vonHelmut Höge 25.02.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

Mehr über diesen Blog

“Die politische Ökonomie befaßt sich keineswegs mit der ‘Produktion’, sondern mit den gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen in der Produktion…” (Lenin)

Aus der “jetzt.de” der armen Süddeutschen Zeitung, die einmal Klartext schrieb – und gleich von Siemens eine reingewügt bekam in Form einer deftigen Unterlassungsklage:

Pilotversuch zur Einführung einer Grußordnung für die Mitarbeiter

In Ermangelung einheitlicher Regelungen und gesetzlicher Bestimmungen sind die innerbetrieblichen Grußgewohnheiten völlig dem Zufall überlassen. Dies führt zwangsläufig immer wieder zu – Missverständnissen – Untergrabung der Autorität – Spannung zwischen Gleichgestellten, zwischen Vorgesetzten und – Untergebenen, Jüngeren und Älteren wie männlichen und weiblichen Beschäftigten. Um diesen Missstand zu beseitigen, wurde vom arbeitspsychologischen und arbeitspädagogischen Arbeitskreis der Siemens AG München eine Grußordnung erarbeitet, die alle Fragen des Grüßens im Betrieb erschöpfend behandelt.

Richtlinien: Es ist zu unterscheiden zwischen Grußrecht und Grußpflicht. Grußrecht genießen grundsätzlich Vorgesetzte gegenüber Mitarbeitern. Bei betrieblich Gleichgestellten genießt die Dame Grußrecht vor dem Herrn, der (die) ältere Mitarbeiter (in) vor dem (der) Jüngeren. Dem Wortsinn entsprechend kann das Grußrecht ausgeübt werden, muss aber nicht.

Der Grußberechtigte grüßt anders als der Grußpflichtige, und zwar abgestuft je nach Stimmung durch: – Stummes Kopfnicken – Freundliches Kopfnicken – Lächelndes Kopfnicken – Folgende Grußformeln: “na” oder “na, wie geht’s” oder “das sind Sie ja wieder” oder “Ich habe Sie lange nicht gesehen”.

Der Grußpflichtige grüßt grundsätzlich, es sei denn, der Grußberechtigte gibt dem Grußpflichtigen zu verstehen, dass sich ein Gruß erübrigt (beispielsweise dann, wenn der Grußpflichtige dem Grußberechtigten zum dritten Mal am Tag begegnet ist). Der Grußpflichtige hat der Tageszeit entsprechend zu grüßen: – Bis 10 Uhr: Guten Morgen – 10 Uhr bis 11 Uhr: Guten Tag – 11 Uhr bis 14 Uhr: Mahlzeit (leichte Neigung des Oberkörpers) – 14 Uhr bis 16 Uhr: Guten Tag – 16 Uhr bis 18 Uhr: Auf Wiedersehen – In der Winterzeit nach 17 Uhr auch: Guten Abend – Ab 23 Uhr (nur für Schichtarbeiter): Gute Nacht Bei bestimmten Wetterlagen (z.B. Föhnwetter/strahlender Sonnenschein etc.) kann anstatt mit “Guten Morgen/Tag/Abend” auch mit “Wunderschönen guten Morgen/Tag/Abend” gegrüßt werden.

Begrüßt ein Grußberechtigter einen Grußpflichtigen mit “Wie geht es Ihnen?” oder gar mit “Kann ich etwas für Sie tun?”, so hat der Grußpflichtige nicht daraus abzuleiten, dass tatsächlich eine Frage an ihn gerichtet worden ist, die eine Antwort erheischt. Erwidert ein Grußberechtigter den Gruß eines Grußpflichtigen nicht, so entbindet dies den Grußpflichtigen nicht davon, bei abermaligem Begegnen, den Grußberechtigten erneut zu grüßen. Begegnet ein Grußpflichtiger einem Grußberechtigten, der sich in Begleitung eines Dritten befindet, gegenüber dem der Grußpflichtige grußberechtigt ist, so grüßt der Grußpflichtige den Grußberechtigten mit der Entbietung der Tageszeit und der Hinzufügung dessen Namen oder dessen Titels. Also etwa: “Guten Morgen, Herr Direktor” oder: Guten Morgen, Herr Müller” oder: Guten Morgen, Herr Direktor Müller” Dadurch wird vermieden, dass der Grußpflichtige einen Dritten zu grüßen gezwungen ist, der ihm gegenüber grußpflichtig ist.

Von 23. bis 25. Dezember dürfen Grußpflichtige auch mit “Frohe Weihnachten” oder “Frohes Fest” oder “Gesegnetes Weihnachtsfest” grüßen. Eine entsprechende Regelung gilt für Silvester/Neujahr vom 30.12. bis 2.1., wobei am 2.1. dem Neujahrswunsch ein “noch nachträglich” hinzuzufügen ist. Auch Ostern und Pfingsten (jeweils ab 48 Stunden vorher) darf mit “Frohe Ostern” bzw. “Frohe Pfingsten” gegrüßt werden. Begrüßungen wie “Servus”, “Tschüß” und dergleichen sind nur unter Grußgleichgestellten gestattet.

In Süddeutschland dürfen Grußpflichtige je nach betrieblichem oder lokalem Brauch statt mit Entbietung der Tageszeit auch mit “Grüß Gott” grüßen. Auf Toiletten gelten Grußrecht und Grußpflicht uneingeschränkt, jedoch grüßt der Grußpflichtige von 11 Uhr bis 14 Uhr nicht mit “Mahlzeit”, sondern mit der von 10 Uhr bis 11 Uhr gebräuchlichen Grußformel. Grußpflichtige können nur durch amtsärztliches Attest von der Grußpflicht entbundnen werden.

