vonHelmut Höge 28.12.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Als Hans-Magnus Enzensberger 1957 die Wölfe lyrisch gegen die Lämmer verteidigte, wollte er damit über das “schwarze Schaf” Heinrich Böll hinausgehen – um die sich alles gefallen lassenden “weißen Schafe” zu demoralisieren. Inzwischen hat sich die Situation aber wieder verschärft: Keiner will mehr ein weißes oder gar schwarzes Schaf sein. “Stell dir vor”, erzählt zum Beispiel die BWL-Studentin Janna von der Frankfurter Uni “Viadrina”, “in einem Managerkurs sagte der Dozent neulich: ,Wenn man anderen beruflich was Gutes tut, tut man sich selber nichts Gutes.’ Und das haben alle um mich herum eifrig in ihre Hefte geschrieben” …

Mit seinem großen Nachkriegsroman “Wolf unter Wölfen” (1937) wollte Hans Fallada vor solchen Wandlungen bereits warnen: “Es ist ein Buch von sündigen, sinnlichen, schwachen, irrenden, haltlosen Menschen … in einer zerfallenden, irren, kranken Zeit … in der jeder für sich allein und gegen alle kämpft.”  In der damaligen “Inflationszeit” bildeten sich zudem aus den zurückgekehrten Fronttruppen gerade die ersten rechten “Wehrwolf”-Organisationen und “Wolfskommandos” – gegen die kommunistisch verhetzten Arbeiter, Juden, Polen und Bolschewisten. In dem 1923 beginnenden Roman geht es um drei Offiziere: Der eine wirtschaftet sein Pachtgut bei Frankfurt an der Oder in die Pleite und wird verrückt, der andere zieht sich deprimiert in ein Sanatorium zurück, und nur der Dritte – ein Glücksspieler – rettet sich: in ein Hochschulstudium, allerdings zunächst auf Kosten seiner Freundin.  1965 verfilmte das DDR-Fernsehen “Wolf unter Wölfen” – mit dem späteren “Polizeiruf”-Oberleutnant Jürgen Frohriep in der Hauptrolle.

Und jüngst hat der westdeutsche “Naturbuch-Verlag” (sic) den Titel “Wolf unter Wölfen” noch einmal aufgelegt: Der Autor heißt aber nun nicht mehr Hans Fallada, sondern dem Zuge der Zeit entsprechend Werner Freund – ein ehemaliger Nahkampfausbilder der Bundeswehr, der als “Oberwolf” im süddeutschen Merzig mit 24 wilden Wölfen zusammenlebt: “Es war Liebe auf den ersten Blick.” Als experimenteller “Verhaltensforscher” behauptet er jetzt sogar: “Wir sind auch Rudeltiere, nur eben entartete, überzüchtete Supermarktraubtiere.”

Aber das ist noch nicht alles: auch die “Werwölfe” unseligen Andenkens sind wieder da – ebenfalls unter dem Titel “Wolf unter Wölfen” berichtete erstens ein Bernd Frenz – authentisch für die “Grufti-Scene” – im Internet über sie, und zweitens ein Eberhard Müller. Während die eine Geschichte übel ausgeht – auf dem Friedhof, hat die zweite jedoch ein neuchristliches Happyend: der “Computergrufti” Flopsi hat im Jugendclub Raubkopien von Spielen geklaut und schämt sich deswegen so, dass er wieder “auf den (richtigen) Weg vom Wolf zum Lamm” gerät. Eine ähnliche Dumpf-Parabel beschreibt Karlheinz Langguth in seinem “Poem Ich, der Wolf”, das zwar den “Wölfen und Wölfinnen” gewidmet ist, aber “viel lieber bin ich Lamm unter Lämmern”. Das ist nun aus Hans Falladas “Wolf unter Wölfen” seit der belämmerten Wiedervereinigung geworden.

