Dachverband erhältlich)

Wolfgang D. Müller: “Geschichte der Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland — Anfänge und Weichenstellungen”, Schäfer Verlag, Stuttgart, 1990, 743 Seiten, gebunden, ISBN 3-8202-0564-0

“Wer mit wem in Atomstaat und Großindustrie”, Verlag Zweitausendeins, Frankfurt am Main, 1987, 631 Seiten, gebunden, nicht im Buchhandel erhältlich

Benjamin B. Ferencz: “Lohn des Grauens”, New York / Frankfurt, 1981

Siemens AG (Hrsg.), Sigfrid von Weiher & Herbert Goetzeler: “Weg und Wirken der Siemens-Werke im Fortschritt der Elektrotechnik 1847 – 1980 — Ein Beitrag zur Geschichte der Elektroindustrie”, Siemens AG, Berlin/München, 1981, 197 Seiten, gebunden, ISBN 3-8009-1342-9,

Original-Copyright 1972: Tradition, Zeitschrift für Firmengeschichte und Unternehmensbiographie, Gesellschaft für Unternehmensgeschichte, Köln

Holger Strohm: “Friedlich in die Katastrophe — Eine Dokumentation über Atomkraftwerke”, Verlag Zweitausendeins, Frankfurt am Main, 1981, 1.292 Seiten, gebunden, nicht im Buchhandel erhältlich

F.C. Delius: “Unsere Siemens-Welt — Eine Festschrift zum 125jährigen Bestehen des Hauses S.”, Rotbuch Verlag, Berlin, 1972 (Originalausgabe) und 1976 (Erweiterte Neuausgabe mit einem Anhang über den Prozeß zur Erstausgabe), 160 Seiten, DM 12,–, ISBN 3-88022-002-6

Fred Schmid u.a.: “Die große Siemens-Familie — Report über 125 Jahre Ausbeutung”, herausgegeben anläßlich des 125. Firmenjubiläums am 01. Oktober 1972 von einer Arbeitsgruppe beim Bezirksvorstand der DKP Südbayern, München, 1972, 100 Seiten, DIN A5, Broschur, (vergriffen, Kopie auf Anfrage beim Dachverband erhältlich)

Rudolf Mirow: “Die Diktatur der Kartelle. Zum Beispiel Brasilien, Rowohlt 1978 (über ZVAB zu bestellen)

Der Rowohlt-Verlag interviewte den Autor F.C. Delius für seine webpage – unter der Überschrift “Paradoxien der Siemens-Welt“:

Bookmarks: In Ihren wilden Jahren, genauer gesagt nach Ihrer dokumentarischen Satire «Unsere Siemens-Welt» (1972), lagen Sie überkreuz mit dem mächtigen Konzern, der Sie mit einer Klage wegen übler Nachrede adelte. Haben Sie sich in Ihrem Haushalt seitdem standhaft allen Siemens-Produkten verweigert?

F. C. Delius: Mal ein Staubsauger, mal ein Föhn — es wäre lächerlich, daraus eine Frage von Standhaftigkeit zu machen. Zumal man sich den meisten Siemens-Produkten (Verkehrsampeln, Lokomotiven, Signal- technik, Gesundheitstechnik usw.) ohnehin nicht verweigern kann.

Bookmarks: Apropos Verweigerung: Jimi Hendrix, die Stones, Janis Joplin, Doors, Ton, Steine, Scherben: Hat Musik damals für Sie eine große Rolle gespielt?

Jüngst tauchte Delius’ Buch noch mal in einer Hausarbeit von Lise Remy an der Europa-Uni Viadrina auf:

Unternehmen als global players: Fallbeispiel Siemens

Die Gründung von Siemens und Halske

Die ,,Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske” wurde von Werner von Siemens und Johann Georg Halske in Berlin im Jahre 1847 gegründet. Zuvor ist Werner von Siemens fünfzehn Jahre lang beim preußischen Militär tätig gewesen. Seine Erfindung des Zeigertelegraphen gilt als das Ende seiner Tätigkeit bei der Armee und der Anfang seiner Unternehmenstätigkeit, zusammen mit dem Mechaniker Johann Georg Halske. Die Verlegung einer Telegraphielinie zwischen Frankfurt am Main und Berlin war der erste große Auftrag des neuen Unternehmens. 1851 kam die erste Krise, als der Leiter der Telegraphenkommission, Friedriech Wilhelm Nottebohn die Entscheidung traf, Siemens und Halske sämtliche Aufträge zu entziehen. Danach erhielt das Unternehmen zwar einen weiteren Auftrag für die Eisenbahn Berlin-Hamburg, aber der einzige Weg, das finanzielle Überleben zu sichern, war die Verstärkung der Auslandaktivität. Außerdem führten Unstimmigkeiten bezüglich der Strategie 1867 zum Ausscheiden Halskes aus dem Betrieb. Dann wurden Werners Brüder zu Teilhabern des Geschäfts: Wilhelm als Leiter des Londoner Hauses ,,Siemens Brothers” und Carl als Leiter in Russland.