Verantwortlich: Arbeitspsychologischer und arbeitspädagogischer Arbeitskreis der Siemens AG München

Der offene Siemens-Bauchtest

Aus einer Internetforums-Diskussion: “Bei Siemens Anfangen oder nicht?

Ich habe vor kurzem einen Test bei Siemens gemacht (für Betriebswirt (BA), bei dem ich auf der Warteliste war. Ich wurde allerdings am nächsten Tag angerufen und sie haben mir eine Ausbildungsstelle als Bachelor of Business Administration (FH) angeboten, ganz nahe bei meinem Wohnort. Also alles super! Hab mich da jetzt schon mental drauf eingestellt weil Siemens ist ja schon ne klasse Firma und ich war froh, dass ich endlich mal eine Zusage bekomm. Allerdings habe ich heute noch einen Brief von Bosch bekommen für eine Ausbildung als Dipl. Betriebswirtin (BA) Industrie, auch nahe bei meinem Wohnort. Hab von beiden Ausbildungsgängen schon positive Sachen gehört, deshalb fällt mir die Entscheidung auch so schwer. Könnt ihr mir helfen (Erfahrungen, Entscheidungshilfen…)?

* Mir gehts genauso, hab zwei Zusagen und muss mich grad entscheiden. Versuchs mal mit den Kriterien: – Wohnortnähe – ob BA und Praxis an zwei verschiedenen Orten ist wegen Hin- und Herzieherei – Gehalt – Uebernahmechancen – welches Unternehmen dir beim Eignungstest besser gefallen hat – welche BA dir besser gefaellt – was dir dein Bauch sagt

* Frag Dich, welches Unternehmen dir beim Eignungstest besser gefallen hat. Siemens hat mir keinen Cent von der Anreise erstattet, aber von den leuten waren sie eigentlich überall gleich nett.

* Ich muss mich zwischen Alcatel in Stuttgart und Bosch-Siemens-Hausgeräte in München entscheiden. Bis zum 15.11. muss der Vertrag von Alcatel bei denen sein, also bis dahin muss ichs wissen.. Es ist halt voll schwierig, weil man vieles erst in der Ausbildung erfährt.. Wo wär bei dir Siemens/Bosch bzw. dein Wohnort? Dauert das Studium an der FH länger als BA?

* Um ehrlich zu sein wär mir nur eine Zusage fast lieber gewesen, weil man danach nicht sagen kann, das die Entscheidung falsch war wenn es nur eine Alternative gibt. Siemens (Power Generation) wär in Erlangen (Hauptsitz von PG) und Bosch wär in Bamberg. Ich wohn genau dazwischen. Von der Sicherheit her sind beide denk ich gleich, PG ist ne sichere Sparte und Bosch plant z.Zt. auch keinen Stellenabbau. Ich glaub FH dauert 3,5 Jahre.

* Man muss sich nur die Siemens Handysparte anschauen die jetzt an BENQ verkauft wurde.

* Alcatel macht Telekommunikationslösungen, neben der Handysparte also auch DSL und so Zeugs. Was ja eigentlich grad am Wachsen ist, aber eben wie dein Bsp mit Siemens zeigt, ist das auch nicht so sicher. Bei BSH haben sie im Mai ne Fabrik in Berlin zumachen wollen oder zugemacht (weiß ich nicht genau), auf jeden Fall haben die BSHler da demonstriert. Also so von der Zukunftssicherheit ist bei beidem die Antwort offen. Vorallem kann es dir bei (fast) JEDEM Unternehmen zur Zeit passieren, dass sie ihren Sitz ins Ausland verlagern oder insolvent gehn, außer vielleicht bei Porsche (weil die ja das made in germany haben wollen und sich ausdrücklich zu Deutschland bekennen).

* Dann müssen wir uns ja auch ungefähr zur gleichen Zeit entschieden haben, ich muss Bosch bis zum 13.11. eine verbindliche Zusage geben. Also ich glaub an deiner Stelle würde ich zu BSH gehen, ist mir irgendwie sympathischer. München ist auch eine voll schöne Stadt (meine Lieblingsstadt in D). Letztendlich musst es aber du wissen. Wo würdest du denn an meiner Stelle hingehen?

* Da es bei dir eigentlich auch von allem ganz egal ist, wo du hingehst (Wohnortnähe, umziehen usw) würd ich auf dein Bauchgefühl gehn. Bei Bosch war ich nie, aber bei Siemens in Stuttgart hats mir gut gefallen (bin aber nur auf der Warteliste), daher würd ich auf dein Bauchgefühl hören und zu Siemens gehn.

* Trotz deiner Überlegungen erstmal herzlichen Glückwunsch. Wirst bestimmt von vielen beneidet. Ich würde an deiner Stelle auf mein Bauchgefühl hören, habe bisher in meinem Leben sehr gute Erfahrungen damit gemacht.

* Ich hab leider keinen direkten Vergleich, aber die BSH bietet dir echt wahnsinnig viel und vor allem investieren sie gewaltig in ihren Nachwuchs. Das findest du nicht bei jeder Firma. Zudem ist allein schon die BSH-Zentrale der Wahnsinn, es wird also auch viel dafür getan, dass sich die Mitarbeiter in der Firma wohl fühlen. Aber dazu kommt, dass sowohl Bosch, als auch Siemens einfach eine Marke ist.

