vonHelmut Höge 21.09.2011

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Der Herrscher – links als Muslim, rechts als Philosoph.

Unsinnig aber opportun: Das Goethe-Institut verlieh gerade den “Nachwuchspreis für Philosophie” an den Tunesier Sarhan Dhouib – für seinen Nachweis, dass Koran und Menschenrechte kompatibel sind.


Desungeachtet müssen die Menschen ihren philosophisch vorgedachten Bewegungsspielraum nach wie vor gegen alle Koranisten und Bibelargumentierer erkämpfen. Die Religion ist weltweit auf dem Vormarsch – sowohl im individualistischen Okzident als auch im antiindividualistischen Orient. Und für die Philosophie gilt dementsprechend das Gegenteil. So gesehen ist Sarhan Dhouibs Kompatibilitätsstudie eine intellektuelle Bankrotterklärung. Anders der iranische Soziologe Asef Bayat, dessen Forschungen unter den jungen arabischen Linken auf großes Interesse stoßen. Er sieht auch dort noch Bewegungsspielraum – wo andere nichts (mehr) sehen:

1. Die “Nonmovement”-Bewegung, so sagt es der in Leiden lehrende Soziologe Asef Bayat in seinem 2010 veröffentlichten Buch “Life  as Politics”, ist in Ländern mit despotischen Regimen die vorherrschende Möglichkeit, gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen. Jetzt haben wir jedoch eine regelrechte und geradezu heldenhafte (Demokratie-) Bewegung im Nahen und Mittleren Osten. Das “Nonmovement” betraf zuvörderst Frauen, Jugendliche und Arbeitslose, die sich für ihren subtilen Widerstand “passiver Netzwerke” bedienten. Auch das hat sich 2011 geändert. Asef Bayat hat die Armenbezirke in Teheran und Kairo und die Überlebensstrategien der Marginalisierten und Migranten studiert.

Vor ihm hatte bereits der Soziologe Michel de Certeau den “vereinzelten Konsumenten” als Partisan des Alltagslebens zu begreifen versucht (in:  “Kunst des Handelns”). Dieser müsse  nämlich, um zu überleben, “die zahlreichen und unendlichen Metamorphosen des Gesetzes der urbanen Ökonomie in die Ökonomie seiner eigenen Interessen und Regeln ‘umfrisieren'”. Seine Mittel sind dabei “ortlose Taktiken, Finten, eigensinnige Lesarten, Listen”… Bereits Clausewitz verglich die List mit dem Witz: “Wie der Witz eine Taschenspielerei mit Ideen und Vorstellungen ist, so ist die List eine Taschenspielerei mit Handlungen”. Für Certeau sind nun “die Handlungsweisen der Konsumenten auf der praktischen Ebene Äquivalente für den Witz. Wobei die intellektuelle Synthese ihrer Alltagspraktiken nicht die Form eines Diskurses annimmt, sondern “in der Entscheidung selbst liegt, d.h. im Akt und in der Weise, wie die Gelegenheit ‘ergriffen wird”‘. Dennoch lassen sich diese operationalen Leistungen auf sehr alte Kenntnisse zurückführen: “Die Griechen stellten sie in der Gestalt der ‘metis’ dar. Aber sie reichen noch viel weiter zurück, zu den uralten Intelligenzien, zu den Finten und Verstellungskünsten von Pflanzen und Fischen, Jägern und Landleuten. Vom Grunde der Ozeane bis zu den Straßen der Megapolen sind die Taktiken von großer Kontinuität und Beständigkeit. In unseren Gesellschaften vermehren sie sich mit dem Zerfall von Ortsbeständigkeit. Ohne die Möglichkeit, den immer engmaschigeren Systemen zu entkommen, bleibe dem “Individuum” nur noch die Chance, sie immer wieder zu überlisten, auszutricksen, ‘Coups zu landen’.”

Neben dem Dringlichsten, das in “individueller direkter Aktion” erledigt wird, gibt es für die arabischen Unterschichten noch ein Ziel, schreibt Ayat: “Autonomie erlangen – kulturell und politisch ein informelles Leben führen”. Die  Beziehungen des “Urban Subaltern” beruhen eher auf Reziprozität (als auf Äquivalenz), auf Vertrauen und Verhandlung als auf modernen Vorstellungen von individuellem Eigentinteresse, fixierten Regeln und Verträgen. Sein Trachten geht dahin, lieber an selbstgestellten Aufgaben zu arbeiten als sich in die Disziplin eines modernen Arbeitsplatzes zu fügen. Er regelt Unannehmlichkeiten lieber informell als bei einer Behörde oder gar der Polizei. Auch heiratet er lieber informell als staatsamtlich und borgt sich Geld lieber bei informellen Kreditgebern als in großen Banken.  “Dies geschieht nicht, weil diese Leute nicht modern genug oder anti-modern eingestellt sind, sondern aufgrund der besonderen Bedingungen ihrer Existenz, die sie dazu zwingt, sich informeller Lebensformen zu bedienen.”

Die “Informellen” sind Bayat zufolge dauerhaft damit beschäftigt, in den sie integrierenden Prozessen und Strukturen Nischen der Autonomie zu finden. Dieses Bild ist geeignet, die westliche linke Betrachtungsweise umzudrehen: Hier geht man davon aus, dass den  Marginalisierten und Migranten eher eine Integrationsmöglichkeit nach der anderen entzogen wird, während sie unter der  Autonomie, die sie in ihren Notunterkünften genießen, nur leiden, und der informelle Sektor ein überaus gefährliches Pflaster ist.

2. In Ägypten haben 120 Kopten bis zum Wochenende die Kirche offiziell verlassen, und täglich werden es mehr:

“Sie haben nach eigener Aussage die Hoffnung auf eine innere Reform der Kirche aufgegeben und suchen ihr Heil jetzt außerhalb der koptischen Gemeinschaft. Einige geben laut der ägyptischen Tageszeitung Al-Masry Al-Youm an, zu den Katholiken übertreten zu wollen, andere zur Anglikanischen Kirche. Auch der Übertritt zum Islam ist für die jene, denen Religion egal ist, eine Option, denn es geht nur um eines: sich scheiden lassen und wieder verheiraten zu können. Und das ist für Muslime in Ägypten immer noch am einfachsten.

Ein paar Dutzend oder auch ein paar Hundert Dissidenten, das ist bei geschätzten 15 Millionen Kopten in Ägypten (bis zu 20 Prozent der Bevölkerung, die Behörden geben die Zahl jedoch tiefer an) keine große Sache. Der Vorgang ist dennoch ein Dammbruch, so etwas gab es noch nie in der koptischen Geschichte, die durch ihre Minderheitssituation eine sehr geschlossene Gruppe ist. Es begann vor ein paar Monaten mit der Gründung der “Recht auf Leben”-Bewegung, die die Kirchenobrigkeit bestürmte, am restriktiven Scheidungsrecht und am Wiederverheiratungsverbot etwas zu ändern – ohne Erfolg…Tatsächlich hat aber auch die leidige Scheidungsfrage selbst indirekt zu koptisch-muslimischen Konflikten geführt: Es gab nämlich schon bisher Kopten, die in ihrer Verzweiflung, dem koptischen Familienrecht unterworfen zu sein, zum Islam übertraten. Wenn dann alles in ihrem Sinn geregelt war, wollten sie in ihre Kirche zurück – was wiederum die Wut von radikalen Islamisten auslöste, für die der Abfall vom Islam mit dem Tod zu ahnden ist. Die “Recht auf Leben”-Bewegung will nun unter all das einen Schlussstrich ziehen.” (derstandard.at)

