vonHelmut Höge 23.09.2008

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Der Regisseur Christo Bakalski, unser Kontaktmann für Produktivgenossenschaften in Bulgarien, hat die Arbeit an Vera Wilschewski in Sofia abgegeben. Vom Leiter des Ausstellungsprojekts “Le Grand Magasin” in Neukölln Andreas Wegner bekam er die bisherigen Recherchen in Bulgarien geschickt:

1)
Central Cooperative Union
99, G.S. Rakovski Str.
1000 Sofia / Bulgaria
0359 2 98 17 806

2)
NUWPC
NATIONAL UNION OF WORKERS’ PRODUCTIVE CO-OPERATIVES
Stilian BALASOPOULOV, President
Fax (359/2) 87 03 20
Petia ATANASOVA
11 Dondukov blvd
BG – 1000 SOFIA

Mit NUWPC stehen wir in Kontakt, von dort schickte man uns folgende Hinweise auf bulgarische Produktivgenossenschaften:

TPK “Chernomorka” – children’s fashion

TPK “Dimitar Blagoev” – lady’s ready to wear clothes

TPK “Saglasie” – ready to wear clothes

TPK “Rodina” – wide range of ready-to-wear clothes

TPK “Nov sviat” – lady’s topcoat and sportswear

TPKI “Maritsa” – man’s and woman’s tailor made ready to wear clothes,
Christmas tree adornment

TPKI “Viktoria” – babies’ and children’s knitted clothes of cotton or wool –

TPK “Izkustvo” – furniture of solid timber and furniture with natural veneers

TPK “Elektrometal” – home and office tubes

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Wir selbst informierten uns über die Geschichte und die Probleme bulgarischer Produktivgenossenschaften anhand dreier Broschüren, die das Institut für Genossenschaften an der Humboldt-Universität dazu veröffentlicht hatte.

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Vera Wilschewski in Sofia schrieben wir dann:

Entschuldigen Sie die erneute Sendepause, es ist derzeit so viel
zu tun, abseits unserer Computer.

Hier einige Details über das Projekt: der Bremer Künstler Andreas Wegner bekam für seine Verkaufsausstellung von Produkten aus EU-Produktivgenossenschaften Geld von folgenden Institutionen:

Kulturstiftung des Bundes – Fonds “Arbeit in Zukunft”
Kulturamt Neukölln, Berlin
Cooperatives Europe, Brüssel
EU Kultur Programm 2007-2013
Nationaler Kulturfonds, Ungarn
Nationaler Kulturfonds Ungarn, Tschechien

Ein Teil des Geldes bekommen 15 Künstler, die sich gestalterisch auf
diesen Ausstellungen in den vier Städten – Berlin/Neukölln, Usti nad Labem, Budapest und Dunaujvaros – mit Produktivgenossenschaften auseinandersetzen.

Andreas Wegner machte sich daran und nahm Kontakt zu allen nationalen
Dachverbänden von Genossenschaften aus, er dachte, die haben alle
Adressen von Produktivgenossenschaften (die Nonfood-Produkte herstellen), dem war aber
nicht so, deswegen mußte er mühsam, teilweise übers Internet, alle möglichen Adressen sich raussuchen.

Dann Leute finden, die mit den Produktivgenossenschaften in ihrer
jeweiligen Sprache verhandeln. Es ging darum, dass die Genossenschaften – erst einmal
nach Berlin/Neukölln – einige ihrer Produkte schicken, die dann dort
auch verkauft werden sollen. Die Genossenschaften müssen nur die
Transportkosten zahlen. Sie bekommen auch einen Vertrag (in ihrer
Sprache) und die Waren/Exponate sind auch versichert.

Es gab einige Genossenschaften, die sich nicht beteiligen wollten, es war
ihnen zu viel Arbeit, die Sachen zu verschicken oder sie hatten sowieso
mehr als genug Aufträge. Und in einigen Ländern fand Andreas Wegner überhaupt
keine Produktivgenossenschaft (Belgien, Luxemburg, Slowenien,
Schweden…) – bis jetzt jedenfalls noch nicht. Auch in Deutschland sieht es
schlecht aus, weil dort die selbstverwalteten Betriebe meistens andere juristische Formen als die von Genossenschaften annahmen. Das ist zwar für das Projekt egal, man sieht dsas in Brüssel ebenfalls nicht so eng, aber wir müssen diese selbstverwalteten Betriebe erst einmal finden, d.h. solche, die etwas produzieren und zwar keine Nahrungsmittel.

Christo Bakalski schrieb neulich:

Ich hatte kürzlich zu einem Termin bei der Central Cooperative Union in der
Rakovskistr. mit Frau Maria Stamatova, Hauptexpertin. Sie gab mir die
e-mail Adresse von Ihrem Chef, Herr Veselin Svilenski, der Managing
Direktor ist. Er ist für die internationalen Kontakte zuständig.

Uns wurde auch der zweite Dachverband NUWRC empfohlen, der er für nonfood zuständig ist. Er hat eine ganz gute Website.

Ich habe verstanden, daß es um NON FOOD Produktivgenossenschaften geht. Nun werden in Bulgarien aber von Genossenschaften viel und gute andere Produkte hergestellt, vor allem Wein, Käutertee und Honig. Müssen wir diese Produkte völlig ausschließen?

Antwort: Ja, denn solche leicht verderblichen Waren kann man schlecht in einer kommunalen Galerie präsentieren – für Lebensmittel überhaupt bräuchte man wahrscheinlich in Berlin jede Menge staatliche Erlaubnisgenehmigungen, das Aufsichtspersonal müßte Gesundheitspässe beantragen, die Verantwortlichen einen Meisterbrief oder Ähnliches als Lebensmittel- oder Kolonialwarenhändler vorlegen und und und…

Außerdem gibt es da noch die uralte Theorie, die neuerdings wissenschaftlich erhärtet wurde: Man soll Lebensmittel nicht mehr als eine Tagesreise (50 Kilometer) von ihrem Herstellungsort essen, verkaufen, lagern etc. – weil sie damit aus ihrer Bakterien- und Pilz-Atmosphäre geraten und eigentlich ungenießbar werden.
Die ganzen italienischen Restaurants in Berlin z.B. – mit ihren Grotten, Wasserfällen, “Ciao”-Kellnern, afrikanischen Köchen und Italopop-Songs – versuchen damit die seit Goethe Italiensehnsüchtigen Gäste darüber hinwegzutäuschen, dass ihre ganzen Speisen und Weine nur den Namen nach italienisch schmecken. Ich habe das selbst mehrmals getestet: In der Toskana tagelang gut gegessen und getrunken, dann die selben Weine und Lebensmittel, einschließlich selbstgepflückter Kräuter, ins Auto gepackt, nach Deutschland gefahren, geschlafen – und am nächsten Morgen das Zeugs zubereitet und gegessen bzw. getrunken…Mit dem Ergebnis: Es schmeckte alles Scheiße – jedenfalls im Vergleich zu ihrem Verzehr in der Toskana. Man braucht hier einfach diesen ganzen Gastro-Klimbim drumherum, damit die Geschmackserinnerung geweckt wird, die die ganzen Italogerichte hier erst halbwegs genießbar machen.

Liebe Vera Wilschewski,

In einigen anderen Ländern sind wir noch am Recherchieren. Die
Ausstellung in Berlin wird zwar am 9.Okt. eröffnet, aber sie wird auch
noch das ganze nächste Jahr laufen, wahrscheinlich sogar in größeren Räumen.

Es ist schön, dass Sie sich bereit erklärt haben, mit den bulgarischen
Produktivgenossenschaften in Kontakt zu treten und zu verhandeln – auf
dass wenigstens einige eine Auswahl ihrer Produkte nach Berlin schickten.

Bisher waren die osteuropäischen Genossenschaften eher bereit als die
westeuropäischen, sich zu beteiligen, weil sie ein Interesse daran
haben, auf die Märkte im Westen zu kommen. So gibt es beispielsweise
eine tschechische Genossenschaft, die Holzspielzeug herstellt. Es ist
nicht billig – und in Tschechien selbst haben sie alle Märkte wegen des
Billigspielzeugs aus China verloren – nur Deutschland und die Schweiz
sind jetzt noch nennenswerte Abnehmer. Für sie ist es ganz wichtig, sich an
der Ausstellung zu beteiligen, sagen sie, zumal es nichts kostet. Ein
Messestand in Berlin oder Frankfurt kostet immer mindestens 10.000 Euro
für ein paar Tage, mit Hotel, Anreise und allem.