* Das Gebäude (hab zwar noch nicht soo viel davon gesehn) ist aber schon ein mordsDrum und dazu noch nach FengShui-Richtlinien… Very Happy

* Also ich habe mir hier zwar jetzt nicht alles durchgelesen, aber generell kann ich dir empfehlen NICHT bei Siemens anzufangen. Ich selber mache eine Ausbildung in dieser Firma und bin, wie viele hier, sehr unzufrieden damit. Was die Übernahme angeht, sieht es hier nämlich grottenschlecht aus. Und allgemein die Ausbildung ist zwar schulisch etc. in Ordnung aber das fachliche, was einem in dem Betrieb vermittelt werden soll, ist wirklich sehr zu bemängeln. Ich selbst bin fast fertig mit meiner Ausbildung und ich muss sagen, dass ich mich fühle, als wenn ich gerade im 1. Lehrjahr bin, was das fachliche wissen etc. angeht.

Siemens-Kultur-Forschung

Eine Studie über den Konflikt um die neue Unternehmenskultur bei Siemens:

SCHÖNE NEUE SIEMENSWELT

Die Studie, von IG Metall und ISW herausgegeben, untersucht den “Arbeitnehmeraufstand bei Siemens Hofmannstraße”. Anhand von Strategiepapieren und unternehmenspolitischen Entscheidungen des Siemens-Konzerns wird belegt, dass der Konzern seinen größten Software-Standort “abspecken” will bis auf eine kleine Kernbelegschaft, die um sich herum ein Netz von Auftragsfertigern und -entwicklern sowie befristet Beschäftigter spinnt, die nach Bedarf kurzfristig auf- und abgebaut werden können.

Dieser Wechsel der Unternehmenskultur geht auf zwei strukturelle Faktoren zurück: 1) die enorme Verkürzung der Geschäftszyklen, die Entkopplung von Innovations-, Produktions- und Marktzyklus, die auf die möglichst totale Flexibilisierung des Faktors Arbeit drängt; 2) den Sog der “Global Job Shift”, wonach immer mehr IT-Arbeitsplätze in die kostengünstigen “neuen” IT-Länder wie China und Indien verlagert werden. Um diesen Strukturwandel möglichst schnell im Unternehmen durchzusetzen, will Siemens die bestehenden Sozialstandards, vor allem die Schutzgesetze für Beschäftigung, so schnell wie möglich liquidieren.

Die Studie zeigt, dass Siemens hierbei eine Vorreiter-Rolle für die Gesamtgesellschaft zukommt, wo es ebenso um die Abschaffung von Kündigungsschutz und Sozialauswahl geht. Der Konflikt bei Siemens Mch H setzt Maßstäbe für den Verlauf des allgemeinen gesellschaftlichen Konflikts. Dies gilt vor allem auch für den Einsatz von Betriebsrat, Belegschaft und Gewerkschaft. Der Betriebsrat hat es zurückgewiesen, sich über Abfindungen und Sozialauswahl an den Massenentlassungen zu beteiligen. Stattdessen hat er das Ziel der Bewahrung möglichst vieler Arbeitsplätze und der Mobilisierung der Belegschaft gesetzt. Dies hat, bei tatkräftiger Hilfe der IG Metall, konkrete Erfolgen gezeitigt: mindestens 600 Arbeitsplätze wurden gerettet.

Vor allem hat es zu einem neuen Bewusstsein der Beschäftigten geführt, die, wie sie selbst formulieren, ihre Angst in Solidarität umsetzen konnten. Schlagender Beweis dieser neuen “Beschäftigtenkultur” ist das Mitarbeiternetz NCI, wo über 400 Siemens-Mitarbeiter/Innen sich selbst um ihre konkreten Probleme kümmern, aus der Atomisierung und Individualisierung heraus in eine neue Form der solidarischen Kooperation und Unterstützung finden. Vielleicht ist dies die wichtigste Lehre für Belegschaften in einer Zeit anhaltender Massenentlassungen.

Der Autor: Conrad Schuhler, Diplom-Volkswirt und Soziologe, Mitarbeiter des ISW – Instituts für sozialökologische Wirtschaftsforschung, München. Verfasser zahlreicher Arbeiten über Fragen des wirtschaftlichen Wachstums, der Globalisierung und der Wirtschaftskriminalität. Soziologische Untersuchungen u.a. über das Ministerium für Wirtschaftswachstum in Santiago de Chile, die soziale Lage der Schwarzen in den USA und entwicklungspolitische Projekte der UN. Ko-Autoren: Lothar Adler, stellvertretender Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Siemens AG Wigand Cramer, in den Verhandlungen um die Betriebsvereinbarungen Berater des Betriebsrates von ICN-München Hofmannstraße Heribert Fieber, Betriebsratsvorsitzender bei ICN Mch H Michael Leppek, betreut für die IG Metall die IT-Industrie im Großraum München Leo Mayer, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei ICN Mch H und Leiter des Vertrauensleutekörpers der IG Metall Die Studie ist im Betrieb Hofmannstrasse über die IG Metall Betriebsräte gegen eine Schutzgebühr zu erhalten. Weitere Informationen bei Michael Leppek unter 089 – 514 11 33. (ml)

Conrad Schuhler: Menschen im Zentrum (Eine Anspielung auf das Bonbmot des VW-Vorständlers Daniel Goeudevaert: “Im Mittelpunkt steht der Mensch, aber genau da steht er im Weg!”)