Auch die andere berühmte DDR-Verfilmung – von Frank Beyer, mit Armin Mueller-Stahl in der Hauptrolle – wird wohl diesem Megatrend zur Verwurstung nicht entkommen: Bruno Apitz’ KZ-Roman “Nackt unter Wölfen” (1958). Es geht darin um den jüdisch-polnischen Jungen Stefan, den Häftlinge des KZ Buchenwald vor der SS verbergen konnten. Das Buch, das millionenfach aufgelegt und in 25 Sprachen übersetzt wurde, hat ebenfalls ein Happyend: “Das Gute siegt darin am Ende über das Böse!” 1964 wurde sogar das leibhaftige “Buchenwald-Kind” gefunden: Es hieß Stefan Jerzy Zweig und studierte in Frankreich. Die DDR spendierte ihm sogleich eine Ausbildung an der Film- und Fernsehakademie Babelsberg. Seine wahre KZ-Geschichte, erzählt von seinem Vater, erschien 1987 im westdeutschen Dipa-Verlag.

In der Berliner Zeitung fügte kürzlich der Historiker Volker Müller dem Apitz-Roman “Nackt unter Wölfen” noch einen Nachtrag hinzu: den Kommunisten in Buchenwald gelang es zwar, Stefan im letzten Moment aus der “Todestransportliste” zu streichen, dafür wurde jedoch “der Sinto-Junge Willy Blum ins Gas” geschickt.  Die Verfilmung von “Nackt unter Wölfen” – 1963 – wird übrigens laufend in irgendwelchen Fernsehsendern wieder ausgestrahlt. Ähnliches gilt auch für “Wolf unter Wölfen”.

Neuerdings gibt es noch einen weiteren Wolfs-Film – aus Frankreich: “Pakt der Wölfe”. Ein Mix aus Action, Sex, Mystik, edle wilde Wölfe, geldgeile Huren und Ökologie. Dem taz-Rezensenten Detlef Kuhlbrodt gefiel der Film trotzdem: Er sei “pynchonesk” und “beruhe auf einer wahren Begebenheit – aus dem 18.Jahrhundert”. Die Realgeschichte hat mit dem Film jedoch wenig gemein – obwohl es hier wie dort um die “Bestie von Gévaudan” geht: ein Riesenwolf, der am 1. Juli 1764 ein 14-jähriges Mädchen zerfleischte, im Monat darauf ein weiteres Mädchen, dann zwei kleine Jungs sowie eine 36-jährige Frau. Ende September werden zwei weitere Mädchen und ein Junge von dem riesigen “Untier” getötet. Unter dem Kommando des Hilfsstabsarztes Duhamel quartieren sich am 1. Februar 1765 3.000 Dragoner in den betroffenen Chevennen-Dörfern ein. Sie verwüsten die Flure und verprassen die Vorräte der Bauern, können jedoch nur “ein paar gewöhnliche Grauwölfe zur Strecke bringen”, wie der Historiker Robert Delort schreibt. Duhamel lässt schließlich seine Soldaten in Frauenkleidern antreten, um die Bestie, die anscheinend eine Schwäche für Mädchen hat, anzulocken. Diese verlässt sich jedoch lieber auf ihren Geruchssinn statt auf den Augenschein! Die Soldaten rücken ab. Es kommen die Louvetiers, die offiziellen Wolfsjäger. Wieder werden Dutzende von gewöhnlichen Wölfen erlegt, bloß das Untier nicht. Ludwig XV. schickt daraufhin Beauterne los – seinen Jagdverweser und Büchsenträger, mitsamt Gehilfen und riesigen kampferprobten Hunden aus den Abruzzen. Diese beißen alles tot, was ihnen vors Maul kommt. Schließlich auch einen großen Wolf, der offiziell zum Untier erklärt wird. Beauterne bekommt die Prämie – 10.000 Pfund – und rückt ab.

