vonHelmut Höge 18.03.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Die Fahrstuhl-Hersteller haben gegenwärtig auch eine saftige Kartellamtsstrafe wegen Preisabsprachen zu erwarten. Darum geht es hier aber gar nicht. Der Fahrstuhl gehört zu den Grundwerkzeugen von Hausmeistern und Aushilfshausmeistern – neben Sackkarre, Hubwagen und Schlüsselbund. Neulich stand ich im taz-Fahrstuhl, um einen neuen Zettel mit Hausmeisterprosa anzubringen. Es ging darum, dass die nächtlichen Putzfrauen wiederholt mit der Schnur ihres Staubsaugers in die Lichtschranke gekommen waren, damit den Fahrstuhl zwischen den Etagen gestoppt hatten – und dann nicht weiter wußten. Sie brauchten bloß einen roten Kippschalter umzulegen, der den Speicher für den Etagenhalt löschte und ihn dann neu programmieren, dann setzte er sich wieder in Bewegung – das mußte man ihnen aber erst mal verklickern.

Als ich dazu einen Zettel im Fahrstuhl anbrachte, kam Norbert Blüm herein – er war bei der Chefredakteurin gewesen und wollte das Haus verlassen – zusammen mit einer jungen weiblichen Begleitperson. Zu mir meinte er aufgeräumt: “Arbeiten Sie nicht zu viel, das dankt Ihnen keiner!” Ich nickte höflich und dann fuhr er auch schon mit dem Fahrstuhl nach unten. Dabei stieg ein leichter Groll in mir hoch, weil ich mich an einen dämlichen Nachwende-Satz von ihm erinnerte: “Marx ist tot, aber Jesus lebt!”

1. Hat Jesus nie gelebt, 2. hat sich sogar die Bibel in einen Buchladen verwandelt und die Bibelexegese in Lesewut, 3. ist es völlig wurscht, ob Marx tot ist oder nicht, denn es geht um seine Warenanalyse, die täglich wahrer wird und 4. sind ja auch die alten griechischen Philosophien nicht “tot” – ganz im Gegenteil: Sie entstanden mit den ersten Geld-Ware-Geld-Beziehungen, sind sozusagen die Kehrseite der damaligen Münzen und solange solche im Umlauf sind, sind auch sie noch “gültig”, im übrigen hat auch der Sozialismus die Warenproduktion nicht abgeschafft. Norbert Blüms freudige Nachwende-Botschaft war also in jeder Hinsicht saublöd!

Während die Israelis nun – nicht minder flachgedacht – die Bibel als Katasterbuch lesen/dechiffrieren/umsetzen,  hat der Freiburger Freidenker Cam Carotta sich das Neue Testament – Jesu Heilungen – vorgenommen: auf eine ziemlich intelligente Weise. Herausgekommen ist dabei ein weiteres Buch: “War Jesus Caesar?”

Am Anfang stand ein Verdacht: Handelt es sich beim Christentum um einen umgemünzten Cäsarenkult? Ist das Evangelium Jesu nur eine neu verfasste Vita Cäsars – des einst als Gott verherrlichten Divus Julius?

Cam hat sich lange mit den lateinischen, griechischen und aramäischen Texten befasst und legt eine Fülle von Beweisen dafür vor, wie aus den cäsarischen “Siegesmeldungen” im römischen Bürgerkrieg die “guten Botschaften” Jesu wurden. Dieses hübsche Überraschungsei dreht die Christusforschung, die sich nur noch um Jesu-Realia bekümmert, wieder um: Hier geht es um Texte.

Bei der Diskussion des Buches – unter anderem über die Internetadresse www.carotta.de – halten sich denn auch die Theologen eher bedeckt.  Die Archäologin Erika Simon schreibt im Nachwort: “Die enge Verflechtung dieser Religion mit dem Römischen Weltreich wurde von Seiten der historischen Forschung schon immer unterstrichen. Das Buch knüpft an diese Tatsache an, geht aber weiter und deckt neue … Zusammenhänge auf… Im Gegensatz zu Jesus war Cäsar ein Heerführer, doch unter römischen Soldaten erfolgte … die frühe Verbreitung der christlichen Religion.”