Gerade das Suchen nach besseren Unternehmensstrukturen und flexiblerer Prozeßführung verleitet dazu, nur noch die “Systeme” im Auge zu haben und die betroffenen Menschen dann lediglich wieder anzupassen. Die Organisation soll ja gerade deshalb verändert werden, weil die Menschen in der vorhandenen Struktur nicht genügend Leistung bringen können.

Die Anforderungen im Wettbewerb jedenfalls gestatten es nicht mehr, kontinuierlich und ein für allemal optimiert zu produzieren, sondern verlangen eine ständige Steigerung der Produktivität und ständig neue Produkt- und Prozeßinnovationen. Die Fabrik kommt nicht mehr “zur Ruhe”, sondern ist Objekt ständiger Anpassungen an veränderte Bedingungen (Warnecke, S. 25) und wird dadurch selbst wiederum Ursache der Turbulenz der von ihm beeinflußten Umwelt.

These: Die neuen Organisationsformen in der Wirtschaft dienen primär dazu, die Leistungsfähigkeit der arbeitenden Menschen weiter auszuschöpfen und zu entwickeln. Die traditionellen Quellen für Mehrwert werden mittlerweile von allen Unternehmen genutzt und ermöglichen keinen Wettbewerbsvorsprung mehr. Auch mit Fließbandarbeitern, die während der Arbeit den “Kopf ausschalten” konnten, ist heute kein Profit mehr zu machen…

Daraus ergibt sich eine “Humanorientierung” statt Technikorientierung mit dem Ziel, Mehrwert aus dem “ganzen Menschen” zu schöpfen, nicht nur der verdingten Arbeitskraft. “Das Problem ist das gedankenlose Anbinden des Arbeiters an die Maschine, da er bei der Arbeit sinnentleert zuschaut. In Japan ist das Ziel die Menschen auszulasten, nicht wie bei Ihnen die Maschinen.” (K.Sekine, Miterfinder des Toyota Produktion System, zit. in Pauli 1996, S. 4) “Die alte unmittelbare Befehlgewalt, die dem Kapitalisten qua Verfügung über die Produktionsmittel zukam, wird ersetzt durch den unmittelbaren Marktdruck, der direkt auf die Produktionsgruppen und Individuen weitergeleitet wird.” (Meretz)

“Der eigentliche Kern des Neuen ist darin zu sehen, daß ich als Beschäftigter nicht nur wie bisher für den Gebrauchswert-Aspekt, sondern auch für den Verwertungs-Aspekt meiner Arbeit zuständig bin” (Glißmann). Damit bekommt ein alter DDR-Spruch eine neue Aktualität: “Der Mensch steht im Mittelpunkt, damit man ihn von allen Seiten ausbeuten kann.” In dem Buch mit dem treffenden Namen “Microsklaven” wird geschildert: “Mit dem “Campus” á la Microsoft oder Apple erreichte die betriebliche Integration in den 80ern die nächste Stufe der Invasion des Alltags durch die Arbeitswelt… Schenke uns dein ganzes Lebens, sonst lassen wir dich nicht an coolen Projekten arbeiten. In den 90ern stellen die Firmen noch nicht einmal mehr Leute ein. Die Menschen werden zu ihren eigenen Firmen.” (S. 259) Ein Betroffener stellt fest: “In der modernen Wirtschaft geht es nicht um die Umverteilung von Besitz, sondern um die Umverteilung von Zeit.” (344).

These: Der Widerspruch zwischen Selbstentfaltungsbedürfnissen und dem Zwang zur Verwertung unter dem Diktat der Profiterwirtschaftung bleibt ungelöst. Auch das Produktivermachen der Menschen ist unter den gegebenen Bedingungen lediglich Mittel zum Zweck. “Die Bedingungen, daß ich mich selbst als Hauptproduktivkraft entfalte, sind besser geworden, gleichwohl geschieht dieses Mehr an Entfaltung unter entfremdeten Bedingungen. Die Entfaltung ist nur möglich, solange ihre Ergebnisse verwertbar sind, solange ich profitabel bin. In meiner Person spiegelt sich mithin der antagonistische Widerspruch von Verwertung und Selbstentfaltung, von entfremdeter Produktivkraftentwicklung und Entfaltung der Hauptproduktivkraft Mensch an-und-für-sich.” (Meretz)

Nach der Jahrtausendwende entlarvte sich die kapitalistische Absicht hinter den vernebelnden Worten von Selbstbestimmung beispielsweise bei Siemens durch eine offene Leitbildveränderung:

Mehr dazu siehe: Conrad Schuhler: Der Wandel der Unternehmenskultur durch Wissensproduktion und Globalisierung am Beispiel des Siemens-Konzenrs und seines IT-Standortes München Hofmannstraße. Zu Bestellen bei isw_muenchen@t-online.de.

Weitere Fälle aus dem Betriebs-Kulturkampf“:

“Todesserie erschüttert Renault” (NRZ)
3 Männer haben sich das Leben genommen, nun steht ihr Arbeitgeber am Pranger. Ausgerechnet beim einstigen Staatskonzern Renault, der in Frankreich lange als soziales Modell galt, scheint der Druck so groß zu sein, dass einige Beschäftigte ihn nicht mehr aushalten. Die Betroffenheit ist riesig, die Suche nach den Schuldigen heikel.

Der letzte Renault-Selbstmörder schilderte in einem Abschiedsbrief Probleme am Arbeitsplatz. Er wurde vergangene Woche in seiner Wohnung erhängt gefunden. Die Todesursache ist klar, die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen zu den Hintergründen auf. Sie untersucht die Arbeitsbedingungen im Renault-Entwicklungszentrum Guyancourt.

