vonHelmut Höge 18.06.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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“Die Wölfe sind unter uns!” so übersetzte meine türkischkundige Begleiterin einen Spruch auf dem Demo-Transparent der kurdischen Maoisten jetzt am 1.Mai in Kreuzberg. Meinten diese damit die global agierenden Neoliberalen und/oder die radikalen türkischen Islamisten? “Als Mörder gelten einige graue Wölfe aus der Provinz”, schrieb die Jungle World zuvor Ende Januar – und widmete diesem Thema ihren Titel: “Unter Wölfen” Die PKKnahen Maoisten spielten mit ihrem Spruch wahrscheinlich auf die türkische TV-Serie “Tal der Wölfe” an, in der der Serienheld mit Kontakten zur Unterwelt – rambomäßig und reihenweise kurdische Widerstandskämpfer der PKK erledigt. Daraus wurde dann ein Spielfilm – quasi als Fortsetzung im Kino. Und kürzlich hat man auch die TV-Serie fortgesetzt. Doch es gab tausende von Anrufer, die sich gegen diese rassistische und gewaltverherrlichende Serie wehrten, so dass sie schließlich abgesetzt werden mußte. Die FAZ schrieb: “Zudem setze die TV-Serie ins Bild, was für die Türken immer mehr zu einer schrecklichen Gewissheit geworden ist: dass es einen ‘tiefen Staat’ gibt, in dem Mitglieder des Staats und der Sicherheitsapparate jenseits des Gesetzes mit der organisierten Kriminalität zusammenarbeiten und sich dabei auf die Rettung der türkischen Nation und deren Staat berufen. Nicht wenige türkische Jugendliche hätten begonnen, sich wie der Hauptdarsteller zu kleiden und in ihrer Umgebung Angst zu verbreiten, beobachtet die regierungsnahe Zeitung ‘Zaman’. Für die Zunahme der Gewalt an den Schulen macht sie das ‘Tal der Wölfe’ mitverantwortlich. ‘Hürriyet’ zitiert Mitglieder der Medienaufsichtsbehörde, die fürchten, Vorbilder wie Alemdar könnten neue ‘Ogün Samasts’ hervorbringen. Der siebzehn Jahre alte Arbeitslose Samast hatte am 19. Januar Hrant Dink kaltblütig erschossen.” Ihn und seinesgleichen bezeichnet man seitdem als “Wolfskinder”.

Unter den desorientierten kleinen Leuten in der Provinz spielt auch der slowenische Roman “Wolfsnächte” von Vlado Zabot, den der Klagenfurter Verlag Drava veröffentlichte. Der Pfarrer eines Dorfes ist “unter mysteriösen Umständen” verschwunden, sein Organist und Mesner bemüht sich um einen Ersatz, aber bis der kommt, nähern sich die “Wolfsnächte: Dann sind sie in der Nähe. Dann sind sie hier. Auch in den Menschen…” Der Literaturkritiker Slavo Serc urteilt: Es ist zwar ein slowenisches Buch, aber “Thematik und Problematik der Wolfsnächte sind allgemein und universell.” Den ebenfalls global denkenden Führungskräften in der Wirtschaft war dann der “Lesetipp für Leitwölfe” in der Süddeutschen Zeitung gewidmet: Es geht dabei um das Buch “Alphatiere” von Kate Ludeman und Eddie Erlandson. Der Gründer von Roland Berger Strategy Consultants Prof.Dr. Roland Berger schreibt in einer Art Vorwort: “Macht ist immer nur geliehen – ob Alpha-Tiere sich tatsächlich als mutige Unternehmer und exzellente Manager bewähren, hängt letztendlich von ihren persönlichen Eigenschaften, Entwicklungsmustern und Kompetenzen ab. Die Autoren bringen diese Zusammenhänge unterhaltsam auf den Punkt und geben Tipps für den wirkungsvollen Umgang mit Alphatieren. Positiv und pragmatisch.” Kate Ludeman ist Gründerin und Vorsitzende der “Worth Ethic Corporation”, Eddie Erlandson ist Vizepräsident der “Worth Ethic Corporation”. Was für eine Firma wird da von den Münchner Alphamännchen gepusht? Es ist wie so viele dieser Amiinis eine Art Scientology-Spreadout – und annonciert sich wie folgt: “Executive Coaching, Leadership Assessment, Alpha Management Training – What makes you sure your organisation is providing effective leadership? How can you know?” Einer, der das “Alpha Management” nicht mehr nötig hat, ist Klaus Hommels, den die FAS am 27.Mai als den “Leitwolf der Internetinvestoren” bezeichnete.