Aber schon nach wenigen Tage erreichen neue Schreckensmeldungen die Hauptstadt. Diesmal übernimmt der Marquis d’Apcher das Kommando: Am 19. Juni 1767 erlegen seine Jäger mit kirchlich gesegneten Kugeln einen zweiten riesigen Wolf. “Diesmal war wirklich Schluss”, schreibt Delort. Auf der einen Seite wurden in weniger als drei Jahren 101 Menschen getötet und auf der anderen Seite 200 Wölfe. Darüber hinaus war diese Jagd auf die Bestie von Gévaudan “der Wendepunkt zwischen zwei Epochen in der Geschichte des Wolfs und des Menschen, … die mit der definitiven Niederlage des Wolfs endete”.  Dass das finale Duell gerade dort stattfand, hat zwei Gründe: Zum einen wurde im Gévaudan nach dem Aufstand der dortigen Protestanten das Waffenverbot für die Bevölkerung besonders strikt gehandhabt, und zum anderen hatte man hier die gemeinwirtschaftlichen Strukturen aufgelöst, unter anderem auch die großen Herden, die von erwachsenen Hirten mit scharfen Hunden bewacht wurden. Stattdessen wanderten nun Kleinstherden unter der Obhut von unerfahrenen Kindern umher – in einer bergigen, zudem wenig besiedelten Gegend, die dem Wolf gute Chancen für Angriffe und Flucht bot. Sein wirkliches Ende kam jedoch erst mit dem Zusammenbruch des Ancien Régimes: “Die Französische Revolution gibt den Bauern Waffen, und diese dürfen sie auch anwenden.” 1795 erhöht der Nationalkonvent zudem die Wolfs-Prämien.

Erst ab 1940 vermehren sich in Frankreich wieder die Wölfe. Das Lied “Les loups sont entrés dans Paris” kommt auf: “Die Wölfe sind in Paris” – aber damit sind nun die Deutschen gemeint. Im Vergleich zu ihnen ist die Bestie von Gévaudan ein Lämmchen. Aus den französischen Wilderern werden jedoch bald Partisanen: der Maquis. Zusammen mit den Amerikanern gelingt es diesem schließlich, Paris wieder zu befreien. Mit von der Partie ist der republikanisch gesinnte Wolfsjäger Ernest Hemingway, der anschließend sogar eigenhändig die Umgebung der Buchhandlung “Shakespeare & Company” von den letzten Deutschen säubert.  Aber nun – nach Widervereinigung und World-Trade-Center-Attentat – wurden die Karten neu gemischt. Nicht nur sind die Menschen inzwischen derart wölfisch geworden, dass sie ihre Kinder in der Wildnis aussetzen, wo sie statt von den Wölfen gefressen von diesen liebevoll aufgezogen werden, wie die Bild-Zeitung gerade aus den rumänischen Karpaten berichtete. Wir haben es also mit einer Umdrehung der alten Geschichte von der Zähmung und Abrichtung junger Wölfe zu Hunden zu tun.

Ähnliches passiert auch mit der ehemaligen Preußenschanze Potsdam, wo ein Politikberatungszentrum zum Wieder-Wölfisch-Werden eröffnet wurde: das “Institut für Sicherheits- und Militärpolitik”. Zu seinen Leitwölfen zählt unter anderem der internationale Kriegsverbrecher Henry Kissinger, die Managerin des Rüstungskonzerns British Aerospace, Margarita Mathiopoulos, Brandenburgs Generalinnenminister Schönbohm und der reaktionäre Historiker Michael Stürmer. Auf dem Eröffnungsball tanzte außerdem der revanchistische Historiker Arnulf Baring an. Dieser hatte bereits gleich nach der Wende – gegenüber dem Preußenpropagandisten Wolf (sic) Jobst Siedler – von einer neuen “Ostkolonialisation” gesprochen, “obwohl man das öffentlich fast (noch) nicht sagen kann – aber die osteuropäischen Staaten erwarten das von Deutschland!” Erwarten ist gut – tatsächlich geht es jetzt aber um “Neue Anti-Terror-Strategien”. Im Klartext: Weil der Maquis, das Partisanentum, einst besonders in Osteuropa – zwischen Weißrussland und Jugoslawien – den Deutschen zu schaffen machte, muss man jetzt ein solches “Potsdam-Center” als ein “Zeichen der Normalisierung in den Beziehungen Deutschlands zur Welt” sehen, wie der Institutsleiter Görtemaker sich ausdrückte.

