vonHelmut Höge 18.09.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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“Es gibt immer zu viel Deutung und nie genug Fakten. Die Akte durch Deutung sind am gefährlichsten für die Freiheit.” (Francois Ewald)

Erst interpretierte der Siemenskonzern Ende der Achtzigerjahre seine führende Rolle im internationalen Elektrokartell IEA um – zu einem auf freiberufliche Agenten beruhenden Schmiergeldsystem. Statt einer “Kriegskasse” gab es nun “schwarze Kassen” auf Geheimkonten. Festangestellte Mitarbeiter wurden, wenn sie aufflogen und gegen sie ermittelt wurde, entlassen, gleichzeitig aber mit einer “individuellen Pensionszusage” beruhigt.  Der vor kurzem  entlassene  Anti-Korruptionsbeauftragte von Siemens, Albrecht Schäfer,  berichtete  laut SZ am 20.Juni 2006 dem Prüfungsausschuss des Konzernvorstands über ein Liechtensteiner Verfahren “gegen einen ehemaligen Mitarbeiter”. Gleichzeitig legte er einen 40-seitigen Report über das  im Haus  praktizierte  Schmiergeldsystem  bei  der Auftragseinholung vor.

In diesem Werk interpretierte er das “System” noch einmal neu – und um: Danach hatten sich mehrere Mitarbeiter zu einer  “Bande” zusammengeschlossen – zum Nachteil von Siemens schwarze Kassen im Ausland eingerichtet und ein System entwickelt, um unauffällig Schmiergeld zahlen zu können. Die Mitglieder dieser Bande verstanden es lange Zeit, alle Bemühungen bei Siemens, die Vorgänge umfassend aufzuklären, systematisch zu verhindern. Laut SZ kam Albrecht Schäfer in seinem Bericht am Ende zu dem niederschmetternden Ergebnis: “Wir sind belogen und getäuscht worden.”

Exakt die selben Worte hatten 1989 auch Millionen DDR-Bürger in bezug auf ihre Regierung gebraucht, als sie sich von ihr (endgültig) abwendeten. Hier wie dort haben wir es denn auch mit einer Uminterpretation von “Systemen” zu tun. Und wahrscheinlich werden viele DDR-Bürger ihre regierende Partei hernach ebenfalls als eine “Bande” wahrgenommen haben.  In Kreuzberg  machte zuletzt die Parole “Bildet Banden!”  die Runde  an den Hauswänden.  Der FDP-Politiker  und Mitbegründer der Künstlersozialversicherung Rolf Schroers schrieb beizeiten bereits in seinem Buch über den antiamerikanischen deutschen “Partisan” und seines Systems: “Die Solidarität der Bande sichert die Unantastbarkeit der Würde des Einzelnen, die niemals der Tod, aber dauernd die Lebensgier selber gefährdet”.

Unter dem Druck der staatsanwaltlichen Maßnahmen haben jetzt aber doch einige Mitglieder der Siemens-Bande, wie sie schon bald im Haus genannt wurden, ausgesagt – trotz großzügiger Abfindungen. Damit wird nun eine weitere Interpretation des Schmiergeldsystems möglich. Die SZ, obwohl selbst zur Personalisierung neigend, hat dazu heute schon mal einige Aussagen gegen Aussagen gestellt. Der verhaftete Vorstand Thomas Ganswindt sagte demnach z.B., als die Ermittlungen nicht nachließen, habe ihn der Anti-Korruptionsbeauftragte Schäfer beruhigt, es könne nichts passieren, und selbst wenn, Siemens sei sauber.  Es handele sich dabei bloß um Verfehlungen einzelner Leute. Diese beharren nun jedoch umgekehrt darauf, dass sie die Opfer einer systemischen  Verfehlung – eines “Systemfehlers” quasi seien.  Wahrscheinlich ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir wieder bei den Praktiken des internationalen Elektrokartells angekommen sind.  Allerdings galt auch  das IEA mit Sitz in Pully bei Lausanne den unabhängigen  Elektrounternehmen seinerzeit schon als  eine  üble “Bande”. Und die (amerikanische) Staatsanwaltschaft ermittelte immer mal wieder.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/09/18/die-siemens-bande/