Unser Bundesumweltminister stritt derweil nicht nur für diese und ähnliche “Alphatiere”, sondern gleich für alle in Deutschland lebenden Rudel – mit einer aufklärerischen “Wolfskonferenz” in Berlin. Seine Pressemitteilung dazu versprach: “Im Anschluss an die Tagung ‘Wer hat Angst vorm bösen Wolf’ (9.30 bis 18 Uhr) findet ein Abendempfang statt, in dessen Rahmen die Pianistin und Wolfschützerin Hélène Grimaud ein Gespräch mit Umweltminister Sigmar Gabriel führen wird.” In einem eigens dafür verteilten Minister-“Magazin” heißt es: “Wölfe – Zu Unrecht verteufelt und verfolgt/ Rotkäppchen ist an allem schuld/ Liebevolles Rudel”. Vordergründig war dieser ganze Aufwand gegen die Propaganda vom “bösen Wolf” gerichtet – meinte die Junge Welt in ihrem Konferenzbericht: “‘Im Gespräch mit der sächsischen Jägerschaft gibt es ein echtes Problem’, beklagte die Biologin Gesa Kluth auf der Tagung. Während die Rückkehr der Wölfe in der Bevölkerung mehrheitlich auf Zustimmung stoße, versuche ‘eine kleine Gruppe von Extremisten’, mit Falschinformationen Angst zu verbreiten, so die Mitarbeiterin des ‘Wildbiologischen Büros Lupus’ im sächsischen Spreewitz. Gemeint ist dabei vor allem der Verein ‘Sicherheit und Artenschutz’, der fleißig ‘am Mythos vom bösen Wolfe’ stricke. Zwei Wolfsrudel mit insgesamt etwa 30 Tieren leben derzeit in der Lausitz. ‘Von den Wölfen geht derzeit keine Bedrohung aus’, unterstrich Kluth. ‘Solange sich die Menschen richtig verhalten…’ Der Antiwolfsstimmung in Teilen der Jägerschaft liegen ‘rein wirtschaftliche Interessen’ zugrunde, ergänzte Elisabeth Emmert, selbst Jägerin und Bundesvorsitzende des ‘Ökologischen Jagdverbandes’ (ÖJV).” Und ein Professor Huber Job aus München meinte: Die Stimmungsmache in Sachsen sei lediglich “die Spitze des Eisberges”. Da horchte die Bild-Zeitung auf – und bohrte tiefer. Dann titelte sie: “Experten fordern – Schießt die deutschen Wölfe ab!” Dazu zitierte das Blatt den finnischen Wolfsexperten Nyholm: “30 Wölfe auf 600 Quadratkilometer. Das ist Wahnsinn.” Ferner seinen finnischen Kollegen Hagelstam: “Hier ist bereits Gefahrenstufe 5 von 7 erreicht. In Stadium 7 reißt der Wolf Menschen.” Sowie den Russen Danilov: “Die einzige Rettung ist der Abschuß”. Wenig später legte die Bild-Zeitung noch einen drauf – mit Photos: “Wölfe greifen Tierpflegerin im Gehege an – und verletzten sie schwer”.