Dazu haben sich neben dem Institut noch das “zentrale Einsatzkommando für Auslandseinsätze der Bundeswehr” von Mazedonien bis Afghanistan, das “Militärgeschichtliche Forschungsamt”, ein “Lehrstuhl für Militärgeschichte” an der Uni sowie etliche Bundeswehr-Elitestäbe und Feldjägereinheiten angesiedelt, ferner der seit 1918 als besonders reaktionär geltende Grenzschutz. Nicht zu vergessen, jede Menge alte Adlige und neue Promis aus Mode und Moderation. Ein ganzer Thinktank also. Schönbohm versprach bei der Eröffnung außerdem noch die Ansiedlung des “EU-Kollegs für Sicherheit” sowie der “Bundessicherheitsakademie” in Potsdam. Der Nato-Generalsekretär, laut Bild “einer der meistgefährdetsten Politiker der Welt”, war von seinen Lieblings-Bodyguards umringt und sagte nichts. Dafür fand jedoch der Sicherheitsberater des US-Präsidenten, William Schneider Jr., die richtigen Worte, als er Potsdam “das Zentrum eines großen Teils der deutschen Geschichte” nannte – womit er nicht die Vergangenheit aus-, sondern die Zukunft andeutete.

Und so geht es jetzt weiter:
An der Uni Potsdam kann man ab sofort Militärsoziologie studieren. Dass dabei Lehrkräfte der Bundeswehr unterrichten, findet der Dekan völlig in Ordnung. Kritische Studenten rufen zum Protest. Ein Bericht von Sebastian Heiser (taz):
Die Universität Potsdam hat einen neuen Studiengang: Heute um 16 Uhr ist die feierliche Eröffnung des Fachs “Military studies – Militärgeschichte/Militärsoziologie”. Vier Semester lang beschäftigen sich die Studierenden dort mit Militär, Krieg und organisierter Gewalt. Träger des Studiengangs ist die Universität Potsdam zusammen mit zwei Instituten der Bundeswehr: dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt und dem Sozialwissenschaftlichen Institut (SWI). Genau diese Kooperation stößt auf Kritik – unter dem Titel “Bundeswehr raus aus der Uni” rufen Studierende zum Protest auf.  Bernhard Kroener, Dekan der Philosophischen Fakultät und Professor für Militärgeschichte, sieht in der einmaligen Kooperation nur Vorteile: Bei der Bundeswehr gebe es “eine ausreichende Zahl von Lehrenden mit den entsprechenden Kompetenzen”. Neben Angestellten der Universität unterrichten in dem neuen Studiengang auch Beschäftigte der Bundeswehr, die auch allein von der Bundeswehr bezahlt werden. Diese Ausfinanzierung durch das Militär finden wir grundsätzlich falsch”, sagt AStA-Sprecher Tamás Blénessy. Es sei immer “kritisch, wenn die Bundeswehr versucht, ins Zivilleben einzudringen”.

Kroener nennt diese Kritik einen “pawlowschen Reflex”. Die Bundeswehr selbst sei nicht präsent an der Hochschule, sondern ein paar Mitarbeiter, die dort Seminare anbieten. Bei den Lehrveranstaltungen des Studiengangs geht es etwa um die “Grundlagen der Militärgeschichte” oder “Militärsoziologie”. Den Fachkurs “Die Bundeswehr als Instrument deutscher Außenpolitik” hält zum Beispiel SWI-Mitarbeiter Gerd Portugall.  Als Literatur empfiehlt Portugall das vom Verteidigungsministerium herausgegebene “Weißbuch 2006”, ein Buch eines ehemaligen SWI-Mitarbeiter und einen Sammelband mit Berichten über Auslandseinsätze, “dargestellt von militärischen Führern, die in unmittelbarer Verantwortung vor Ort standen”, wie es im Verlagsprogramm heißt.

