vonHelmut Höge 20.06.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Das Kaufmannskapital verwandelte sich erst in Industriekapital und nun in Finanzkapital – und jedesmal ging dies mit einem (weiteren) Abstraktionsprozeß einher.

Nach Auflösung von Marx beschriebenen “Gesellschaftlichkeit der Arbeit” setzte sich mit der Verwandlung von Kaufmannskapital in Industriekapital, d.h. mit der Scheidung von Produzent und Produktionsmittel (ab Ende des 14. Jhds.), langsam eine “Wiedervergesellschaftung der Arbeit” durch, jedoch nur in ihrer abstrakten Form. Denn die Warenproduktion läßt nur eine solche zu. In ihrem “gesamten Umkreis herrscht Abstraktheit”, erklärt dazu der Marxist Alfred Sohn-Rethel: “In erster Linie ist der Tauschwert selbst abstrakter Wert im Gegensatz zum Gebrauchswert der Waren. Der Tauschwert ist einzig quantitativer Differenzierung fähig, und die Quantifizierung, die hier vorliegt, ist wiederum abstrakter Natur im Vergleich zur Mengenbestimmung von Gebrauchswerten. Selbst die Arbeit…wird als Bestimmungsgrund der Wertgröße und Wertsubstanz zu ‘abstrakt menschlicher Arbeit’, menschlicher Arbeit als solcher nur überhaupt. Die Form, in der der Warenwert sinnfällig in Erscheinung tritt, nämlich das Geld,…ist abstraktes Ding und in dieser Eigenschaft, genaugenommen, ein Widerspruch in sich. Im Geld wird auch der Reichtum zum abstrakten Reichtum, dem keine Grenzen mehr gesetzt sind. Als Besitzer solchen Reichtums wird der Mensch selbst zum abstrakten Menschen, seine Individualität zum abstrakten Wesen des Privateigentümers. Schließlich ist eine Gesellschaft, in der der Warenverkehr den nexus rerum bildet, ein rein abstrakter Zusammenhang, bei dem alles Konkrete sich in privaten Händen befindet.”

Das besondere Kennzeichen der derzeitigen Abstraktifizierung – Globalisierung – ist laut Robert Kurz die mähliche Abkopplung des Finanzkapitals von der Produktion, indem “Investitionen” in fiktive Werte (wie Derivate, Hedge- und Equity-Fonds, Junk-Bonds und Währungen) profitabler geworden sind als solche in die Herstellung von Waren oder die Bereitstellung von Dienstleistungen. Die Banken bieten den Anlegern dazu immer ne “Produkte” an. “Die Globalisierung des Kapitals geht aus der Zuspitzung des kapitalistischen Selbstwiderspruchs erster Ordnung zwischen Produktivkraftentwicklung einerseits und Mehrwertproduktion/kaufkräftiger Konsumtionsfähigkeit andererseits hervor,” schreibt Robert Kurz, “und der Prozeß, in dem das Kapital vor dieser Zuspitzung gewissermaßen auf die Weltmärkte und in transnationale Strukturen flüchtet, schlägt auf den kapitalistischen Selbstwiderspruch zweiter Ordnung zwischen Nationalökonomie bzw. Nationalstaatlichkeit einerseits und Weltmarkt andererseits zurück und spitzt diesen ebenfalls zu. Globalisierung ist somit nichts anderes als ein eskalierender Krisenprozeß, in dem das Kapital, gestachelt von der mikroelektronischen Revolution, vor seinen eigenen inneren Widersprüchen davonläuft und diese sich dadurch nur umso schärfer entfalten, seine eigene innere Schranke sich ihm nur umso unerbittlicher entgegenstellt”.

Dazu schreibt Steffen Bogs in der heutigen Jungen Welt  – unter der Überschrift “Märkte versinken im Geld“:

Wiederholt hat die Europäischen Zentralbank (EZB) vor Inflationsgefahren im Euroraum gewarnt. Am Montag hat Nicholas Garganas, EZB-Ratsmitglied und griechischer Notenbankchef, in Athen nachgelegt. Risiken sehe er im kräftigen Wachstum, den sich verbessernden Arbeitsmärkten, einer steigenden Kapazitätsauslastung und einer Ausweitung der Geldmenge und Kredite im Zusammenhang mit schon reichlicher Liquidität. Hinzu kämen der rapide Anstieg von Öl- und anderen Rohstoffpreisen sowie die Verteuerung von Nahrungsmitteln seit Jahresbeginn. Die EZB hatte in diesem Monat den Leitzins zum achten Mal seit Ende 2005 um 25 Basispunkte auf nunmehr vier Prozent angehoben.