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kommentare

  • Der Tagesspiegel meldete am 9.11.:
    “Siemens schmierte mit 1,3 Milliarden – 140 Mitarbeiter wurden bisher entlassen, 330 abgemahnt oder verwarnt”. Außerdem behauptet die Zeitung noch: “Klare Signale sendete Löscher”- nämlich solche, dass er hart durchgreifen werde, um den Korruptionssumpf ein für alle Mal auszutrocknen. “Grauzonen soll es bei Siemens nicht mehr geben. ‘Wir sind nur an sauberen Geschäften interessiert, immer und überall,’ sagte Vorstandschef Peter Löscher.” Dennoch scheint der biedere Tagesspiegel skeptisch zu sein, ob ein derartiger Kurswechsel in der Geschäftspolitik des Konzerns überhaupt möglich ist.

    Ganz anders die linksextremistische Süddeutsche Zeitung, die natürlich von einer “Revolution von oben” spricht. Dazu geizen die SZ-Kade rnicht mit Ratschlägen für Löscher: “Er muß die Machtstrukturen und Seilschaften (!) aufbrechen, in dem die Pflege von Netzwerken für viele wichtiger zu sein schien als der wirtschaftliche Erfolg.”  Das ist ja nun ein starkes Stück deutsche Verlogenheitsprosa: Es gibt also nach Meinung der SZ bei Siemens nicht nur eine Bande (s.o.), sondern gleich mehrere “Seilschaften” – und die haben mit den 1,4 Milliarden Euro Konzern-Schmiergeldern  nicht etwa  Aufträge  herangeschafft,  also  Gewinne gemacht, sondern ganz im Gegenteil: Sie haben ihre verdammten “Netzwerke” gepflegt: Mit Wein, Weib und Gesang wahrscheinlich. In anderen Worten: Sie haben die schwarzen Kassen des Konzerns geleert und die Riesensummen darin sinnlos verprasst.

    Es kommt aber noch dicker und dümmer in der SZ vom 9.11. – und zwar, wenn von der Lichtgestalt Löscher die Rede ist: “Sein glaubwürdiges Wesen und sein verbindliches Auftreten” helfen ihm, “im Mantel des Diplomaten hinter den Kulissen eine Revolution voran zu treiben.”

  • Der Tagesspiegel meldet heute:

    Siemens bietet Mitarbeitern, die Aussagen über Schmiergeldzahlungen machen wollen – “Amnestie” an – aber nur bis Jahresende. Mit “Siemens” sind hier die Chefs gemeint und ausgenommen von ihrem Amnestie-Angebot sind Gebietsleiter und Bereichsvorstände. Damit wird die Siemens-Geschäftspolitik zu einer Verfehlung von Betriebsangehörigen, zu einem persönlichen Fehlverhalten, das sie zwar relativ uneigennützig begingen, dass jedoch strafwürdig ist – wenn sie gestehen und damit die Ermittlungen voranbringen, sollen sie jedoch straffrei ausgehen, nicht im juristischen Sinne, sondern innerhalb des Konzerns.

    Damit ist die Aufklärung der Schmiergeldzahlungen vollends in einen idiotischen Interpretationstaumel geraten, in dem es nur noch darum geht, dass einige untere Chargen Geständnisse, Tränen und anschließend Dankbarkeit zeigen – “signalisieren”.

  • Letzte Siemens-Nachrichten:

    Der Ex-Linksanwalt und Ex-Innenminister Otto Schily hat Siemens in diesem Krisenjahr beraten. Netzpolitik.org schreibt:

    “Wer hätte das gedacht: Unser ehemaliger Bundesinnenminister Otto Schily hat mal wieder einen Beraterjob. Zwischen dem 1. März und dem 30. September 2007 kassierte er 140.000 Euro von Siemens. Der Bundestagspräsident Lammert findet es aber nicht lustig, dass Schily dies nicht gemeldet hat. Immerhin hat er ein Bundestagsmandat und man könnte schon annehmen, dass diese Berater-Dienste als veröffentlichungspflichtige Nebentätigkeit gewertet wird.”

