vonHelmut Höge 30.04.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Neulich fand im “Sol y Sombre” eine kleine Hausmeisterkonferenz statt, die sich vornehmlich mit der Privatisierung der Berliner Wohnhäuser befaßte. Ihre Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Wenn auf produktive Weise nichts mehr profitabilisiert werden kann – muß man neue Geschäftsfelder suchen: Luft, Liebe, Wärme, Wasser, Wohnraum…Kürzlich fand in Berlin die internationale Konferenz “Marxismus für das 21. Jahrhundert” statt; der schottische Wissenschaftler Paul Cockshott versuchte in diesem Zusammenhang, uns zuförderst die derzeitige Agonie des Realen und die Erosion des Sozialen zu erhellen. Er meinte, mit dem “Mißerfolg der Kulturrevolution in China begann der Triumph der Reaktion.” Als kurz nach Maos Tod 1977 Deng Xiaoping die Führung übernahm und die chinesische Wirtschaft für westliches Kapital öffnete, kippte das weltweite Gleichgewicht der Klassenkräfte: “Eine riesige Reservearmee von billigsten Arbeitskräften wurde in die Waagschale geworfen. Die Verhandlungsposition des weltweit agierenden Kapitals in der Auseinandersetzung mit seinen jeweiligen nationalen Arbeiterklassen wurde in einem Land nach dem anderen immens gestärkt.” Innerhalb des Kapitals kam es dabei gleichzeitig zu einer “Verschiebung des Machtgleichgewichts zwischen Industrie- und Finanzkapital”.

Um sich zu diversifizieren, wurde letzteres auch in Berlin (Ost wie West) aktiv – bei der Privatisierung von Infrastruktur-Einrichtungen und vor allem Sozialwohnungen. Während die Ost-PDS sich darüber spaltete (“Wohnen darf nicht Ware werden” versus “Wenn wir dem Verkauf nicht zustimmen, machen sie uns die Kitas dicht”) und die Westlinke für die Gründung von Betroffenengenossenschaften statt Ausverkauf an ausländisches Anlagekapital plädierte, begrüßte die SPD das “Engagement” der – meist angloamerikanischen – “Heuschrecken” – und sprach dabei verlogenerweise von “Public Private Partnership”. Der völlig heruntergekommene Rudolf Scharping gründete sogar eine Beratungsagentur – namens RSBK, um “kommunalen Entscheidern” die Vorzüge von Finanzinvestoren zu verdeutlichen, die “als Käufer kommunalen Eigentums in Frage kommen.” Laut Cockshott wurde Margret Thatchers Parole »TINA« (There Is No Alternative; es gibt keine Alternative zum Kapitalismus), allgemein akzeptiert. Die Herrschaft der Ideen der freien Marktwirtschaft war am Anfang des 21. Jahrhunderts so stark geworden, daß Sozialdemokraten und vorgebliche Kommunisten sie wie Thatcher gleichermaßen akzeptierten.”

Die in Berlin eingefallenen Finanzinvestoren – mit so martialischen Namen wie Fortress, Cerberus, Oaktree, Corpus und Apellas – rissen sich vor allem die großen Plattenbausiedlungen – mit bis jetzt insgesamt rund 200.000 Wohnungen – unter den Nagel. Der Senat, der sie zunächst zwei gaunerhaften CDUlern zuschanzen wollte und dabei gescheitert war, kam den Angloamerikanern dabei entgegen: 1. indem er den Wohnraum künstlich verknappte – durch massenhaften Abriß “überflüssiger Platten” mit Hilfe eines Sonderfinanzprogramms und 2. dadurch dass er die übrig gebliebenen Plattenbauten mit “massenhaften Zwangsumzügen infolge von Hartz IV” zu füllen versprach. Gegen den Widerstand von SPD-Finanzsenator Sarrazin wurden dann jedoch “relativ großzügige Ausnahmeregelungen beschlossen”, so dass bisher nur 410 Haushalte “ihre Koffer packen mussten” (laut MieterMagazin).

Um dennoch schnellen Profit zu erzielen, haben die Heuschrecken und ihre Justitiare nun zur Wucherei gegriffen: Sie setzten Mieterhöhungen bis zu 70% durch, was bereits den nächsten “Mietspiegel” im Juli verändern wird. Und fortan soll es alle drei Jahre weitere Mieterhöhungen um 20% geben. Die Investoren von Cerberus (früher GSW) begründeten dies quasi wissenschaftlich (marktwirtschaftlich) – mit einer “Wende am Markt: der Wohnraum wird knapper!” Wobei sie sich auf ihren hauseigenen “Experten” (Thomas Zinnöcker) berief. Die unabhängigen “Experten” (Stadtentwicklungsforscher) meinen demgegenüber jedoch: 1. stehen noch immer ca. 130.000 Wohnungen in Berlin leer und 2. hält die “shrinking-city”-Entwicklung an, d.h. es werden noch einmal 400.000 Menschen auf der Suche nach einem Arbeitsplatz in den nächsten Jahren die Stadt – mit derzeit rund 3,4 Mio Einwohnern – verlassen.