3. Im Iran und in Saudi-Arabien werden Frauen von den Religionswächtern angegriffen und manchmal auch geschlagen, wenn eine Haarsträhne aus ihrem Gesichtsschleier gerutscht und sichtbar ist. Und Frauen, die am Straßenrand ihren Kopf entblößen werden von vorbeifahrenden Männern als “Huren” und “Schlampen” beschimpft. Genau umgekehrt ist es nun in Belgien, Holland und Frankreich. Der Guardian berichtet in dieser Woche über die Folgen des französischen Gesichtsschleierverbots für (islamische) Frauen. Einige mußten bereits eine Strafe zahlen, weil sie mit Tschador, Burka bzw. Niqab auf die Straßen gingen, andere klagen, dass man sie in der Öffentlichkeit ständig beleidigt:

“Hind Ahmas walks into a brasserie in the north Paris suburb of Aulnay-sous-Bois. Jaws drop, shoulders tighten and a look of disgust ripples across the faces of haggard men sipping coffee at the bar.  “Hang on, what’s all this? Isn’t that banned?” splutters the outraged waiter behind the bar, waving a wine bottle at her niqab. Ahmas stands firm, clutches her handbag with black-gloved hands and says: “Call the police then.” But she decides there’s no point fighting. We cross the road to a cafe where she’s a regular. No one bats an eyelid; the boss certainly doesn’t want to lose her custom.

Ahmas is breaking the law by ordering an espresso and sitting in a booth in the window. But these days she is breaking the law by stepping outside her own front door.  In April, France introduced a law against covering your face in public. Muslim women in full-face veils, or niqab, are now banned from any public activity including walking down the street, taking a bus, going to the shops or collecting their children from school. French politicians in favour of the ban said they were acting to protect the “gender equality” and “dignity” of women. But five months after the law was introduced, the result is a mixture of confusion and apathy. Muslim groups report a worrying increase in discrimination and verbal and physical violence against women in veils. There have been instances of people in the street taking the law into their hands and trying to rip off full-face veils, of bus drivers refusing to carry women in niqab or of shop-owners trying to bar entry.

A few women have taken to wearing bird-flu-style medical masks to keep their face covered; some describe a climate of divisiveness, mistrust and fear. One politician who backed the law said that women still going out in niqab were simply being “provocative”.  Ahmas, 32, French, a divorced single mother of a three-year-old daughter, puts her handbag on the table and takes out a pepper spray and attack alarm. She doesn’t live on the high-rise estates but on a quiet street of semi-detached houses. The last time she was attacked in the street a man and woman punched her in front of her daughter, called her a whore and told her to go back to Afghanistan. “My quality of life has seriously deteriorated since the ban. In my head, I have to prepare for war every time I step outside, prepare to come up against people who want to put a bullet in my head. The politicians claimed they were liberating us; what they’ve done is to exclude us from the social sphere. Before this law, I never asked myself whether I’d be able to make it to a cafe or collect documents from a town hall. One politician in favour of the ban said niqabs were ‘walking prisons’. Well, that’s exactly where we’ve been stuck by this law.”

But despite all the fanfare surrounding the niqab ban, no woman has yet been punished under the law for wearing one. The first real test will come on Thursday, when a local judge in Meaux, east of Paris, will decide whether to hand out to Ahmas and a friend the first ever fine. They were stopped outside Meaux town hall on 5 May wearing niqabs and carrying an almond cake to celebrate the birthday of the local mayor Jean-François Copé, who is also head of Nicolas Sarkozy’s rightwing UMP party and an architect of the ban. The cake was a joke, a play on the French word for fine, amende. They wanted to highlight the absurdity of a law that they say has increased a mood of anti-Muslim discrimination and driven a wedge through French society, yet seems not to have been taken seriously by the justice system. Sarkozy was accused of stigmatising women in niqab to win votes from the extreme right, yet the law didn’t actually boost his poll ratings. Now, human rights lawyers are suggesting it could soon be overturned.  Only the French police can confront a woman in niqab. They can’t remove her veil but must refer the case to a local judge, who can hand out a ¤150 (£130) fine, a citizenship course, or both. Some police have wrongly given on-the-spot fines, which were later annulled. Others appear to ignore women in niqab walking down the street, perhaps because they feel they have more important crimes to be stopping. The interior ministry says that since the law came into force in April there have been 91 incidents of women in niqab being stopped by police outside Paris and nine incidents in the Paris region. Each time, police file a report, but so far no judge has handed out a fine or citizenship course.

The French justice ministry says “fewer than 10” cases are currently going through the courts and the lack of fines shows the state favours “dialogue” not punishment. But Gilles Devers, a lawyer acting for Ahmas and several other women in niqab, argued punishments were not being handed out because the niqab law contravenes European human rights legislation on personal liberties and freedom of religion. As soon as a fine is imposed, there will be an appeal right up to the European court of human rights in Strasbourg, which could rule against the law and expose the French state as a laughing stock.  If the French law is challenged in this way, the result would be crucial for Muslims across the continent. Belgium introduced its own niqab ban this summer, punishable not just by a fine but seven days in prison. In Italy, the far-right Northern League has resuscitated a 1975 law against face coverings to fine women in certain areas of the north. Silvio Berlusconi’s party is now preparing an anti-niqab law. Denmark is preparing legislation to limit the wearing of niqabs; politicians in Austria, the Netherlands and Switzerland are pushing for outright bans. Thomas Hammarberg, the Council of Europe’s commissioner for human rights, blogged this summer: “The way the dress of a small number of women has been portrayed as a key problem requiring urgent discussion and legislation is a sad capitulation to the prejudices of the xenophobes.”

Ahmas grew up in and around Paris, where her father, born in Morocco, worked as a town-hall gardener. Her parents were not strict Muslims. She put on the niqab six years ago as an educated single woman who once wore mini-skirts and liked partying, but then rediscovered her faith. She says her now ex-husband had nothing to do with her choice. (The new law punishes men who force women to wear the niqab with a ¤30,000 fine, but none has yet been imposed.) Like many women in niqab who refuse to stay indoors, she is desperate for work. For years, she worked in call centres as a specialist in telephone polling. Even before the ban, she knew it would be easier to get work without the niqab, so at the office she would always pull back her veil, leaving her face exposed for the day. “Life is hard and I have to work. If my daughter wants something – even a Barbie doll – and I can’t pay for it, it breaks my heart.”  In January, at the height of the public debate on the niqab, Ahmas lost her job after her contract wasn’t renewed. “I’ve contacted scores of employers looking for work. I always ask them if they accept the veil. They say, ‘It depends what type. If it’s tunic and trousers and a headscarf, that’s OK, but a long robe is not.'” This is clear discrimination: “Totally illegal,” she sighs.  Secular France has a complicated relationship with the veil. In 2004, all religious symbols including the headscarf were banned in schools. Even among Sarkozy’s opponents there are very few feminists or socialist politicians who would defend the right to wear niqab in a country where secularism is one of the few issues that still unites a fragmented left. Barely a handful of people came to Notre Dame cathedral to protest against the law in April.

On the Cote d’Azur, Stéphanie, 31, still likes to go swimming in the sea off Nice wearing her niqab. But the former law student and convert to Islam tries to go when the beaches are quiet. The last time she went for a dip with her mother and 10-year-old daughter on a Sunday afternoon, a sunbather called the police. A group of officers arrived and hurried across the sand saying: “But Madame, what are you doing?” “I said: ‘I’m drying myself.’ They wrote in their notebooks, ‘Swimming in niqab.'” Stephanie, who prefers not to give her surname, was summoned by the local state prosecutor. She arrived at court and agreed to lift her veil so security guards could check her identity, but they refused to allow her access until an exasperated prosecutor buzzed her in himself. The prosecutor, whom she described as “very human”, wanted to better understand why she wore the niqab. She converted at 17 and put on the niqab several years later, long before meeting her husband. Her North African parents-in-law didn’t like her wearing full-veil, and the marriage ended. Her own parents converted to Islam a few years later but don’t believe a niqab is necessary. She told the prosecutor it was her choice and refused to stop wearing niqab. The prosecutor reminded her of the law and let her go with no sanction or punishment. He told the local paper, Nice Matin, that a woman in a veil was less dangerous than someone who had “double or triple parked”.  Before the law, Stephanie would often be called names like “Batman, Zorro, or Ninja” in the street – often by pensioners. Now people favour swear words or sexual insults. She wants to work with children, but despite having a degree in theology, she can’t find a job.  The first time Stephanie was stopped by police was for standing on a central Nice shopping street in May. A police officer illegally gave her an on-the-spot fine, which was later overturned.