Der Autobauer will den 3. Selbstmord innerhalb von 4 Monaten im Herzstück seines Konzerns nicht auf die leichte Schulter nehmen. Das neuerliche Drama “stellt uns viele Fragen”, räumt die Firmenspitze ein. Jeder stehe nun vor “seinem Teil der Verantwortung”. Dabei seien die Arbeitsbedingungen im “Technocentre” bei Paris “nicht die schwierigsten”. In Guyancourt arbeiteten “leidenschaftliche Ingenieure, die Autos entwickeln”, so Renault. Es sei “sehr schwierig”, einen Zusammenhang zwischen den Selbstmorden und dem Entwicklungsplan “Renault Contrat 2009” herzustellen.

Die Gewerkschaften haben weniger Probleme, einen solchen Zusammenhang zu sehen. Der vor einem Jahr verkündete Plan von Konzernchef Carlos Ghosn soll ein Turbo sein, um Renault in den kommenden Jahren zum profitabelsten Autobauer Europas zu machen, immerhin ganz ohne Stellenabbau. Das bedeutet im Klartext: Ghosn setzt auf mehr Produktivität und auf eine Reihe neuer Wagen, welche die Kauflust der Autofahrer anregen sollen. 26 Modelle sollen bis 2009 kommen, 13 davon als völlige Neuentwicklungen.
Alle Autos werden im riesigen Zentralbau des “Technocentre” entworfen, der bei Beschäftigten “Bienenkorb” heißt und auf Außenstehende eher wie ein Ameisenhaufen wirkt.

Mobbing bei Volkswagen: Neues von Detlev Lengsfeld und Kurt Hetschko von Marcel Bartels

Der Beschwerde von Mobbing-Gegner Detlev Lengsfeld wegen der Einstellung seiner Strafanzeige gegen Autostadt-Manager Henning Lüdtke mit des Verdachts des Prozessbetruges wurde nicht statt gegeben. Für Detlev bedeutet das nun, die Sache abzuhaken, oder auf eigene Kosten weiter um sein Recht zu kämpfen.

Neues gibt es auch im Fall von Kurt Hetschko, der wegen Korruption oder, je nachdem wie man es sieht, unter dem Vorwand der Korruption, bei Volkswagen rausgeflogen ist und deswegen derzeit eine 4-jährige Haftstrafe absitzt. Wie Carsten Krebs auf Newclick.de, einem Informations-Dienst der Braunschweiger Zeitung, Salzgitter-Zeitung und Wolfsburger Nachrichten, berichtet, hat Kurt Hetschko Verantwortliche des VW-Konzerns in einem 31-seitigen Schreiben angezeigt.

Das VW-Sprecher Peter Schlelein dem Bericht zufolge unter Hinweis auf das laufende Verfahren keinen Kommentar zu der Strafanzeige abgeben wollte, ist jedenfalls nicht dazu geeignet, Überlegungen zu widerlegen, Preßwerksleiter Kurt Hetschko wäre in Wirklichkeit bei VW rausgeflogen, weil er dem VW-Management bei der Vergabe von Beschaffungsaufträgen an zu teure Lieferanten im Wege stand.

Neugierig bin ich nun, wie die Staatsanwaltschaft nun verhindern wird, dass etwas davon ans Licht kommt, wie das mit der Beschaffung einer Großraum-Sauger-Presse von Schuler gelaufen ist, die angeblich als Erfurt Presse 25 Mio DM billiger zu haben gewesen wäre.

Und dann könnte auch geklärt werden, was das mit dem angeblichen Wunsch des Managements auf sich hatte, Siemens als Generalunternehmer für die Motorenproduktion zu holen, obwohl Siemens lediglich Prototypen anzubieten hatte. Wenn da was dran ist, dass das damit irgendwas zu tun haben könnte, dann geht es jedenfalls um sehr viel Geld, als das, was Kurt Hetschko vorgeworfen worden ist und weswegen er in Haft sitzt. Irgendwie paßt das alles hervorragend in das Bild, dass Jürgen Roth im Buch Der Deutschland-Clan zeichnet.
Und bei DaimlerChrysler: Rainer sprach am 26. Januar 2007 um 17:36h ich werde übrigens gemobbt bei der DaimlerChrysler Bank! Der schöne äußere Schein ist eben nur ein Schein! Die Taktiken sind Einschüchterung und Schikanen!

Am Siemens-Rand: Der Westberliner Rotbuch-Verlag, einst als Rote Zelle im Wagenbach-Verlag entstanden, soll nun via Hamburger Rowohl-Verlag an den Ostberliner Eulenspiegel-Verlag verkauft werden. Mit Siemens hat das erst einmal noch nichts zu tun. Aber – wie spiegel-online meldet:

“Von dem Verkauf überrascht wurde der Rotbuch-Mitbegründer F. C. Delius: “Ich finde es skandalös”, kommentiert der literarische Aufklärer (“Unsere Siemens-Welt“) den Vorgang, “dass ausgerechnet das Erbe des einzigen westdeutschen Verlages, der sich konsequent kritisch gegenüber der DDR-Kulturpolitik erhalten hat, nun in solche Hände kommt.” Juristisch ist für die Autoren, ei denen es um Rechte an ursprünglichen Rotbuch-Titeln geht, wohl nicht viel zu machen, aber sie erwägen nun andere Formen des Protests: Gelernt ist gelernt.”