Die FAZ titelte: “Der Kulturkampf um die erste Nachkriegspopulation des Raubtiers spitzt sich zu”. In “Bertold Brechts volkstümlicher Dialektik (‘Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf’) wurde Canis lupus noch eindeutig die in Fabeln und Märchen festgezurrte uralte Rolle des Bösen zugewiesen, jetzt aber, da die globalisierte Raubtiergesellschaft quasi als Krönung politischer Utopien gefeiert und gelebt wird, erfährt er eine bemerkenswerte Popularität.” Bis hin zum Bundesumweltminister, der “in der Rückkehr des verfemten Räubers eine ‘Herausforderung’, aber keine Gefahr sieht.” Nicht einmal in der Rückkehr der Bildzeitungs-Redaktion von Hamburg nach Berlin scheinen die davon Betroffenen eine Gefahr zu sehen: “Angst vorm bösen Wolf?” titelte der Tagesspiegel am 4.5. und befragte dazu ein Dutzend Politiker und Prominente, die dem Bild-Umzug jedoch allesamt nur Positives abgewinnen konnten.

Eher droht den auf Brachflächen wiederangesiedelten Lausitzer Wölfen selbst Gefahr. Nicht nur von extremistisch-terroristischen Jägern, sondern auch vom Autoverkehr. Einige Tage nach der Wolfs-Konferenz wurde dort wieder einmal ein Jungtier überfahren: “Die Henkersmahlzeit des Wolfs war ein Wildschwein,” wie eine Obduktion laut BZ ergab. Der Wolfsforscher Oliver Krone konnte jedoch die darob entsetzten Wolfsfans beruhigen: “Brandenburg ist eigentlich ein Paradies für Wölfe”. Zudem nahm dort wenig später auch noch ein zusätzlicher “Wolfsmanager” – André Klingenberger – seine Arbeit auf: als “Ansprechpartner für Probleme im Zusammenleben zwischen Mensch und Wolf.” Und dann wurde auch noch – erstmalig – mit einer Infrarotkamera eine lebende Lausitzer Wölfin photographiert: “Sie hat ein festes Revier und sucht einen Rüden”, behauptete die BZ – obwohl die von ihr abgedruckten Photos eher das Gegenteil bewiesen: Die Wölfin schlich darauf gelangweilt über die öde Tagebaufolgelandschaft. Desungeachtet jubelte ein Dr. Reinhard Möckel, ehrenamtlicher Wolfsbetreuer des Internationalen Tierschutz-Fonds – in der BZ: “Diese Fotos sind Sternstunden meiner jahrelangen Arbeit”. Der Berliner Kurier ließ daraufhin seine Leser darüber diskutieren, ob die Wölfe nun abgeschossen gehören oder nicht. Die Mehrheit war für Verständigung statt Vernichtung. Anders in Anatolien: Als dort ein neunköpfiges Wolfsrudel mitten in der Provinzhauptstadt Bingöl auftauchte, griff ein “übereifriger Stadtbewohner zum Gewehr und erschoß ein Tier, woraufhin die anderen flüchteten,” meldete AFP.

Ähnlich reagierten Teile der litauischen Bevölkerung auch auf versprengte deutsche Soldaten, die sich nach 1945 in den Wäldern versteckten, wo sie sich zu antikommunistischen Partisanengruppen zusammenfanden. Erst in den Fünfzigerjahren gelang der Roten Armee die Liquidierung der letzten “Waldmenschen”, wie die Illegalen in Litauen hießen, ihre verwaist herumirrenden Jungen nannte man “Wolfskinder”. 1990 drehte Eberhard Fechner einen gleichnamigen Film über sie, 1996 veröffentlichte Ruth Kibelka ein gleichnamiges Buch über sie und 2006 drehte Hans-Christoph Blumenberg noch einen TV-Film über die “Wolfskinder”. Parallel dazu veröffentlichte der Spiegel eine große Reportage. Darin geht es jedoch weniger um die sich mit Raub und Diebstählen durchschlagenden Waisenkinder von einst, sondern um die wölfischen Sowjetsoldaten: “Ingrid ergriff Todesangst” vor ihnen, “Christels Freundin wühlte in den Müllhaufen vor den Kasernen der Sowjetarmee nach Eßbaren, da erschoß sie die Wache mit der Kalaschnikow”. Zuletzt meldete der Spiegel – menschlich enttäuscht von der Bundesregierung: “Keine Hilfe für deutsche Wolfskinder”. Gemeint waren damit die letzten noch rund 100 in Litauen lebenden ehemaligen Waisen.