Die internationale Orientierung des Unternehmens

Seit ihrer Gründung hatte die Firma eine auslandsorientierte Strategie. Werner von Siemens hatte im Ausland Patente verkauft und die Weltausstellung in London 1851 erlaubte dem Unternehmen, sich den ausländischen Märkten zu präsentieren. Bereits Ende der 1870er Jahre war eine Fertigung in Österreich errichtet und eigene Technische Büros im In- und Ausland aufgebaut worden. Werner von Siemens und seine Brüder haben sich bemüht, den Erfolg der Firma außerhalb Deutschlands abzusichern. Nach Gründung des Unternehmens in Berlin wurden Tochterunternehmen und eigene Produktionsstätten im Ausland errichtet.

Das Rußlandgeschäft

,,Siemens und Halske” erhielt 1851 den ersten Auftrag in Rußland über Zeigertelegraphen für die Linie St. Petersburg-Moskau. 1852 gilt als das Jahr der Entwicklung in Rußland. Die Kontakte Werner von Siemens zu den preußischen Behörden haben dem Unternehmen eine nahezu monopolartige Stellung gesichert. Rußland war Anfang der 1850er Jahre ein vielversprechender Markt für die Telegraphie: eine Verbesserung der Kommunikation war notwendig aus politisch-militärischen und wirtschaftlichen Gründen. Im Jahre 1853 hatte Werner von Siemens einen Vertrag über den Bau der Telegraphenlinie Petersburg- Oranienbaum-Kronstadt abgeschlossen. Danach schickte er seinen Bruder Carl nach St. Petersburg.

Dank dem Ausbruch des Krimkriegs zwischen Rußland und der Türkei im November 1853 entwickelte sich das Geschäft mit dem Erhalt eines Auftrags zur Errichtung einer Telegraphenlinie Moskau-Sewastopol über Kiev und Odessa weiter. Außerdem wurde Rußland in den 1880er Jahren schnell ein großer Markt für die Produkte der Beleuchtungstechnik.

Das Londoner Unternehmen

In England war die Lage grundsätzlich anders als in Rußland. England war um die Mitte des 19. Jahrhunderts das höchstindustrialisierte Land der Welt und verfügte über eine hochentwickelte eigene Telegraphentechnik. Außerdem war das Telegraphennetz in England privatwirtschaftlich organisiert. Die Zusammenarbeit zwischen Werner und Wilhelm war problematisch. Wilhelm interessierte sich für die Herstellung und Legung telegraphischer Seekabel, aber Brett – ein Konkurrent – war auf diesem Bereich Marktführer. Der Durchbruch auf dem englischen Markt fand durch die Kooperation mit Newall statt. 1858 wurde die Londoner Vertretung in ein selbstständiges Geschäft umgewandelt. 1960 endete die Partnerschaft zwischen Newell und Siemens und ohne deutschen (das englische Geschäft war zu dieser Zeit unabhängig von dem deutschen) und englischen Partner konnte sich das Unternehmen nicht mehr auf dem Markt halten. Die Beziehungen zwischen Berlin und London verschlechterten sich immer mehr und 1861 wurde ,,Siemens Brothers” in ein staatliches Unternehmen umgewandelt.

Die zweite Unternehmensgeneration Werner von Siemens schied im Jahre 1890 aus dem Unternehmen aus. Sein Konzern war damals in Deutschland, England, Rußland und Österreich tätig. In einem ersten Schritt wurde das Unternehmen 1890 in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt. Die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft fand 1896 statt und die ,,Siemens und Halske AG” war gegründet.

Literatur

Delius, F.C (1977): Unsere Siemens-Welt, Berlin, Rotbuch Verlag.

Feldenkirchen, Wilfried (1996): Werner Von Siemens, Erfinder und internationaler Unternehmer, München, Zürich, Piper Verlag.

Stadler, Christian (2004): Unternehmenskultur bei Royal Dutch-Shell, Siemens und DaimlerChrysler, Stuttgart, Steiner Verlag.