Kritische Studierende fragen in einem im Internet veröffentlichten offenen Brief, “inwiefern im Zuge der Kooperation mit militärischen Einrichtungen eine freie und kritische Wissenschaft möglich sein kann”. Die Befürchtung: Bei Seminaren wie dem von Portugall käme grundsätzliche Kritik an den Einsätzen zu kurz.  “Zunächst einmal: Niemand ist verpflichtet, an der Veranstaltung teilzunehmen”, sagt Portugall zur taz. Und die Literatur diene dazu, zur Vorbereitung alle auf den gleichen Wissensstand zu bringen. Auf dieser Basis würden dann in der Veranstaltung Pro und Contra diskutiert. Und er kenne schlichtweg kein bundeswehrkritisches Fachbuch, das für den Einstieg geeignet sei.  Ob er kein Problem darin sehe, dass die wissenschaftliche Forschung und Lehre über die Bundeswehr von der Bundeswehr selbst mit ausgerichtet wird?

Portugalls Antwort: “Die besten US-Politikwissenschaftler waren selbst Politiker, soll man die ausschließen? Das würde ja auch bedeuten, dass Professoren sich mit nicht Hochschulpolitik befassen dürfen.” Die kritischen Studierenden verweisen dagegen auf den Jahresbericht 2006 des SWI. Darin heißt es: “In diesem Rahmen ist die Forschungsplanung des Instituts nicht frei, sondern orientiert sich überwiegend am Erkenntnis- und Unterstützungsbedarf des Bundesministeriums der Verteidigung und der Bundeswehr.”  Die Kritiker rufen dazu auf, die Eröffnung um 16 Uhr im neuen Palais der Universität, Haus 11 zu besuchen. Dekan Kroener findet das gut: “Wir sind mit den 15 Studierenden, die jetzt anfangen, so ein kleiner Kreis. Wenn da noch welche dazukommen, dann können die auch gleich ihre kritischen Fragen loswerden.”

de.indymedia.org berichtete ergänzend hierzu:
Der neue Studiengang setzt sich aus Militärgeschichte und Militärsoziologie zusammen, wobei das Institut der Soziologie der Uni Potsdam mit dem SOWI und das Institut für Geschichte mit dem MGFA zusammenarbeiten. Beworben wurde der Studiengang mit den einleitenden Worten: “Mit dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung und einer sich erheblich beschleunigenden Globalisierung haben sich die Paradigmen internationaler Politik grundsätzlich verändert. Krieg und Bürgerkrieg, Unruhen und ethnisch-religiöse Konflikte haben an Umfang und Ausmaß erheblich zugenommen, der internationale Terrorismus mit den Anschlägen vom 11. September 2001 eine neue Dimension erreicht. Derartige Ereignisse und Entwicklungen haben mittlerweile auch unmittelbare Folgen für die Gesellschaften Europas. Sie führen nicht nur zu einer stark veränderten Wahrnehmung bewaffneter Konflikte und organisierter Gewalt in der deutschen Bevölkerung, sondern auch zu einem globalen Engagement deutscher Streitkräfte.” Schaut mensch sich die Seite des Studiengangs an (www.militarystudies.de) wird sichtbar, dass die meisten Lehrenden aus den Bundeswehrinstituten kommen.