Leistungsnachweise bei der Siemens-Gewerkschaft AUB. Dazu meldete sich das ehemalige Zentralorgan “Neues Deutschland” (endlich mal wieder) zu Wort:

Inhaltlich setzt die AUB auf »einvernehmliche« Lösungen mit der Unternehmerseite. Weniger harmoniebedürftig ist sie in der Auseinandersetzung mit anderen Gewerkschaften. Hierbei machte sie auch vor der persönlichen Diffamierung unliebsamer Betriebsräte nicht Halt. Während einer Auseinandersetzung am Münchner Standort Hofmannstraße hetzte die AUB 2003 mit großflächigen Plakaten gegen den Betriebsratsvorsitzenden Heribert Fieber und die IG Metall: »Fieber, Filz und Führungsschwäche: Das haut den stärksten Standort um.« Auf einem anderen Plakat wurde der IG Metall eine Allianz mit der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) unterstellt, was sich gegen den zweiten Betriebsratsvorsitzenden Leo Mayer richtete. Die Spitze verfehlte allerdings ihre Wirkung, weil Mayer in Gewerkschaftskreisen nie geleugnet hatte, DKP-Mitglied zu sein, aber auch keine Parteipolitik betrieben hatte.

Mehrere AUB-Mitglieder wechselten infolge dieser Kampagne zur IG Metall und bestätigten, dass die aggressive Diffamierungslinie »von oben« kam – aus der Hauptgeschäftsstelle in Nürnberg. Bei der darauf folgenden Betriebsratswahl in der Hofmannstraße verlor die AUB stolze 37 Prozent. (Claudia Wanderin aus München)

In ihrem Forum “Siemens Dialog” schreibt die am stärksten bei Siemens vertretene Gewerkschaft IG Metall:

Der Gesamtbetriebsrat der Siemens AG und die IG Metall haben am Dienstag mit einer gemeinsamen Presseerklärung ihre Position zur AUB im allgemeinen und den aktuellen Vorgängen um deren Bundesvorsitzenden im besonderen erläutert.

Der Siemens-Gesamtbetriebsrat und die IG Metall weisen darauf hin, dass sie angesichts der aktuellen Diskussion um die dubiosen Finanzquellen der AUB Wert auf einige Feststellungen legen. So sollte unter anderem die AUB nicht in einen Topf mit der Arbeitnehmervertretung bei Siemens geworfen werden, wo sie in den meisten Betriebsräten wie auch im Gesamtbetriebsrat eine unbedeutende Rolle spielt. Ein weiterer Punkt ist die klare Unterscheidung zwischen der Gewerkschaft IG Metall und der AUB, die formal nur ein Berufsverband ist und auch aus diesem Grund nie als Tarifpartei aufgetreten ist. Dass sie zudem entgegen eigener Darstellung weniger unabhängige als unternehmerfreundlich ist, ist in den entsprechenden Unternehmen seit langem ein offenes Geheimnis.

Als “nicht glaubhaft und ehrlich” bezeichnen der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Ralf Heckmann und der zweite IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber das, was die AUB nun eilig versucht: “die Verhaftung ihres Vorsitzenden und die juristische Untersuchung als dessen Privatsache anzusehen.” In der Tat hat die AUB stets ohne erkennbare Hemmungen sowohl die finanzielle Unterstützung, als auch die politischen Verbindungen ihres Vorsitzenden in Anspruch genommen – ganz zu schweigen von der häufigen Unterstützung durch Führungskräfte vor Ort.

Sofern die bislang an die Öffentlichkeit gelangten Vorwürfe gegenüber Schelsky zutreffen, verurteilen der Gesamtbetriebsrat und die IG Metall die entsprechenden Praktiken; außerdem fordern sie die AUB auf, “die Herkunft ihrer Finanzmittel gerade vor dem Hintergrund der laufenden Ermittlungen gegen ihren Vorsitzenden offen zu legen.”

Zu guter Letzt drücken beide ihre Überzeugung aus, dass die Beschäftigten bei Siemens und anderen Unternehmen selbst ihre Schlussfolgerungen zur angeblich unabhängigen AUB ziehen werden und fordern die ehrlich engagierten Betriebsräte der AUB auf, “zu überdenken, ob die AUB noch die geeignete Plattform ist.”

Übrigens: Die “Unabhängigen” versuchen unterdessen durch eine etwas aufgelöst wirkende Stellungnahme auf ihrer Homepage, den durch die Verhaftung der langjährigen Gallionsfigur Wilhelm Schelsky verursachten Image-GAU etwas abzufangen – wenngleich sie einräumen, “schlimme Zeiten” zu erleben.

Unter “Erfolg für Siemens” vermeldet der “MarkenBlog”:

Die Siemens AG hat vor dem Schiedsgericht der World Intellectual Property Organization WIPO die unter der spanischen Top Level Domain registrierten Domains www-siemens.es und wwwsiemens.es erstritten.