In einer Broschüre der Bonner Initiative Gemeinsam gegen Neofaschismus schrieb Peter Kratz 1989:

F.C. Delius schreibt in seinem bekannten, zensierten Buch “Unsere Siemens-Welt” (Berlin 1982; Erstauflage 1972): “Dem ‘Freundeskreis der NSDAP’ und späteren Keppler-Kreisgehörte der führende Siemens-Mann Rudolf Bingel an; außerdem der mit Carl F. (d.i. Carl Friedrich von Siemens, Namensgeber der von Mohler geleiteten Stiftung, P.K.) eng befreundete Albert Vögler. Erst im Oktober 1931 und weit weg von der deutschen Öffentlichkeit, in New York, vor amerikanischen Industriellen, gab Carl F. von Siemens seine Ansicht ‘vertraulich und rückhaltlos’ bekannt. Er sprach sich gegen den relativ gewerkschaftsfreundlichen Kurs Brünings aus, gegen Tarifrecht und Sozialpolitik. Er erkannte die Bekämpfung des Sozialismus als das Hauptziel der NSDAP und gab zu erkennen, was ihn, den liberalen Unternehmer, mit Hitler verband: ‘Hitler hat seine wirklichen Anhänger zu starker Disziplin erzogen, um revolutionäre Bewegungen des Kommunismus zu verhindern’.

Siemens lobte die NSDAP als ein ideelles Bollwerk gegen die materialistischen Bestrebungen und setzte Vertrauen in Hitlers Legalitätspolitik, der er die kommunistische Revolutionsdrohung entgegenstellte, obwohl er als Realpolitiker von der Zerstrittenheit der Arbeiterbewegung wußte…Nach dem Stimmenrückgang der NSDAP bei den Wahlen vom November 1932 schrieben die führenden Unternehmer einen Brief an den Reichspräsidenten Hindenburg. Sie begrüßten, ‘durchdrungen von heißer Liebe zum deutschen Volk und Vaterland’, die nationale Bewegung und empfahlen, das Parlament aufzulösen und die Leitung der Regierung ‘an den Führer der größten nationalen Gruppe’ zu übertragen. Zu den vorgesehenen Unterzeichnern gehörte, als einer der wenigen Vertreter der (damals noch, P.K.) liberalen Elektro- und Chemieindustrie, auch Siemens. Die Weichen für die Machtergreifung waren gestellt” (S. 24f).

Zur faschistischen Planwirtschaft, die die “Neue Rechte” in Schrenck-Notzings “Criticon” wieder vorschlug (vgl. 5.), gehört auch dies: “So berief Hitler 17 führende Industrie- und Parteivertreter in einen ‘Generalrat der deutschen Wirtschaft’, in dem neben Siemens auch Krupp, Thyssen, Vögler und Bosch saßen” (S. 25). “Zur direkten Unterstützung der Parteiaufgaben richtete man die ‘Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft’ ein, an die auch das Haus Siemens jährlich etliche Millionen abführte” (S. 26). Delius berichtet, daß mindestens neun Siemens-Vorstände den Titel eines “Wehrwirtschaftsführers” trugen. Weiter: “Wie andere große Konzerne hatte auch Siemens mehrere Firmen-Lager, die oft mit KZs verwechselt wurden. So beherbergte das Lager Berlin-Haselhorst etwa 2.500 Menschen, darunter Kinder von 10 bis 14 Jahren, meist Ausländer. Den Häftlingen ging es nicht wesentlich schlechter als bei andern Firmen, sie verrichteten schwerste Arbeiten und konnten oft nur mit verfaulten Nahrungsmitteln durchgebracht werden. Jeden Monat wurden die jeweils 100 Schwächsten zwecks anderweitiger Verwendung ins KZ Sachsenhausen überführt” (S. 29)…

Die gute Zusammenarbeit des Siemens-Konzerns mit aktuellen faschistischen Regimes wie Pinochets Chile, das Brasilien der Militärs (in Sachen Atom) oder Salazars und Caetanos Portugal (Cabora-Bassa-Staudamm-Kraftwerk in der damaligen Kolonie Mosambik) stehen nicht allein als Praxis neben der Theorie in der Siemens-Stiftung.

Die amerikanischen Sieger über den Faschismus schrieben in “OMGUS: Ermittlungen gegen die DEUTSCHE BANK” (Nördlingen 1985, S. 124): “Die Firma Siemens war (im Hitler-Deutschland, P.K.) nach den IG Farben und den Vereinigten Stahlwerken der drittgrößte Industriekonzern in Deutschland. Sie war das größte elektrotechnische Unternehmen Europas und das zweitgrößte auf der Welt” – zur Zeit der “Neuordnung Europas” durch die Faschisten. “1937 waren 85% der Produktionskapazität für die Herstellung von Erzeugnissen eingesetzt, die direkt oder indirekt mit der Wiederaufrüstung zusammenhingen, und während des Krieges ging ein noch größerer Teil der Produktion von Siemens in die Rüstung” (ebd.).