Der gerade geschluckte Scheringkonzern, die halbprivatisierte Telekom, die Bahn AG: all diese Firmen “rationalisieren” weiter – das heißt, sie entlassen weitere Mitarbeiter. “Es wird keine Planungssicherheit mehr geben, besonders für junge Leute,” meint der Schering-Betriebsratsvorsitzende. Nicht zuletzt aus diesem Grund gibt es eher mehr als weniger Abneigung gegen die Vergenossenschaftung des Wohnraums unter dem so genannten “Prekariat” – besonders in Ostberlin. Und erst recht kaum Interesse, die einmal gefundenen vier Wände – über Kredite – käuflich zu erwerben. Zur Arbeitsplatzunsicherheit kommt noch die allgemeine Verteuerung verbunden mit Lohnsenkungen: “Das Arbeitsleben wird zunehmend unfair. Wir haben alle große Probleme, mit diesen globalen Veränderungen fertig zu werden,” meint der IG-Metall-Bezirksleiter Detlef Wetzel, “und wir – die Gewerkschaften – haben es sogar strukturell schwerer als das Kapital.”

Aber es gibt Hoffnung!

Neulich bei einem Hammerweitwurf-Wettbewerb: Als erster nimmt der Amerikaner, 120 kg schwer und 1,95 m groß, den Hammer in die Hand, dreht sich ein paar Mal um seine Achse und wirft den Hammer 125 m weit hinaus – neuer Weltrekord!! Die Reporter stürzen sich auf den Amerikaner und fragen ihn: “You american, new worldrecord, how?” Der Amerikaner antwortet mit einem Lächeln: “My grandfather was an ironworker, my father was an ironworker, I`m an ironworker, we are all very strong!” Als nächstes ist der Russe, 125 kg und 2,05 m, an der Reihe. Er nimmt den Hammer in die Hand dreht sich und wirft den Hammer auf 132 m – wieder neuer Weltrekord!! Die Reporter eilen zu ihm und fragen: “Du Russki neuer Weldrekortski – wie??” Mit eiserner Miene antwortet der Russe: “Großvater Holzarbeiter, Vater Holzarbeiter, ich Holzarbeiter – haben alle viel Kraft!” Zum Schluß kommt ein Deutscher, 55 kg und 1,60 m, nimmt den Hammer, wirft ihn, ohne sich auch nur ein einziges Mal zu drehen, auf 151 m – der dritte Weltrekord an diesem Tag!! Die Reporter laufen zu ihm und fragen ihn: “Wenn man dich so anschaut, kann man sich nur fragen, wie hast du das bloß geschafft?” Der Deutsche antwortet: “Mein Großvater war Sozialhilfeempfänger, mein Vater war Sozialhilfeempfänger, ich bin Sozialhilfeempfänger und mein Vater hat mir immer gesagt: Junge, wenn dir irgendjemand einmal ein Werkzeug in die Hand drückt, dann wirf es weg – so weit wie es nur geht!”

Zu ganz anderen Ergebnissen als die Kreuzberger Hausmeisterkonferenz kommt die Kapitalzeitung FAZ – unter der Überschrift: “Wohnungsmarkt erwacht aus seinem Koma”

“BERLIN, 29. März. Ein Jahrzehnt lang hat der deutsche Wohnungsmarkt im Koma gelegen. Während in anderen Ländern die Preise und Mieten in die Höhe geschossen sind und auf den überhitzten Märkten schwere Rückschläge drohen, beginnt sich in Deutschland erst jetzt neues Leben zu regen. Das zeigt ein Blick auf einen der schwierigsten Wohnungsmärkte hierzulande, den von Berlin. Die Stadt hat mit annähernd 12 Prozent nicht nur eine der niedrigsten Eigentumsquoten in der westlichen Welt. Hohe Subventionen für den sozialen Wohnungsbau bis gegen Ende der neunziger Jahre haben den öffentlichen Haushalten von Berlin auch ein Desaster beschert.

Doch jetzt beginnt sich eine kleine, aber deutliche Tendenz zum Eigentum abzuzeichnen. Die Weichen dafür hat die Konjunkturerholung gesetzt: So ist das Geschäftsklima in Berlin auf einem Höchststand, die Arbeitslosenquote ist von 18 auf 16 Prozent gesunken, und die Eigentumsquote steigt zum ersten Mal seit Gedenken. Wer auf die Immobilienuhr von Jones Lang LaSalle (JLL) blickt, eines der international führenden Immobilienmakler- und Beratungsunternehmen, kann in einigen Stadtbezirken von Berlin eine klare Tendenz zu steigenden Kaufpreisen sehen. Auch bei den Wohnungsmieten regt sich wieder Leben.”

Steigende Mieten, steigende Kaufpreise = Leben!

Vielleicht wissen wir nach dem 1.Mai auch, was “die Strasse” dazu sagt. Auf alle Fälle sind die neuralgischen Orte in Kreuzberg, Friedrichshain und Prenzlauer Berg schon voller Polizisten in Kampfuniformen und Journalisten mit voller Ausrüstung – um alle diesbezüglichen Stimmen heute nacht und morgen ein- bzw. aufzufangen.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/04/30/hausmeister-konferenz/

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