(Fall Nr.: DES2006-0031)
Siemens S.A. y Siemens AG v. Carlos M. Escudero

Die FAZ, die vom Bürgertum noch immer nicht so ernst wie das Handelsblatt genommen wird, höchstens als Zweitzeitung für die Frau – und von der bloß das Feuilleton sowie die Naturwissenschaftsseiten am Mittwoch (über die gerade ein Symposium stattfand), berichtet kurz und knapp: “Siemens Österreich baut um”

ela. WIEN, 23. Februar. Siemens Österreich will trotz Umbaus im Konzern die Personalstärke in der IT- und Software-Entwicklung halten. Nach der Gründung von zwei Zentren für Mauttechnik und Biometrie wird Siemens künftig von Wien aus auch die globale Software-Entwicklung für die Sparten Telekommunikation, Medien, Gesundheitswesen und Energieversorgung sowie das Gesamtgeschäft für Zentral- und Osteuropa steuern. Man werde deshalb die Software-Entwicklung in Österreich nicht groß ausbauen, aber der Erhalt der jetzigen Kompetenzen sollte damit gelingen, sagte die Generaldirektorin von Siemens-Österreich, Brigitte Ederer, am Freitag. Derzeit beschäftigt Siemens in Österreich im IT-Vertrieb und in der Software-Entwicklung etwas mehr als 4000 Mitarbeiter.

In der offline-taz stellte gestern Christina von Braun ihre Großmutterforschung vor. Diese – Hildegard Margis – ließ sich quasi von Siemens schmieren, was die Autorin, ihre Enkelin, die darüber u.a. im Siemens-Archiv forschte, am Schluß zu der Bemerkung veranlaßte: “Wie du mit der Elektroindustrie umgegangen bist, war nich(t ganz koscher”.

Im Einzelnen:

Bei Hildegard ging es von nun an ständig und rasant aufwärts. Die Aktivitäten im Bereich der Hausfrauen- und Verbraucherberatung waren so erfolgreich, dass sich große Firmen wie Siemens, AEG und die Gasindustrie für diese “Unternehmerin” zu interessieren begannen. Die Elektroindustrie bot ihr Geld, damit sie sich in ihren Hausfrauenblättern für die Elektrifizierung der Haushalte einsetzte. Das tat sie mit viel Geschick, wie ich nachlesen konnte, indem sie die Vorteile der neuesten Technik vorstellte. Im Siemens-Jahrbuch von 1929 wurde ein Artikel von Hildegard Margis aus früheren Jahren über die elektrische Brat- und Backröhre nachgedruckt: “Die Tatsache, dass beispielsweise in möblierten Wohnungen, in Zimmern zumal, die keine Gasleitung haben, eine vollkommene Speisenfolge hergestellt werden kann, mittels eines Gerätes, dessen Anschaffung dank seines vergleichsweise niedrig gehaltenen Preises auch für minderbemittelte Familien im Bereich der Möglichkeiten liegt, muss den Besitzeswert der Röhre wesentlich erhöhen.”

Gegen Ende der 1920er-Jahre, so sagte ihr Sohn Hans, war Hildegard eine der bestverdienenden Frauen Deutschlands. Die Familie bezog eine Wohnung mit acht Zimmern am Kaiserdamm Nr. 21. Der Haushalt beschäftigte eine Köchin, ein Dienstmädchen und zwei Sekretärinnen. Später kaufte sie ein ansehnliches Grundstück auf der Lyckallee in Charlottenburg, um dort ein Haus zu bauen. Es war eines der ersten vollelektrifizierten Häuser Deutschlands.

Die Elektroindustrie zeigte sich erkenntlich: Das Haus von Hildegard Margis wurde nicht nur mit einer elektrischen Küche ausgestattet, sondern auch mit automatischen Sicherungen (die damals neu waren). Alle Räume verfügten über ein Haustelefon. In mehreren Zimmern gab es Radiolautsprecher. Damals muss das Haus etwa so gewesen sein wie die Vorzeigehäuser der Telekom heute. Finanziert wurde es von Siemens. Die Firma verlangte dafür, dass gelegentlich Führungen durch die Villa stattfinden durften. In den 1950er-Jahren haben meine Eltern das von einer Bombe schwer beschädigte Haus und Grundstück verkauft.

Wenn sie zu Vorträgen in andere Städte fuhr, stellten ihr Siemens oder eine andere Firma einen Wagen zur Verfügung. Gelegentlich durften ihre Kinder sie begleiten. Sie kaufte sich ein Auto – selbstverständlich musste es ein Mercedes-Cabrio sein – und lernte Auto fahren. Weil sie aber, laut Hans, eine miserable Autofahrerin war, engagierte sie einen Chauffeur.

(…den Siemens ihr empfohlen hatte? Ja, es bleiben noch viele Fragen offen – bei der Siemens-Kultur-Forschung)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/02/25/der-siemens-gruss-ua/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Den inneren Schweinwolf rauslassen!

    Das “Mobbing”, auch so ein blöder verharmlosender Amerikanismus – früher sagte man “unsolidarisches Verhalten”/”Kameraden- oder Charakterschwein, ist generell im Schwange:

    “Das Klima wird rauher”, sagen die Soziometeorologen, es wird aber auch gemeiner – rassistischer. So wurde kürzlich eine tschechische Porzellanbemalerin nach 23 Dienstjahren in einer Berliner Geschirrfabrik Knall auf Fall entlassen – mit der Begründung: ihr fehle die nötige Qualifikation.

    Und in einem Ausbildungsinstitut entließ man eine tschechische Sekretärin, bloß weil dem neuen Vorstand ihr “Arbeitsstil” nicht gefiel, begründet wurde dies mit 10,5 Fehlstunden seit 2005. Die betroffene Sekretärin rechnete nach und kam auf 3,5. Es handelte sich dabei um zwei Tage, an denen sie Migräne hatte und früher nach Hause gegangen war – um sich krank schreiben zu lassen.

