vonHelmut Höge 20.05.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Seltsam, die ganzen Umweltschützer, Alternativenergetiker, Genkritiker und Ökos sind zwar überaus aktiv, aber sie vermeiden es strikt, die Warenproduktion als die Wurzel alles Übels zu thematisieren. Die Warenproduktion, die tendenziell alles und jeden vernutzt. Im Gegenteil ist z.B. ein taz-Ökoredakteur sogar der Meinung, dass es gut ist, wenn z.B. die Multis oder große Fondsgesellschaften die Wind- und Solarenergie aufgreifen, um daraus ein Geschäft zu machen, weil die Durchsetzung dieser regenerativen Energie und ihre Nutzung dann nicht mehr nur im Kleinen geschieht.

Auch anderswo werden die Ökos immer blinder gegenüber der kapitalistischen Ökonomie und den sozialen Problemen. Dies hängt auch mit ihrer (amerikanischen) Konzentration auf Erfolg – und damit auf “Single Point/Issues/Targets” zusammen, die völlig blind macht gegenüber der Tatsache, dass alles mit allem zusammenhängt. In der Jungen Welt veröffentlichte dazu gerade Klaus Pedersen einen erhellenden Text – als:

Vorabdruck. Die internationalen Naturschutzunternehmen

Nüchtern betrachtet zählen zu den ersten Gewinnern der Schutzgebietspolitik die Naturschutzorganisationen, die sich so ihre eigene Existenzgrundlage schaffen. Mit den »großen internationalen Naturschutzorganisationen« sind in erster Linie der World Widlife Fund for Nature (WWF), The Nature Conservancy (TNC) und Conservation International (CI) gemeint, gefolgt von der kleineren Wildlife Conservation Society (WCS), die in dem Ruf steht, Naturschutzziele gegenüber den indigenen und lokalen Gemeinschaften besonders rücksichtslos zu vertreten.

Die großen drei

Die älteste und – budgetmäßig betrachtet – größte Organisation ist die TNC, die Mitte der 1940er Jahre von einer Handvoll US-amerikanischer Biologen mit dem Ziel gegründet wurde, die Unterschutzstellung bestimmter Naturflächen innerhalb der USA zu erreichen. Es dauerte rund 25 Jahre, bis für den TNC-Präsidenten erstmals eine voll bezahlte Stelle zur Verfügung stand. Heute ist der Posten des TNC-Präsidenten mit einem ansehnlichen Managergehalt dotiert. In den 1990er Jahren durchlief TNC eine Phase exponentiellen Wachstums und verfügt heute über knapp 3700 bezahlte Mitarbeiter sowie ein Vermögen von über vier Milliarden Dollar und operiert in 50 Bundesstaaten der USA sowie 30 weiteren Ländern. Zu den wichtigsten der nahezu 2000 Firmensponsoren von TNC gehören neben mehreren Holz- und Mineralölkonzernen auch Monsanto und Pfizer.

CI mit aktuell knapp 800 Angestellten wurde 1987 von TNC-»Deserteuren« gegründet, die TNC nach internen Querelen verlassen hatten. Mit Hilfe von »aggressivem« Fundraising wuchs diese Organisation rasant und verfügte 2005 über ein Vermögen von 173 Millionen Dollar. Drei Viertel der Einnahmen – 92,7 Millionen Dollar – wurden von Stiftungen, Regierungen und anderen Geldgebern für Projekte eingeworben. Das hebt CI gegenüber TNC und WWF ab, die sich stärker aus individuellen und Firmenspenden finanzieren. Aber auch CI macht von dieser Möglichkeit Gebrauch. Von den rund 250 Firmen-»Partnern« werden jährlich zwischen sieben und neun Millionen Dollar eingesammelt. Zu den Sponsoren gehört eine Reihe notorischer Umweltsünder wie die Ölmultis BP, ConocoPhilips, ChevronTexaco, die Papier- und Holzkonzerne International Paper und Weyer-haeuser sowie bekannte Namen wie McDonald’s, Coca-Cola und Wal-Mart. Sie alle bekommen durch diese »Partnerschaften« die Möglichkeit, sich mit der Unterstützung von Natur- und Umweltschutz zu brüsten.

CI arbeitet in den »Biodiversity hotspots« von über 20 Ländern und erlangte traurige Berühmtheit wegen dubioser Allianzen und Aktivitäten, unter anderem in Chiapas, Guatemala und Papua-Neu-Guinea. Der Sündenkatalog umfaßt die »Beihilfe« zur Biopiraterie, eine Zweckbeziehung zum mexikanischen Militär bei der Bekämpfung der Zapatistas und – daran gekoppelt – die Vertreibung dieser unerwünschten Bewohner aus dem Biosphärenreservat Montes Azules, die Kooperation mit Firmen bei der »grünen Kolonisierung« von bäuerlichen Gemeinschaften und die Unterstützung von Ölkonzernen bei der Lagerstättenerkundung, selbst in Naturschutzreservaten. Eine Würdigung dieser dubiosen Verstrickungen erfolgte 2005, als CI für den Negativpreis »The Public Eye on Davos Award« nominiert wurde.

Der WWF begann 1961 mit einem kleinen Büro in der Schweiz. Heute operiert er mit 4000 Angestellten in über 100 Ländern und arbeitet an 2000 Projekten, wofür im Jahr 2006 rund 374 Millionen Euro ausgegeben wurden. Der WWF Deutschland hat zur Zeit 324000 Förderer und erzielte 2006 Erlöse in Höhe von 27,3 Millionen Euro (davon 19,9 Millionen aus privaten Spenden und 2,5 Millionen von Unternehmen). Auf Vollzeit umgerechnet hat der WWF Deutschland derzeit 98 Stellen (109 Angestellte) und war neben 16 nationalen Projekten an 37 internationalen Projekten beteiligt. Ähnlich wie die anderen Naturschutzmultis verfolgt der WWF eine marktorientierte Herangehensweise an die Finanzierung von Naturschutz, was nicht zuletzt in seiner Broschüre »Raising revenues for protected areas. A menu of options« zum Ausdruck gebracht wird.

Staat überläßt NGO seine Pflichten

Was ist das Problem mit diesen Naturschutzunternehmen, außer daß sie mittels Greenwash den zum Teil notorischen Umweltsündern zu einem grünen Mäntelchen verhelfen? Zum einen wurde die Problemlage 2004 in einem Aufsehen erregenden Beitrag von Mac Chapin, Anthropologe und zu jener Zeit Mitarbeiter des Environmental Law Institute in Washington, umrissen, der vom World Watch Magazine veröffentlicht wurde. (…)

Chapin beginnt mit der Bezugnahme auf eine unveröffentlichte Evaluierung der Ford-Stiftung (ein wichtiger Geldgeber für die »großen drei«), in der festgestellt wurde, daß diese Organisationen in kurzer Zeit extrem groß und reich geworden seien und daß sie eine globale Herangehensweise an den Naturschutz verfolgten, »die eine Reihe von Fragen und Beschwerden durch lokale Gemeinschaften, nationale NGO und MenschenrechtsaktivistInnen hervorriefen« (Chapin 2004). Dies bestätigt in moderaten Worten die im ersten Teil des vorliegenden Buches beschriebene Situation. Chapin problematisierte die Zusammenarbeit der großen Naturschutz-NGO mit multinationalen Unternehmen, insbesondere aus der Öl-, Gas-, Arzneimittel- und Bergbaubranche und beklagte, daß die Zusammenarbeit mit indigenen Gemeinschaften nach einem Hype Anfang der 1990er Jahre zu einem Lippenbekenntnis geschrumpft sei. Als Ursache für das Scheitern der Zusammenarbeit mit Basisorganisationen identifizierte er die arrogante Herangehensweise der großen Organisationen, die den indigenen und lokalen Gemeinschaften stets die Projekte vorsetzten und zur »Teilnahme« einluden, aber den Basisorganisationen nie die Chance gaben, ihre eigenen Projekte zu entwerfen und durchzuführen. Bezüglich der Prioritäten kollidierten die Interessen der beiden Gruppierungen regelmäßig. Während auf der indigenen Agenda fast immer (und verständlicherweise) der Schutz der eigenen Landnutzung und die Legalisierung der Eigentumsverhältnisse an der Spitze stand, wollten die Naturschutzorganisationen als erstes die Schutzgebiete demarkieren und Managementpläne entwerfen. Chapin bescheinigt den großen Naturschutz-NGO, daß sie über die Köpfe der lokalen Bevölkerung hinweg agieren.

Auf ein weiteres Problem mit den »großen drei« wies Paul Jepson vom Umweltzentrum der Universität Oxford hin: Die Lobbyarbeit der Naturschutzmultis, mit dem Ziel, das eigene Budget zu vergrößern, spielt der weltweiten neoliberalen Agenda in die Hände – der Staat zieht sich aus seiner Verantwortung zurück und überläßt »zivilgesellschaftlichen Organisationen« von zum Teil fragwürdiger Legitimität das Feld, wodurch »der Öffentlichkeit nicht rechenschaftspflichtige Märkte, Unternehmen und zwischenstaatliche Institutionen bei der Festlegung von Werten und Politikzielen, die den Kontext des Alltagslebens bestimmen, allzu dominant werden« (Jepson 2005). Von außen betrachtet wirkten die großen Naturschutzorganisationen wie ein Hybrid aus transnationalen Konzernen und (zwischen)staatlichen Institutionen der Entwicklungshilfe, meint Jepson.

Während die Naturschutzmultis ihre eigene Arbeit aus privaten und Firmenspenden sowie Projektgeldern von Stiftungen und (zwischen)staatlichen Einrichtungen finanzieren, betrachten sie im Einklang mit den staatlichen und internationalen »Entwicklungshilfe«-Institutionen marktwirtschaftliche Mechanismen als das langfristige Nonplusultra zur Finanzierung von Naturschutz. Dazu zählen Eintritts- und andere Gebühren für Schutzgebiete, Einkünfte aus dem »Öko«tourismus, Gebühren für Jagd- und Angellizenzen, Bioprospektionsgebühren, Debt-for-Nature-Swaps (Schuldenerlaß im Tausch für den Erhalt von Biodiversität) und Einkünfte aus Umweltdienstleistungen. (…)

Vermarktung biologischer Vielfalt

Im ersten Teil des Buches wurde die weltweite Ausbreitung von Schutzgebieten (Nationalparks, Biosphärenreservate etc.) beschrieben, und es wurde auf die sozialen Folgen für die Menschen der Länder des Südens eingegangen.

Der Logik der Marktwirtschaft folgend kann man davon ausgehen, daß die Gelder zur Schaffung und zum Erhalt von Schutzgebieten nicht zum Selbstzweck ausgegeben werden. Die Forderung des in der Entwicklungspolitik einflußreichen CSU-Bundestagsabgeordneten Dr. Christian Ruck, das Verhältnis zwischen »altruistischer Entwicklungspolitik« und »eigeninteressengeleiteter Geopolitik« neu zu bestimmen, gilt auch für den Bereich des Biodiversitätsschutzes. Es werden Abermillionen Dollar bzw. Euro nicht primär dafür ausgegeben, um die Lebensgrundlage unzähliger Menschen zu zerstören. Vielmehr geht es um die Inwertsetzung der biologischen Vielfalt, um das Vermarkten von Naturschutz, um Emissionshandel, um die Zonierung von Waldflächen und, damit verbunden, um die Gewinnung von Zellulose und von Treibstoffen aus biologischem Material. Zum einen geschieht das im Einklang mit der westlichen Vorstellung von Naturschutz (Schutz der Biodiversität zur späteren Verwertung genetischer Ressourcen, marktwirtschaftliche Verrechnung von Naturerhalt als »Umweltdienstleitung«). Zum anderen dient Naturschutz – wie bereits erwähnt – als Ausgleichsmaßnahme, um anderweitig verursachte Naturzerstörung (großflächige Baumplantagen zur industriellen Nutzung, Gewinnung von Bodenschätzen) abzupuffern.

Das grundlegende völkerrechtliche Abkommen in diesem Bereich – die Konvention über Biologische Vielfalt (CBD) – entspricht voll und ganz dieser Denkweise. Auch wenn in den 42 Artikeln der CBD zwei Abschnitte zu finden sind, die sich zum Schutz der Interessen von indigenen und lokalen Gemeinschaften äußern, sollte die CBD nicht mit einem Instrument zur Schaffung von mehr sozialer Gerechtigkeit verwechselt werden. Die Formulierungen in der CBD mögen »weniger schlimm« klingen als die in den Dokumenten der Welthandelsorganisation (WTO), doch die CBD war der entscheidende Schritt zu einer Strategie der »Nachhaltigkeit« im marktwirtschaftlichen Sinn, die von zahlreichen NGO willig mitgetragen wird.

Dazu zwei Einschätzungen von WissenschaftlerInnen verschiedener Disziplinen: »Den über diese Form der ›ökologischen Modernisierung‹ erhaltenen Zugang zu den Zentren der Macht dankten die entsprechenden Umweltorganisationen durch ›Politikfähigkeit‹ und Pragmatismus, während sie sich von Strategien der Konfrontation mit Politik und Wirtschaft verabschiedeten«, schlußfolgert der Geograph Klemens Laschefski (2007) in einem Beitrag für die ILA.

Nach Ansicht der Anthropologin Cori Hayden von der Universität Berkeley/Kalifornien, »fördert und billigt (die CBD – K.P.) explizit eine marktvermittelte Vision von Biodiversitätsschutz. Die Konvention baut buchstäblich auf die Life Science Industrie sowie den immer breiteren Umfang an Patenten auf Lebensformen als Zugpferde, um der Biodiversität ›Wert‹ zu verleihen. Naturschutz wird somit unersetzlich für eine Vision von nachhaltiger Entwicklung, bei der biologische Vielfalt als eine produktive Ressource betrachtet wird, die ›sich selbst bezahlt‹. (…) Die CBD liefert den Ländern des Südens Anreize dafür, ihre Wälder lieber zu schützen als sie abzuholzen. Aus dieser Perspektive ist ein Abkommen zum Benefit-Sharing (Vorteilsausgleich) kein Mechanismus zur Förderung sozialer Gerechtigkeit, sondern es wurde in erster Linie als Anreizstruktur geschaffen« (Hayden 2006).

Ganz in diesem Sinne äußert sich die KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) in einem Diskus­sionspapier zum »Thema Umweltdienstleistungen in den Biosphärenreservaten tropischer Länder« (KfW 2004). Programme zu Umweltdienstleistungen würden schnell ihre Attraktivität verlieren, wenn sie mit anderen Zielen überfrachtet würden, zum Beispiel sozialen Zielen. Es sei generell nicht wünschenswert, Kompensationszahlungen für Bauern zu leisten, die bereits existierenden gesetzlich verordneten Beschränkungen unterliegen. Nur bei neuen Beschränkungen, zum Beispiel wenn traditionelle Weiderechte in einem neu etablierten Schutzgebiet eingeschränkt werden sollen und es politisch nicht möglich ist, diese Einschränkungen anderweitig durchzusetzen, sollten Ausgleichszahlungen in Betracht gezogen werden. Ein Argument, das man überwinden müsse, sei jenes, daß die Landwirte Ausgleichszahlungen entsprechend dem Nutzen erhalten sollten, den sie für die Umwelt produzieren. In den weiteren Ausführungen wird auf die Monopolstellung der Finanzinstitutionen verwiesen, die die Umweltdienstleistungen bezahlen. Es wird angeregt, diese Monopolstellung zu nutzen, um die Preise auf ein möglichst niedriges Niveau zu drücken, um so möglichst viel Umweltdienstleistung für das zur Verfügung stehende Geld herauszuholen. Nur so würde das Geschäft mit Umweltdienstleistungen unter anderem für private Anleger attraktiv sein.

Die Bioprospektionssaga

Inwertsetzung von Biodiversität beginnt in der Regel mit einer Bestandsaufnahme (Bioprospektion). Ähnlich wie im Supermarkt muß die künftige Ware mit einem Etikett versehen sein, selbst wenn im vorliegenden Fall – beim Verramschen der biologischen Kostbarkeiten – der Preisaufdruck auf dieses Etikett erst viel später erfolgt.

Der Begriff »Prospektion« bezog sich ursprünglich auf die Erkundung von Lagerstätten natürlicher Rohstoffe (Erz, Erdöl etc.). Bei Bioprospektion geht es um die Erkundung von »Lagerstätten« biologischer Rohstoffe, d.h. um Orte, an denen Pflanzen, Mikroben und Tiere gefunden werden, aus denen bioaktive Moleküle isoliert oder die als genetische Ressource genutzt werden können. Der Terminus »Bioprospek­tion« setzte sich in Fachkreisen vor anderthalb Jahrzehnten mit dem damals bahnbrechenden Buch »Biodiversity Prospection« von Laird und Reid (1993) durch. Bioprospektion ist keine neue Erscheinung. Schon die kolonialen »Entdecker« des 16./17. Jahrhunderts nahmen in Augenschein, was feudalen Imperien und frühkapitalistischen Handelsmonopolen wie der Ostindien-Kompanie gut und nützlich sein konnte. Seit Jahrhunderten werden Heilpflanzen und pflanzengenetische Ressourcen in die Zentren der Macht transferiert. So war es eigentlich Bioprospektion, was Pizarro und seine Raubgesellen Mitte des 16. Jahrhunderts zu jener Expedition antrieb, bei der sie schließlich auf den Amazonas stießen und bis zu seiner Mündung vordrangen: Sie waren auf der Suche nach dem »Land des Zimts«.

Im Zeitalter der Gen- und Biotechnologie, das zugleich das Zeitalter der massiven Zerstörung tropischer Regenwälder und anderer Lebensräume ist, wird Bioprospektion jedoch auf völlig neuem Niveau durchgeführt. Einerseits bietet die moderne Molekularbiologie analytische Möglichkeiten, die vor zwei Jahrzehnten noch völlig unvorstellbar waren. Andererseits wird es in Anbetracht fortdauernder Zerstörung von Lebensräumen in Zukunft immer schwieriger werden, neue biologische Ressourcen zu finden. Deshalb vertreten Institutionen wie das US-amerikanische FIC (Fogarty International Center) die Meinung, daß die Erforschung des medizinischen Potentials der Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen dringend notwendig sei. Das FIC, einer der wichtigsten Geldgeber für die globale Bioprospektion, weist darauf hin, daß knapp die Hälfte aller in den letzten 20 Jahren entwickelten Arzneimittel ursprünglich aus Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen isoliert wurde. Die diesbezüglichen Zahlenangaben schwanken, aber in der Grundaussage decken sie sich. (…)

Von ähnlichen Motiven waren und sind übrigens auch die Akteure im Agrarsektor getrieben. Die genetischen Ressourcen der Länder des Südens werden seit vielen Jahrzehnten von den Pflanzenzüchtern Deutschlands sowie anderer Länder Europas und Nordamerikas begehrt. Schon in den siebziger Jahren erkannten Wissenschaftler der National Academy of Sciences der USA, daß die sogenannte grüne Revolution »ein Paradox sozialer und ökonomischer Entwicklung darstellt, indem das Produkt der Technologie (Züchtung auf hohen Ertrag und Einheitlichkeit) die Ressourcen zerstört, auf denen die Technologie aufbaut« (zitiert bei Flitner 1995, S. 11 f.). Pflanzenzüchter mit fachlichem Weitblick erkannten diese Entwicklung bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts und versuchten, dem sich abzeichnenden Trend durch regionale Sammlungen von Landsorten entgegenzuwirken.

Dieser pflanzenzüchterische Weitblick war teilweise gepaart mit ausgeprägten eugenischen Ambitionen und rassistischer Weltanschauung. So war der herausragende Pflanzengenetiker und Wegbereiter beim Aufbau von Sortensammlungen, Erwin Baur, zugleich Mitverfasser des 1921 erschienenen und nach Einschätzung von Flitner äußerst einflußreichen Buches »Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und der Rassenhygiene«. Ferner war Baur zeitweilig Vorsitzender der »Berliner Gesellschaft für Rassenhygiene« und sparte nicht mit rassistischen Kommentaren über die menschliche Vielfalt, der er auf seinen Sammelreisen begegnete.

Regenwald als Profitreservoir

Die wohl bedeutendste Sammelreise deutscher Bioprospektoren im landwirtschaftlichen Bereich war die zehnmonatige »Deutsche Hindukusch-Expedition 1935«. Dabei machten diese Sammler eine Erfahrung, die auch späteren Bioprospektoren nicht erspart blieb – man war auf das Wissen der lokalen Bevölkerung angewiesen. Das Sammeln wird »eine ausgesprochen lästige Arbeit, wenn man keine reifen Feldbestände benutzen kann, sondern vom guten Willen der Landbewohner abhängt«, klagten die Teilnehmer dieser »nationalsozialistischen« Expedition (zitiert bei Flitner 1995, S. 77), die im übrigen auch den Auftrag hatte, nach »arischen Völkerresten« am Hindukusch zu suchen.

Über eine Reihe von Stationen, die die Gründung der bundesdeutschen Genbank (damals in Braunschweig) im Jahr 1970 einschloß, zog sich die Sammeltätigkeit deutscher Forscher als roter Faden durch die Jahrzehnte bis hinein in die »Entwicklungszusammenarbeit«, die sich nach dem Zusammenbruch der Kolonialsysteme in den 70er Jahren zu formieren begann. Eine der dafür zuständigen deutschen Institutionen, die GTZ (Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit – d. Red.), führte von 1976 bis 1987 insgesamt 34 Sammelreisen in Sachen Agrobiodiversität in zehn verschiedenen Ländern durch, wobei Mittel- und Südamerika einen Schwerpunkt bildeten. Derlei Aktivitäten wurden nicht sonderlich publik gemacht. Flitner mußte ziemlich tief graben, um auf die Quellen zu stoßen, in denen diese das Licht der Öffentlichkeit scheuende Sammelleidenschaft detaillierter beschrieben ist.

Im Bereich des Naturschutzes dreht sich ein Großteil des Diskurses über Erhalt und Verlust der biologischen Vielfalt um die tropischen Regenwälder, insbesondere in den als »Megadiversitätszentren« betrachteten Regionen. Dabei hat, im Gegensatz zu Teilen der lokalen Bevölkerung, für die Eliten des Nordens die Eindämmung des Regenwaldverlusts keine existentielle, sondern strategische Bedeutung. Durch den Wachstumszwang kapitalistischen Wirtschaftens werden Umwelt, Klima und Naturräume in globalem Maßstab zerstört. Zugleich versuchen Pharma- und Biotechnologiekonzerne mit »Naturschutz« sich ein Stück des schwindenden Kuchens für später zu reservieren. Sie kommen mit der Wertschöpfung nicht in dem Maße hinterher, wie Holzindustrie und Erdölkonzerne sowie der vom westlichen Lebensstil verursachte Klimawandel die biologische Vielfalt zerstören. Die »Rettung« der Biodiversität wird – in Form von Entwicklungszusammenarbeit – zur staatlichen Aufgabe, getreu dem Prinzip, Aufwendungen zu sozialisieren und (spätere) Gewinne zu privatisieren.

Literatur:

– Chapin, M. (2004): World Watch Magazine, November/Dezember 2004, S. 17–31

– Flitner, M. (2005) Sammler, Räuber und Gelehrte. Campus Verlag, Frankfurt/New York

– Hayden, C. (2006): NACLA Report on the Americas 39, S. 26–31

– Jepson, P. (2005): Environmental Science & Policy 8, S. 515–524

– KfW (2004): Environmental Services. Payments for environmental services in German financial cooperation. Frankfurt/Main, April 2004, www.kfw-entwicklungsbank.de

Erscheint in diesen Tagen: Klaus Pedersen, Naturschutz und Profit. Menschen zwischen Vertreibung und Naturzerstörung, Unrast Verlag Münster, 140 Seiten, 13,80 Euro

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