Georg Siemens, ein Neffe des Firmengründers Werner Siemens, beteiligte sich im Jahre 1870 an der Gründung der Deutschen Bank und wurde ihr oberster Leiter. Ab 1893 war die Deutsche Bank Hauptbank der Firma Siemens. Carl Friedrich von Siemens, Namensgeber der von Mohler geleiteten Stiftung, Konzernchef von 1919 bis 1941, war Anfang 1938 Mitglied im Aufsichtsrat und dem wichtigen “Arbeitsausschuß” der Deutschen Bank, sein Nachfolger Hermann von Siemens ebenfalls. Die damalige “Siemens-Studiengesellschaft für parapsychologische Wissenschaften e.V.” veranstaltete 1933 den “Siemens-Lehrgang suggestive Redekunst” (Bad Homburg 1933) – reich bebildert mit dem als Vorbild ausgegebenen italienischen Faschisten-Führer Mussolini: “Mussolini in einer großen Rede für den Weltfrieden”.

Peter Ferdinand Koch (1988) dokumentiert eine Rechnung der SS-eigenen “Deutschen Ausrüstungs-Werke”, Filiale Auschwitz, an die Siemens-Werke (S. 216). Er nennt unter den Industrieunternehmen, die KZ-Häftlingslöhne abzuführen hatten, auch Siemens (S. 88): “Das jeweilige KZ berechnete die Tagessätze der KZ-Arbeiter den jeweiligen Firmen, die direkt auf das Konto des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes bei der Reichsbank überwiesen” – Teil der faschistischen Planwirtschaft, “Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft”. Zum “Freundeskreis Reichführer SS” zählt Koch auch Siemens (S. 30): “Jährlich wurde ab 1936 eine Million Reichsmark als ‘Spende’ deklariert an Heinrich Himmler abgeführt”, neben Deutscher Bank oder Flick zahlte auch Siemens.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/01/31/der-siemens-prozess/

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kommentare

  • Die Siemenschefs Kleinfeld und Pierer wollen von den Schmiergeldzahlungen nichts gewußt haben. Nun belastet ein Zeuge sie – laut “Wall Street Journal”:

    Er sagte aus, die beiden Manager seien sehr wohl informiert gewesen – und hätten selbst einer Zahlung zugestimmt.

    Der unter Bestechungsverdacht stehende Ex-Siemens-Manager Michael Kutschenreuter soll Kleinfeld und Pierer zumindest in einem Fall über einen Bestechungsfall in Saudi-Arabien informiert haben, berichtet das “Wall Street Journal”. Die Zeitung beruft sich auf Zeugenaussagen und andere juristische Unterlagen, in die sie Einsicht hatte.

    Dazu spiegel-online heute:

    In den Papieren wird der Münchener Dax-Konzern dem Bericht zufolge als Unternehmen dargestellt, in dem Bestechungen an der Tagesordnung und umfassend organisiert waren. Siemens-Managern werde ein hektisches Bemühen unterstellt, die Bestechungsversuche zu verschleiern, um einer Entdeckung durch die Justiz zu entgehen.

    Kutschenreuter führt dem Blatt zufolge in seiner Aussage aus, dass er Anfang 2004 einen Telefonanruf von einem Repräsentanten der saudischen Beratungsfirma Beit Al Etisallat erhielt. Dieser habe 910 Millionen US-Dollar (damals rund 737 Millionen Euro) an Schweigegeld gefordert, ansonsten würde die US-Börsenaufsicht SEC Unterlagen erhalten, die Bestechungen für Telekommunikationsaufträge in Saudi-Arabien belegten.

    Daraufhin habe Kutschenreuter seine Vorgesetzten, darunter Kleinfeld und von Pierer, über den Vorgang informiert. Mit Einwilligung des Siemens-Managements sei dann im Januar 2005 eine Einigung mit Beit Al Etisallat erzielt worden. Das Beratungsunternehmen soll 17 Millionen Dollar an ausstehenden Zahlungen und 33 Millionen Dollar als Schweigegeld erhalten haben.

    Kleinfeld und Pierer versichten dem “Wall Street Journal” demgegenüber, es habe sich um Schadenersatzzahlungen gehandelt. Auch habe Kutschenreuter nie von Schweigegeld gesprochen.

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