Ungefähr zur gleichen Zeit tauchte eine 19 Jahre lang vermißte Frau aus dem kambodschanischen Dschungel wieder auf. Da sie völlig verwildert und scheu geworden war, nannte die deutsche Presse sie sogleich zärtlich “Wolfsmädchen” (ein umgedrehter Fall wurde 1954 im Lacan-Seminar über “Freuds technische Schriften” diskutiert: Da ging es um einen von seinen Eltern vernachlässigten kleinen Jungen, der nur noch “Der Wolf! Der Wolf! sagen/schreien konnte, den er dann im Verlauf der Behandlung “austrieb”. Seine Analytikerin meinte: Der Wolf war seine Mutter. Jean Hyppolite fügte hinzu: “Der Zwang ist der Wolf, der ihm Angst macht, und die überwundene Angst, Bezwingung, ist der Augenblick, wo er den Wolf spielt.”)

In Albanien wurde im April 2007 ein Wolf berühmt, den man gefangen und zu einem Esel in den Stall gesperrt hatte. Statt diesen zu fressen, “freundeten sich die beiden an,” wie die Welt Kompakt berichtete.

Dann bekam Wolf Biermann das Bundesverdienstkreuz, woraufhin sein früherer Manager Diether Dehm im Tagesspiegel mit der Überschrift “Unter dem Wolfspelz” vor ihm warnte: “Wer diesen Wolf würdigt, muss wissen, wie gern und wohlinszeniert er in Hände beißt, die ihm Gutes antragen.”

Aus Russland kam derweil eine Werwolf-Nachricht: In der Petersburger Eremitage klauten Museumsmitarbeiter Juwelierkunstwerke im Wert von 400.000 Euro. Solch “korrupte Beamte, die ihnen anvertraute Güter zu Geld machen, nennt man in Rußland ‘Werwölfe’,” erklärte dazu die FAZ, die zuvor unter “Deutschland und die Welt” ausführlich über die letzten 600 “äthiopischen Wölfe berichtet hatte, weil diese von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt “betreut” werden, deren Mitglied die FAZ ist. Über die “Lausitzer Wölfe”, die sozusagen den staatlichen Renaturierungsanstrengungen in den Braunkohlefolgelanschaften – der schlußendlichen Versöhnung von Natur und Kultur – die Krone aufsetzen sollen, jedoch bisher von niemandem wirklich gesehen wurden, berichtete zuletzt die taz, dass man ihre Jungtiere nun mit GPS-Sendern ausrüsten werde: “Per SMS bekommen wir dann Bescheid, wo sich der Wolf aufhält,” so die in Rietschen stationierte Wolfsschützerin Ilka Reinhardt.

Abschließend sei noch die Le Monde Diplomatique erwähnt, die unter der Überschrift “Der Wolf als Ente” eine Reihe von Fakenachrichten auflistete. U.a. einen Artikel aus der Los Angeles Times, in dem der Gouverneur von Wyoming erklärte, er wolle die erfolgreiche Wiederansiedlung von Wölfen in seinem Staat wieder rückgängig machen und ein Bundesgesetz zum Schutz bedrohter Tierarten nicht anerkennen. Er betrachte den Wolf als einen “Hund des Bundes, auf den die Bestimmungen des Gesetzes nicht zutreffen”. Kurz darauf kam jedoch heraus, dass es sich bei dem Gouverneurs-Dekret um einen “Aprilscherz” aus dem Internet gehandelt hatte.

Das waren grob herausgefiltert die Wolfsnachrichten des ersten Halbjahres 2007 – genauer gesagt: bis zum großen W-8-Gipfeltreffen in Heiligendamm. Ein Trend zeichnet sich bereits ab: Die Wölfe beherrschen immer mehr die Überschriften – auch wenn sie im Text nur noch quasi am Rande vorkommen. Sollte uns das nicht zu denken geben? Ich denke, nein.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/06/18/von-echten-und-falschen-woelfen-umzingelt/

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kommentare

  • ein gut verzinnter fleisch WOLF,an die tischkante geschraubt,raubte 1 klassenmitmensch dereinst 3 fingerspizzen.wurde daraufhin abgeschraubt und nie vergessen….

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