Der neue Studiengang ist zwar einmalig in Deutschland, darf aber nicht darüber hinweg täuschen, das es an sehr vielen Unis Lehrbeautragte aus Bundeswehrinsituten gibt, somit sollte mensch genau schauen, wie die Situation an der eigenen Uni aussieht. Die Kooperation in Potsdam mit dem MGFA und dem Institut für Geschichte gibt es leider schon seit vielen Jahren, ohne dass dies wirklich Kritik hervorgerufen hat. Es hat sich gezeigt, dass neben den bundeswehrtypischen Inhalten auch kritische Forschung möglich ist. So wird es wahrscheinlich auch mit Militärsoziologie und dem neuen Masterstudiengang werden. Natürlich macht es das nicht besser und gehört zur Strategie, einerseits sich dadurch weniger angreifbar zu machen, und andrerseits Bundeswehrwissenschaftlerinnen in der Uni zu verankern, die sich als “hauptsächlich” Sozial- und Geschichtswissenschaftlerinnen ausgeben, entweder sehr nebenbei und ganz kurz erwähnen, für wen sie da im Auftrag lehren, oder dies einfach gar nicht benennen, um dann weiterzufahren in ihren Analysen über Sicherheitspolitik, Soziologie/Geschichte des Krieges, Terrorismus, soldatische Motivationssteigerung, Meinungsforschung,…

Dieser weitere Zugang zu zivilen Bereichen ermöglicht einerseits den Bundeswehrinstituten einen besseren Ruf ihrer “Wahrheitsproduktion”, andrerseits bietet direkter Kontakt bessere Chancen für Anwerbung. Im Rahmen der Transformation des Militärs und der militärischen Einsätze wird ein neues Profil erarbeitet, das großen Bedarf an Akademikerinnen hat, die sich in ihren Forschungen um gesellschaftliche Akzeptanz der Bundeswehr sorgen, aber auch selbst die Kompetenzen haben, um z.B. mit NGO’s usw. zusammenarbeiten zu können. Letztlich also dem Bild der “humanitären” Einsätze besser entsprechen. So schreibt das SOWI: “Große Bedeutung für den Erfolg des Studiengangs in den nächsten Jahren wird den studienbegleitenden Praktika am SWInstBw und in anderen Dienststellen zukommen.(…) Nicht zuletzt mit Blick auf die anstehende Überprüfung durch den Wissenschaftsrat ist die Beteiligung des SWInstBw an diesem bundesweit einmaligen und innovativen Studiengang “Military Studies” von großer Bedeutung. Sie unterstreicht die hohe, anerkannte wissenschaftliche Expertise des Instituts und ist gleichermaßen Ausdruck der fachwissenschaftlichen Vernetzung des Instituts in der Wissenschaftslandschaft.” (SOWI-Jahresbericht 2006, S.24)

Im selben Text steht auch die eindeutige Stellungnahme, was unter dieser Form von Wissenschaft verstanden wird: “Das Sozialwissenschaftliche Institut ist Teil einer Bundeswehr in der Transformation und im Einsatz. (…) Hauptaufgaben des Sozialwis(o)senschaftlichen Instituts sind die angewandte streitkräftebezoge(o)ne sozialwissenschaftliche For(o)schung und die dazu erforderliche militärsoziologische Grundlagen(o)forschung.Die Forschung umfasst die Analyseebenen “Internationales System”, “Nationales System und Gesellschaft”, “militärische Organisation”, “Soldat als Individuum”. In diesem Rahmen ist die Forschungsplanung des Instituts nicht frei, sondern orientiert sich überwiegend am Erkenntnis- und Unterstützungsbedarf des Bundesministeriums der Verteidigung und der Bundeswehr.” (Jahresbericht des SOWI 2006, S.5 und 29) Die Seite der Uni Potsdam beruft sich auf die “mögliche kritische Forschung”, den Erhalt der “bedrohten Soziologie” und verkauft sich somit an die ressourcenreichen “Kooperationspartner”.