Wir stellen nicht nur die Produkte aus, sondern zeigen auch Details über die
Produktion: Zu diesem Zweck haben wir Interviews gemacht, gefilmt,
photographiert, die Werbebroschüren der einzelnen Genossenschaften uns
besorgt sowie auch Werbe-Videos bzw. -DVDs usw.

Bei letzteren gibt es auch einige interessante Unterschiede zwischen Ost
und West: in Italien sind die Genossenschaften oben sehr kommunistisch,
unten, in der Fabrikhalle, jedoch sozusagen normal kapitalistisch. Während es im
Osten genau umgekehrt ist – in Tschechien und der Slowakei z.B.: Dort
ist man oft sehr antikommunistisch, aber in der Produktion immer noch
sehr proletarisch orientiert.

Und so sind auch die Werbevideos: in vielen aus dem Westen sieht man
überhaupt keine Produktionsarbeiter, sondern nur Menschen in Anzügen und
weißen Kitteln. In anderen werden nur die Produkte präsentiert – mit
sehr guten Photos. Auch die “Schauräume” z.B. in den italienischen und
spanischen Genossenschaften sehen teilweise so aus, als würden sie nur
äußerst edle Waren für Hochverdiener produzieren.

Im Osten zeigen die Werbe-DVDs stattdessen oftmals nur Arbeiter und vor
allem schwere dicke Maschinen, die Feuer und Funken sprühen oder sie
zeigen ihre neuesten Roboter in Action, die dann auch noch Namen – wie
“Emil” z.B. – haben. Hier wird also noch heftig und schwer gearbeitet. Und das
zeigt man auch gerne.

Die osteuropäischen Produktivgenossenschaften haben auch eine viel größere Fertigungstiefe als die Genossenschaften im Westen, die mitunter nur noch Teile zusammenmontieren, die z.B. in China hergestellt wurden – oder nicht einmal das, also nur noch Design oder Ähnliches machen.

Zu den Aufgaben von “Le Grand Magasin” gehört es auch, Designer und
Designstudenten mit den Genossenschaften zusammen zu bringen. Vor allem
die osteuropäischen Produktivgenossenschaften haben nur ganz kleine
Marketing-Abteilungen und so gut wie keine Design-Abteilung. Das
brauchten sie auch nicht, weil die woanders saßen – in irgendwelchen Behörden. Die Genossenschaften sollten bloß produzieren – und der Absatz war sowieso gewährleistet, im
Gegenteil konnten sie nie genug produzieren. Das Problem war eher der
Materialnachschub.

Wenn Sie mit einigen bulgarischen Produktivgenossenschaften gesprochen
haben – und die auch Interesse an der Berliner Verkaufsausstellung
gezeigt haben, dann wäre es schön, wenn Sie einige Informationen über
die Genossenschaften herausbekommen könnten:

Wann wurde sie gegründet?
Wieviel Leute beschäftigt sie, wieviele sind davon Genossen?
Gibt es irgendwelche Besonderheiten, die erwähnenswert wären im
Zusammenhang ihrer Geschichte und ihrer Produkte?
Dann, ob sie Bildmaterial von sich haben – von der Fabrik, von der
Produktion usw.
Und ob sie Werbe-Broschüren oder -Video- bzw. -DVD-Material zur
Verfügung stellen könnten…
(Vielleicht könnten Sie auch einige Fotos selber machen, wenn es sich um
eine Genossenschaft in der Nähe oder direkt in Sofia handelt?)

Den Vertrag – auf Bulgarisch – schicken wir Ihnen zu.
Wenn sie Grundsätzliches über Genossenschaften und über die
Genossenschaftsdiskussion seit 1850 wissen wollen – dazu finden Sie
in meinem blog “Hier spricht der Aushilfshausmeister” einiges.

Weitere Details morgen oder übermorgen…

Mit freundlichen Grüßen

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