    In Wirklichkeit stand dahinter das Drängen einer deutschen Kollegin. Einer russischen Ingenieurin wurde so übel mitgespielt, dass sie nun nach 15 Jahren mit ihrem Sohn wieder zurück nach Moskau zieht. Vor allem ziehen jedoch die Russlanddeutschen hier die Arschkarte bei der Jobsuche.Weswegen ein großer Prpzentsatz von ihnen wieder nach Russland bzw. Kasachstan zurückkehrt.

    Kürzlich forderte sie deswegen bereits der Gouverneur des sibirischen Oblasts Swerdlowsk während seines Deutschlandbesuchs auf, zurück zu kommen – wenn sie es hier nicht mehr aushielten. Dort – in Jekaterinburg – seien sie jedenfalls hochwillkommen, es herrsche ein großer Kadermangel. 2007 will Putin sogar eine allrussische Rückhol-Initiative für alle im Ausland unglücklichen Sowjetbürger starten. Der Moskauer Ingenieurin hatte man zuletzt einen ABM-Job als Pressesprecherin eines Kulturprojekts in Mitte gegeben, die deutschen Kollegen dort setzten sie jedoch als Putz- und Klofrau ein, zudem schimpften sie auch noch jedesmal in ihrer Hörweite über die ganzen Ausländer, die den Leuten hier die Jobs wegnähmen.

    Vor einigen Monaten berichtete ich in der “berliner ökonomie”-kolumne der taz bereits über einen Stammtisch von vier Holländerinnen, die laufend Opfer dieser neuen deutschen Asozialität werden: Sie hatten einst in Amsterdam studiert, dann einen Deutschen geheiratet und waren nach Westberlin gezogen, wo sie Kinder bekamen und sie groß zogen. Drei hatten sich danach scheiden lassen, einer war der Mann gestorben. Nun arbeiteten alle vier als Sekretärinnen in Büros – von irgendwas mußte sie ja leben.

    Dies wurden ihnen jedoch von ihren deutschen Arbeitskolleginnen zunehmend vermiest. Bei der einen, die in einem Krankenhaus arbeitete, war es die Eifersucht ihrer Abteilungsleiterin, die ein Verhältnis mit dem Chef hatte. Sie tat alles, um die Holländerin wegzumobben, die deswegen schon eine Mobbing-Beratungsstelle aufgesucht hatte. Bei der anderen Holländerin war es ähnlich, wobei ihre deutsche Kollegin inzwischen schon regelrechte “Stasimethoden” anwandte, indem sie ihren Vorgesetzten z. B. laufend berichtete, was die Holländerin nun wieder falsch oder fehlerhaft gemacht hatte oder dass sie zu spät gekommen bzw. zu früh gegangen sei. Dabei war keine der anderen übergeordnet. Mittlerweile scheute die deutsche Kollegin nicht einmal mehr davor zurück, den Papierkorb der Holländerin nach belastendem Material zu durchsuchen und sich sogar in deren Computerprogramm einzuloggen. Wenn die Vorgesetzten mal wieder eine Schlichtungssitzung einberaumten und die deutsche Kollegin dort über ihre letzten Auseinandersetzungen mit der Holländerin berichtete, tat sie dies unverschämterweise in einem nachäffenden Akzent. Die dritte Holländerin arbeitete in einem Bezirksamt und hatte sich bereits zweimal in ein anderes Büro versetzen lassen, um ihren mobbenden deutschen Kolleginnen zu entkommen. Nun war sie aber schon wieder kurz davor, sich versetzen zu lassen. Die vierte Holländerin arbeitete seit zwei Jahren in einem großen Architekturbüro und litt darunter, dass ihre Kolleginnen, mit denen sie täglich zum Essen ging, nach Möglichkeit ohne sie am Tisch Platz nahmen und auch sonst alles taten, um die Holländerin nicht in ihre Gespräche mit einzubeziehen. Sie verhielten sich so dermaßen “korrekt” und blieben stets strikt “im Dienstlichen”, dass die Holländerin immer mal wieder auf die Toilette gehen musste, um sich auszuheulen. Manchmal kriegt sie schon eine Panikattacke, wenn sie abends nur an “ihr” Büro denkt.

    Ich diskutierte gestern im Advena mit Fatih darüber, der im Kotti-Quartiersbeirat mitarbeitet – und sich quasi laufend Gedanken über diesen neuen Hang zur Asozialität und Antisolidarität macht. Er ist selbst Opfer dieses Trends: seine Firma, der alte Leute pflegt, kündigte ihm nach einer Rehamaßnahme wegen eines Bandscheibenvorfalls. Zwar gewann er den Arbeitsgerichtsprozeß, aber arbeitslos ist er nach wie vor. Fatih erzählte, dass auch in Kaufhäusern sowie in Altersheimen und Krankenhäusern das Mobbing epidemisch geworden sei, in letzteren reagieren die Gemobbten sich an den Patienten ab. Er meinte, das alles sei Folge einer um sich greifenden “sozialen Verwahrlosung”.

    Es wird Zeit, dass wir dieser auf den Grund gehen, eine Ursache ist laut Fatih die Schwäche der Gewerkschaften. Ich nickte. Von einer alten IG-Metall-Sekretärin hatte ich zuvor erfahren, dass in den Gewerkschaften das “Klima” ebenfalls extrem mies geworden sei: Man duze sich nicht mehr und feiere auch nicht mehr zusammen, alle Kontakte würden sich formalisieren – und jeder sei vor mobbenden Kollegen auf der Hut. So etwas hätte es früher nicht gegeben – vor dem Fall der Berliner Mauer. Die anscheinend so etwas wie eine tragende Wand gewesen ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert