vonHelmut Höge 08.08.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Neulich besuchten einige Genossen aus sizilianischen Genossenschaften, u.a. von der Cooperativa Placido Rizzotto, die taz. Es ging darum, dass Thomas Schmidt für taz-Leser eine Sizilien-Reise organisiert, wobei er sich auf diese Agrargenossenschaften stützt. Sie bewirtschaften Land, das der Mafia gehörte und enteignet wurde. Anschließend übergab man es Arbeits- bzw. Landlosen, die sich dazu in Genossenschaften organisierten. Die Neue Zürcher Zeitung berichtete am 13.Juni 20008 in einem ausführlichen “Dossier” über sie. In der taz erzählten sie, wie sie es geschafft hatten, sich in der einst von der Mafia beherrschten Umgebung zu behaupten und sogar langsam anerkannt zu werden.

Die italienische Genossenschaftsbewegung begann einst mit der Selbstorganisation von Glasbläsern.

Dazu besuchten wir die “Coop CIVE”, ein Glasproduktionsbetrieb in Vinci bei Florenz, das Interview mit einer ihrer Mitarbeiterinnen findet sich an anderer Stelle im blog. Hier erst einmal einige allgemeine Studien über italienische Genossenschaften.

“Das Genossenschaftswesen in Italien im 19. Jahrhundert zwischen Krise und Entwicklung” so heißt ein Beitrag auf der Webpage der Autonomen Provinz Trentino-Südtirol, Ressort für Handwerk und Genossenschaftswesen, auf der sich auch ein Verzeichnis der Genossenschaften in Trentino und in Südtirol findet. Der obige Beitrag zur Genossenschaftsgeschichte steht unter dem Eintrag “Führung der Genossenschaft”, in dem es um praktische Hinweise geht – bei der Gründung einer Genossenschaft. Dazu findet sich unter dem Stichwort “Der Genossenschaftsbetrieb” eine Art Grundsatzerklärung:

“Eine Genossenschaft gründen und führen ist aus verschiedenen Gründen bestimmt kein leichtes Unterfangen. In erster Linie wegen ihrer besonderen Stellung als auf dem Gegenseitigkeitsprinzip beruhendes Unternehmen und zweitens, weil sie in jeder Hinsicht ein Betrieb ist, der sich der schwierigen Aufgabe stellen muss, sich am Markt zu behaupten.
Wir dürfen nicht vergessen, dass die Genossenschaft ein Betrieb ist, der nicht die Gewinnmaximierung verfolgt, sondern in erster Linie seinen Mitgliedern eine größere wirtschaftliche Ausgeglichenheit im Vergleich zur Markttendenz sichern soll; die erste Pflicht für den Gründer einer Genossenschaft ist die, seine Tätigkeit auf eine besondere Philosophie auszurichten, d.h. die Philosophie, die sich auf die Werte der Genossenschaftsidee wie die Solidarität und die gegenseitige Hilfe aufbaut.
Es soll aber auch nicht vergessen werden, dass die Genossenschaft in einem Wirtschaftsgefüge arbeitet, woraus eine ganze Reihe von verwaltungstechnischen Verpflichtungen entsteht, die eingehalten werden müssen.”

Nun zur Genossenschaftsgeschichte:

Die italienische Halbinsel hatte ihre politische Einheit noch nicht erreicht, als im Jahre 1844, mitten in der industriellen Revolution, eine Gruppe von Webern, in der kleinen englischen Stadt Rochdale beschloss, die erste Genossenschaftsverkaufsstelle zu gründen, um “die wirtschaftliche Lage ihrer Mitglieder zu verbessern”.
So entstand die erste Genossenschaft und es begann eine Pionierzeit, die von den ersten ermutigenden Erfolgen angespornt, das Genossenschaftsmodell als Organisationsform in ganz Europa bekannt machte.
Auch Italien blieb von diesen schnellen Veränderungen nicht unberührt und in Piemont, wo die neuen Ideen der Associations fraternelles von Louis Blanc auf nahrhaften Boden gefallen waren, und das junge “Statuto Albertino” Hoffnungen auf eine Öffnung der auf kollektiver Selbsthilfe basierenden Organisationsformen erweckt hatte, wurden unsere ersten Genossenschaften ins Leben gerufen. 1854 kam es zur Gründung der Società degli Operai und zwei Jahre später war die Associazione artistico-vetraia (Kunstglasbläservereinigung) in Altare an der Reihe.
Ab jener Zeit war die Entwicklung unaufhaltsam, so dass Ende 1862 im Königreich Italien immerhin 443 Genossenschaften ihre Tätigkeit aufgenommen hatten.
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war von einer enthusiastischen Entwicklung gekennzeichnet, die es ermöglichte, die ersten Konsumgenossenschaften (mit Francesco Viganò in Como und Luigi Luzzatti in Mailand), die erste Genossenschaftsbank in Lodi und vor allem den ersten Kongress der italienischen Genossenschaften (1886 in Mailand), welcher die Entstehung des ersten Verbands der italienischen Genossenschaften (später Lega Nazionale delle Cooperative genannt) bestätigte, zu verwirklichen.
Es ist zu beachten, dass das manchmal pionierhafte Wachstum der Genossenschafts- idee nicht selten den wechselnden politisch-wirtschaftlichen Ereignissen unseres Staates folgte und auch auf geografischer Ebene jene schwerwiegende soziale und wirtschaftliche Zweiteilung aufwies, die zwischen dem Norden des Landes und dem Mezzogiorno auftrat und nie überwunden wurde. Das wirtschaftliche Ungleichgewicht, das sich gegen Ende des Jahrhunderts durch die immer intensiver werdende Industrialisierung im Norden zuspitzte, wurde durch einige, 1890 veröffentlichte Daten bestätigt: In Norditalien befanden sich 87% der gesamten Genossenschaften des Landes, in Mittelitalien 14% und im Süden und auf den Inseln knapp 5,3%.
Im Süden konnte sich die Bewegung mit den Kämpfen und Streiks der “Fasci siciliani” einer demokratischen, links gerichteten Arbeiterbewegung schmücken, auch wenn sie wenig Erfolg zeitigte.
Ein ganz anderes Los kam der katholischen Genossenschaftsbewegung zu, die, nachdem das Non expedit von Pius IX. de facto überwunden war, versuchte, im sozialen Bereich Boden zurückzugewinnen, da man aufgrund des immer stärkeren Zuspruchs den die sozialistische Bewegung verzeichnete, vielleicht eher besorgt, als von der Enzyklika Rerum novarum von Pabst Leo XIII. ermutigt war.
Bis zu dem Zeitpunkt hatte sich die soziale und institutionelle Tätigkeit der Katholiken hauptsächlich über die Opera dei Congressi (Auftragswerk) und die Comitati Cattolici d’Italia (1874 in Venedig gegründet) abgewickelt. Die Unzulänglichkeit dieser Tätigkeit wurde Anfang der achtziger Jahre deutlich und um Abhilfe zu schaffen gründete man 1889 in Padua die Unione Cattolica per gli Studi Sociali (Katholischer Verband sozialer Studien). Diesem wurde die Aufgabe übertragen, “Überlegungen zu entwickeln, die den aus dem beginnenden Wandel der Gesellschaft und der italienischen Wirtschaft oder zumindest einigen Gebieten und Regionen des Landes entspringenden neuen Herausforderungen gewachsen waren”. Die Entwicklung katholischer Gewerkschaftsorganisationen wurde als einer der möglichen Wege betrachtet. In diesem Sinne bestätigte die Enzyklika von Papst Leo XII., die zum System Fouriers ermutigte und die Bildung nur aus Arbeitern bestehender Gesellschaften legitimierte, den Vorschlag der Unione Cattolica.

Genossenschaften im Aufwind zur Zeit Giolittis

Die Maßnahmen der Regierung Crispi und seiner unmittelbaren Nachfolger führten Italien in eine tiefe Wirtschaftskrise die, nachdem sie zu blutig unterdrückten Auseinandersetzungen auf den Plätzen geführt hatte, den Auftritt von Giovanni Giolitti vorbereitete. Die von einer günstigen internationalen Konjunktur, der Neuordnung des Bankwesens, der Anregung zu großen öffentlichen Arbeiten und der vom liberalen Führungsstand aufgezwungenen neuen Industriepolitik unterstützte italienische Wirtschaft wies Zeichen einer ermutigenden Dynamik auf.
Im Jahr 1901 entstand die Federazione Italiana delle Società di Mutuo Soccorso (Italienischer Genossenschaftsverband) und der Triplice Alleanza del lavoro genannte allgemeine Arbeiterverband, ein aus den höchsten Vertretern der Genossenschafts- und Gewerkschaftsbewegung bestehender Ausschuss; und zwischen 1904 und 1910 wurden zwölf Gesetzesmaßnahmen erlassen, die auf die mehr oder weniger unmittelbare Förderung des Genossenschaftswesens ausgerichtet waren.
Als Beweis für die Wichtigkeit der Genossenschaftsbewegung wurde der Italienische Bund der Genossenschaften in den Obersten Nationalen Rat für Arbeit, Fürsorge und Auswanderung, in den Genossenschaftszentralausschuss und im Ausland in den Internationalen Genossenschaftsbund aufgenommen.
Die Ergebnisse ließen nicht lange auf sich warten und die Zahl der Genossenschaften stieg von 3.800 im Jahre 1902 bis auf 5.065 im Jahre 1910.

Das Genossenschaftswesen während der Kriege und seine Wiederbelebung in der unmittelbaren Nachkriegszeit

Der Erste Weltkrieg führte aufgrund der allgemeinen Teuerung und der Stockung der Konsumgüter auch im Genossenschaftsbereich unweigerlich zu negativen Rückschlägen.
Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs zählte man in Italien 7.429 Genossenschaften mit einer Million 800 Tausend Mitgliedern (davon gehörten 2.408 zum Konsumbereich, 3.022 zum Produktions- und Arbeitssektor, 1.143 zum Landwirtschaftsbereich und 105 zum Versicherungswesen). Kurz nach dem Sieg an der Alpenfront, zwischen 1919 und 1920, erlebte unser Land einen regelrechten Genossenschaftsboom, der teils von der starken Arbeitslosigkeit, teils von dem zügellosen Preisanstieg angeregt wurde. 1921 gab es bereits 25.000 Genossenschaften mit über zwei Millionen Mitgliedern.

Genossenschaftswesen und Faschismus

Zwischen 1919 und 1924, in einer Zeit großer Wirren und Mühen einer enttäuschten und erschöpften Nation, die von Gewalt und Vergeltungen zerrissen war, schlug der Faschismus die Genossenschaften hart, um das Vorrücken der sozialistischen und katholischen Kräfte aufzuhalten.
Erst im Jahr 1923 begann die erste Regierung Mussolini mit einem Normalisierungsprozess, der eine Wiederaufnahme der genossenschaftlichen Probleme seitens der nationalen faschistischen Partei in Gang setzte. Von 1925 bis 1927 löste das Regime den Genossenschaftsbund auf und führte eine radikale Neuorganisation der Genossenschaftssektoren durch: man gründete die Ente Nazionale Fascista per la Cooperazione mit Sitz in Rom und die Genossenschaften wurden in die Korporativordnung eingegliedert.
In den Tagen nach dem 8. September 1943 versuchte der Faschismus mittels des Manifesto di Verona auf die Genossenschaften Druck auszuüben. Das Schicksal Italiens stand jedoch vor einem Wandel und die antifaschistischen Kräfte, die sich anschickten den letzten Akt eines blutigen Bürgerkriegs zu gewinnen, legten den Grundstock für eine Neuordnung freier und demokratischer Genossenschaften, denen die bedeutende Rolle und die Verantwortung für ein demokratisches Italien übertragen wurde.

Die Nachkriegszeit: die Genossenschaftsbewegung vom kalten Krieg bis zum italienischen Wirtschaftswunder

Einige deutliche Zeichen spürte man schon beim Eintreffen der Alliierten auf italienischem Boden: anlässlich der Hundertjahrfeier der Pionierhelden von Rochdale im November 1944 in Rom erlebt man Feierlichkeiten, von denen alle Zeitungen eingehend berichten; am 15. Mai 1945 gründet eine Gruppe katholischer Genossenschafter erneut die Confederazione Cooperativa Italiana (Italienischer Genossenschaftsverband); einige Monate später entsteht erneut die Lega Nazionale delle Cooperative e Mutue.
Und so gelangte man zu dem sogenannten Basevi-Gesetz, das am 14. September verabschiedet wurde, welches “Maßnahmen für die Genossenschaften” enthält, die sowohl die solidarischen und demokratischen Prinzipien bestätigt, auf denen die Genossenschaften basieren sollten, wie auch die Klauseln, welche die Berücksichtigung der von der Verfassung bekräftigten Vorraussetzung der gegenseitigen Unterstützung bezeugen sollten.
Der kalte Krieg und die nachfolgende Teilung der Welt in zwei entgegengesetzte Blöcke dämpften fast augenblicklich die Illusionen einer sozialen Neuerung. Mit der Regierung führte De Gasperi das noch zerrissene und von den Unruhen auf den Plätzen erschütterte Land zu einem normalen und demokratischen, auf dem Recht auf Arbeit und Wohlstand basierenden Leben.
Es waren auch für die Genossenschaftsbewegung keine leichten Jahre, da sie sich oft im Zentrum von Diskriminierungen seitens der Regierung befand und Opfer regelrechter Verpönung war. Der Versuch, einen Weg zur Zurückeroberung zu finden, führte über das Postulat der Genossenschaften (16. Dezember 1953), das Folgendes forderte:
– Rückerstattung des unrechtmäßig erworbenen Gutes
– Einstellung der kommissarischen Geschäftsführung
– Definitive Satzung der Genossenschaften
– Wirtschaftlicher und steuerlicher Ausgleich
– Abschaffung der Zuckererzeugungsauflage
– Vollständige Anwendung des einheitlichen Textes bezüglich des sozialen Wohnungsbaus.

Die Krisen der fünfziger Jahre und die Überlegungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Thematiken schlossen endgültig die historische Phase der Genossenschaftsbewegung ab und förderten die Durchsetzung der großen nationalen Konsortien.
1962 entstand in Bologna der Consorzio Nazionale Dettaglianti (Conad – Gesamtstaatliches Einzelhandelskonsortium), um gemeinsam die Beschaffung und den Kauf von Lebensmitteln, Getränken und Konsumgütern zu organisieren; ebenfalls in Bologna wurde ein Jahr später UNIPOL gegründet.

Die Genossenschaftsentwicklung während der wirtschaftlichen Unsicherheiten der siebziger Jahre

Zu Beginn der siebziger Jahre wurde das sogenannte Basevi-Gesetz überarbeitet; daher wurden 1971 mit dem Gesetz Nr. 127 einige Maßnahmen für eine moderne Führung der Genossenschaften festgelegt und bedeutende Steuererleichterungen eingeführt. Im gleichen Jahr gründete man auch, dank der Arbeit einer katholisch eingestellten Gruppe, die Unione Nazionale Cooperative Italiane (U.N.C.I – Gesamtstaatlicher Italienischer Genossenschaftsbund.).
Zwar gab es schon in den ersten siebziger Jahren Zeichen einer Wiederbelebung der Genossenschaftsbewegung, jedoch mit den Wahlen im Jahre 1975, die eine Wende nach links und insbesondere in Richtung der kommunistischen Partei Italiens verzeichnete, gewann die Rolle der Genossenschaftsbewegung als ursprüngliche Unternehmensform, als “dritter Weg” der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes und als Alternative sowohl zum Privatkapitalismus als auch zum System der öffentlichen Betriebe an Bedeutung.
Das Interesse, welches die Genossenschaftsbewegung in einer rückläufigen Konjunktur mit der Wiederbelebungspolitik weckte, begünstigte die außerordentliche Entwicklung der Bewegung zwischen den Jahren 1977 und 1979.

Von dem Wandel der achtziger Jahre bis zum Ende der neunziger Jahre

Neue Herausforderungen standen in den ersten achtziger Jahren bevor, da das von bedeutenden Umbrüchen modifizierte Produktionssystem der Genossenschaftsbewegung das Problem aufwarf, wie man sich auf dem Markt bestätigen sollte, ohne die eigenen Werte der Solidarität zu verlieren.
Das Jahr 1984 zeichnet den langsamen Aufschwung des Genossenschaftswesens nach der schweren Krise, die sogar den Rücktritt des Präsidenten des Verbandes der Genossenschaften zur Folge hatte. In jenem Jahr nahm der dritte Landeskongress die Herausforderung der großen Probleme unseres Landes wieder auf: die Beschäftigung im Süden Italiens, die Landwirtschaft und die Kleinunternehmen.
Um solchen Herausforderungen entgegen zu treten, war dringend ein gewaltiges Kapital vonnöten, und die Genossenschaftsbewegung entschied sich einerseits für den Zutritt zum Kapitalmarkt (obwohl es ein aus Personen mit gemeinwirtschaftlicher Zielsetzung bestehendes Unternehmen ist), andererseits für eine Erhöhung der Selbstfinanzierung. In den gleichen Jahren sah das sogenannte Marcora-Gesetz Nr. 49 vom 27. Februar 1985 die Einrichtung eines Sonderfonds zugunsten der von Arbeitern, die auf Lohnausgleichskasse gesetzt waren, gebildeten Genossenschaften vor, der zum Erwerb des in Schwierigkeiten geratenen Betriebs, wo sie gearbeitet hatten, genutzt werden konnte, oder zur Bildung einer neuen Gesellschaft (abgesehen vom landwirtschaftlichen Bereich). Im Kielwasser dieser Förderungen beschleunigte die Bewegung die wirtschaftliche Entwicklung, auch dank einiger Initiativen wie die Gründung der von Fincooper und der Società Finanziaria Meridionale (SoFiMer) in Zusammenarbeit mit Isveimer und der Banco di Napoli kontollierten FINEC (Finanziaria Nazionale dell’Economia Cooperativa – Gesamtstaatliche Finanzgesellschaft der Genossenschaftswirtschaft).
Während die Genossenschaftsbewegung auch im Bauwesen Fuß fasste und dieserart ein beeindruckendes Wachstum aufwies, so dass die Gesellschaft gezwungen war, über die Charakteristiken des Genossenschaftswesen nachzudenken, führte das Gesetz Nr. 59 vom 31. Dezember 1992 wichtige Neuheiten bezüglich der Bedingungen der Genossenschaftsfinanzierung ein. Man schuf eine neue Kategorie unterstützender Mitglieder, deren Geldmittel im Bereich der Fonds zur technologischen Entwicklung und zur Umstrukturierung, sowie zum betrieblichen Ausbau genutzt werden können.
Heute besteht die Herausforderung in einer Wiederbelebung der Bewegung innerhalb der Gesellschaft, die über das Erkennen der sozialen Natur der Genossenschaften und eine Aufwertung der Rolle der Mitglieder führt. Die Genossenschaft bietet sich in unseren Tagen als eine Produktionstätigkeit, die direkt von denen, die dort arbeiten geleitet wird und, wie schon bei ihrer Entstehung, für alle sozialen Stände das Recht geltend macht, Unternehmenserfahrung zu sammeln und Erträge, Beschäftigung und Solidarität zu erbringen.

Genossenschaftswesen im Wandel – Welche Zukunft

Die Entstehung des Genossenschaftswesens in der Region Trentino-Südtirol war nicht nur der Aufstand des Kleinbauern oder des ausgebeuteten Arbeiters gegen die Habsucht der Wucherer oder die Anmaßung des Arbeitgebers. Die Kooperation war und ist immer noch effizient und hat das Ziel mit unternehmerischen Methoden auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen.
Trotz der verbreiteten Armut während der ersten Anfänge der industriellen Revolution und der schweren Landwirtschaftskrise, die noch mehr Menschen heimsuchte, gelang es der Genossenschaftsbewegung seit ihrem Entstehen, höheren Bedürfnissen als den materiellen eine Antwort zu geben. Sie strebte danach, ein fortschrittliches System der Erneuerung und der Verbesserung zu sein (don Lorenzo Guetti vergleicht die Modernität der Genossenschaft mit der des Telegraphen und der elektrischen Energie und Emanuele Lanzerotti spricht von einem “neuen Weg” zur Überwindung des Konfliktes zwischen Verbraucher und Erzeuger).
Die Genossenschaft wurde also von ihren Gründervätern als globale Antwort auf die Bedürfnisse des Menschen betrachtet.

Die Bedürfnishierarchie nach Maslow

Außer den Grundbedürfnissen für den Lebensunterhalt und die soziale Sicherheit finden wir nämlich, wenn wir die bekannte Bedürfnishierarchie nach Maslow aufzeigen, die Bedürfnisse gesellschaftlichen Zusammenlebens, Achtung und Selbstverwirklichung.
Die ersten Kreditgenossenschaften oder Casse Rurali (Raiffeisenkassen) kamen nicht nur der materiellen Notwendigkeit des Lebensunterhalts entgegen, was Essen und Trinken oder die Sicherheit eines möglichen Kredits betrifft, sondern auch höheren, nicht materiellen Bedürfnissen.
Das sich Zusammenschließen mit Regeln, Rechten und Pflichten förderte das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen ungemein. Die ersten Genossenschaften waren regelrechte Brutstätten, um Vertrauen und Achtung vor sich selbst und anderen (der Gemeinschaft) wiederzufinden und den Sinn der Existenz in einer sich äußerst rapide wandelnden Welt wieder herzustellen. Die Kooperation war daher Katalysator von Ressourcen, die Gefahr liefen, zu zerbrechen und unwiederbringlich verloren zu gehen.
Sie war somit eine der wirkungsvollsten Reaktionen, um den großen Umbruch, der die Welt und die Produktions- und Handelsbeziehungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschütterte, zu beherrschen.
Sie war ein hervorragendes Instrument der Demokratie und des sozialen Lebens, um die Bindung des Menschen an sein Land, unter den Leuten und zu ihrer Umwelt wiederzufinden; ein Gegenmittel zur Entwurzelung, welche die von der industriellen Revolution verursachte Auswanderungswelle auch in die ruhigen Bauerndörfer gebracht und Familien und die Gemeinschaft zerrissen hatte.

Die Kenntnis der Genossenschaftsidee

In diesem Sinne muss die Kenntnis der Genossenschaftsidee als historisches Gut verstanden, aufgewertet und aktualisiert werden.
Das Genossenschaftswesen ist nicht als “dritter Weg” zwischen Kapitalismus und Etatismus (der nie bestand) betrachtet werden, sondern als fortschrittliche Antwort wirtschaftlicher Demokratie, nachhaltiger, gebietsgebundener Entwicklung, die auf Werten und der Würde des Menschen basiert, auch innerhalb einer Marktwirtschaft. Eine Wirtschaft, die sich nicht auf den unmittelbaren Gewinn, auf die Profitmaximierung weniger und auf Kosten vieler beschränkt, sondern auf die zukünftigen Generationen blickt und die Erträge in unteilbare Reservefonds zurücklegt, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Gerade weil die Genossenschaften Unternehmen mit einer Bilanz sind, die zumindest ausgeglichen abschließen muss, stehen sie in jeder Hinsicht auf dem Markt, jedoch mit verschiedenen Kompetenzen und anderen Logiken.
Das Genossenschaftswesen kann noch immer ein wirksames Instrument sein, um den Wandel zu beeinflussen. Wenn wir in einer Übersichtstabelle die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen des letzten Jahrhunderts mit der heutigen Situation vergleichen, bemerken wir, dass sich der Kontext tief gewandelt hat, die höheren Bedürfnisse des gesellschaftlichen Zusammenlebens, der Achtung und der Sinne (davon ausgehend, dass die des Unterhalts und der Sicherheit bereits befriedigt wurden) aber noch stark vorhanden sind.

Antwort auf die Zersplitterung

Vor allem der Übergang von der Industriegesellschaft zur Kommunikationsgesellschaft, wo die Organisation des Wissens und der nicht nur professionellen sondern auch sozialen Kenntnisentwicklung entscheidend wird, wirft die Notwendigkeit auf, die soziale Zersplitterung und den wirtschaftlichen Ausschluss zu bekämpfen.
In der Ära der “virtuellen Vernetzung” wird die Wahrung der territorialen “Personenvernetzung” ausschlaggebend sein, welche das enorme Potential der Information & Communication Technology nutzen können. Diese wenn auch kleinen Systeme sind in sich fester und kooperativer und haben nicht nur Zahlen, sondern auch Werte mitzuteilen.
Die Tatsache, dass die Beachtung und Sensibilität hinsichtlich einer menschlicheren und gerechteren Entwicklung in der Welt wächst und die Forderung nach Ethik auch bei Geschäftsvorgängen (heute besteht eine Norm zur ethischen Zertifikation der Betriebe, die SA 8000) zunimmt, zeigt, dass genossenschaftliche Prinzipien und Methodologien noch lange nicht veraltet sind, sondern sogar von großen Kapitalunternehmen übernommen werden.

Die Entstehung der Genossenschaften in Trentino – Südtirol

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschütterte eine tiefe Krise die landwirtschaftlichen Gebiete der Region. Zu jener Zeit bestand die Wirtschaft vorwiegend aus Landwirtschaft und beschäftigte die überwiegende Mehrheit der arbeitsfähigen Bevölkerung. Auch zahlreiche industrielle Tätigkeiten, wie die Seidenraupenzucht, waren an die Landwirtschaft gebunden, welche die Grundlage der gesamten Wirtschaft bildete.
Der Weg von einer auf Eigenbedarf basierenden Landwirtschaft niedriger Produktionsfähigkeit zu einer offeneren Marktwirtschaft musste begangen werden, wo die landwirtschaftliche Tätigkeit auf eine höhere Produktionskapazität ausgerichtet sein musste. Der Bauer, der bisher nur soviel erzeugte, wie er für den Eigenbedarf benötigte, musste lernen, auch für den Verkauf zu produzieren.
Dieser Übergang von dem Feudalsystem zum modernen industriell-kapitalistischen Marktsystem war die Ursache des Zerreißens des sozialen und wirtschaftlichen Gefüges des Bauernstandes.
Seit alten Zeiten verfügten die ländlichen Gemeinschaften der Bergdörfer über weite Land- Wald- und Weidegebiete, die normalerweise im Gebirge lagen und gemeinschaftlich genutzt werden konnten. Die Nutzung dieser Besitztümer war allen “Nachbarn” möglich, d.h. den Bewohnern des Dorfes, jedoch von den sogenannten “Regole” und präzisen Bestimmungen reglementiert, an die sich jeder zu halten hatte.
Der bescheidene Ertrag der familiären Landwirtschaftstätigkeit wurde daher durch die Möglichkeit der Nutzung der Gemeinschaftswälder und -weiden integriert.
Um jedes einzelne Individuum bestanden Bindungen und Mechanismen sozialer Solidarität, die sicherlich keinen Reichtum brachten, jedoch wenn auch unter harten Opfern ein Überleben garantierten.
Der Zerfall der Feudalwelt, der im Vergleich zu anderen europäischen Gebieten in der Region ziemlich spät erfolgte, traf die Landbevölkerung völlig unvorbereitet und der neuen Situation gegenüber wehrlos.
Die Öffnung der ländlichen Gemeinschaft in Richtung Marktwirtschaft, wo man für den Verkauf und nicht nur für den Eigenbedarf erzeugen, und wo man von den Industrien der Stadt stammende Manufakturwaren (Kleidung, Schuhe usw.) erwerben musste, statt diese selbst zu weben oder herzustellen, erschütterte das wirtschaftliche und soziale Leben der Dörfer.
Die Rückständigkeit des Landwirtschaftsystems, die buntgewürfelte Art des Anbaus ohne Spezialisierung und Rationalisierung, die Zersplitterung der Landbesitze im Trentino und das System des Erbhofs im deutschen Gebiet erlaubten nicht, dem Land das Lebensnotwendigste für alle abzugewinnen. Außerdem zwang die Ermangelung der Verpflichtungen sozialer Solidarität Einzelne und Familien dazu, den Weg der Auswanderung einzuschlagen, um eine Arbeit und Einkommensquelle zu finden.
Zusätzlich wurde die Landwirtschaft auch noch von Naturkatastrophen betroffen.
Zwei verheerende Überschwemmungen, eine im Jahr 1882 und eine andere wenige Jahre später, 1885, brachen über Dörfer, Häuser und Land herein. Das Wasser durchbrach Dämme, verursachte Erdrutsche, erodierte Ländereien, zerstörte Bebauungen und forderte auch viele Menschenleben.
Zur gleichen Zeit verbreiteten sich auf den Feldern durch den Import amerikanischer Pflanzen bis dahin unbekannte Krankheiten. Peronospora, Reblaus, Mehltau, Milbe, Apfelwickler usw. zerstörten die gesamte Produktion von Kartoffeln, Trauben, Obst und anderer Früchte.
Die Bauern wussten nicht, wie sie sich demgegenüber zu verhalten hatten und verweigerten oft aus Misstrauen die neuen chemischen Behandlungen und die nötigen Neuerungen. Auch das Vieh wurde von der Maul- und Klauenseuche befallen, eine äußerst ansteckende Krankheit, welche die Tiere lähmt.
Auch die Seidenraupenzucht, eine der wichtigsten Einkommensquellen der Bauernfamilien, war betroffen.
Durch den Verlust von Lombardei-Venetien seitens der Habsburger Monarchie (1859-1866) fand sich die Region plötzlich statt als Zentralgebiet des Südwestteils des Kaiserreiches als Grenzgebiet wieder.
Die Schließung der südlichen Handelsgebiete brachte beachtliche Schwierigkeiten für die Bevölkerung mit sich. Besonders schwerwiegend waren die Preiserhöhungen, vor allem was das Getreide betraf, an dem es in der Region stark mangelte.
Daher besteht eine enge Verbindung zwischen dem Genossenschaftswesen und dem wirtschaftlichen Wandel.
Auch die Veränderung einiger Verkehrswege in der Talsohle, z.B. der Bau der Brennerbahnlinie (1866), isolierte die Gebiete im Gebirge, durch die vorher die Verbindungswege über die Pässe führten, und brachte einen zahlenmäßigen Rückgang der Bevölkerung mit sich; dieses Phänomen hat sich im Laufe der Jahre und bis zur heutigen Zeit noch verschärft. Damals lebten zwei Drittel der Lokalbevölkerung in den Bergen, d.h. über dreihundert Meter über dem Meeresspiegel, heute hingegen leben zwei Drittel in der Talsohle. Um dieser Krisensituation, der Auswanderung und dem sozialen Zerfall entgegenzuwirken, entstanden die ersten Formen der Zusammenschlüsse, der Solidarität und des Fourier-Systems.
Es handelte sich um Vereine zur kollektiven Selbsthilfe, die ihren Mitgliedern im Falle von Krankheiten und Unfällen mit Versicherungen und Fürsorge beistanden; die landwirtschaftlichen Vereinigungen vereinten die Landwirte mit dem Ziel, die Landwirtschaft zu fördern und zu verbessern.
1882 begann das Landesamt für Landwirtschaft mit seinen zwei Abteilungen in Trient und in Innsbruck mit der Arbeit, welche die wichtigsten Unterstützungsorganismen zur Entwicklung und zum Wiederaufbau der regionalen Landwirtschaft waren.
Von Bedeutung war auch die diesbezügliche Unterstützung der österreichischen Regierung, insbesondere durch die Gesetze des Jahres 1867 bezüglich des Vereinsrechts und des Jahres 1873 betreffs der Gründung von Wirtschaftsgemeinschaften mit beschränkter und unbeschränkter Haftung.
Auf dieser Grundlage gründete man 1899 das Südtiroler Genossenschaftswesen und 1890 das Trentiner Genossenschaftswesen.
Die ersten Genossenschaftspioniere waren sozial engagierte, ethisch motivierte und Innovationen gegenüber aufgeschlossene Männer wie Julius von Riccabona und Mgr. Greuter in Südtirol und Don Lorenzo Guetti und Emanuele Lanzerotti im Trentino.
Der Wiener Professor Gustav Market war der beauftragte Experte, der die moderne Landwirtschaftslehre bekannt machen sollte.
Gerade durch die Dozenten der “Wanderlehrstühle” verbreitete sich die Genossenschaftsidee überall in der Region.
Schon im Jahr 1900 zählte man in Tirol-Voralberg 367 Raiffeisenbanken, 63 Konsumvereine und 24 Handwerkergenossenschaften, außerdem zahlreiche Kellerei-, Sennerei- und die ersten Elektrizitätsgenossenschaften.
Dieserart wurde das Genossenschaftswesen zu einem System, das in allen Bereichen der regionalen Wirtschaft vertreten war.
Ende des Jahres 1900 gab es im Trentino 105 Casse Rurali mit 8.000 Mitgliedern und 135 Famiglie cooperative mit 20.000 Mitgliedern und einem Geschäftsumfang von 40 Millionen Kronen.

Das regionale Genossenschaftslaboratorium

In der Region Trentino-Südtirol rühmt sich die Genossenschaftsbewegung einer mehr als hundertjährigen Geschichte.
Sie ist tief in der Kultur, in den Gemeinschaften und der lokalen Wirtschaft verwurzelt.
Es gibt heute kein Dorf oder Tal in den Provinzen Trient und Bozen, wo nicht wenigstens eine Genossenschaft tätig ist.
Die Genossenschaften stellen ein sozioökonomisches System dar, das quer durch jeden Produktionsbereich oder Sektor der regionalen Gesellschaft verläuft, ein regelrechtes Genossenschaftslaboratorium.
Bei einer Bevölkerung von circa 900 Tausend Personen in Trentino-Südtirol sind zirka 300 Tausend Mitglieder einer Genossenschaft. Es handelt sich nicht immer um Einzelpersonen, da eine Person auch Mitglied mehrerer Genossenschaften sein kann, solange diese nicht in Kontrast zueinander stehen; gewiss sind es aber mehr als 200 Tausend Menschen, die in das Genossenschaftssystem einbezogen sind.
Wenn wir dann die Zahl der Genossenschaften – fast 1.500 – mit der Zahl der Gemeinden, 223 im Trentino und 116 in Südtirol vergleichen, können wir feststellen, dass durchschnittlich jede Gemeinde zumindest 4 Genossenschaften aufweist.
Das Genossenschaftswesen ist ein regelrechtes System, das sowohl im Bereich Landwirtschaft, des Bankwesens mit den Raiffeisenkassen und im Vertriebsbereich mit den Famiglie Cooperative tätig ist.
Außerdem finden wir die sozialen Genossenschaften, Arbeits- und Produktions-genossenschaften, Dienstleistungsgenossenschaften, Baugenossenschaften und Elektrizitätsgenossenschaften.

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Don Lorenzo Guetti : l’etica della solidarietà : scritti scelti del fondatore della cooperazione trentina / [a cura di] Luciano Imperadori
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Genossenschaftsförderung in Italien – Ein Beispiel für Auswege aus der wirtschaftspolitischen Erstarung? Von Matthias von Randow:

Zerbricht der gesellschaftliche Konsens in Deutschland über der Debatte dessen, was soziale Marktwirtschaft leisten können muß? So ließe sich paradoxerweise gerade heute fragen, wo es immerhin vielen so scheint, als sei gerade der sozialmarktwirtschaftliche Weg der, der sich endgültig allen sozialutopischen Alternativentwürfen gegenüber als der endgültig überlegenere erwiesen habe. Heute findet die Sozialstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland ihren technischen Ausdruck in einem funktionierenden sozialen Versicherungssystem. Aber dies allein macht eine Gesellschaft noch lange nicht sozial. Zwar sind natürlich die Säulen der Sozialversicherung unbestritten wichtige Pfeiler der materiellen Vorsorge in Vorausschau auf das Rentenalter und gegen die Risiken von Krankheit und Arbeitslosigkeit. Aber das Verfassungspostulat der Sozialstaatlichkeit will von seinem Ursprung her in einem viel umfassenderen Sinne eine Gesellschaft begründen, deren differenziertes Beziehungsgeflecht grundsätzlich auf dem Prinzip des sozialen Ausgleichs fußt. Daß dieses Prinzip auch Orientierung für unser wirtschaftliches und politisches Handeln geben müsse, darüber gab es in der Geschichte der Bundesrepublik im Grunde genommen immer so etwas wie einen gesamtgesellschaftlichen Konsens. Nur daraus, nur aus dem jahrzehntelangen Festhalten an dieser Orientierung heraus ist zu erklären, warum aus dem Verfassungspostulat auch tatsächlich so etwas wie eine kulturelle Bindung in den sozialen Beziehungen geworden ist: In den Arbeits- und Konfliktbeziehungen zwischen Arbeitnehmern und Unternehmern, in den Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, im Verhältnis zwischen Jungen und Alten, in der Solidarität zwischen Gesunden und Kranken usw. Wäre dies also der ominöse dritte Weg zwischen den enteignenden Kommandostrukturen einer Zentralverwaltungswirtschaft und den brutalen Marktmechanismen einer Laisser-faire-Wirtschaft?

Was manch einem vielleicht so scheinen wollte, stellt sich heute unter Licht besehen gewiß anders und vor allem nüchterner heraus. Die soziale Marktwirtschaft blickt inzwischen im zweiten Jahrzehnt auf ständig größer werdende Hal den, die sie offensichtlich abzuräumen nicht in der Lage ist, und die einen gangbaren Weg in die Zukunft bedrohlich einengen.

Die eine Halde besteht aus den in Folge massenhafter Langzeitarbeitslosigkeit Marginalisierten, die andere aus den umweltzerstörenden Effekten von Produktion, Konsum und Mobilität.

Beide Problemberge sind aber – das ist die hier vertretene These – nicht etwa Folge einer Verabschiedung vom sozialpolitischen, sondern vielmehr Ergebnis des wirtschaftlichen Handelns. Trotz – oder je nach Sichtweise – gerade wegen wirtschaftlicher Zuwachsraten in den 80er Jahren hat das Arbeitsvolumen permanent ab- und die Umweltzerstörung zugenommen. Inzwischen kennzeichnen beide Trends die vorrangigen Ursachen einer neuen Sozialen Frage. Ihre Kennziffern sind die psycho-sozialen Folgen von Langzeitarbeitslosigkeit, die gesundheitsbedrohenden Folgen der Umweltverschmutzung und die finanziellen Belastungen, die in der Konsequenz dem Steuerzahler daraus entstehen. Die Kosten allein zur Beseitigung von Schäden an Umwelt und Lebensqualität übersteigen heute bereits mehr als 12% des Bruttosozialproduktes (Leipert 1989). Die wirtschaftliche Rezession verschärft die Problemlage, aber sie ist entgegen anderslautenden Vermutungen nicht deren Ursache. Das gilt gleichermaßen für die Folgen der deutschen Einigung. Ganz offensichtlich ist also selbst das wirtschaftlich erfolgreiche Deutschland weder in der Lage, Arbeit gleichmäßiger zu verteilen, noch Umweltschutz in die Ökonomie zu integrieren.

Aus gutem Grunde wird allumfassenden Reformprogrammen oder systemverändernden Alternativentwürfen, wenn überhaupt, nur noch geringes Vertrauen entgegengebracht. Auf größeres Interesse stoßen dagegen intelligente Lösungen in Einzelfragen. So hat die Idee, mittels flexiblen Arbeitszeitmodellen Arbeitslosigkeit zumindest teilweise zu vermeiden, soviel Zustimmung finden können, daß das Tabu der 40-Stunden-Woche gebrochen werden konnte. Auch in der Ökologiedebatte gibt es vor allem unter dem Aspekt einer ökologischen Steuerreform inzwischen Anhänger bis in das konservativ-liberale Regierungslager. Gleichwohl, die Suche nach Konzepten geht weiter. Ein Beispiel ist die Diskussion um neue genossenschaftliche oder ähnlich selbstverwaltete Unternehmen, die in der Lage seien, Arbeit vor allem in eher mittelständischen Produktions- und Dienstleistungsbetrieben zu schaffen und anstelle der Finanzierung von Arbeitslosigkeit die Förderung von Beschäftigung zu rücken. Aber die deutsche Erfahrung kennt zunächst einmal eher Kredit- und Verteilungsgenossenschaften und weniger arbeitsplatzschaffende Genossenschaften im produzierenden Bereich.

Dennoch: die Frage, ob die Selbstverwaltung in der Wirtschaft eher eine „alte Illusion” oder eine „neue Hoffnung” (vgl. Notz 1991) sei, hat insbesondere durch die Umbrüche in Osteuropa erneut Nahrung erhalten. Allerdings zielen manche Beiträge eher auf die (Rück-) Gewinnung der „Utopie einer sinnvollen, selbstbestimmten, kollektiv-organisierten Arbeit” (vgl. das Herausgebervorwort in Notz 1991, S.13). Das bekommt gelegentlich sogar die übersteigerte Zielvorstellung, „Mut zum Widerstand” zur Überwindung des „kapitalistischen Patriarchats” zu machen (ebd. S.15).

Den Verfasser treibt eine eher pragmatische Sichtweise. Und so stellt sich meines Erachtens vor allem die Frage: T Läßt sich unternehmerisches und beschäftigungschaffendes Handeln über das bisherige Ausmaß hinaus fördern und gibt es Erfahrungen staatlicher und nichtstaatlicher Förderungspolitik, auf die zurückzugreifen Sinn machen würde?

In diesem Zusammenhang unternimmt der Verfasser den Versuch einer Begutachtung des italienischen Modells einer Förderung von Produktionsgenossenschaften und selbstverwalteten Unternehmen. Ich bin mir darüber im klaren, daß Skepsis angebracht ist. Denn die hohe Staatsverschuldung und die Folgen eines korrupten Klientelwesens lassen gerade alle italienischen Modelle öffentlicher Förderung wirtschaftlichen Handelns zunächst erst einmal fragwürdig erscheinen. Ohne diesen polit-kulturellen Hintergrund in Rechnung zu stellen, müßten daher alle Einsichten in die italienische Erfahrung lückenhaft bleiben.

Die historische Entwicklung

Wer auf der Suche nach neuen Wegen selbstbestimmten Arbeitens den Blick über die Alpen wirft, wird allein von der quantitativ großen Bedeutung des genossenschaftlichen Sektors überrascht. Allein in der Region Emilia-Romagna konzentriert sich nach Arbeitskräften bemessen die größte genossenschaftliche Produktion in der Welt überhaupt. Hier arbeitete Mitte der 80er Jahre ungefähr die Hälfte aller erwerbstätigen Menschen in Kooperativen -also auf eigene Rechnung. Vom Forschungslabor bis zum Friseursalon – das Spektrum genossenschaftlicher Betriebe bietet die ganze Vielfalt ökonomischer Realität. Das mag es sein, was die Verfasser eines linken Reisebuches aus dem Jahre 1986 zu der begeisterten Kommentierung der folgenden Art hingerissen haben mag: „Hinzu kommt ein extrem ausgebildeter Pragmatismus, ein wildwest anmutender technischer und ökonomischer Pioniergeist, Zukunftsoptimismus gepaart mit einem historisch gewachsenen, unerschütterlichen, kämpferischen Klasseninteresse der werktätigen Bevölkerung” (Koppel, 1986, S.18). Die weite Verbreitung genossenschaftlicher Arbeit in Italien möchte ich nicht bestreiten. Ob allerdings das „unerschütterliche Klasseninteresse” bis heute maßgeblich die Selbstverwaltungsinitiativen befördert hat, wird an dieser Stelle eher grundsätzlich bezweifelt. Stattdessen macht meines Erachtens der Blick in die Geschichte der Industrialisierung Italiens Sinn.

Die immense Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums aufgrund der Ausdehnung der Industrie erfaßte im Europa des 18. Jahrhunderts vor allem Länder wie England und Preußen, während die industrielle Dampfmaschinerie an Italien erst einmal lange Zeit vorbei zog. Landwirtschaft – in Gestalt einiger sehr reicher Großgrundbesitzer und eines Millionenheeres abhängig beschäftigter Landarbeiter, der sogenannten „braccianti” – das war die wirtschaftliche Realität Italiens bis in die 40erJahre unseres Jahrhunderts hinein. Kleine Handwerksbuden und vor allem genossenschaftliche Betriebe waren über einen langen Zeitraum die vorrangigen Zentren gewerblicher Produktion. Als die Industrialisierung mühsam auch Italien erreichte, traf sie dort auf eine (Land-)Arbeiterbewegung, die sich eine Vielzahl moderner Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen geschaffen hatte. 1886 war bereits die LEGA gegründet worden, der nationale Bund der Kooperativen und Unterstützungseinrichtungen. 1919 folgte die christliche Konföderation der italienischen Genossenschaften (CONFCOOP). Die LEGA war Dreh- und Angelpunkt der Arbeiterbewegung und hatte sich pragmatisch den Erwerbs- und Gewerbeinteressen der abhängig Beschäftigten geöffnet. Selbsthilfe bedeutete auch Unterstützung selbstverwalteter Produktion; denn eine Industrie, die mit ihren Fabriken ein Beschäftigungsangebot für erwerbslos werdende Landarbeiter darstellte, existierte in Italien noch kaum. Die „rote LEGA” unterstütze den Aufbau von kleinen und mittleren Unternehmen. Sie entwickelte damit eine Struktur, die weit bis in das 20. Jahrhundert hinein sowohl die Gewerbelandschaft prägte, als auch einen gesellschaftlichen Anspruch im Wirtschaftsprozeß formulierte: „Autogestione” – Selbstverwaltung.

Als König Vittorio Emanuele III zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Weg freimachte für eine Mitte-Links-Regierung, setzte sich der „starke Mann” der liberalen Partei, Giolitti, mit seiner integrativen Politik durch. Er gewann die katholische „Popolari”-Partei und die Sozialisten für Reformen. Hinter der Idee, innerhalb der Sozialisten die Bildung eines starken reformistischen Blocks zu fördern, verbarg sich das Interesse, die sozialistische Bewegung in einen gesellschaftlichen Konsens zu integrieren. Dazu bot sich die Genossenschaftsbewegung als Basis geradezu an. Giolitti förderte die Anerkennung der Gewerkschaften, der CGL (Confederazione Generale del Lavoro). Eine genossenschaftsfreundliche Gesetzgebung wurde geschaffen.

Nach dem 1. Weltkrieg setzte Giolitti ganz auf die Genossenschaftsbewegung: Statt einer konfliktorischen Politik, deren Protagonisten sich um die Sozialisten gruppierten, wollte Giolitti eine Bewegung fördern, die sich zwar als sozial emanzipatorisch begriff, sich aber sehr wohl auch in das Marktgeschehen des sich entwickelnden Industriekapitalismus integrierte. Ein Schlagwort wurde zum Programm für die Unterstützung des Genossenschaftswesens: „Mutualita” – ein Begriff, der den auf Gegenseitigkeit beruhenden Selbsthilfecharakter einer Genossenschaft bezeichnet.

Der kurz andauernde, auch politische Konsens nach 1945, also die Zusammenarbeit von Christdemokraten, Sozialisten und Kommunisten, beeinflußte die Verfassung von 1947, in der die Unterstützung genossenschaftlicher Wirtschaft von Staats wegen festgeschrieben wurde. In Artikel 45 heißt es: „Die Republik anerkennt die gesellschaftliche Funktion der Genossenschaft mit Selbsthilfecharakter und ohne die Zielsetzung des privaten Gewinnstrebens. Das Gesetz fördert sie und begünstigt ihr Wachstum mit den dafür geeigneten Mitteln und garantiert ihren Charakter und ihre Zielsetzungen durch entsprechende Kontrollen.”

Wenn man aus der historischen und kulturellen Betrachtung heraus den Erfolg der italienischen Genossenschaftsbewegung erklären wollte, so würde man ihn zuvorderst in der für Italien spezifischen Interessenkohärenz von Arbeiterbewegung und liberalen Staat begründet sehen. Die Genossenschaftsbewegung als Selbsthilfe entsprach sowohl den Partizipationswünschen der Arbeiterbewegung sowie ihrem Interesse an industriellen Arbeitsplätzen, als auch gleichzeitig dem Interesse der liberalen Politiker, kleine und mittlere Unternehmertätigkeit zu fördern. Dies insbesondere, da Giolitti sehr wohl erkannte, welchen harmonisierenden Charakter genossenschaftliche Produktion haben konnte.

Selbstverwaltung, Kooperativen, Genossenschaften – keine Fremdworte also für die Regierungen Italiens. Bis auf den heutigen Tag unterstützt der italienische Staat die Unternehmen in „Autogestionen. Und dabei nicht nur die Zusammenschlüsse von weinherstellenden Großbauern zur besseren Vermarktung ihres Produktes – sondern vor allem auch Produktions- und soziale Selbsthilfegenossenschaften genießen staatliche Förderung und Schutz, dieses insbesondere umso stärker, je mehr im Verlauf der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts beschäftigungsfördernde Initiativen erneut dringend erforderlich werden.

Eine detaillierte Betrachtung des italienischen Genossenschaftswesens soll deshalb auch entlang der Frage nach den Beschäftigungseffekten und den Möglichkeiten einer aktiven staatlichen und nichtstaatlichen Förderungspolitik im folgenden in drei Schritten erfolgen:

Zunächst wird ein Überblick über die quantitative Bedeutung des Genossenschaftswesen in Italien gegeben. Darauf aufbauend werden in einem zweiten Schritt staatliche Wege der Genossenschafts- und Beschäftigungsförderung erläutert und anschließend ein Beispiel nichtstaatlicher Förderung der selbstverwalteten und Genossenschaftsunternehmen vorgestellt. An den Schluß rücke ich eine erste Evaluierung gegebenenfalls möglich werdender Übertragbarkeiten der italienischen Erfahrung.

Die wirtschaftliche Bedeutung

Im Kontext der hier angestellten Betrachtungen interessiert eine differenzierte Sicht der regionalen und sektoralen Verteilung als auch der wirtschaftlichen und Beschäftigungseffekte. Auffällig ist zunächst der andauernde und beträchtliche Aufschwung, den der italienische Genossenschaftssektor genommen hat. 1970 zählte das Melderegister 48.297 Genossenschaften, 10 Jahre später bereits 84.183, was einen Anstieg von über 70% bedeutet. Bis 1990 hat sich die Wachstumsrate sogar noch erhöht. Ende 1990 meldete die zuständige Generaldirektion des italienischen Arbeitsministeriums 159.417 genossenschaftliche Unternehmen.

Die geographische Verteilung hat sich in den Jahren mit einem eindeutigen Trend zugunsten Süditaliens verändert. Im Norden stehen heute 28% (1980 = 37%) der Genossenschaften, in Mittelitalien 25,4% (1980 = 26%), in Süditalien 28% (1980 = 23%) und auf den Inseln Sizilien und Sardinien 18,7% (1980 = 14%). Die Regionen mit der stärksten Genossenschaftskonzentration sind die Emilia-Romagna, Lombardei, Latium, Kampanien, Apulien und Sizilien. Setzt man dieses allerdings in Relation zur jeweiligen Bevölkerungsdichte, so sind Sardinien und die Basilicata hinzuzurechnen, während die große absolute Anzahl der Genossenschaften in der Emilia und der Lombardei relativ gesehen an Bedeutung verlieren.

Die regionale Verteilung deutet bereits einen ersten, auch ökonomischen Charakter der genossenschaftlichen Unternehmung an: Ihre offensichtlich besondere Funktion in Regionen im wirtschaftlichen Übergang. Das galt in der Entstehungszeit für die Industrialisierung in Nord- und Mittelitalien (vor allem in der Emilia) und es gilt seit einigen Jahren für die Entwicklung im Süden. Finanzielle Hilfe, qualifizierende Beratung, ihre dezentral angelegten Unternehmenskonzepte und die rasche und auf Gegenseitigkeit beruhende Mobilisierung von Kapital – all dies sind spezielle Vorteile der Genossenschaft, die nicht ohne Grund auch von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften in Bezug auf Entwicklungsregionen hervorgehoben worden sind (Kommission 1989, S. 2933). Aus diesem Entwicklungsaspekt heraus ist auch zu erklären, warum der italienische Staat an dem Verfassungspostulat der Förderungswürdigkelt von Genossenschaften so konsequent festhält. So gesehen ist also das ursprüngliche Interesse des liberalen Staates an einer gesellschaftlichen Integration der sozialistischen Arbeiterbewegung längst zurückgefallen gegenüber den Erfordernissen einer qualitativen regionalen Strukturpolitik.

Wie – so ist in einem zweiten Schritt zu fragen – verteilen sich die Unternehmen nun auf die einzelnen Sektoren? Auf den ersten Blick stechen die 65.000 Wohnungsbau- und Benutzergenossenschaften hervor, von denen allein 17.000 in der Region Latium angesiedelt sind. Ihre große Anzahl ist Folge des explosionsartigen Wachstums der Großstädte. Hier treffen zwei wichtige Faktoren aufeinander: Erstens die Landflucht infolge der sprunghaft nachholenden Industrialisierung in den 50er und 60er Jahren und zweitens die Funktionsdefizite bei Regierung und Verwaltung. Infrastruktur und Bebauungspläne hinkten der Entwicklung hoffnungslos hinterher. So sehr der Bedarf an systematischer Planung auch wuchs, Behörden und „politische Klasse” versagten. Folglich entstanden überall illegale Siedlungen mit unzureichender sanitärer und Verkehrsinfrastruktur In dieser Situation wurden zahlreiche Wohnungsbau- und Benutzergenossenschaften gegründet, mittels derer es gelang und immer noch gelingt, größere Siedlungen gehobeneren Standards mit bezahlbaren Eigentumswohnungen in Selbsthilfe zu errichten. Bis heute läßt sich in den Randbezirken der Großstädte feststellen daß diese Selbsthilfe zu überdurchschnittlich guten Ergebnissen bei der Wohnraumversorgung geführt hat. Insofern ist verständlich, daß dieser Sektor 2/5 aller Genossenschaften stellt.

Daraber hinaus konzentrieren sich die Genossenschaften auf den mittelständischen Gewerbe- und Dienstleistungsbereich, den Einzelhandel und die Landwirtschaft. Im Gegensatz zu Westdeutschland handelt es sich auf dem Land aber nicht so sehr um Verteilungs- und Verwertungsgenossenschaften, sondern auch um landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, die den hohen Marktanteil von ca. 20% erzielen und bei einzelnen Produkten sogar weit darüber liegen: mehr als die Hälfte der Butterproduktion, ca. 40% der Käseherstellung, 80% bei der Gemüseproduktion und 1/4 der Tomatenverarbeitung gehen alleine auf Genossenschaften zurück, die den beiden größten Verbänden LEGA und CONFCOOP angehören.

Hier sei angemerkt, daß es den Genossenschaftsverbänden zu verdanken ist, daß es überhaupt Daten über die wirtschaftliche Bedeutung in einzelnen Sektoren gibt. Denn um davon ein genaueres Bild zu gewinnen, muß Bezug auf die weitergehenden Detailanalysen genommen werden, die bisher nur von den vier nationalen Genossenschaftsverbänden angefertigt werden. Zwar ist nur ca. 1/3 aller Genossenschaften den großen Verbänden angeschlossen, aber es gibt die übereinstimmende Meinung der Verbände und des Ministeriums, daß es sich dabei vor allem um die dauerhaft erfolgreichen Unternehmen handelt.

Von den etwa 50.000 den Verbänden angeschlossenen Genossenschaften gehören 17.000 der PDS-nahen LEGA und 24.000 der DC-nahen CONFCOOP an. Alle Verbandsgenossenschaften zusammen beschäftigen ungefähr eine Million Arbeitnehmer. Fast 10 Mio. Italiener sind Mitglied einer (Verbands-) Genossenschaft. Allein in diesen Zahlen manifestiert sich neben der wirtschaftlichen auch ihre soziale und arbeitsmarktpolitische Relevanz.

Eine Betrachtung der großen Verbände LEGA und CONFCOOP fördert aber noch weitergehende Informationen zutage. Beide Verbände finden ihre Mitgliedsunternehmen überproportional häufig in Norditalien, und beide haben vor allem daran Interesse, stabilere und ökonomisch erfolgversprechende Unternehmen aufzunehmen. Das trifft für die LEGA noch mehr zu als für die CONFCOOP, ist aber grundsätzlich beiden gemein. Ihre Konzentration im Norden verweist folglich darauf, daß sich (was für die Wirtschaft im allgemeinen auch gilt) der Süden auch im Bereich der Genossenschaftswirtschaft trotz aller positiven wirtschaftlichen Effekte unter dem Gesichtspunkt des betriebswirtschaftlichen Erfolgs schwer tut. Während die „rote” LEGA sich mit einem hohen Anteil von Großgenossenschaften (Marktführer z.B. mit der Einzelhandelskette COOP) eher tendenziell abschließt und den betriebswirtschaftlichen Erfolg zum Maßstab ihrer Entwicklungskonzepte macht, bemüht sich die im linkskatholischen Milieu verwurzelte CONFCOOP auch weiterhin um eine gewisse Öffnung gegenüber Neugründungen im eher ländlichen Raum Siziliens und Sardiniens, wo der Förderungscharakter der genossenschaftlichen Unternehmen zur Erzielung eines betriebswirtschaftlich erfolgreichen Ergebnisses noch eine relativ hohe Bedeutung hat. Daraus erklärt sich auch, daß die CONFCOOP sektoral gesehen im Agrarbereich und unter regionalen Gesichtspunkten im Süden, verglichen mit der LEGA, überproportional vertreten ist.

Schließlich ist zu beantworten, warum die landwirtschaftliche Produktion eine so große Rolle für die Genossenschaftslandschaft spielt. Meines Erachtens läßt sich dies nur aus den kulturellen Effekten der italienischen Wirtschaftsgeschichte erklären, die ähnlich wie Ostdeutschland traditionell ihre Wurzeln im Großgrundbesitz findet. Auf die Arbeit eines Millionenheeres abhängig beschäftigter „braccianti” und auf ihre dynamische Funktion bei der Herausbildung einer pragmatisch und genossenschaftlich orientierten Arbeiterbewegung wurde bereits weiter oben hingewiesen. Die heute immer noch vergleichsweise hohe Humankapitalintensivität des Agrarsektors (immerhin fanden Mitte der 80er Jahre noch 13% der Erwerbsbevölkerung ihre Beschäftigung in der Landwirtschaft) und die Organisationstradition der „braccianti” (bis in die 80er Jahre hinein bildeten die Landarbeiter die zahlenmäßig stärksten Gewerkschaften in den beiden großen Gewerkschaftsbünden CGIL und CISL) sind insofern die wesentlichen Ursachen für die relativ starke Rolle der Produktionsgenossenschaften im Agrarbereich.

Die staatliche Förderung

Auf Grundlage des eingangs zitierten Verfassungsartikels wurde in Italien die staatliche Förderung der genossenschaftlichen Unternehmung auch gesetzlich präzisiert und festgeschrieben. Im Gesetz Nr. 127 vom 19. Febr. 1971 heißt es daß es dem Ministerium für Arbeit und Sozialfürsorge obliegt, „Initiativen zu ergreifen, um die Entwicklung des Genossenschaftswesens, die Verbreitung seiner Prinzipien und die berufliche Qualifizierung der genossenschaftlichen Führungskräfte zu fördern.” Alle Initiativen der italienischen Regierung fußen auf dieser Grundlage. Im folgenden sollen auf der Suche nach eher unbekannten Wegen der Forderung unternehmerischen und beschäftigungschaffenden Handelns zwei Beispiele vorgestellt werden: es handelt sich um Initiativen infolge der Gesetze „Marcora” und „De Vito”.

1985 verabschiedete das italienische Parlament das sogenannte Gesetz „Marcora”, das im Februar 1987 in Kraft trat. Mit dem Ziel der Unternehmensförderung und der Beschäftigungssicherung wurden im Gesetz die Bedingungen geregelt, die es Arbeitnehmern ermöglichen sollen, „ihre” in die Krise geratenen Betriebe in genossenschaftlicher Form zu übernehmen. In dem Fall kann grundsätzlich das Arbeitsministerium eine Enteignung in die Wege leiten, um der jeweiligen Belegschaft die genossenschaftliche Weiterführung in die Hände zu geben. Insbesondere vor dem Hintergrund einer von breiten gesellschaftlichen Kräften getragenen Politik der Modernisierung und Rekonstruktion der italienischen Wirtschaft geht es darum, Produktionsmittel, Produktionsstrukturen und Qualifikationsniveau der Belegschaften zu erhalten. Die Erhaltung von Arbeitsplätzen mit ihrer sozial stabilisierenden Wirkung ist ein weiterer gewünschter Effekt der Gesetzesrealisierung. Zu den Bedingungen des „Marcora”-Gesetzes gehörte, daß mindestens 51% des Grundkapitals des „überführten Genossenschaftsbetriebes” in den Händen der neuen Genossen vereinigt sind. Jedes Mitglied mußte mindestens einen Genossenschaftsanteil von 4 Mio. Lire (ca. 6.000 DM) zeichnen. Und schließlich mußte das neue Unternehmenskonzept marktgängig sein und Wirtschaftlichkeitsprüfungen standhalten (Überprüfung erfolgte durch den Genossenschaftsverband).

Um diese gesetzlichen Bedingungen erfüllen zu können und den Förderungsauftrag praktisch umzusetzen, haben sich damals die drei Gewerkschaftsbünde (CISL, UIL, CGIL) und die drei Genossenschaftsverbände (CONFCOOP, AGCI, LEGA) einige Unterstützungsinstrumente einfallen lassen. Die Gewerkschafts- und Genossenschaftsverbände gründeten eine gemeinsame Finanzierungsgesellschaft, mittels derer sich genossenschaftliche Betriebsübernahmen erleichtern ließen. Den Verwaltungsrat, der die Finanzierung für die neuen Genossenschaften organisierte, besetzten die Genossenschaftsverbände mit Fachleuten ihres Vertrauens. Die Gewerkschaftsbünde sandten ihre Vertreter wiederum in den Revisionsrat, dem eine Überwachungsfunktion des Verwaltungsrates oblag. Hintergrund dieser „Zwei- Organ-Konstruktion” war die Weigerung des Gewerkschaftsbundes CGIL, unmittelbar Unternehmerfunktionen zu übernehmen; daher die Alleinvertretung der Genossenschaftsverbände im Verwaltungsrat und die Vertretung der Gewerkschaftsbünde im Kontrollgremium.

Zusätzlich gründeten die Gewerkschaftsbünde und die Genossenschaftsverbände ein paritätisches Komitee, das die notwendigen Kontakte zu den in Frage kommenden Betrieben herstellte: die Gewerkschaftsseite war durch Betriebsräte im Komitee vertreten, die Genossenschaftsverbände brachten ihre Unterstützungsstrukturen sowie ihre Beratungs- und Finanzierungskompetenz in die Komitee-Arbeit ein. Mittels dieser Kooperationsstruktur ließ sich gewährleisten, daß für Krisenbetriebe in kurzer Zeit Übernahmekonzepte entwickelt und eine Finanzierung entsprechend der vom Gesetz geforderten 51% des Grundkapitals sichergestellt werden konnten. Der Staat stellte nach Erfüllung der Finanzierungsbedingungen die nötigen Geldmittel (maximial 49% des Grundkapitals) in Form langfristiger Kredite zur Verfügung. Außerdem wurde den Arbeitnehmern ermöglicht, die ihnen zustehenden Leistungen aus der Lohnausgleichskasse (Cassa Integrazione Guadagni) zu kapitalisieren. Die staatlichen Geldmittel wurden aus einem interministeriellen Fonds (FONCOOPER) gespeist. Die Auszahlung erfolgte über staatliche Bankinstitute.

Konkret konnte eine Betriebsübernahme so ablaufen, daß staatlicherseits ein Konkursverwalter für den Krisenbetrieb bestellt wurde. Die Belegschaft signalisierte dann ihre Bereitschaft, den Betrieb in genossenschaftlicher Form weiterzuführen. Gemeinsam mit der Finanzierungsgesellschaft erarbeitete die Belegschaft ein Unternehmenskonzept, das die Beamten des FONCOOPER prüften und bei Zustimmung ein Bankinstitut mit der Auszahlung der bewilligten Geldmittel beauftragten.

Nach einjähriger Laufzeit des „Marcora”-Gesetzes bot sich folgende Momentaufnahme: Das Finanzierungsvolumen sollte 200 Mrd. Lire betragen, von denen 120 Mrd. Lire für die Modernisierung und Sanierung bestehender Genossenschaften vorgesehen und 80 Mrd. Lire für „Genossenschaftsüberführungen” eingeplant waren. 154 Genossenschaftsförderungsanträge mit einem Volumen 87,9 Mrd. Lire waren zu dem Zeitpunkt von FONCOOPER positiv beschieden worden, mit 128 Genossenschaften konnten Finanzierungsverträge in einem Volumen von 67,8 Mrd. Lire abgeschlossen werden, von denen 47,5 Mrd. Lire bereits ausgezahlt waren. 89 Genossenschaften nahmen in diesem ersten Erprobungsjahr die Hilfe der Finanzierungsgesellschaft in Anspruch, wobei für die Inanspruchnahme die Mitgliedschaft in einem der Genossenschaftsverbände Grundbedingung war. In der Tendenz ließ sich feststellen, daß mehr Anträge aus dem Norden als aus dem Süden Italiens kamen. Der Beschäftigungseffekt in den (neu-) genossenschaftlichen Unternehmensformen lag bei 1.350 Arbeitsplätzen also eine durchschnittliche Beschäftigtenzahl von 34; ein recht positives Ergebnis, wenn man bedenkt, daß die praktizierte Förderung von genossenschaftlichen Produktionsformen die öffentliche Hand Italiens von der Zahlung von Arbeitslosengeld aus der Lohnausgleichskasse befreite.

Das Gesetz „Marcora” stellte sich in seinen wirtschaftlichen und beschäftigungsfördernden Effekten sehr rasch als Erfolg heraus. Und es schälten sich einige Grundregeln heraus, die in der Folge auch berücksichtigt wurden:

Dazu gehört, daß innovativ arbeitende externe Marketing-Experten unerläßlich sind, ebenso qualifizierte Direktoren mit technologischen Konzepten, die Effektivitätsgesichtspunkte in die genossenschaftliche Unternehmensführung einbringen. Widerspruchspotential bildet sich dort, wo den Professionalisierungs- und Konkurrenzgesichtspunkten der externen Experten mißtraut wird Dies ist immer dann der Fall, wenn einzelne Genossenschaftler Professionalisierung lediglich als Rationalisierungsfaktor ansehen und nicht in ihrer Bedeutung für humane Arbeitsbedingungen und angemessene Entlohnung. Deshalb bedarf es gerade des Engagementes der Gewerkschaften und der Genosssenschaftsverbände, um herauszustellen, daß Professionalisierung gerade für die Qualität der Arbeitsbedingungen immer wichtiger wird.

Um lokale Beschäftigungsinitiativen und wirtschaftliche Entwicklungen im Mezzogiorno, dem Süden Italiens, zu fördern, wurde 1986 das Gesetz „De Vita” verabschiedet. Die finanziellen Ressourcen, die das Gesetz bereitstellte, bildeten einen Fonds, von dem auch Genossenschaften profitierten konnten Aufgrund der Erfahrung, daß bei staatlichen Förderungsprogrammen vor allem die schon reicheren nördlichen Regionen Italiens profitierten, ließ sich die Regierung zu Sondermaßnahmen für den Süden bewegen. Das Gesetz entstand als Vereinbarung zwischen Gewerkschaften und Regierung. Der Antrag auf Förderung entsprechend dem Gesetz Nr. 44, genannt „De Vito”, konnte von jungen Menschen zwischen 19 und 29 Jahren in Anspruch genommen werden. Die Antragsteller mußten im Süden des Landes leben. Die finanzielle Unterstützung sollte den Schritt in die Selbständigkeit und die Eigeninitiative junger Menschen fördern. Das Gesetz wollte nicht nur neue Arbeitsplätze schaffen, sondern vielmehr die verkrusteten unternehmerischen Strukturen des Südens aufbrechen und im lokalen Bereich wirtschaftliche Neuansiedlungen ermöglichen.

Das finanzielle Volumen durch Durchführung des Gesetzes Nr. 44 für den geplanten Zeitraum von drei Jahren betrug 2.200 Mrd. Lire (ca. 3 Mrd. DM). Die Bearbeitungsfristen der Verwaltung waren für italienische Verhältnisse ausgesprochen kurz; so dauerte die Überweisung des ersten Geldes bei positiver Entscheidung nur etwa zwei Monate. Genossenschaften wurden im Vergleich zu anderen Unternehmensformen nicht bevorzugt. Gegen die gesellschaftsrechtliche Form von Genossenschaften an sich spricht bei jungen Menschen zumindest der italienischen Erfahrung zufolge häufig der Wunsch nach schnellem Profit. Andere Unternehmensformen werden dann vorgezogen. Auf die positive Entscheidung von Anträgen hatte diese Tendenz keinen Einfluß. Von den ersten 1.841 Anträgen sollten ca. 23% die Rechtsform der Genossenschaft erhalten. Von den 123 tatsächlich genehmigten Projekten lag der Anteil dann sogar bei 26%. Diese überproportional hohe Quote war in den auch überdurchschnittlich präzisen und fachlich sehr geeigneten Antragstellungen von Genossenschaften begründet. Soviel zur finanziellen Förderung.

Ein viel grundsätzlicheres Problem bei der Evaluation des Gesetzes De Vito hat mit der Erfahrung zu tun, daß die Entwicklung unternehmerischer Initiative im Süden Italiens strukturell schwierig ist, dieses insbesondere immer dann, wenn es sich um Förderprogramme aus der Zentralregierung in Rom handelt. Allzu schlecht sind die Erfahrungen, die der Mezzogiorno mit den staatlichen Behörden über Jahrzehnte machen mußte. Aber auch anders herum ist Skepsis angesagt. Die organisierte Kriminalität, speziell in ihrer Ausformung der mit den staatlichen Organen und der Politik verfilzten Mafia, bezieht einen erheblichen Teil ihrer Einkünfte aus den Investitionen des Staates. Sie, die ihren Konsens in Teilen der Bevölkerung vom „ständigen Lamento” über den vernachlässigten Süden herleitet, könne genau genommen an einer wirklichen ökonomischen und kulturellen Emanzipation des Mezzogirono ganz und gar nicht interessiert sein so zumindest sieht es der Italien-Korrespondent Werner Raith. Der Süden also ein Bermuda-Dreieck, in dem alle staatlichen Fördermittel in den Kanälen der organisierten Kriminalität verschwinden? Diese berechtigte Furcht ist ein wesentlicher Bestimmungsfaktor für die aktuellen innenpolitischen Konflikte in Gestalt der massenhaften Korruptionsaufdeckung und des Siegeszuges der teilweise wohlstandschauvinistischen „Lega Nord”. Umso genauer – und darauf habe ich bereits eingangs hingewiesen – muß jedwede staatliche Wirtschaftsförderung besonders kritisch betrachtet und einer Evaluation unterzogen werden. Insbesondere dann, wenn die Gelder in den Süden fließen.

Auch unter diesem Gesichtspunkt wurde mit dem Gesetz „De Vito” eine ganz neue Form von Entwicklungspartnerschaften gesucht. Man verfiel auf den Gedanken, Industrieunternehmen des Nordens einzubinden. Dabei ließ sich das Gewinninteresse dieser Unternehmen mit „Entwicklungshilfe” für neue Unternehmen im Süden miteinander verbinden. Ein Beispiel ist der „Olivetti-Konzern: In dem Fall konnte mit Förderung entsprechend des Gesetzes „De Vito” eine größere Anzahl kleinerer, sehr effektiv und qualifiziert arbeitender Software-Unternehmen im Süden aufgebaut werden. Um aber nicht nur kurzfristige Anfangserfolge zu erzielen, wurde in das Förderpaket gleichzeitig die Kooperation der einzelnen Software-Firmen mit dem Olivetti-Konzern integriert. Die Kooperation lag auf der Linie der Unternehmenspolitik von Olivetti, denn es ging um die Nutzung von Kreativität, Flexibilität und des damit verbundenen günstigen Preis-Leistungs-Verhältnisses kleinerer Unternehmen. In der Praxis bedeutete die Zusammenarbeit, daß sich die neuen Unternehmen mit ihren sehr jungen Mitarbeitern verpflichteten, mit Olivetti zu kooperieren und ausgehandelte Leistungen an den Konzern zu liefern. Im Gegenzug stellte Olivetti sein Knowhow und seine EDV-Anlagen zur Qualifizierung der Jungunternehmer zur Verfügung.

Subunternehmertum oder gar Scheinselbständigkeit per exellence? So befragt, antwortete Luigi De Gasperi, Gewerkschaftssekretär der UIL und selber Immigrant aus Süditalien anläßlich einer Tagung über das italienische Genossenschaftssystem:

„Man muß die Lage im Mezzogiomo und die gewachsene Mentalität der Süditaliener kennen. Jahrzehntelang ausgestattet mit der Erfahrung, als Spielball zwischen den Interessen der Mächtigen zu fungieren, haben viele eine passive, ja fast phlegmatische Grundhaltung ausgebildet. Eigene Initiative begrenzt sich auf den unmittelbaren Bereich der Familie Eingebunden in den circulus vitiosus von Unterentwicklung, Abhängigkeit von der kriminellen Hegemonie der Mafia, Camorra, Ndranghetra und Mißtrauen gegenaber staatlichen Behörden, ist unternehmerische Initiative extrem reduziert. Jegliche Förderung von Eigeninitiative bringt Eigenständigkeit und Selbstbestimmung und ist daher auch begrüßenswert auch wenn sie der Unternehmenspolitik eines Konzerns wie Olivetti entgegenkommt. „

Das Gesetz „De Vito” ist fortgeschrieben und zuletzt per Dekret Nr. 224 vom Ministerium für die Entwicklung des Mezzogiorno am 17. Januar 1992 präzisiert worden. Weitere 420 Mio. DM wurden von der italienischen Regierung für die Förderung unternehmerischer Initiativen im Süden bereitgestellt. Aus diesem Fonds können Darlehen und Kapitalzuschüsse grundsätzlich zur Deckung folgender Ausgaben vergeben werden: Marktforschung, Grundstückserwerb, Baukosten, Verkehrsanschlüsse, Maschinen und Ausrüstungen für den Produktionsbetrieb. Vorrangigen Zugang zu den hier bereitgestellten Mitteln haben Initiativen in Regionen mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit und Unternehmen, die ausschließlich von jungen Menschen und/oder überwiegend von Frauen betrieben werden. Eine Kommission, der Regierungsvertreter, Genossenschaftsverbände und Experten der Staatsholdings angehören, koordiniert mit den regionalen Behörden und Institutionen die Umsetzung er Förderungsvorhaben.

Es ist fast schon die Regel, daß die italienische Regierung die Förderung unternehmerischer Initiative mit der genauen Eingrenzung spezifischer Zielgruppen verbindet. Ein Beispiel ist auch das Gesetz Nr. 215 vom 25.2.1992 zur Förderung der Unternehmensgründung durch Frauen. Die hierzu bereitgestellten Mittel von ca. 43 Mio DM für den Dreijahres-Zeitraum von 1992 bis 1994 sind folgenden Unternehmen vorbehalten: Genossenschaften mit mehr als 60% Frauen, Kapitalgesellschaften mit einer Beteiligung oder Unternehmensleitung von mindestens 2/3 Frauen und schließlich Instituten und Unternehmen zur Aus- und Fortbildung von Unternehmern mit Kursen, die zumindestens 70% für Teilnehmerinnen reserviert sind. Ein anderes Beispiel ist die Steuerbefreiung von sogenannten „cooperative sociali”, also von Genossenschaften der sozialen Selbsthilfe (Gesetz Nr. 381 vom 8.11.1991). Die Steuerbegünstigung oder -befreiung dieser Unternehmen tritt dann in Kraft, wenn die Belegschaft mindestens zu 30% aus behinderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besteht und ein Teil der Genossenschaftsmitglieder ihre Mitarbeit ehrenamtlich anbietet.

Die nichtstaatliche Förderung

Der Erfolg der Genossenschaftsförderung in Italien liegt offensichtlich in der Konzentration insbesondere auf Neugründungen im Bereich von kleinen und mittleren Unternehmen. Daß die großen italienischen Genossenschaftsverbände in den letzten Jahren hier eher zur Zurückhaltung neigten, ist bereits weiter oben beschrieben worden. Ein gutes Beispiel für die nichtstaatliche Unterstützung beim Aufbau neuer Kooperativen und selbstverwalteter Unternehmen ist hingegen die vom linkskatholisch orientierten Gewerkschaftsbund CISL gegründete Assoziation CENASCA, die zwar bereits seit 30 Jahren besteht, sich aber vor allem seit den 80er Jahren von einem beratenden Institut zu einer konkret fördernden Mitgliederassoziation gewandelt hat. Ein entscheidendes Datum für CENASCA war der ClSL-Bundeskongreß im Jahre 1981, der CENASCA, also dem nationalen Zentrum für die Entwicklung von Genossenschaften und Selbstverwaltung, neue Aufgaben übertrug. Wichtigstes Engagement wurde nun die Förderung von Genossenschaftsgründungen mit starker Betonung der Selbstverwaltungsaspekte. Besondere Adressaten sind seitdem betroffene Arbeitnehmer aus Konkursbetrieben und Arbeitslose.

Leitidee ist dabei daß die Gewerkschaft nicht nur die Interessen der Beschäftigten vertreten soll, sondern auch die der Arbeitslosen und der Arbeitssuchenden. Die Gewerkschaften wollten sich insofern auch als „soziale Unternehmern begreifen und durch die Förderung demokratischer Strukturen in den Unternehmen die Teilhabe der Beschäftigten an wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen ermöglichen. Gleichzeitig ging es der CISL darum, glaubhaft zu vertreten, daß Gewerkschaften nicht nur Gegenmacht, sondern als „Protogonist in der Wirtschaft” auch Gestaltungskraft entwickeln können.

CENASCA hat auf nationaler Ebene mehr als 10 Beschäftigte und auf Kreisebene über 150 Angestellte (Gründungsberater usw.). Sie arbeiten in vier Dienstleistungsbereichen: Selbstverwaltung, Ausbildung, Umwelt und regionale Strukturpolitik. Das CENASCA ist horizontal strukturiert in die nationale Ebene, die Region, die Provinz und den Kreis; vertikal in die Branchen bzw. Tätigkeitsfelder Landwirtschaft, Gewerbe, Kultur, Tourismus, soziale Selbsthilfe und private Dienstleistungen. CENASCA finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge der etwa 1.300 angeschlossenen Genossenschaften.

Von 1981 bis 1983 fand in der CISL (später auch zusammen mit anderen Gewerkschaftsbünden) ein Reflektionsprozeß über neue Unterstützungsformen statt. Man wollte einen Solidaritätsfonds zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und Gründung von Genossenschaften ins Leben rufen. In den Fonds sollten alle lohnabhängigen Arbeitnehmer 0,5% ihres Lohnes freiwillig einzahlen. Wenn nur ein Teil der Arbeiter mitgemacht hätte, wäre es möglich gewesen, 8 Mrd. Lire (ca. 12 Mio DM) zu sammeln. Die CISL ließ sich dabei von der Grundidee leiten, daß Gewerkschaften, Regierung und Arbeitgeberverbände über wichtige ökonomische und politische Maßnahmen verhandeln müßten. Ziel war vor allem die Verbesserung der Lebensbedingungen von Arbeitnehmern, insbesondere Jugendlichen, in Süditalien. Ressourcen aus dem Konsumbereich sollten in den Investitionsbereich umgelenkt werden. Deshalb sollte in die Dynamik des Lohnes eingegriffen werden. In diesen strategischen Fragen gab es einen Bruch in der italienischen Gewerkschaftsbewegung, durch den das Gesamtpaket, von dem ein Teil der Solidaritätsfonds war, verhindert wurde. Mit der CISL, der UIL und den Genossenschaftsverbänden gab es zwar eine Einigung darüber, daß 0,5% des Lohnes auf freiwilliger Basis in die Fonds einbezahlt werden sollten, und daß der Fonds durch Gewerkschaften und Genossenschaftsverbände gemeinsam zu verwalten sei – kontrovers blieb aber der Modus der Rückzahlung eingebrachter Einlagen der Arbeitnehmer (Zinsen und Fristen). In der gewerkschaftspolitischen Diskussion tauchte das Thema auch in der Folgezeit immer wieder auf, letztlich wurde dieser Fonds aber nicht eingerichtet.

Unbeirrt davon verfolgt das CENASCA die Ausdehnung des Selbstverwaltungsgedankens in der Genossenschaftsbewegung. Es sollen also nicht nur Genossenschaften gefördert werden, die auch Lohnabhängige beschäftigen können, sondern ebenfalls Selbstverwaltungsgenossenschaften, in denen jeder Arbeitnehmer auch Mitglied der Genossenschaft ist („socio lavoratore”) und den gleichen Einfluß ausüben kann. Über diese Frage der Selbstverwaltung ist CENASCA in einen Dialog mit den Verbänden der Kooperativen-Bewegung in Italien getreten. Die großen Genossenschaftszentralen haben ihre ursprünglichen Ansprüche auf „Solidarität” und „Selbstverwaltung” mit der Zeit aufgegeben und sind eher traditionelle Unternehmensverbände geworden, welche den Hauptakzent auf Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit legen.

CENASCA dagegen will neue Formen des Arbeitens, der Wirtschaftsdemokratie und der Selbstverwaltung mit der Wettbewerbsfähigkeit verbinden. Obwohl es in der CISL eine solche Selbstverwaltungstradition gibt, sind damit nicht alle einverstanden. Eine starke Gruppe vertritt das Prinzip der Rollenteilung von Arbeitnehmern und Unternehmer: Die Gewerkschaft solle die Rechte der abhängig Beschäftigten verteidigen und nicht selbst neue Arbeitsplätze schaffen, dieses sollten andere machen. In den letzten Jahren sind hier aber Veränderungen festzustellen. Die Diskussion der CISL führte zu einer Vertiefung des Themas „Genossenschaften und Solidarität”.

Dies ist der Hintergrund, vor dem die Aktivitäten des CENASCA zu betrachten sind. Die Assoziation bietet vielfältige Dienstleistungen an: Gründungshilfen für Genossenschaften (gründliche Untersuchung der Realisierbarkeit, Marktanalysen, Problemanalysen usw.), Ausbildung zum genossenschaftlichen Unternehmer und Beratung (Kreditsuche, Bankenkontakte, innerbetriebliche Krisenbewältigung). Das CENASCA arbeitet mit ISCOS, einem gewerkschaftlichen Institut der CISL für die Entwicklung und Unterstützung von Genossenschaften in den Entwicklungsländern, zusammen. Es gab bereits Kooperationsprojekte mit Gewerkschaften und Genossenschaften in Guatemala, Costa Rica, Senegal und Mali. Für die Dauer des Gründungsprozesses erhalten Genossenschaften in den Entwicklungsländern bis zu 24 Monate lang Unterstützung durch CENASCA. Damit soll ein Beitrag zur Entwicklung kulturell, politisch und ökonomisch stabilerer Verhältnisse geleistet werden. Jedes Jahr findet ein kultureller Austausch statt. Gewerkschaften also als „imprenditore sociale” (sozialer Unternehmer)? Für CISL und CENASCA längst keine Worthülse mehr. Längst haben sie in pragmatischer Orientierung einen vielleicht provozierenden Slogan in wirtschaftliches und soziales Handeln verwandelt.

1987 zählte das CENASCA erst 500 Mitgliedsgenossenschaften. 1992 waren es bereits über 1.300 mit mehr als 50.000 Mitgliedern. Der Umsatz der Unternehmen übersteigt inzwischen den Betrag von 1,8 Mrd. DM (CENASCA NOTIZIE 1992). Es ist nicht ohne Grund, daß der Präsident des CENASCA, Gavino Deruda, im Oktober 1992 auf dem Kongreß seiner Assoziation hervorhob, daß aus dem Gedanken der Solidaritat heraus nicht nur die Gewährleistung von Rechten, sondern vor allem die Akzeptanz von Pflichten neu definiert werden müsse Ohne selbstverantwortliches Handeln in Wirtschaft und Politik ließen sich die zentrifugalen Kräfte der italienischen Gesellschaft nicht bändigen. Die Kraft der Genossenschaftsbewegung sieht De vor allem in einem Zusammenhang von

Solidarität, Produktivität und Effizienz. Daraus en entwickelte er auch die „Philosophie” der Genossenschaftsförderung, in der er ein hohes Maß an integrativer Kraft zur Überwindung von Klientelismus und „Tangenti”-Kapitalismus sieht. Auf die Frage, warum das CENASCA auch weiterhin wachsen solle, nennt er Aspekte, die meines Erachtens erstrebenswerte Grundsätze des sozialen wirtschaftlichen und politischen Handelns einer Gesellschaft zum Ausdruck

– Die Förderung vor allem der Neugründung von kleinen und mittleren Unternehmen unter beschäftigungs- und beteiligungspolitischen Aspekten,

– die gewissenhafte Anerkennung der kulturellen, historischen, menschlichen professionellen und natürlichen Ressourcen,

– die Realisierung des Gedankens einer echten Wirtschaftsdemokratie in einem Gleichgewicht der Faktoren von Kapital und Arbeit bei einer Vorrangstellung jedes einzelnen Menschen im Produktionsprozeß

– und schließlich der einzelwirtschaftliche Beleg dafür, daß die Antwort auf den Zusammenbruch des Kommunismus nicht der ungezügelte Kapitalismus ist, sondern eine Gesellschaft, deren Grundlage vom Prinzip der Partizipation, von der Freiheit in der Arbeit und von der Verantwortung der Starken für die Schwachen gebildet wird.

Ein Kommentar aus politischer Sicht

Ist die staatliche Förderung von italienischen Genossenschaften eine Vorform der Zentralverwaltungswirtschaft oder gar eine spezifische Ausformung des „Tangenti”-Kapitalismus? Kaum! Eher das Gegenteil wohl. Denn die dezentral angelegten Konzepte der Förderung, die Kontrolle durch Genossenschaftsverbände, die Unterstützung kleiner und mittelständischer Unternehmen, die breite Streuung des Eigenkapitals und die starke Mobilisierung der Eigenverantwortlichkeit der Genossenschaftsmitglieder, also der kleinen Kapitaleigner – all dies sind vor allem erst einmal Faktoren, die für eine marktwirtschaftlich adäquate Verwendung der staatlichen Mittel sprechen. Hinzu – und das macht in dem hier interessierenden Kontext das Erkenntnisinteresse beim Blick über die Alpen im besonderen aus – hinzu gesellt sich eine durchaus gemeinwirtschaftliche Funktion der Genossenschaftswirtschaft. Diese besteht in den Beschäftigungseffekten, in dem Anstieg unternehmerischer Initiative, in der breiter angelegten Vermögensbeteiligung, in der spezifischen Förderung von eher benachteiligten Personengruppen und in der stark regional angebundenen Umsetzung der Förderungskonzepte.

Unter den Marktwirtschaftstheoretikern wird es den Vertretern der reinen Lehre schon sehr schwer fallen, auf Italien bezogen die erfolgreiche Verknüpfung von markt- und gemeinwirtschaftlichen Funktionselementen der staatlichen Genossenschaftsförderung zu leugnen. Daß einige es dennoch immer wieder tun, erstaunt umso mehr. In der Kontroverse geht es dann vordergründig um die Frage, ob Genossenschaften gemeinwirtschaftlich sind. Denn das, was gemeinwirtschaftlich ist, das müsse selbstverständlich staatlich gefördert werden, wie beispielsweise das Gesundheitswesen oder die Bereitstellung von Infrastruktur. Was hingegen rein erwerbswirtschaftlichen Charakter trage, müsse frei von staatlicher Förderung bleiben – so schließlich auch die Genossenschaften.

Als sich Mitte der 80er Jahre die EG-Kommission in Anerkenntnis des gemeinwirtschaftlichen Charakters von Genossenschaften an die Vorüberlegungen zu einer Harmonisierung des Genossenschaftsrechtes machte, da liefen vor allem deutsche Genossenschaftstheoretiker Sturm. So wurde 1985 auf der 11. Internationalen genossenschaftswissenschaftlichen Tagung in der „marktideologischen” Hochburg der deutschen Genossenschaftswissenschaft in Münster – wen wird es wundern – vorrangig der erwerbswirtschaftliche und marktintegrative Charakter

der bundesdeutschen mittelständischen Genossenschaften betont (nachzulesen bei Glimm 1985). Um diesen Aspekt besonders in das Rampenlicht zu rücken, war der damalige Bundesjustizminister Engelhard (FDP) geladen, der sogleich diesen erwerbs- und marktwirtschaftlichen Charakter unterstrich und dessen nationale Bedeutung hervorhob. An der Spitze der Wissenschaftler war es der Münsteraner Professor Erich Boettcher, der vor der Tendenz warnte, Genossenschaften in Gemeinwirtschaft umzuwandeln. Die Gemeinwirtschaft, so Boettcher, verfolge sozialistische, die Genossenschaft hingegen liberale Absichten (Boettcher 1985, S. 41). Wie vordergründig ideologisch diese vermeintlich wissenschaftliche Analyse ist, belegt ein Rückblick in die Schriften Boettchers aus dem Jahre 1965. Damals hatte er auf Veranstaltungen noch Wert auf die agrarpolitische Gestaltungskraft der landwirtschaftlichen Genossenschaften gelegt, die Anbaustruktur und Arbeitsverfassung ganzer Regionen mit steuerten und somit als gemeinwirtschaftlich angesehen müßten (belegt bei Engelhardt 1971, S. 97). Was mag Boettcher zu einem solchen Sinneswandel bewogen haben? Ist – die Frage ist berechtigt – an die Stelle pragmatischer Analyse orthodoxe Ideologie getreten? Ist der Sinneswandel Folge der Anpassung an das politische Dogma, daß Wirtschaft nur in der Wirtschaft stattfinde?

Angesichts der eingangs skizzierten Problemberge von Langzeitarbeitslosigkeit und ökologischer Zerstörung wäre das Festhalten an derart durchsichtigen Dogmen geradezu fatal und politisch das Eingeständnis von verloren gegangener Handlungsfähigkeit. Um nicht mißverstanden zu werden: Die staatliche Förderung von Unternehmensinitativen, dies vor allem im selbstverwalteten und genossenschaftlichen Bereich, ist auch meines Erachtens keine allumfassende Gewähr zum Abbau der Problemberge.

Aber der Blick auf die italienische Praxis zeigt Wege. Mit einem pragmatischen Ansatz und einem weniger ideologisch verbauten Blick würde es in Deutschland sicher auch gelingen, beispielsweise aus der sogenannten Überbrückungsfunktion der Arbeitsmarktpolitik einen Einstieg in die europäisch längst anerkannte „economie sociale” zu finden.

Oder will die Politik glauben machen, daß eine noch auf Jahre andauernde Massenarbeitslosigkeit auch weiterhin überbrückbar wäre? Das allerdings wäre fatal: Denn die Wirtschaftsprognosen sagen, daß auch bei einem bereits wieder zu erwartenden Wirtschaftswachstum die Arbeitslosigkeit nicht abzubauen ist. Der Brücke sind also längst die Pfeiler verloren gegangen. Jetzt zählt jedes Steinchen, damit neue gangbare Wege aus der wirtschaftspolitischen Erstarrung gefunden werden. Was die immer sehr wirtschaftsliberale EG-Kommission über die Förderungswürdigkeit der „economie sociale” sagt, sei den deutschen Marktideologen daher sehr ans Herz gelegt.

Quellen und Literatur

Bierbaum, H./Riege, R. (Hg.): Die neue Genossenschaftsbewegung. Hamburg

Boettcher, E.: Die Idee des Genossenschaftswesens und dessen ordnungs- und gesellschaftspolitischer Standort. In: ders. (Hg.): Die Genossenschaft im Wettbewerb der Ideen. Tübingen 1985, S. 2748

Cenasca Notizie, Anno II, Nr .33, 16 ottobre 1992

Decreto Nr. 224 del 17.1.1992. In: Gazzetta Uffciale della Repubblica Italiana. Rom 16 marzo 1992

DGB-Bildungswerk e.V. (Hg.): Anders arbeiten. Eine Entdeckungsreise durch Genossenschaften und selbstverwaltete Betriebe in Europa. Düsseldorf 1990

Engelhardt, W.: Der Funktionswandel der Genossenschaften in industrialisierten Marktwirtschaften. Berlin 1971

Gambi, Lucio u.a.: L’Italia. Ambienti e regioni. Bologna 1983

Generalsekretariat des WSA der EG. Die Genossenschaften Europas und ihre Verbände. Baden-Baden 1986

Glimm, S.: XI. Internationale Genossenschaftwissenschaftliche Tagung. In: ZögU, Bd. 8, Jg. 1985, S. 225-228

Guida pratica alla cooperazione e all’ autogestione. Rom 1985

Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Die Unternehmen der Economie Sociale und die Schaffung des europäischen Marktes ohne Grenzen. Mitteilung der Kommission an den Rat. Brüssel 1989

Koppel, E./Uesseler, R.: Italien. Ein politisches Reisebuch. Hamburg 1986

Legge Nr. 215 del 25.2.1992, Azioni positive per ;’imprenditoria femminile. In: Gazzetta Uffciale della Repubblica Italiana, Roma, 7 marzo 1992

Legge Nr. 275 del 11.8.1991. In: Gazzetta Uffciale della Repubblica Italiana, Roma, 27. agosto 1992

Legge Nr.381 del 8.11.1991, Disciplina delle cooperative sociali

Leipert, C.: Die heimlichen Kosten des Fortschritts. Frankfurt a.M.1989

Ministero del Lavoro e della Previdenza Sociale. Direzione Generale della Cooperazione – Div. IV, Statistiche della Cooperazione

Notz, G. u a. (Hrsg. ) Selbstverwaltung in der Wirtschaft – Alte Illusion oder neue

Verein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e. V. (Hrsg.): Perspektiven der Genossenschaften – Impulse für eine demokratische Marktwirtschaft. Darmstadt 1990

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Noch einmal zur italienischen Genossenschaftsbewegung. Ein Beitrag von Susanne Elsen. Es handelt sich dabei um ein Kapitel aus ihrem Aufsatz “Gemeinwesenarbeit und Gemeinwesenökonomie im Zeitalter der ‘Globalisierung'”, der im Jahrbuch Gemeinwesenarbeit Nr. 6 erschien:

Auf der Suche nach Handlungsstrategien gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Probleme der sozialen Versorgung griffen insbesondere südeuropäische Länder die Organisationsform der sozialen Kooperativen auf.63 Die Entfaltung der Sozialgenossenschaften in Italien erfolgte im Rahmen einer starken Kooperativbewegung. Selbstverwaltung als wirtschaftskultureller Anspruch hat in Italien einen hohen Stellenwert. Genossenschaften in Italien sind im Vergleich zu deutschen Genossenschaften klein und lokal orientiert. Die Wachstumsdynamik seit den 70er Jahren ist ungebrochen. Im Zeitraum zwischen 1980 und 1990 verzeichnete Italien einen Zuwachs an Produktivgenossenschaften um 109 Prozent (von 17 880 auf 37 339).64 1988 gab es in Italien ca. 150.000 Primärgenossenschaften. Das sind fast zwanzig Mal so viele wie in der alten Bundesrepublik.65 In der Region Emilia Romagna konzentriert sich die größte genossenschaftliche Produktion in der Welt. Mitte der 80er Jahre arbeitete hier die Hälfte der erwerbstätigen Menschen in Kooperativen. Dabei ist die gesamte Bandbreite ökonomischer Tätigkeit genossenschaftlich organisiert.66 Das sprunghafte Wachstum ist auch darauf zurück zu führen, daß neue Akteurinnen und Akteure sich genossenschaftlich organisieren, neue Tätigkeitsfelder erschließen und neue Bedarfe decken. Es entstehen Gemeinschaftspraxen freier Berufe, neue Dienstleistungsagenturen, Softwarehäuser, Freizeit- Bildungs- und Kultureinrichtungen. Modellhaft sind die Förder-, Entlastungs- und Vernetzungsstrukturen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene. Die Gesetzgebung vollzog seit dem Ende des letzten Jahrhunderts eine permanente Anpassung an den gesellschaftlichen Entwicklungsbedarf.

Die Bereitschaft zur aktiven staatlichen Förderung genossenschaftlicher Lösungen hängt auch damit zusammen, daß der Staat kostenträchtige Versorgungssysteme abstoßen und im Zuge der Subsidiarität die Aufgaben kleineren Einheiten kostensparend überlassen kann. Die Bereitschaft und Fähigkeit zur Arbeit in Kooperativen ist nicht zuletzt eine Frage der offensiv demokratischen Mentalität und Streitkultur.67 Die italienische Gesellschaft ist in ausgeprägter Weise skeptisch gegenüber offiziellen staatlichen Mächten und hat die informellen Strukturen und die dazu gehörenden Mentalitäten und Kompetenzen reißfest ausbilden müssen.

Die feudalistischen Strukturen in der Landwirtschaft bis in die 40er Jahre dieses Jahrhunderts erzeugten in Italien als Gegenbewegung seit Beginn des 20. Jahrhunderts starke Organisationsformen der abhängigen Landarbeiter (braccianti). Die gewerbliche Produktion wurde über lange Zeiträume in Handwerksbuden und kleinen genossenschaftlichen Unternehmen organisiert. Bereits 1886 wurde die „rote LEGA”, der nationale Bund der Kooperativen und Unterstützungseinrichtungen, gegründet und 1919 die christliche Konföderation der italienischen Genossenschaften. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde unter der Mitte-Links-Regierung die erste genossenschaftsfreundliche Gesetzgebung geschaffen. In der Verfassung von 1947 wurde die Unterstützung genossenschaftlicher Wirtschaft durch den Staat festgeschrieben. In Artikel 45 heißt es: „Die Republik anerkennt die gesellschaftliche Funktion der Genossenschaft mit Selbsthilfecharakter und ohne die Zielsetzung des privaten Gewinnstrebens. Das Gesetz fördert sie und begünstigt ihr Wachstum mit den dafür geeigneten Mitteln und garantiert ihren Charakter und ihre Zielsetzungen durch entsprechende Kontrollen.”68 Dieser Verfassungsartikel wurde 1971 im Gesetz Nr. 127 präzisiert: Dem Ministerium für Arbeit und Sozialfürsorge obliegt es danach, „Initiativen zu ergreifen, um die Entwicklung des Genossenschaftswesens, die Verbreitung seiner Prinzipien und die berufliche Qualifizierung der genossenschaftlichen Führungskräfte zu fördern.”69 Im Bürgerlichen Gesetzbuch wird das Förderprinzip als Spezifikum der Genossenschaften genannt. Genossenschaften haben danach ihre Mitglieder zu günstigen Bedingungen mit Gütern, Dienstleistungen bzw. Arbeitsmöglichkeiten zu versorgen. Seit 1977 gibt es als Mittel zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ein spezielles Gesetz zur Förderung von Jugendgenossenschaften.70 1991 wurde das Gesetz zur Regelung der Sozialen Kooperativen erlassen. Damit werden Sozialgenossenschaften – „cooperative sociali” als eigene Unternehmensformen anerkannt. Zwei weitere gesetzliche Anpassungen, die die Kooperativengründung fördern, folgten 1995. Danach ist es erstens bereits fünf (statt bisher neun) Personen möglich, eine Kooperative zu gründen und die kollektive Leitung (ohne Wahl eines Vorsitzenden) wurde erlaubt. Diese gesetzlichen Rahmenbedingungen sind handfeste Ergebnisse der gesellschaftlichen Akzeptanz von Kooperativen und dem politischen Willen zu ihrer Förderung. In Italien wird der Genossenschaftssektor durch eine breite Akzeptanz gesellschaftlicher Kräfte getragen, die aus einer historisch begründeten Kooperation zwischen Gewerkschaftsbewegungen und Genossenschaftsverbänden hervorging und durch die Interessenkohärenz von Arbeiterbewegung und liberalem Staat getragen ist. Diese Akzeptanz und die aktive staatliche Förderung haben eine politische Kultur genossenschaftlicher Lösungen zur Entfaltung gebracht. Die soziopolitische Einbindung des Genossenschaftssektors und das gemeinwirtschaftliche Verständnis unterscheiden sich deutlich von der deutschen Tradition und Entwicklung. Seit Erlaß des Gesetzes zur Regelung der Sozialgenossenschaften im Jahr 199171 sind viele Kooperativen entstanden, die auf lokaler Ebene die Teilbereiche sozialer Dienste übernehmen, die von öffentlichen Stellen in subsidiäre Trägerschaften abgegeben werden und die die neuen Bedarfe des Gemeinwesens aufgreifen, die aufgrund soziodemographischer Veränderungen in Städten und auf dem Land entstehen. Sie unterscheiden sich nach ihren Zielen in den Typ A (Dienstleistungen in den Bereichen Erziehung und Gesundheit) und Typ B (berufliche Eingliederung von Personen mit Schwierigkeiten).72 Die Sozialgenossenschaften vom Typ B arbeiten in der Landwirtschaft, im Handwerk, in der Industrie und im Handel. Als Personen mit Schwierigkeiten gelten Erwachsene aus Randgruppen, Behinderte, psychisch Kranke, Minderjährige aus Problemfamilien, Drogenabhängige, Straffällige im alternativen Strafvollzug und andere. Fast 65 Prozent der Genossenschaftsmitglieder sind jünger als 30 Jahre. Es sind überwiegend Kleinunternehmen. Um in den Genuß von Steuerermäßigungen oder -erlässen und Subventionen zu kommen, müssen mindestens 30 Prozent der Arbeitskräfte behindert oder benachteiligt sein. Diese sind auch von den obligatorischen Sozialabgaben befreit. Parallel zu den Sozialgenossenschaften gibt es Genossenschaften, die auf ökologische Aufgaben ausgerichtet sind. Die Sozialgenossenschaften sind Mitglieder in einem der beiden Dachverbände des italienischen Genossenschaftswesens. Sie sind auf regionaler Ebene als selbständige Einzelgenossenschaften in engen Verbundsystemen zusammengeschlossen. Diese regionalen Konsortien mit ihren intensiven wirtschaftlichen politischen Aktivitäten bilden die Bezugspunkte, das Netz, die Infrastruktur und die Lobby der Genossenschaften. Die regionalen Konsortien haben die zentrale Aufgabe, Aufträge zu akquirieren und die Erledigung durch Kooperation zwischen den Einzelgenossenschaften zu koordinieren. So sind beispielsweise die zwölf Sozialgenossenschaften, die in der Provinz Brescia in der Landschaftspflege tätig sind, innerhalb ihres Konsortiums miteinander in „Sol.Co. Verde” vernetzt. Auftragssicherheit wird dadurch gewährleistet, daß ein hoher Prozentsatz öffentlicher Aufträge an die Konsortien vergeben werden. Die regionalen Konsortien sind zusammengeschlossen im Consortio Nazionale della Cooperazione di Solidarietà Sociale „Gino Mattarelli”. Es ist für die regionalen Konsortien tätig in den Bereichen Aus- und Weiterbildung für das Genossenschaftswesen, Consulting, Forschung und Publikation und für „general contracting” beispielsweise für Vertragsabschlüsse mit den Sozialversicherungsträgern.

Fußnoten:

63 Neben den angegebenen Literaturquellen liegen den Ausführungen Informationen zugrunde, die ich in Gesprächen mit italienischen Vertretern des CECOP (Comité des Cooperatives de production et de Travail Associé), durch Besuche von Genossenschaften in Oberitalien und nicht zuletzt durch mein Leben und Arbeiten in der Emilia erarbeitet habe.
64 Haensch, Dietrich: Soziale und Dienstleistungs-Kooperativen in Italien. In: Heckmann, Friedrich/Spoo, Eckart (Hrsg.): a.a.O., S. 153.
65 Beywl, Wolfgang / Flieger, Burghard: (1993) a.a.O., S. 143.
66 von Randow, Matthias: Genossenschaftsförderung in Italien. In: Jäger, Wieland/Beywl, Wolfgang (Hrsg.): a.a.O.
67 Haensch, Dietrich: Più occupazione con la cooperazione: in: Contraste Nr. 154/155, 13. Jhrg., 1997, S. 13.
68 von Randow, Matthias: a.a.O., In: Jäger, Wieland/Beywl, Wolfgang (Hrsg.): a.a.O., S. 83.
69 Ebenda: S. 87.
70 Beywl, Wolfgang / Flieger, Burghard: (1993), a.a.O., S. 145.
71 Istituto Italiano degli Studi Cooperativi „Luigi Luzzatti”: Legge 8 novembre 1991, n. 381 – Disciplina delle cooperative sociali, Roma 1992, S. 18f.
72 Vergleiche: LEADER II magazine, Nr. 10 Winter 1995/96.

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P.S.: Bei dem hier im ersten Beitrag erwähnten Maslow handelt es sich um den US-Psychologen Abraham Maslow, der 1943 eine “Bedürfnispyramide” veröffentlichte. Sie ist zwar nicht halb so lustig wie die “Phalanstère” von Charles Fourier, trotzdem sei dazu noch aus Wikipedia erklärt:

“Die menschlichen Bedürfnisse bilden die „Stufen” der Pyramide und bauen dieser eindimensionalen Theorie gemäß aufeinander auf. Der Mensch versucht demnach, zuerst die Bedürfnisse der niedrigste Stufe zu befriedigen, bevor die nächste Stufe zum neuen und stärkeren Bedürfnis wird. Ein starkes Bedürfnis erhöht die Motivation um es zu befriedigen.

Maslow gilt als der wichtigste Gründervater der Humanistischen Psychologie, die eine Psychologie seelischer Gesundheit anstrebte und die menschliche Selbstverwirklichung untersuchte. Sein Gesamtwerk war wesentlich weitreichender als das hier dargestellte Modell, obwohl diese einfache Darstellung ihn sehr bekannt gemacht hat.”

Die unteren drei Stufen in der fünfstufigen Pyramide nennt man auch Defizitbedürfnisse. Diese Bedürfnisse müssen befriedigt sein, damit man zufrieden ist, aber wenn sie erfüllt sind, hat man keine weitere Motivation diese zu befriedigen (wenn man nicht mehr durstig ist, versucht man beispielsweise nicht mehr zu trinken).

Unstillbare Bedürfnisse können demgegenüber nie wirklich befriedigt werden. Diese treten auf der fünften Stufe auf, teilweise aber auch schon auf der vierten. Beispiel: Ein Maler zeichnet zur Selbstverwirklichung; sein Bedürfnis nach Kreativität ist nicht nach einer bestimmten Anzahl Bildern gestillt. Beispiel 2: Ein Individuum hat Erfolg gehabt und möchte diesen Erfolg immer wieder übertreffen. Für die prinzipielle Darstellung von Bedürfnissen in der Verkaufspsychologie wird das Modell von Maslow heute noch häufig verwendet.

Vielleicht auch wegen dieser „Markttauglichkeit” hat Maslow sein Modell 1970, also kurz vor seinem Tode, erweitert (postum veröffentlicht in: „Farther Reaches of Human Nature”: New York 1971); die oberste Stufe der neuen Pyramide ist nun „Transzendenz” also die Suche nach Gott, nach einer das individuelle Selbst überschreitenden Dimension oder nach etwas, das außerhalb des beobachtbaren Systems liegt (vergl. Niklas Luhmann, „Gott als Beobachter 2ter Ordnung”). Diese Erweiterung reflektiert Maslows Weg von der Humanistischen zur Transpersonalen Psychologie. Obwohl häufig das Datum 1970 mit angegeben wird, wird die Pyramide meist mit der Selbstverwirklichung an der Spitze dargestellt.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/08/08/genossenschaftencooperativa_8_/

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kommentare

  • Italienische Genossenschaften unter Beschuss
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    Ein aktueller Beitrag aus Le Repubblica (14. Juli 2008), übersetzt von Petra Wittrich im Auftrag des Projekts “Le Grand Magasin”:

    Im Visier: die großen genossenschaftlich organisierten Handels- und Versicherungsfirmen, aber der Sektor besteht tatsächlich aus tausenden von kleinen Einheiten und einigem wirtschaftlichen Einfluß.

    Brüssel ficht ihre Bevorzugungen an, der Finanz- und Wirtschaftsminister Giulio Tremonti will höher besteuern: ein System mit 120 Milliarden Euro Umsatz, angeführt von den zwei großen zentralen Genossenschaftsverbänden Lega und Confcooperative, die in den Augen der Regierung den Fehler machen, zu viel Nähe zur PD (Partito Democratico) zu pflegen.

    Sowohl in Italien als auch in Europa nehmen sich knapp 120 Milliarden Euro Umsatz sowie ein relativ geringes politisches und wirtschaftliches Gewicht eher bescheiden aus. Trotzdem ist das Genossenschaften-Angreifen heute in Mode gekommen. So hat es zuerst Bernardo Caprotti, Urgestein von Esselunga (Supermarktkette), in seinem Pamphlet “Sichel und Schubkarre” getan. Der Vorwurf: Die Hilfe des Staates in Form von Steuererleichterungen führt zu Wettbewerbsverzerrungen. Dieser Vorwurf wurde in Brüssel ernst genommen. Nach einer Anzeige von Federdistribuzione, der Vereinigung der großen italienischen Supermärkte, ist eine gesetzliche Regelung in Gang gekommen. Dies ist der zweite Schlag gegen die Genossenschaften.

    Die Argumentation von EU-Wettbewerbskomissarin Neelie Kroes ist einfach: Die Cooperativen sind in jeder Hinsicht gleich zu stellen mit privaten Firmen. Das bedeutet, dass sie keine Rechte auf steuerliche Sonderbehandlung haben sollten, da das gleichbedeutend mit staatlicher Beihilfe wäre. Und das ist noch nicht alles. Während Brüssel das heiße Eisen schmiedet, hat Minister Giulio Tremonti – und das ist der dritte Schlag – drei staatliche Kontrollmaßnahmen erwogen, die nach Einschätzung des fiskalisch Verantwortlichen der Lega delle Cooperative, Elio Di Odoardo, die Genossenschaften der Lega alleine 70 bis 80 Millionen Euro kosten würden.

    Tatsächlich sind den Mitte-Rechtsparteien, im Besonderen Giulio Tremonti, Genossenschaften ein Dorn im Auge. Die Begründung: Genossenschaften funktionierten als Motor für die Linke. Diese Betrachtungsweise wird verstärkt durch den gescheiterten Versuch von Unipol (eine Aktiengesellschaft, an der Börse notiert, aber von verschiedenen Cooperativen der Lega kontrolliert), die BNL (Banca nazionale del lavoro) zu übernehmen. Auf den Punkt gebracht bedeutet das, wenn man den Fokus auf die Bewegung der Genossenschaften richtet, wird man feststellen, dass es erheblich mehr Aspekte in diesem Universum gibt, als allgemein angenommen. Neben der Lega Coop, die historisch gesehen immer der Linken nahestand (53 Milliarden Einnahmen, 8 Millionen Mitglieder, dazu 430.000 Angestellte) gibt es die Confcooperative mit katholischem Hintergrund (59 Milliarden Einnahmen, 2,8 Millionen Mitglieder und 480 000 Angestellte). Aber das sind noch nicht alle: Es fehlen die drei kleineren zentralen Cooperativ-Verbände; die l`Agci, die während der ersten Republik (vor 91/92) der PRI (Partito repubblicano italiano , Mitte) , der PSDI ( Partito sociale e democratico italiano) und einigen Strömungen der Sozialisten nahe stand (ca. 6,2 Milliarden Einnahmen); die l`Unci, angeführt von einem Exabgeordneten der IDV (Italia dei valori) und die UN. I. Coop, gegründet 1999 von dem jetzigen Bürgermeister von Rom, Gianni Alemanno.

    Und nun? Giuliano Poletti, Vorstand der Lega delle Cooperative, weist die Anschuldigungen an den Absender zurück und bestreitet jegliche Abhängigkeit oder direkte Beziehung zwischen Genossenschaften und früherer DS bzw. heutiger PD (Partito democratico). Er betont die Autonomie seiner Organisation und deren soziale Rolle: “In der Lega sind 15 000 Genossenschaften vereinigt, davon sind die meisten Klein- und Kleinstcooperativen. Diese Struktur spielt eine wesentliche Rolle im sozialen Dienstleistungssektor, in der Industrie und im Verbrauchsgütersektor.” Somit wären wir bei dem Giganten Coop, eine gewaltige Maschine im Krieg der großen Händler? Poletti hat ein leichtes Spiel, er erinnert an 2007, als mit 43% des Gewinns die Preise stabil und günstig gehalten wurden, um den Verbraucher zu entlasten. Der gleiche Tenor bei Luigi Marino, Vorstand von Confcooperative: “Wir bezahlen für irgendwelche negativen Vorurteile. Sie behaupten wir seien mit der PD verbandelt. Das stimmt nicht. Natürlich, in der Vergangenheit standen wir der DC nahe, aber wir haben immer unsere Autonomie aufrechterhalten.” Marino zeigt sich auch über das zweite Vorurteil besorgt – das System Genossenschaft sei “eine Form der Pflegebedürftigkeit und auf jeden Fall überholt”. Der Vorstand der Confcooperative antwortet darauf: ” Wenige Menschen wissen, dass in Ländern wie Kanada, USA, oder Japan Genossenschaften fest verankert sind, stärker als in Italien. Und vor allem handelt es sich um eine wachsende Bewegung, die vor Augen hat, den steigenden Bedürfnissen einer modernen Gesellschaft gerecht zu werden.”

    Lanfranco Turci, heute sozialistischer Vertreter, von 1987 bis 1992 kommunistischer Vorstand der Lega delle Cooperative, drängt: “Sagen wir die Wahrheit: Die Geschichte der Verbindung von Cooperativen und Staat mutet ein bisschen an wie eine Karikatur der Realität, es ist zu vergleichen mit den Parteien, die heutzutage nur eine Karikatur der großen Parteien von damals sind.”

    Bleibt der Fakt, dass sich die Vertreter der Bewegung von Seiten der Regierung angegriffen fühlen. Und dass die von Tremonti geforderten Maßnahmen scheinbar direkt auf die großen Genossenschaften abzielen. Zum Beispiel auf Coop: 12,5 Milliarden Einnahmen und Nummer Eins der großen italienischen Handelsketten. An erster Stelle steht die Besteuerung der Darlehen für die Genossenschaftsmitglieder, die Haupteinnahmequelle einiger Kooperativen, die von 12,5 auf 20% erhöht werden soll, um somit den Anreiz für Genossenschaften, Kredit aufzunehmen, zu schmälern. Ebenso sollen die Steuern auf Unternehmensgewinne von 30 auf 55% erhöht werden. “Diese letzte Entscheidung” bestätigt Aldo Soldi, Präsident von Coop “betrifft die Gewinne der Genossenschaft, die nicht an die Genossenschaftsmitglieder weitergegeben werden, sondern in unteilbare Rücklagen fließen. Selbst wenn die Gesellschaft aufgelöst wird, bekommen die Mitglieder keinen Cent.” Die großen Genossenschaften sind in vielen Bereichen tätig. Sie bewegen sich häufig mit einem lebhaften unternehmerischen Geist, sie sind sehr flexibel. Man erinnere sich an Giganten wie die Bauunternehmen CMB aus Carpi oder CMC aus Ravenna. Oder auch die Anlagebaufirma SACMI. Beispielhaft ist der Fall Conserve Italia Group, Mitglied der Confcooperative. Mit mehr als eine Milliarde Umsatz vereinigt sie viele Markenfirmen wie Cirio, De Rica, Yoga oder Valfrutta unter sich. Somit ist es eine Genossenschaft 2. Grades, basierend auf 50 Genossenschaften, dies sich wiederum aus vielen Genossenschaftsmitgliedern zusammensetzen. Wie Maurizio Gardini, Präsident der Conserve Italia Group, erklärt, diese Cooperative “ist dazu verurteilt auf dem ausländischen Markt zu wachsen”. Die Ursache: “Wir müssen die Produkte unserer Mitglieder weltweit vermarkten, da es nicht genug Absatzmöglichkeiten in Italien gibt.” Das Resultat: Heute ist die Conserve Italia Group nicht nur in Frankreich und Spanien präsent, in Zusammenarbeit mit Crai ,eine andere große Handelsgenossenschaft unter Confcooperative, sind sie sogar in China angekommen. Das Ziel: “Made in Italy” auf die Tische der Verbraucher des großen asiatischen Landes zu bringen.

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