Auch die heilige Geschichte Cäsars ist uns nur über die Werke späterer Autoren bekannt. Carotta liest die Texte als “Vitae Parallelae”, als parallele Lebensbeschreibungen also.

Während es bei Plutarch zum Beispiel heißt: “Pompeius war in Rom und rüstete auf. Währenddessen forderte Metellus Scorpio Caesar auf, seine Soldaten zu entlassen”, steht bei Markus (1,4): “Johannes der Täufer war in der Wüste und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden.” Carotta schreibt dazu: “Wir haben gesehen, dass die Taufe für lustratio steht bzw. für ein als dilutum missverstandenes dilectus, also für Rüstungen und Aushebungen, dass hinter ,predigte’, kéryssón, Caesar steckt, hinter der ,Buße’, metanoias, Metellus, hinter den ,Sünden’, (h)amartión, armorum, Waffen, Armee. Nach demselben Muster ist hier Rom zur Wüste geworden: Romae – erémó, ,in Rom’, ,in der Wüste’.”

Um gleich die Frage im Titel des Buches zu beantworten: War Jesus Cäsar? “Nein, Jesus war nicht Cäsar: Jesus ist Divus Iulius.” Im Übrigen ist das Oberhaupt der Römischen Kirche noch heute Pontifex maximus. Mit der feierlichen Beendigung der Bürgerkriege war bereits aus dem “imperium populi romani” das “imperium Divi Iulii” – das “Reich Gottes” – geworden. Mit einem Cäsarenkult, der bis Indien reichte, mit eigenen Priestern und Liturgien. Es war ein monotheistischer Gott, den Brutus da erstochen hatte. Und seine Umwandlung vollzog sich in einer Art Transkription.

Erwähnt sei dazu die Polemik um Catos Selbstmord – zwischen Cicero und Cäsar. Man kennt ihre Schriften nur aus der Sekundärliteratur. Cäsar warf danach Cato vor, “er habe seine schwangere Frau Marcia dem reichen und betagten Horrensius abgetreten, um sie bald danach als reiche Witwe wieder zu heiraten, dadurch aus schnöder Habgier die Ehe zu einem Geldgeschäft erniedrigt … Nur zur Tarnung habe er Trauerkleider getragen.”

Carotta schreibt: Tatsächlich war dann “die von der reichen Witwe angeschaffte Erbschaft zu Catos persönlicher Kriegskasse geworden. Der Evangelist Markus wird Cäsars Polemik gegen Cato im Anschluss an den Afrikafeldzug vorgefunden haben. Nicht zufällig finden wir den Kern jener berühmten Polemik, in typischer Abwandlung, nach den bösen Weingärtnern, i. e. nach der Meuterei der Veteranen, wieder”.

Dort (12,38-40) heißt es: “Und er lehrte sie und sprach zu ihnen: Seht euch vor vor den Schriftgelehrten, die gern in langen Gewändern gehen und lassen sich auf dem Markt grüßen und sitzen gern obenan in den Synagogen und am Tisch beim Mahl; sie fressen die Häuser der Witwen und verrichten zum Schein lange Gebete …”

Wieder und wieder wurde der Diskurs um das Mittelmeer getrieben, wenn man so sagen darf – auf Eseln. Mir hat an diesem Parforceritt am besten gefallen, wie dabei aus großen Bürgerkriegsepisoden kleine Heilungen wurden (er kam, sah und heilte) – und vice versa. Wobei dem ursprünglichen Text – der Wahrheit – nicht immer Gewalt angetan werden musste. So urteilte Markus über den Anteil der Gnade an der Heilung: “Wenn du kannst – alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.” Dies ist laut Carotta “eine gute markinische Übersetzung” des Angebots von Cäsar an Cato: “in fidem et potestatem se permittere”.

Des Euhemeros’ Gedanke – “Die Götter von heute sind die guten Herrscher von gestern” – hat sich damit nach Meinung des Autors am Beispiel von Cäsar und Jesus bestätigt. “Mit der Konsequenz: dass uns runde 100 Jahre abhanden gekommen sind. Seit der Geburt des tatsächlichen Jesus – vom leidigen Problem des Jahres 0 (null) abgesehen – sind wir im Jahr 2099.” Cam veröffentlichte sein Buch kurz vor dem Milleniumswechsel – es bestätigte so nebenbei noch einmal Jean Baudrillards Prophezeiuung von 1989: “Das Jahr 2000 findet nicht statt!”

Zurück zum  Paternoster bzw. Fahrstuhl – aus gegebenem Anlaß: Am 16.März  war der Tag des Fahrstuhlführers. Dazu veröffentlichte die taz-“Wahrheits”-Redaktion am Freitag ein Interview von Albert Hefele mit Reinhold Breitner:

Reinhold Breitner ist Fahrstuhlführer. Nicht irgendein Fahrstuhlführer. Reinhold Breitner ist für den Fahrstuhl eines sehr vornehmen Hotels zuständig: das Fünf-Sterne-Hotel “Yagi” in Düsseldorf. Es ist ein Fahrstuhl für die Prominenz aus aller Herren Länder. Deswegen kann diesen Fahrstuhl auch nicht jeder bedienen. Diesen Fahrstuhl kann nur ein Mann bedienen wie Reinhold Breitner. Der ist nicht umsonst gelernter Lokführer. Nichts, was mit Fahren und Führen zu tun hat, ist ihm fremd. Außerdem könnte er sich in sämtlichen deutschen Dialekten unterhalten. Wenn er wollte. Er will aber nicht. Schließlich ist er Fahrstuhlführer. König über ein zwar kleines, aber sehr exklusives Reich. Echte Teppiche, Etagenknöpfe aus handgeschnitztem Elfenbein. Aus den Lautsprechern dringt gedämpfte Tablamusik – live gespielt von blinden Indern. Alles vom Feinsten, denn in diesem Aufzug fährt Breitner die Prominenz. Alles was Rang und Namen hat, in Politik, Show und Sport. Breitner könnte stundenlang Geschichten erzählen über Prominente. Wenn er wollte. Meistens will er aber nicht. Für unseren Wahrheit-Autor Albert Hefele hat er anlässlich des Internationalen Tags des Fahrstuhlführers eine Ausnahme gemacht.

Albert Hefele (konzentriert): Sie können mit Fug und Recht behaupten, mit den Prominenten auf Tuchfühlung zu sein. Schulter an Schulter, Bein an Bein … Wie ist das? Wie sind die?

Reinhold Breitner (fachlich fundiert): Insgesamt kann man sagen: Der Prominente ist im Prinzip ein Mensch wie du und ich. Alles an seinem Platz …

Hefele (kritisch): Und doch ist der Promi ja vor allem eines: prominent.

Breitner (eifrig zustimmend): Das kann man sagen – und wie. Und einfach sind die nicht, kann ich Ihnen sagen. Wenn ich auspacken würde – aber hallo!

Hefele (schelmisch mit einem Schein winkend): Wir hätten nichts dagegen.

Breitner (sich routiniert den Schein schnappend): Na gut, dann will ich mal nicht so sein. Eigentlich hab ich ja Schweigepflicht, aber: bisschen was kann man ja rauslassen. Muss ja nicht päpstlicher als der Papst sein … apropos – zum Beispiel die Geschichte mit dem Papst …

Hefele (großäugig): Mit dem Papst, unserem Benedikt?

Breitner (schmunzelnd): Eben der, der Benedikt kommt in den Aufzug und hat doch tatsächlich eine Kasten Weihwasser dabei und … – nein, das kann ich nicht erzählen, das würde … (pruuust!) das gäbe einen Skandal, das kann ich den Gläubigen nicht antun.

Hefele (verführerisch mit einem Zwanziger wedelnd): Auch nicht mit Hilfe dieses Ablasszettelchens?

Breitner (sich hastig bekreuzigend): Nee, nee, das ist mir zu gefährlich. Jenseitsmäßig. Wissen Sie was? Ich erzähl Ihnen dafür das mit dem Hochspringer und Reich-Ranicki.

Hefele (dysphorisch): Ooch … Reich-Ranicki und ein Hochspringer.

Breitner (prustend): Wartens Sie’s nur ab – also, der passte kaum in die Kabine, der Hochspringer, hätte mit dem Knie den fünften Stock drücken können. So einer war das …

Hefele (matt): Toll, das hört sich ja toll an …

Breitner (wieder prustend): Reich-Ranicki nicht faul – Sie kennen ihn ja -, also der, nicht faul, zum Hochspringer: “Ssssiee wolän wohl hoch hinausz?”

Hefele (baff): Aha. Und?

Breitner (sich krümmend erläuternd): Na – hoch hinaus! Zum Hochspringer! Das ist doch … das kann nur der Reich-Ranicki.

Hefele (schlaff): Na ja. Wenn Sie meinen.

Breitner (wild): Und dann – psst aufgepasst! Die Geschichte, wie mich damals Elke Heidenreich angemacht hat …

Hefele (neu erwachend): Elke Heidenreich hat Sie angemacht? Wirklich?

Breitner (sonor): Na und ob. Also die Heidenreich kommt hier rein. Riesige Oberweite, kennt man ja, und alles hauteng …

Hefele (erstaunt): Die Heidenreich? Hauteng?

Breitner (kurz sinnend): Nee, nicht Heidenreich? Aber irgendwas mit Heidi …

Hefele (gähnend): Heidi? Doch nicht Heidi Klum?

Breitner (sicher): Nee, die war’s nicht. Eins von diesen Ludern jedenfalls. Also die kommt hier rein, volle Lotte, und zu mir: “Na Meister, die Uniform steht Ihnen aber gut. Dann drücken Se mich mal kräftig …”

Hefele (schon im Gehen): Ganz toll, sehr spannend. Wir müssen aber leider …

(langsam ausblenden)

Breitner (von weiter hinten): Also ich nicht faul: Wie meinen Sie denn das? Und dann sie …

In einem weiteren Fahrstuhl-Text fügte die “Wahrheits”-Redaktion aus eigener Erfahrung hinzu:

BERLIN taz Der taz-Fahrstuhl sei strenggenommen kein Fahrstuhl für eine Tageszeitung, lästern hämische Kollegen abfällig, er sei so langsam, dass er eigentlich nur für eine Wochenzeitung tauge. Doch wenn Fahrstuhlführer Helmut Höge, der sich seinen Arbeitsplatz mit Sessel, Zimmerpalme und Wasserpfeife in einer Ecke eben dieses Fahrstuhls eingerichtet hat, wenn Höge also auf der langen Reise in den vierten Stock ins Erzählen gerät über seinen “Scary Elevator”, wie er den Lift liebevoll bezeichnet, dann vergisst man schon mal die Zeit und wundert sich, dass man plötzlich im vierten Stock angekommen ist. Während wohlriechende Schwaden die Sinne vernebeln, lauscht man verzückt all den gruseligen Geschichten, die Höge schon im Fahrstuhl erlebt hat. Einmal floss plötzlich unvermittelt Blut von den Wänden; dann musste er erleben, wie sich eine ganze Klasse kreischender spanischer Grundschüler um ihn drängelte; einmal stand wie aus dem Nichts der Leibhaftige neben Höge und drohte ihm zähnefletschend mit dem Finger; dann fuhr sogar die gesamte Chefredaktion mit; und neulich wurde Höge im Fahrstuhl von einem wahnsinnigen Mörder mit einem Messer bedroht. Kürzlich aber geschah etwas so Schreckliches, dass Höge es nie mehr vergessen wird: Er blieb mit der Kollegin X. stecken und musste sich geschlagene eineinhalb Stunden von ihr vollquatschen lassen.

Der Witz an dieser launigen Glosse ist, dass alles stimmt, nur passierte es nicht im Fahrstuhl, sondern in der kleinen – ebenso lackgrauen und schon von daher leicht zu verwechselnden Raucherecke an der Nottreppe zwischen Wahrheits-Redaktion und Klo, wo inzwischen auch der letzte Etagenaschenbecher – riesig groß und alarmistisch-rot – steht, dessen Glutlöschsand jede Nacht von der outgesourcten Putzbrigade gewechselt wird. Die Schwaden – vom Vogelsberger Nebelgras – müssen den “Wahrheits”-Redakteur dort so bedudelt haben, dass er dachte, er führe nach oben, in Wahrheit hatte er sich jedoch keinen einzigen Zentimeter vom Boden gelöst.  Das kann ich notfalls bezeugen.

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