This summer, a bus driver refused to let her onto a bus with her daughter. “If I have a meeting, I’ll always leave the house at 6.30am instead of 8.30am in case a bus won’t take me and I have to wait 45 minutes for another one.” Recently, after she had bought a cinema ticket for the latest Harry Potter film with her daughter, staff tried to stop her entering the screening. Eventually the cinema decided not to call the police because they didn’t want to feature in the local paper.  The headquarters of the French Collective against Islamophobia is in a small ground-floor office on a cobbled street near Paris’s Gare de L’Est. It doesn’t promote the wearing of niqab but gives legal advice. “It’s not the police I’m afraid of, it’s the personal attacks on women by people acting on their own initiative in the street,” says Samy Debah, the association’s head.  The group’s legal adviser says there has been “an explosion” in the number of physical attacks on women wearing the niqab. Many women say that their attackers were middle-aged or old people. In one recent case a young French convert was assaulted at a zoo outside Paris while carrying her 13-month-old baby. “Her child was traumatised by the zoo attack and is now being seen by a psychologist. These women blame themselves; they see a baby in that situation and think, ‘It’s my fault.'”

At a cafe on the left bank, Rachid Nekkaz, a French property developer, explains why his association, Don’t Touch my Constitution, was the only group to stage high-profile protests when the law came into force – he backed Ahmas’s birthday-cake stunt and has set up a ¤1m fund to pay any fines over the niqab. His next, and most radical, protest action will be this Thursday, when his association announces its plans to field a woman in niqab for president in 2012. Nekkaz is personally opposed to the niqab and thinks it is fair to ban it in French state buildings. But he thinks outlawing it in all public places is “a gross attack on personal freedoms and the French constitution”. “The perverse effect of this law is that women in niqab are effectively under house arrest,” he says. He plays a voicemail message left on his mobile by the mother of French convert, thanking him for taking a stand and saying there are several converts in niqab in Grenoble now too afraid to leave the house.

There are no reliable statistics on who wears the niqab in France and whether they have kept wearing it since the law. It is estimated that only a few hundred women wear it, mostly French citizens. Muslim associations say a minority of women have taken off the niqab or moved abroad. Nekkaz says that more than 290 women still wearing niqab have contacted him: he says a large number were divorced with children, most were aged between 25 and 35, many were French of north African parentage, and many were living on income support. An Open Society Foundation report on women in niqabs in France in April found that of a sample of 32 women in niqab, none had been forced to wear the full veil. Many said they would refuse to take if off after the law came in, adding that they would avoid leaving home, or move abroad.

Kenza Drider, a 32-year-old mother of three, was famously bold enough to appear on French television to oppose the law before it came into force. She refuses to take off her niqab – “My husband doesn’t dictate what I do, much less the government” – but she says she now lives in fear of attack. “I still go out in my car, on foot, to the shops, to collect my kids. I’m insulted about three to four times a day,” she says. Most say, “Go home”; some say, “We’ll kill you.” One said: “We’ll do to you what we did to the Jews.” In the worst attack, before the law came in, a man tried to run her down in his car.  “I feel that I now know what Jewish women went through before the Nazi roundups in France. When they went out in the street they were identified, singled out, they were vilified. Now that’s happening to us.”

Saudi-Arabische Geistliche haben nun zum Einen eine Kriegserklärung gegen die europäischen Burkaverbieter ausgesprochen und zum Anderen den davon betroffenen religiösen Frauen geraten, aus Europa auszuwandern.

4. Im “Telegraph” berichtet die Muslimin Nesrine Malik, deren Eltern von London nach Saudi-Arabien zogen, wie es ihr mit der Verschleierung dort erging:

“At the age of 18, the thought of covering my body in a shapeless black gown and hiding my face so that only my eyes would show was inconceivable. It was humiliating, violating, dehumanising. Upon donning the headpiece, my body language immediately changed, becoming apologetic, withdrawn and subdued. Wearing it seemed to empower all the men around me and put me firmly in my place as inferior.  On landing in Saudi Arabia, women – all of whom were wearing the veil – were channelled into a separate line for processing. My eyes stung with tears of rage and shame. Most of all, I felt infantilised, stripped of the right to dress how I pleased due simply to the fact that I was a woman, and hence, purely a sexual object to be concealed lest it should inflame desire. For the first few days, it felt almost comical, like some absurd game of macabre fancy dress.  On a practical level, it was cumbersome, hot and uncomfortable. Eating or drinking in public became a chore, as food has to be manoeuvred gingerly under the veil or taken abruptly in small bites. In Saudi’s overwhelming heat, temperatures regularly reach 45C and any physical outdoor activity, even walking, is out of the question. I became anti-social, hardly able to wait until I got home before tearing off the ghastly garb.  The niqab and the burka are a particularly extreme interpretation of the Islamic requirement for modest dress, and were never part of my Muslim upbringing in London. Because of this, I did not feel particularly pious wearing them in Saudi. If anything, it seemed like a throwback to tribal, pre-Islamic times.

Over the next three years, however, my opposition gradually eroded. Initially an ugly burden, the abaya and niqab became a comfort and, eventually, a delight. It was a relief not to have to think about what to wear.  The burka can be the most versatile of capsule wardrobes. The uniform black costume has a charming egalitarianism about it, and is both a social and physical leveller. Once social status or physical beauty cannot be established, all sorts of hierarchies are flattened.  Fashion-wise, it was not as insipid a garment as I had feared. When there is little option in what you can wear, the smallest details start to count. I realised upon closer inspection that there was a plethora of abayas for me to choose from. Subtly embellished gowns and veils could be found in Riyadh’s glamorous malls. If none suited, bespoke tailors executed your particular design and preference beautifully. Light fabrics and slim-line empire silhouettes rendered the uniform elegant and feminine – regal, even.  Eye make-up and footwear took on extra significance. As the feet were the only part of the body one could legitimately flaunt, a good pedicure was not only necessary, it was an integral part of the ensemble. All of a woman’s sexuality resided in how she carried herself, and how groomed her extremities were.

In that context, the outfit became empowering, enabling a reclamation of one’s sexuality by not fulfilling modern commercialised definitions of what makes a woman attractive.  Ironically, Saudi Arabia did not feel a more chaste place. Indeed, imposing the niqab may have had the opposite effect, so starved were the two sexes of the flirtatious attention that we all take for granted in the West. I have never been so indiscriminately pursued by men. And I was therefore thankful for the anonymity the attire gave me – a privilege the men did not share. The niqab appeals to the voyeur in all of us, cosily secreted away behind a veil, but still able to view the world go by.  In contrast to my earlier eagerness to rip off the abaya whenever in sanctum, I began to wear it when I did not have to. Now I live in the UK again and work for a private equity firm, I would never wear it to the office. But, as a fashionable 29-year-old, I sometimes pop it on to go to the corner shop rather than show the world my tracksuit bottoms.  I’m not alone in finding the abaya a comfortable garment. On my return from Saudi Arabia, other women on my plane left it until a few minutes before landing to remove their cloaks and emerge from the washrooms without their niqab. Now when I fly back from seeing my parents in Saudi Arabia, I keep on the uniform for as long as is convenient. Immigration staff in the UK are so much more hostile to those who wear it.  Given the choice, I would never have embraced the niqab. My initial teenage revulsion was inspired by the fact that it was mandatory. Implicit in any law that proscribes women’s dress lies the most sinister, ideologically myopic assumption that a woman cannot be trusted not to succumb to pressure to dress a certain way. In the same way that Muslim countries accuse the hyper-sexualised West of corrupting their women, European societies cannot fathom that a woman would want to wear a niqab or burka unless it is attributable to some brute influence either by a man or general social coercion.

In that sense, I do not see a potential ban on the burka in the UK as any different to the oppression in Saudi Arabia in terms of how it assumes that the way a woman dresses is never really down to her.  The French National Assembly’s vote to ban Islamic veils in public is the latest such measure taken by governments across Europe. Days after the Belgian parliament became the first in Europe to pass a bill banning Islamic veils, police in northern Italy fined a Muslim woman for wearing a niqab on her way to a mosque.  In Britain, Conservative backbencher Philip Hollobone last week called for a burka ban, tabling a Private Members’ Bill that would make it illegal for anyone to cover their face in public.  There is a deeply disturbing discourse developing in Europe, one that equates the niqab with Islamic radicalism, and which facilitates a witch-hunt of Muslims under the cover of concern for women – or “racism veiled as liberation”, as the writer Madeleine Bunting put it. There are indeed several ways in which Muslim women are oppressed, not best interpreted by what they wear.  A mix of Islamophobia, busy-bodying feminism and resurgent nationalist sentiment has contributed to this demonisation of a minority of Muslim women. The niqab and burka are indeed powerful symbols and reminders of the ongoing fissures between the West and Islam. Indeed, it is understandable that something as final and ostensibly exclusionary as a face veil would be alienating. But surely that lies more in the realm of social inappropriateness? I would never permanently cover my face in the UK, but by the same token nor would I wear a mini-skirt in Dubai. Most people, men and women, self-regulate and dress in a way to conform to convention. To legislate against the extremes would be a highly intrusive extension of authority. To mobilise the mechanism of the state to tackle Islamic fundamentalism via cracking down on the face veil is not the answer. To force a female to remove her veil is just as subjugating as forcing her to cover.  There is depressing similarity in the way different cultures view changes in women’s dress as the first harbinger of national invasion and subsumation. It is a heavy burden for women to bear. I sincerely hope that no 18-year-old Muslim girl will ever arrive in the UK and be forced to take off her niqab.”

5. In der Jungen Welt berichtete Knut Mellenthin über Antimuslimismus in den USA:

US-Senator Joe Lieberman hält den im Juni vorgelegten Strategiebericht der Regierung der Vereinigten Staaten zur Terrorismusbekämpfung für »eine große Enttäuschung«. In einer Rede, die er am 1. September auf einer Veranstaltung des National Press Club hielt und die auf seiner Website zu finden ist, erläuterte der notorische Kriegstreiber aus Connecticut seine Kritik. Sein schwerwiegendster Einwand ist, daß »die Regierung es immer noch ablehnt, unseren Feind in diesem Krieg bei seinem richtigen Namen zu nennen: gewalttätiger islamistischer Extremismus. Wir können Namen finden, die damit vergleichbar sind, aber nicht den, den die Regierung immer noch zu verwenden pflegt, nämlich ‘gewalttätiger Extremismus’. Es ist nicht bloß gewalttätiger Extremismus. Es gibt viele Formen von gewalttätigem Extremismus. Es gibt weißen rassistischen Extremismus, es gab eine Art Öko-Extremismus, es gab Tierrechtler-Extremismus. Sie können die Reihe weiter fortsetzen. Es gibt Skinhead-Extremismus, aber mit all denen befinden wir uns nicht in einem globalen Krieg.« Und weiter: »Wir befinden uns in einem globalen Krieg, der die Sicherheit unserer Heimat betrifft, mit islamistischen Extremisten. Unseren Feind als gewalttätigen Extremismus zu bezeichnen, ist so allgemein und unbestimmt, daß es letztlich keine Bedeutung hat. Der andere Begriff, der manchmal gebraucht wird, ist Al-Qaida und ihre Verbündeten. Nun, das ist besser, aber es ist immer noch zu eng. Das konzentriert unsere Aufmerksamkeit auf Gruppen statt auf eine Ideologie, gegen die wir in Wirklichkeit zu kämpfen haben.«  Liebermann vermutet, »daß die Weigerung der Regierung, ehrlich über den Feind zu sprechen, auf ihrem Wunsch beruht, nichts zu tun, das der Al-Qaida-Propaganda Vorschub leisten könnte, wir befänden uns in einem ‘Krieg’ gegen den Islam. Aber das ist so offensichtlich eine Lüge, daß wir es zurückweisen können und das auch getan haben. Ich glaube, wir haben das wirksam getan. (…) Um diesen Kampf zu gewinnen, ist es existentiell wichtig, zu verstehen, daß wir nicht nur eine Organisation, Al-Qaida, bekämpfen, sondern es mit einer breiteren Ideologie zu tun haben, die diesen Krieg entfacht hat, mit einer politisierten Ideologie, ganz losgelöst von der Religion des Islam. Der Erfolg in diesem Krieg kommt demzufolge nicht, wenn eine einzelne terroristische Gruppe oder deren Ableger ausgeschaltet sind, sondern wenn ein breiterer Zusammenhang von damit verbundenen Ideen abgewehrt und verworfen wird. Die Abneigung, unseren Feind als gewalttätigen islamistischen Extremismus zu identifizieren, macht es schwerer, wirkungsvoll für diesen Krieg der Ideen zu mobilisieren.«

Lieberman gehört dem Senat schon seit 1989 an und ist damit eines seiner dienstältesten Mitglieder. 2006 verließ er die Demokratische Partei, als diese ihm eine Wiederaufstellung versagte, und schaffte anschließend als Unabhängiger erneut den Einzug ins Oberhaus des Kongresses. Es ist praktisch unmöglich, irgendeinen Krieg der USA zu finden, für den er sich nicht mit voller Kraft engagiert hat. Seit etlichen Jahren drängt er darauf, in die weltweiten Militäroperationen auch den Iran einzubeziehen, der – wie er in seiner Rede vor dem Presseklub erneut wiederholte – »die Nummer eins unter den Förderern des islamistischen Terrorismus« sei. Zur Zeit ist Lieberman Vorsitzender des einflußreichen Senatsausschusses für Innere Sicherheit und Regierungsangelegenheiten.  Die Aussage in der regierungsoffiziellen »National Strategy for Counterterrorism«, auf die sich die Kritik des Senators im wesentlichen bezieht, lautet: »Die Vereinigten Staaten verwenden bewußt das Wort ‘Krieg’, um unsere unerbittliche Kampagne gegen Al-Qaida zu beschreiben. Aber diese Regierung hat klargemacht, daß wir uns nicht in einem Krieg mit der Taktik des Terrorismus oder der Religion des Islam befinden. Wir sind im Krieg mit einer speziellen Organisation – Al-Qaida.« Indessen wird diese Konkretisierung schon zwei Seiten später vollständig wieder aufgehoben. Angesichts der Tatsache, daß die bloße Existenz des Phantoms »Al-Qaida« immer marginaler, wenn nicht sogar unwahrscheinlich wird, werden deren »Ableger« in den Vordergrund gerückt. Sie werden nicht nur in Afghanistan und Pakistan verortet, sondern auch im Nahen Osten, im Maghreb und der Sahel-Zone Nordwestafrikas, im postsowjetischen Zentralasien und in Südostasien. Die Zuordnung ist mittlerweile rein willkürlich.

Dazu heißt es in der »National Strategy for Counterterrorism«: »Verbundenheit mit der Ideologie von Al-Qaida erfordert nicht unbedingt einen Treueschwur auf die Organisation Al-Qaida. Individuen, die mit Al-Qaida sympathisieren oder sie aktiv unterstützen, können zur Gewalt inspiriert sein und eine fortdauernde Gefahr darstellen, selbst wenn sie wenig oder gar keinen formalen Kontakt zu Al-Qaida haben.«  In praktischer Hinsicht ist der Unterschied zu Liebermans Vorstellungen nicht sehr bedeutend, so daß man seine Polemik auch als Haarspalterei mißverstehen könnte. Der Senator wird aber seine Gründe haben, wenn er die Worte »Terrorismus« und »islamistisch« unbedingt zu einer unauflöslichen, permanent zu beschwörenden Einheit stilisieren will. Die Behauptung, daß damit nicht automatisch auch Ressentiments gegen den Islam und insbesondere gegen die in den USA lebenden etwa 2,7 bis drei Millionen Muslime geschürt werden, ist bestenfalls töricht, eher wohl scheinheilig und verlogen. Die Tätigkeit militant antimuslimischer Gruppen in den USA legt von dieser Realität ebenso Zeugnis ab wie viele Meinungsumfragen der vergangenen Jahre.  Ein großer, offenbar immer noch anwachsender Teil der US-amerikanischen Bevölkerung sieht seine muslimischen Mitbürger als fünfte Kolonne genau desselben Feindes, gegen den man seit dem 11. September 2001 weltweit Krieg führt. Eine gar nicht so geringe Zahl vor allem weißer Amerikaner bezieht in diese Verschwörung für die Unterwanderung der USA und die Errichtung des Weltkalifats sogar Präsident Barack Obama ein. Brigitte Gabriel, Gründerin und Sprecherin der mit angeblich 170000 Anhängern wohl bedeutendsten antimuslimischen Organisation ACT! For America, schrieb in ihrem Buch »They Must be Stopped: Why We Must Defeat Radical Islam and How We Can Do it« (deutsch: »Sie müssen gestoppt werden: Warum wir den radikalen Islam besiegen müssen und wie wir es können«): »Es gilt noch nicht als politisch korrekt, von einem Religionskrieg zu sprechen. Aber genau damit sind wir konfrontiert: Ein Religionskrieg, den die gläubigen Muslime erklärt haben. (…) Es geht nicht um radikalen Islam. Es geht darum, was der Islam in seinem Kern ist. (…) Amerika ist auf allen Ebenen von Radikalen unterwandert, die Amerika Schaden zufügen wollen. Sie haben den CIA, das FBI, das Pentagon und das Außenministerium unterwandert.«

Zudem wird der »Krieg gegen den Terror« nicht nur als Folge des 11. September interpretiert, sondern auch als Kettenglied einer permanenten historischen Konfrontation, die mit der Entstehung und Ausbreitung des Islam im siebenten Jahrhundert begann. Die Absicht zur Eroberung der Weltherrschaft sei, behaupten die Vordenker des Antimuslimismus, immanenter Bestandteil des Islam. Sie müsse daher von jedem wirklich gläubigen Muslim unterstützt werden. Daß dies offensichtlich nicht der Fall ist, wird damit begründet, daß im Islam Lüge und Täuschung gegenüber »Ungläubigen« als legitim gelten. So brachte ein Kursleiter des FBI seinen Schülern bei, daß gemäßigte und moderate Muslime als ganz besonders verdächtig zu betrachten seien, da sie sich wahrscheinlich verstellen. Der Fall wurde jüngst öffentlich bekannt, der Kurs immerhin eingestellt. Aber auch aus anderen Berichten geht hervor, daß die Schriften bekannter antimuslimischer Autoren bei FBI, CIA und anderen Behörden als Schulungsmaterial verwendet werden.  Alles das ist nicht etwa ein ungewollter und nicht voraussehbarer Kollateralschaden, sondern liegt in der Logik des Arguments: Wenn der proklamierte Krieg sich letztlich nicht in erster Linie gegen Organisationen und Menschen richtet, die für konkrete Taten und Pläne verantwortlich gemacht werden, sondern gegen eine unmöglich genau zu definierende und einzugrenzende »Ideologie«, haben Subjektivismus, Willkür und als Folge Hysterie und Hexenjagden freie Bahn.

Das Thema, das Lieberman jetzt wieder aufgegriffen hat, tauchte schon bald nach dem 11. September 2001 auf. Damals waren es vor allem neokonservative Vordenker und Agitatoren, die explizit formulierten: »Der Feind in diesem Krieg ist nicht der ‘Terrorismus’, sondern der militante Islam.« So stand es am 20. November in einem programmatischen Artikel des Wall Street Journal, den Eliot Cohen verfaßt hatte. Seine Ansichten haben Gewicht: Er ist Professor und Direktor für Strategische Studien an der Johns Hopkins University in Baltimore, war Regierungsberater unter George W. Bush und hatte zuvor die Herausgabe der offiziellen fünfbändigen Untersuchung der US-Luftwaffe über die Ergebnisse des Bombenkriegs gegen Irak im Jahre 1991 verantwortlich geleitet.  In seinem Artikel für das Wall Street Journal brachte Cohen erstmals den Begriff »Vierter Weltkrieg« (World War IV) für die geplante weltweite militärische Eskalation ins Spiel. Die Zahl vier ergab sich daraus, daß der sogenannte Kalte Krieg, die mehrere Jahrzehnte dauernde Ost-West-Konfrontation, als dritter Weltkrieg mitgerechnet wurde.  Ein weiterer wichtiger Theoretiker des »Vierten Weltkriegs« war damals Norman Podhoretz, ein in den 1960er Jahren zum Propagandisten eines aggressiven Imperialismus konvertierter ehemaliger Linker. In der Februarausgabe 2002 der jahrelang von ihm geleiteten Zeitschrift Commentary erläuterte er, »How to Win World War IV«, wie man den vierten Weltkrieg gewinnt – und gegen wen er geführt werden muß.

Noch über Cohen hinausgehend vertrat Podhoretz die Vorstellung, daß der Feind in diesem globalen Kampf nicht der Terrorismus schlechthin, sondern die gesamte islamische Welt sei. Er untermauerte diese These mit fragwürdigen Untersuchungsergebnissen, nach denen angeblich rund 70 Prozent der Ägypter, Syrer, Palästinenser und sogar der Kuwaitis Bin Laden für einen arabischen Nationalhelden hielten.  Der neokonservative Autor Daniel Pipes, derzeit eine Leitfigur in den aggressivsten Kreisen des antimuslimischen Lagers, griff im Epilog zu seinem 2003 erschienenen Buch »Der militante Terrorismus erreicht Amerika« Cohens Begriff des vierten Weltkriegs zustimmend auf, definierte ihn aber in einem sehr viel weiter gehenden Sinn: »Der Terrorismus ist, mit anderen Worten, nur eine einzelne Dimension eines Krieges, der viele Fronten hat und vielfältige Formen annimmt. Gewalt ist ein wichtiges Symptom des Problems, aber nicht das Problem selbst. Andere Methoden können gewalttätige Handlungen von Einzelgängern, Schmuggel, Aufruhr, rechtmäßige Straßendemonstrationen, Geldsammlungen, Unterricht, Missionierung, Einschüchterung und sogar die Kandidatur für Wahlämter einschließen. Diese Methoden ergänzen einander, sie machen die Komplexheit und Reichweite des militanten Islam aus. Zum Schlachtfeld gehören sowohl Länder mit muslimischer Mehrheit als auch Länder wie Argentinien, wo der Islam nur eine geringfügige Präsenz hat.«

Mit der Parole der Neokonservativen vom weltweiten Krieg gegen den »militanten Islam« verband sich von Anfang an die Idee, daß dieser Kampf nicht nur geographisch unbegrenzt zu führen sei, sondern daß er auch zeitlich unabsehbar lange dauern müsse. Das wurde mit Formulierungen wie »länger als der erste und zweite Weltkrieg zusammen«, »mehrere Jahrzehnte lang« oder auch »mehrere Generationen lang« umschrieben. Diese strategische Zielsetzung ist schon jetzt weitgehend erreicht. Die USA, oft im Bündnis mit anderen NATO-Staaten, führen Krieg in Afghanistan und im Irak, sie greifen Ziele in Pakistan, im Jemen und in Somalia mit bewaffneten Drohnen und Killerkommandos an, sie sind als Ausbilder und Berater an Bürgerkriegen auf den Philippinen und in zahlreichen Ländern Afrikas beteiligt. Und sie haben gemeinsam mit ihren NATO-Partnern gerade eben Libyen in einen total destabilisierten Zustand versetzt, der das Land auf den Weg Afghanistans und des Irak zu bringen droht. Vergessen wir schließlich auch nicht die permanente »Option«, den Iran anzugreifen, und die immer deutlicher vorgetragenen Tendenzen zu einer Militärintervention in Syrien, die auch auf den Libanon ausgeweitet werden könnte.  Es handelt sich bei diesen Schlachtfeldern des »Kriegs gegen den Terror« ausschließlich um islamische Länder.

Die inzwischen nach Hunderttausenden zählenden Opfer dieses Krieges sind, so weit es sich nicht einfach um sogenannte Zivilisten, also völlig Unbeteiligte handelt, fast ausschließlich Menschen, die für örtlich eng begrenzte Ziele kämpfen und keinerlei »Gefahr für die Sicherheit der Vereinigten Staaten« darstellen oder auch nur rein theoretisch darstellen könnten.  Der so ganz und gar nicht zu diesem militärischen Aufwand passende reale Hintergrund ist, daß seit dem 11. September 2001 in den USA nicht mehr als 30 Menschen bei Anschlägen ums Leben kamen, die vielleicht einem islamistischen Hintergrund zugeordnet werden könnten, durchschnittlich drei pro Jahr. 2010 war es nicht ein einziger. Zweifellos bleibt immer ein Restrisiko größerer Anschläge, vor allem durch Einzelgänger »unterhalb des Radars« des monströs ausgebauten Hochsicherheitsstaates. Aber dem durch einen weltweiten Krieg begegnen zu wollen, ist so absurd und aussichtslos, daß es nicht einmal als Vorwand ernst genommen werden kann.  Grundsätzlich ist richtig, daß der Antimuslimismus keine Erscheinung ist, die erst in den letzten Jahren entstanden ist. Es gab ihn schon vor dem 11. September 2001, unter anderem besonders heftig in Zusammenhang mit der sogenannten Ölkrise von 1973. Aber er hat im vergangenen Jahrzehnt einen entscheidenden quantitativen und qualitativen Sprung vollzogen. Das läßt sich unter anderem leicht an den Gründungsdaten der einflußreichsten Gruppen, Organisationen und Internetseiten ablesen: Die meisten liegen erst in der zweiten Hälfte dieser Dekade.

Der Antimuslimismus hat sich in dieser Zeit vom Ressentiment zur kompletten Weltanschauung, zu einem verschwörungstheoretisch fundierten Welterklärungsmodell entwickelt. Ein wesentlicher Faktor dabei ist, daß der Antimuslimismus heute als innere Front einer tatsächlich stattfindenden, global geführten militärischen Konfrontation, eines »Clash of Civilizations«, erscheint und daraus seine vorgebliche Legitimität bezieht. David Yerushalmi, eine herausragende Figur der Haßszene, formulierte es in einem im März 2006 erschienenen Artikel so: »Die muslimische Zivilisation befindet sich im Krieg mit der jüdisch-christlichen Zivilisation. (…) Die Muslime, diejenigen, die dem Islam, so wie wir ihn heute kennen, ergeben sind, sind unsere Feinde.«  Die Muslime erscheinen in diesem Weltbild nicht lediglich als unliebsame Einwanderer, wie etwa Mexikaner oder anderer Lateinamerikaner, sondern als fünfte Kolonne des äußeren Feindes. Sie mit allen verfügbaren Mitteln zu bekämpfen und aus der mehr oder weniger multikulturellen Gesellschaft der USA auszugrenzen, gilt als »patriotische« Pflicht. Jeder Versuch von Politikern und Behörden, muslimische Bürger respektvoll oder auch nur rechtlich korrekt zu behandeln, wird von den Haßpropagandisten als feiger Opportunismus oder, schlimmer noch, als verräterischer Ausverkauf des »wahren Amerika« an den Feind geschmäht. Wer sich dabei allzu weit vorwagt, wird als »Terroristenfreund« und Wegbereiter der »Islamisierung« Ziel einer hemmungslosen persönlichen Diffamierungskampagne.

Durch den Wechsel von Bush zu Obama hat sich die Lage eher noch verschärft. Obama ist aufgrund seiner eigenen Herkunft bösartigen verschwörungstheoretischen Angriffen ausgesetzt – und reagiert darauf überwiegend defensiv. Die Washington Post wies am 6. September auf die Tatsache hin, daß Obama in seiner bisherigen Amtszeit im Gegensatz zu seinem Vorgänger noch nie eine einheimische Moschee betreten hat. Er besuchte Moscheen im Ausland, in Ägypten, in Indonesien und in der Türkei, aber nicht auf dem Boden der USA.  Dabei ist die Zahl der herausragenden Propagandisten des Antimuslimismus in den USA bis jetzt immer noch überschaubar. Allzu offensichtlich steht diese Haßideologie im Widerspruch zu den Werten, zu denen sich dieser Staat in seiner Unabhängigkeitserklärung und seiner Verfassung bekannt hat.

Der Antimuslimismus ist auch absolut inkompatibel mit dem Bild, daß die Mehrheit der US-Amerikaner von ihrem Land hat und das sie auch nach außen darzustellen wünscht. Selbst unter den Neokonservativen, die einige Jahre lang den strategischen Diskurs in den USA dominierten, sind es nur wenige, die heute als Teil des antimuslimischen Milieus in Erscheinung treten.  Insofern ist die These, daß diese Ideologie »in der Mitte der Gesellschaft« zuhause sei, zumindest für die Vereinigten Staaten nur bedingt richtig. Zwar ist die US-amerikanische Gesellschaft traditionell sehr anfällig für hysterisch-paranoische Welterklärungsmuster. Aber zur Mitte der Gesellschaft gehören auf der anderen Seite auch die Kritiker des Antimuslimismus. Die Realität ist, daß die Thesen und Handlungen der Muslimhasser rechtsextrem sind, daß sie sich gegen die Verfassung und gegen die Werte richten, zu denen sich die USA trotz allem immer noch bekennen und mit denen sie international wahrgenommen werden wollen. Die Antimuslimisten würden sich gern als »Mitte« darstellen, aber vorläufig führen sie nur einen Kampf um die Deutungshoheit über diesen Begriff. Noch haben sie diesen keineswegs gewonnen. Aber sie werden stärker werden, je länger die herrschenden Kreise der USA ihren »Krieg gegen den Terror« fortsetzen und ausweiten.

Saudi Women Celebrating Their Divorces. Photo: holgerawakens.blogspot.com

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2011/09/21/kairo-virus_119/

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kommentare

  • Hups, erwischt, Stand auch gerade mit dem Plastiklätzchen vor meiner Arbeitsstätte, weil wir übel unterbezahlt sind. Aber die Plakate wenigsten haben wir selbst gemalt, abends, in der kalten Garage von Christiane auf dem Land. Unserem Texter, der sich in Solidarität übte, fiel aber rein gar nichts ein. Auch die Sprüche mussten wir ganz alleine fabrizieren. Streiks sind übrigens Knochenarbeit, nicht nur, weil man ständig herumläuft und schreit, sondern weil man sich für etwas auf dei Straße stellt und gleichzeitig gegen den Arbeitgeber. EIn nicht undelikates Gemsich.

  • Der “stern” interviewte einen der besten Historiker Israels – Tom Segev zur anstehenden UNO-Abstimmung über die staatliche Anerkennung Palästinas:

    Segev sieht das Unglück der derzeitigen israelischen Politik, die dagegen stimmen wird, darin, dass die regierenden israelischen Politiker zu “dumm” sind und dass sie es schon lange versäumt haben, für ihre Politik gegenüber den Palästinensern “Experten” zu verpflichten.

    Das ist die alte unsympathische Einstellung der Intelligenz weltweit: die Politiker sind eben zu dumm und es braucht Experten – solche wie sie, die halbkritische Intelligenz.

    Dass das Elend konkret ist und vielleicht darin bestehen könnte, dass das Haus Israel, da es nun einmal gebaut wurde, wie alle Bauern und Kleinbürger auf dieser Welt, ständig anbauen will und meint zu müssen, kommt ihnen nicht in den Sinn.

    Konkret haben sich die Juden mit Israel geerdet, ihre Bibel lesen sie nun als Kataster. Das ist natürlich die dümmste Lesart überhaupt, was ihnen auch jeder “Experte” sofort bestätigen wird.

    Der Witz daran ist bloß, dass immer mehr Völker spätestens seit dem Zusammenbruch des Ostblocks, verschärft noch durch die “elektronische Revolution”, die Globalisierung und jetzt durch die Arabischen Aufstände, zu Diaspora-Existenzen gezwungen werden – und sich gegen Rassismus wehren müssen – nur die israelischen Juden nicht, die ihrerseits nun rassistisch geworden sind, was Tom Segev durchaus nicht verschweigt.

    Vor ihm hat dies jedoch auch schon der Palästinenser Edward Said gewußt:

    “Die Fackel der Befreiung” ist von den seßhaften Kulturen an “unbehauste, dezentrierte, exilische Energien” weitergereicht worden, “deren Inkarnation der Migrant” ist. So sagte er es.

    Für den Engländer Neal Ascherson sind es insbesondere die “Flüchtlinge, Gastarbeiter, Asylsucher und Obdachlosen”, die zu Subjekten der Geschichte geworden sind.

    Der polnische Künstler Krzysztof Wodiczko zog daraus den Schluß: “Der Künstler muß als nomadischer Sophist in einer migranten Polis aufzutreten lernen” – auf ihren neuen Agoren, den Plätzen, Märkten, Parks und Bahnhofshallen der großen Städte.

    Ebenfalls an die urbane “intellektuelle Zirkulations”-Scene wandten sich die französischen Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari – mit einer ganzen (mehrbändige) “Nomadologie”, deren Credo zuvor Michel Foucault formuliert hatte: “Glaube daran, dass das Produktive nicht seßhaft, sondern nomadisch ist!”

    Nach dem geglückten Weltraumflug von Juri Gagarin 1967 hatte noch der jüdische Philosoph Emanuel Lévinas gejubelt: Damit werde nun endgültig und weltweit das “Privileg der Verwurzelung und des Exils” beseitigt. Das Gegenteil ist jedoch wahr (geworden): die einstige jüdische “Juxtaposition” gilt nun für alle und jeden! Der Slawist Karl Schlögel spricht gar von einem “Planet der Nomaden”, wobei er jedoch noch schwankt, ob dies zu begrüßen ist.

    Dazu zitiert er den gleich mehrfach exilierten und zuletzt in Südfrankreich wohnenden jüdischen Philosophen Vilém Flusser: “Wir dürfen also von einer gegenwärtig hereinbrechenden Katastrophe sprechen, die die Welt unbewohnbar macht, uns aus der Wohnung herausreisst und in Gefahren stürzt. Dasselbe lässt sich aber auch optimistischer sagen: Wir haben zehntausend Jahre lang gesessen, aber jetzt haben wir die Strafe abgesessen und werden ins Freie entlassen. Das ist die Katastrophe: dass wir jetzt frei sein müssen. Und das ist auch die Erklärung für das aufkommende Interesse am Nomadentum…”

  • „Als ich im November 2001 durch den Pentagon ging, hatte einer der Senior Military Staff Officers Zeit für einen Schwatz. Ja, sie seien immer noch auf dem Weg, gegen den Irak vorzugehen, sagte er. Aber da gab es noch mehr. Dies werde diskutiert als Teil eines Planes für eine Fünf-Jahres-Kampagne, sagte er, und davon seien insgesamt sieben Länder betroffen, beginnend mit dem Irak, dann Syrien, Libanon, Libyen, Iran, Somalia und Sudan.“ (General Wesley Clark)

    Könnte es sein, dass die USA, Israel und die NATO demnächst den Nahen und Mittleren Osten vollends ihren Interessen gemäß “umgestalten” – und die arabischen Aufständischen nur die nützlichen Idioten sind, die den westlichen Politikern und Militärs das Terrain vorbereiten?

    Al Dschasira berichtete am 21.Juli 2011 – unter Berufung auf einen hochrangigen CIA-Agenten, dass das von dem vermuteten Atombomben-Bau der Iraner besonders bedrohte Israel im Herbst den Iran angreifen werde.

    Die vom syrischen Informationsministerium “eingebettete” Journalistin Karin Leukefeld schreibt heute in der Jungen Welt:

    “Michel Chossudovsky vom kanadischen Zentrum für Globalisierungsforschung ist überzeugt, daß einige Staaten versuchen, Syrien zu destabilisieren und dafür den bewaffneten Aufstand islamistischer Kräfte unterstützen. Diese wiederum repräsentieren nicht die Mehrheit der syrischen Gesellschaft, die für Reformen und demokratischen Wandel in ihrem Land einträten.

    Der Aufstand »soll destabilisieren und einen Vorwand für die ›Schutzverantwortung‹ schaffen«, unter dem die NATO in Syrien eingreifen könne, meinte er.

    Seinem Zentrum lägen Informationen vor, »daß das NATO-Hauptquartier in Brüssel und der türkische Oberste Kommandorat bereits Pläne für einen Militärintervention gegen Syrien ausgearbeitet haben«, so Chossudovsky. Es gebe Fakten, wonach »die NATO Mudschahedin-Kämpfer und Dschihadisten rekrutiert«, die die NATO bei einem Eingreifen unterstützen sollen.”

    Der Le Monde Diplomatique-Autor Michel Chossudovsky selbst schrieb kürzlich:

    Ein ausgedehnter Krieg im Nahen Osten und in Zentralasien befindet sich seit Mitte der 1990er-Jahre auf dem Zeichenbrett des Pentagons in Arbeit.

    Als Teil dieses Szenarios eines ausgedehnten Krieges unternimmt die USA-NATO-Allianz eine militärische Kampagne gegen Syrien, und zwar unter einem durch die UNO geförderten „humanitären Mandat“.

    Die Eskalation ist dabei ein wesentlicher Teil der militärischen Agenda. Destabilisation von souveränen Staaten durch „Regimewechsel“ ist eng mit der militärischen Planung verbunden. Da gibt es einen militärischen Fahrplan, der durch eine Abfolge von US-NATO-Kriegstheatern gekennzeichnet ist.