Weltweit ziehen die Preise, vor allem für wichtige Energieträger und Rohstoffe, weiter an. So verteuerte sich die Nordseeölsorte Brent seit Januar dieses Jahres um 20 Prozent und notiert bei 72 US-Dollar je Barrel (ein Barrel sind 159 Liter). Der Preis für Uranerzkonzentrat U3O8 stieg seit Jahresbeginn um 80 Prozent auf 135 US-Dollar je Pound (453 Gramm) – seit 2001 verteuerte sich der Grundstoff für Atomstromgewinnung um unglaubliche 2100 Prozent. Dies schlägt sich nicht nur in steigenden Benzin- und Strompreisen nieder, sondern verteuert auch Lebensmittel. Der Preisindex Reuters CRB (Commodity Research Bureau) stieg bei zehn Agrarrohstoffen, u.a. Weizen, Mais und Zucker, in den zurückliegenden zwölf Monaten um 30 Prozent.

Die offiziellen Inflationszahlen spiegeln dies nicht wider. Die übliche Bestimmung der Teuerungsrate über die Entwicklung der Preisindizes und die Zusammensetzung der Warenkörbe sind lediglich Versuche, die Wirkungen von Inflation zu messen. Gerade die Warenkörbe (eine bestimmte Zahl von Waren, deren Verbrauch als typisch für eine Konsumentengruppe festgelegt wird) als Grundlage der Berechnung des Verbraucherpreisindexes sind geeignet, die wahren Steigerungen zu verschleiern. Preisänderungen von Vermögenswerten werden erst gar nicht in den Indizes und Warenkörben berücksichtigt. Dabei bilden diese einen Teil der Realität ab, seien es Aktien, Immobilien, Derivate oder kreditfinanzierte Firmenübernahmen.Genau dort, an den Finanzmärkten, findet die Inflation statt.

Die Geldmenge M3, (u.a. Bargeld, Einlagen auf Girokonten, kurzfristige Geldmarktpapiere sowie Schuldverschreibungen von bis zu zwei Jahren Laufzeit) wuchs in der Eurozone im ersten Quartal 2007 um elf Prozent. Dies war die größte Ausweitung seit 24 Jahren. Auch weltweit wird extrem viel Geld generiert: In den USA weitete sich M3 ebenfalls um elf, in China gar um 17,1 und in Indien um 20 Prozent aus. Mit der Geldmenge beschleunigt sich auch die Kreditmenge, da beim heutigen Bankensystem nur ein kleiner Teil (vier Prozent) der Kredite durch tatsächliches Guthaben auf der Bank gesichert ist. Ein und dieselbe Einlage wird mehrfach als Kredit vergeben, Geld, das es eigentlich nicht gibt und durch die Schuld des Kreditnehmers erst geschaffen wird. Dies ist die eigentliche Geldschöpfung.In der Eurozone liegt das Kreditwachstum durchschnitt bei 10,5 Prozent, doch gibt es extreme Ausreißer. So wuchs das Kreditvolumen in Spanien um 26,3, in Irland um 24,81 Prozent. Nicht zuletzt das gigantisch aufgeblähte Kreditvolumen hat an den internationalen Finanzmärkten erhebliche Spekulationsblasen gebildet. Steuern die Zentralbanken nicht rigoros auf eine Einschränkung der Geldmenge und härtere Bedingungen bei der Kreditvergabe zu, wird das Platzen dieser Blasen erhebliche Erschütterungen im ökonomischen Gefüge verursachen. Mindestens. Andererseits fürchten viele Zentralbanker, mit harten Restriktionen die Konjunktur abzuwürgen.Die Spekulationswut hat sich von den Immobilienmärkten in Richtung Aktienmärkte verlagert. Vor allem das weltweite Firmenübernahmekarussell dreht sich. Dank der ausufernden Kreditmengen stellten globale Fusionen und Übernahmen 2006 mit 3,5 Billionen US-Dollar einen neuen Rekord auf. Sogenannte Private/Equity/Gesellschaften (vulgo »Heuschrecken«) hatten daran einen Anteil von 675 Millarden. Im ersten Quartal 2007 nahm das Volumen dieser Übernahmen nochmals um 55 Prozent zu, so daß in diesem Jahr die Fünf-Billionen-Dollar-Grenze überschritten werden dürfte. 5000 Milliarden Dollar sind somit dabei, das weltweite Wirtschaftsgefüge auszuhebeln.
Denn diesen inflationären Preissteigerungen bei der globalen Fusionitis stehen keine entsprechenden Firmenwerte gegenüber. Die EZB zweifelt inzwischen zart am Nutzen von Hedge-Fonds und Private-Equity-Gesellschaften. Diese Firmen kaufen auf Pump, pressen Unternehmen aus, verkaufen sie wieder, meist ohne die geringsten zusätzlichen materiellen Werte zu schaffen. Es ist das Resultat eines recht freien Kapitalismus, wenn der Chef der »Heuschrecke« Blackstone mit 400 Millionen US-Dollar im Jahr »entlohnt« und durch den Börsengang vermutlich mehrere Milliarden einheimsen wird.