    Sie Süddeutsche Zeitung meldet heute, dass sich die Beschäftigten mit dem Gesamtbetriebsrat über die von Siemens selbst angeheuerten “Siemens-Ermittler” – internationale Beratungsfirmen und Kanzleien wie Deloitte Touche Tohmatsu oder Debevoise – beschweren, die sich alle möglichen Unterlagen krallen – “gewaltige Datensätze”, darunter “personenbezogene Daten”. Der GBR/KBR droht mit einer einstweiligen Verfügung “gegen dieses firmenseitige Vorgehen”, falls das nicht sofort eingeschränkt wird.

  • Im neuen Sonderheft der Le Monde Diplomatique, das sich mit den Global Playern befaßt, die die Globalisierung anführen und forcieren, steht nichts über Siemens, dafür jedoch als erstes ein längerer Text über dessen IEA-Kartellmitbegründer General Electric – ohne dass die Autoren auch nur mit einem Wort dieses Kartell erwähnen, das vor nun schon über 100 Jahren gegründet wurde – isses die Möglichkeit?! Wie kann man nur so ignorant sein? Man könnte glatt von einem “Kartell des Schweigens” reden – wäre es nicht so blöd.

  • Die Zeitschrift “Cicero” berichtet in ihrer September-Ausgabe über Schmiergeldzahlungen von Siemens an die CDU – etwa eine Million DM jährlich von 1984 bis 1992. Die Zahlungen wurden über die Schweiz abgewickelt, weswegen dort die Staatsanwaltschaft ermittelt.

    Die Münchner Staatsanwälte haben sich unterdes im Schmiergeldskandal mit Siemens auf einen “Deal” geeinigt: der Konzern zahlt 201 Mio Euro Bußgeld – dafür werden die Ermittlungen eingestellt, obendrein hat sich Siemens mit dem Finanzamt auf eine Steuernachzahlung in Höhe von 179 Mio Euro geeinigt – “für Zahlungen in schwarze Kassen, die zu Unrecht als Betriebsausgaben abgesetzt worden waren”, wie die Südddeutsche Zeitung am Wochenende unter der Überschrift “Siemens muß weiter zittern” schrieb.

  • Schröder (Würzburg):

    Egal zu welcher Bandenbildung man neigt bzw. zu welcher Interpretation: Es geht bei Siemens darum, wie man das Feld, die Märkte, neu bestellen kann – d.h. anders, an der Legalität entlang. Es geht um das ewige liberale Ideal: sich fair der konkurrenz stellen – und das heißt: lohndrücken, stellenabbau, prekarisierung, rationalisierung – immer weiter gehend. Mal liegt man irgendwo vorne, wie jetzt mit den Leuchtdioden in Regensburg, mal wird man auf sogar auf heimatmärkten bedrängt: wie mit der medizintechnik von GE jetzt. Es ist ein Rattenrennen – oder. Und dazu gehört auch bereits der ganze Rummel um den Siemens-Korruptionsskandal und den ersten “Konzernumbau” nach IEA und Wende…Wie viele werden das diesmal ohne magengeschwüre überstehen…aber geht es ohne…
    gruß

  • Siemens berief vorgestern ein neues Mitglied in den Vorstand – Peter Solmssen. Er soll sich ausschließlich der Koruptionsbekämpfung widmen. Wie Konzernchef Löscher kommt er vom ehemaligen Elektrokartell-Mitgliedskonzern General Electric (GE). Zwar hat nun das Siemens-Vorstandsgremium ein Mitglied mehr statt wie geplant mehrere weniger, die Aktienkäufer reagierten jedoch positiv darauf, was die Siemensaktie gestern um 5,4% auf 93,32 Euro steigen ließ.

    Die Taskforce zur Korruptionsbekämpfung leitet nun unter Solmssen Andreas Pohlmann, zuvor Deutschlandchef des US-Chemiekonzerns Celanese, er folgt auf den schon nach kurzer Zeit zurückgetretenen Stuttgarter Oberstaatsanwalt Daniel Noa. Oberrevisor wird der Price-Waterhouse-Manager Hans Winter.

    Mit diesen ganzen “Berufungen” tritt Siemens den ganzen schlechten Nachrichten der letzten Tage und Wochen entgegen – außerdem will Konzernchef Löscher damit signalisieren, dass er was tut.

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