Traurig ist v.a., dass von studentischen Gremien, wie der Fachschaft Soziologie oder dem AStA bisher keine Öffentlichkeit geschaffen wurde, und es so möglich war, alles vertraglich abzusichern und erst einen Monat vor offiziellem Beginn des Studienganges die ersten Ankündigungsplakate zu entdecken waren. Letztlich wird es an der Studierendenschaft hängen, ob der Lehrbetrieb einfach so ablaufen kann- wie auch bisher in Militärgeschichte geschehn- oder ob Protest sichtbar wird und bleibt. Freitag fand die offizielle Einführung des Studienganges statt. Zahlreiche Uniformträger kamen angefahren- auch im Bundeswehrauto- um die bisher 15 Studienanfänger_innen zu begrüßen.Dies konnte erfolgreich gestört werden,

ein netter Bericht über diese Störaktion findet sich bei inforiot.de:
Die Kampagne “no military studies” rief im Vorfeld zum lautstarken Protest gegen den neu geplanten Studiengang, an welchem das Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr(MGFA) und dem Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr(SOWI) mitwirken soll, auf. Gegen 16 Uhr sammelten sich einige Protestierende vor dem Gebäude der Philosophischen Fakultät. Die Eingangstür wurde mit dem Schild “Munitionsausgabe” beklebt, 2 Demonstrant_innen hielten davor in Ritterkleidung Wache, während am Eingang mit Marschmusik und Flugblättern weitere Protestierende begrüßt wurden. Nach etwa zehn Minuten schlossen sich ca. 30 Gegner_innen der Veranstaltung lautstark an- Tischklopfen, Marschschritte, Sprüche wie “Mehr, mehr,mehr, Militär muss her” störten die Ausführungen des Referenten und Dekan Koerner.

Transparente wie “Bundeswehr raus aus der Uni” und “Militaristen stören, egal wie” hingen an der Tafel.  Da es so laut war, musste in einen anderen Raum umgezogen werden- wieder schlossen sich die Protestierenden lautstark in Marschrhythmus dem Zug an. Der Raum war jedoch weitaus kleiner, so dass der weitere Protest im Flur des Unigebäudes kundgetan werden musste. Dort diskutierten die Protestteilnehmer_innen mit dem Dekan, der zunächst auf sein Hausrecht beharrte. Jedoch stehe er Rede und Antwort und freue sich über kritische Diskussionsbeiträge, allerdings nur, wenn diese im Hörsaal auf akademischer Basis geführt würden. Körner: “Die Sache war spannend und lustig, aber jetzt sollten Sie uns an die Reihe lassen!”. Die Forderung der Protestierenden war eindeutig – die Bundeswehr soll “abhauen”. In folgenden Diskussionen auf dem Flur verteidigte Koerner den neuen Studiengang, da trotz der organisatorischen und finanziellen Einbindung der Bundeswehr eine angemessen kritische Auseinandersetzung mit dem Militär in den Lehrveranstaltungen gewährleistet sei. Eine klares Statement formulierte ein Protestteilnehmender: Wissenschaft müsse kritisch sein, jedoch sei dies nicht möglich wenn eine finanzielle wie auch personelle Abhängigkeit von der Bundeswehr gegeben ist. Wissenschaft dürfe nicht interessengeleitet sein. Und für eine freie, unabhängige Wissenschaft plädierte auch die vierköpfige Clowns-Army. Sie schloss sich mit Gesang, schrillen Trompetengeräuschen, theatralischen Inszenierungen und einem “Kriiieech-Spiel” dem Protest an.

Trotz Sekt und Brezeln, welche von den Veranstalter_innen an die Demonstrierenden verteilt wurde, hielt der Protest weiterhin an. Nach über 90 Minuten verließen die ca.10 Veranstaltungsteilnehmer_innen durch den “besetzten” Flur das Gebäude.Ein erster Erfolg für die Antimilitarist_innen- oder wie es ein Protestierender zwischendurch formulierte: “Gut, dass wir in diesem Rahmen für die Vorlesungen üben!” Letztendlich konnte die Veranstaltung weder feierlich eröffnet noch durchgeführt werden.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/12/28/bewegungsmeldung-x-die-bestien-von-potsdam/

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