Inzwischen sehen auch die »Währungshüter« der EZB Gefahr im Verzuge: Die Unternehmensführungen seien durch die Einflußnahme der Finanzinvestoren »exzessiv an der kurzen Frist ausgerichtet«, und es sei »nicht klar, inwieweit die Aktivitäten mit den Interessen des Zielunternehmens in Einklang stehen«.Ursprünglich stand hinter dem Ganzen die Idee, mit einer Steigerung der Vermögenswerte durch Rückkopplungseffekte auch die reale Wirtschaft anzutreiben. Das dürfte jedoch daran scheitern, daß immer mehr Geld für immer weniger wirtschaftliche Realleistung zu Verfügung gestellt werden muß. Das Kapital entartet quasi, da es kaum Mehrwert, sondern lediglich Zins generiert.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/06/20/genegenerationengenerieren/

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kommentare

  • Aus dem Duden:
    1. -gen [griech. -genes = hervorbringend, verursachend; hervorgebracht, verursacht, zu: génos = Geschlecht, Abstammung, Gattung, zu: gígnesthai = geboren …
    2. Ge|ne|ra|ti|on, die; -, -en [lat. generatio = Zeugung(sfähigkeit); Generation, zu: generatum, →generativ]: 1. a) einzelnes …
    3. ge|ne|rie|ren [lat. generare = (er)zeugen, hervorbringen, zu: genus, →Genus]: 1. (bildungsspr. …)

    Durch die ausufernde Verwendung dieser drei Wörter wird ein sozialer bzw.kultureller Vorgang zu einem natürlichen gemacht, bzw. die die Natur betreffenden drei Begriffe werden immer öfter zur Beschreibung von kulturellen Dingen verwendet. Das ist ein ideologischer Kniff – und er ist faschistisch.
    Genau andersherum wird ein emanzipatorischer Akt daraus: Denn es steckt weitaus mehr Kultur in der Natur als umgekehrt!

  • an die merlina ging heute:

    “eine *FLASCH* von mir, madame, wenn Sie eine meinung einer phoenix-seherin einholen möchten. hier die DETAILLIERTE BEGRÜNDUNG:
    1) sieben meter über den köpfen der demonstranten ein “definierbares flugobjekt”. des namens hubschrauks…..

  • Was ich interessant fände und was die Linke oder linke Medien mehr tun müssten, wäre auch für Nichtökonomen verständlich, also auf Zeitungsniveau, zu erklären, wie der komplizierte Prozess des Geldflusses
    von Nichtbesitzenden zu Besitzenden funktioniert.
    Es muss transparent gemacht werden, warum und wie Umverteilung im aktuellen Sytem passiert. Letztlich geht der Prozess sowohl national als auch im Verhältnis 3.Welt zu den Industriestaaten ja genau anders herum, als neoliberale Ökonomen und Interessenverbände öffentlichkeitswirksam erklären.
    Es muss transparemt werden, wie das Geld der untern Klassen altäglich auf den Konten der oberen Klassen landet, indem diese Kapital arbeiten lassen oder ungleich vor allem auf Dauuer gesehen von den Geschäften profitieren.
    Es lassen sich bestimmt linke wirtschaftskompetente Schreiber finden, die das gut erklären können.

    Ich selbst wäre übrigens nicht gegen Privatbetriebe, aber der Staat müsste ab bestimmten Größenordnungen und bekannten Neigungen der Marktwirtschaft eingreifen.

    MfG

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