    Die Kriegsvorbereitungen, um Syrien und Iran anzugreifen, haben sich während mehreren Jahren in einem „fortgeschrittenen Stadium der Bereitschaft“ befunden. Die Verordnung von 2003, Syria Accountability and Lebanese Sovereignty Restoration Act (Übernahme der Verantwortung in Syrien und Wiederherstellung der Souveränität im Libanon), klassifiziert Syrien unter dem Titel „Schurkenstaat“, als ein Land, das den Terrorismus unterstützt.

    Ein Krieg gegen Syrien wird vom Pentagon als Teil eines ausgedehnteren, gegen den Iran gerichteten Krieges gesehen. Präsident George W. Bush bestätigt in seinen Memoiren, dass er „dem Pentagon befohlen hatte, eine Attacke auf Irans nukleare Einrichtungen zu planen, und dass er eine heimliche Attacke auf Syrien in Betracht gezogen hatte“. (George Bush’s Memoiren enthüllen, wie er über Angriffe auf Iran und Syrien nachgedacht hatte, „The Guardian“, 8. November 2010)

    Diese weitere militärische Agenda ist eng verknüpft mit den strategischen Ölreserven und dem Verlauf der Pipeline-Verbindungen. Sie wird von den anglo-amerikanischen Ölgiganten unterstützt.

    Die Bombardierungen des Libanons vom Juli 2006 waren Teil eines sorgfältig geplanten „militärischen Fahrplans“. Die Ausweitung des „Julikriegs“ gegen den Libanon auf Syrien war von den amerikanischen und israelischen Militärplanern in Erwägung gezogen worden. Nach der Niederlage, die den israelischen Bodentruppen durch die Hisbollah beigefügt worden war, nahmen sie davon Abstand.

    Der Julikrieg Israels gegen den Libanon von 2006 war auch dazu gedacht gewesen, Israel die Kontrolle über die nordöstliche mediterrane Küstenlinie zu geben, worin die Offshore-Öl- und -Gasreserven in den Territorialgewässern Libanons und Palästinas inbegriffen gewesen wären.

    Die Pläne zur Invasion des Libanons und von Syrien sind trotz der israelischen Schlappe im Julikrieg von 2003 auf den Zeichenbrettern des Pentagons geblieben: „Im November 2008, kaum einen Monat, bevor Tel Aviv sein Massaker im Gaza-Streifen begann, hielt das israelische Militär Drills ab für einen Zweifrontenkrieg gegen den Libanon und Syrien, genannt Shiluv Zro’ot III. Die militärische Übung beinhaltete eine grossangelegte Invasion Syriens und des Libanons“ (siehe bei Mahdi Darius Nazemoraya „Israel‘s Next War: Today the Gaza Strip, Tomorrow Lebanon?“ [Israels nächster Krieg: Heute der Gaza-Streifen, Morgen der Libanon?], Global Research, 17. Januar 2009).

    Die Strasse nach Teheran führt durch Damaskus. Ein durch die USA/NATO organisierter Krieg gegen den Iran würde als einen ersten Schritt eine Destabilisierungskampagne gegen die syrische Regierung beinhalten, einschliesslich verborgener Geheimdienstoperationen zur Unterstützung von gegen die Regierung gerichteten Rebellentruppen, mit dem Ziel des „Regimewechsels“.

    Ein gegen Syrien gerichteter „humanitärer Krieg“ unter dem Markenzeichen der „Verantwortung zu beschützen“ würde auch zu einer anhaltenden Destabilisierung des Libanons beitragen. Würde eine militärische Kampagne gegen Syrien geführt, so wäre Israel direkt oder indirekt an militärischen und Geheimdienstoperationen beteiligt.

    Ein Krieg gegen Syrien würde zu einer militärischen Eskalation führen.

    Derzeit gibt es vier verschiedene Kriegstheater: Afghanistan-Pakistan, Irak, Palästina und Libyen.

    Eine Attacke auf Syrien würde zu einer Vereinigung dieser getrennten Kriegstheater führen und letztendlich zu einem ausgedehnteren Krieg vom Nahen Osten bis Zentralasien – die gesamte Region von Nordafrika über das Mittelmeer bis nach Afghanistan und Pakistan umfassend.

    Die anhaltende Protestbewegung ist dazu gedacht, als Vorwand und Rechtfertigung für eine militärische Intervention gegen Syrien zu dienen. Die Existenz eines bewaffneten Aufstandes wird abgestritten. Die westlichen Medien haben die kürzlichen Ereignisse in Syrien im Chor als eine „friedliche Protestbewegung“ beschrieben, die gegen die Regierung von Bashar Al-Assad gerichtet sei, wenn es doch als erwiesen gilt, dass es sich um einen bewaffneten Aufruhr handelt, an dem islamistische paramilitärische Gruppen beteiligt sind.

    Seit dem Beginn der Protestbewegung Mitte März hat es Feuerwechsel zwischen der Polizei und Armeeangehörigen auf der einen Seite und bewaffneten Männern auf der anderen Seite gegeben. Gegen Regierungsgebäude gerichtete Akte der Brandstiftung sind ebenfalls begangen worden. Ende Juli sind in Hama in öffentlichen Gebäuden wie dem Gerichtsgebäude und der Landwirtschaftsbank Brände gelegt worden. Obwohl sie die Tatsache eines bewaffneten Konflikts von der Hand wiesen, bestätigten israelische Nachrichtenquellen immerhin, dass „es Protestierende gab, die mit schweren Maschinengewehren bewaffnet waren“. (DEBKAfile, 1. August 2011, Bericht über Hama. Auszeichnung beigefügt.)

    Im Juni spielte US-Senator Lindsey Graham (der im Militärdienstausschuss des Senats arbeitet) auf die Möglichkeit einer gegen Syrien gerichteten „humanitären“ militärischen Intervention an, mit der Absicht „das Leben von Zivilisten zu retten“. Graham schlug vor, dass die auf Libyen angewandte „Option“ unter der Resolution 1973 des UNO-Sicherheitsrates im Falle von Syrien ins Auge gefasst werden sollte:

    • „Wenn es einen Sinn machte, das libysche Volk vor Ghadaffi zu schützen, und dies tat es, denn sie wären getötet worden, wenn wir nicht die NATO hingesandt hätten, als er im Aussenbereich von Benghazi war, (stellt) sich nun für die Welt die Frage, ob wir diesen Punkt in Syrien erreicht haben…

    • Wir mögen noch nicht dahin gelangt sein, aber wir sind bald sehr nahe daran; wenn es Ihnen also wirklich daran gelegen ist, das syrische Volk vor einem Massaker zu schützen, dann ist es jetzt Zeit, Assad wissen zu lassen, dass alle Optionen auf dem Tisch sind“, (CBS, „Face The Nation“, 12. Juni 2011).

    Indem es der Annahme des Statements des UNO-Sicherheitsrates betreffend Syrien folgte, rief das Weisse Haus in unmissverständlicher Weise zu einem „Regimewechsel“ in Syrien und zur Amtsenthebung von Präsident Bashar Al-Assad auf:

    • „Im Interesse von Syriens Stabilität wollen wir ihn nicht im Amt bleiben sehen, wir betrachten ihn vielmehr als die Ursache der Instabilität in Syrien“, sagte der Sprecher des Weissen Hauses Jay Carney zu Reportern am Mittwoch.

    • „Und wir denken offen gesagt, dass Syrien ohne Präsident Assad ein besserer Ort sein würde“, (zitiert in Syrien: Aufruf der USA für einen Regimewechsel kommt näher, IPS, 4. August 2011.)

    Weitreichende wirtschaftliche Sanktionen sind oft der Auftakt zu einer offenen militärischen Intervention.

    Ein von Senator Lieberman gefördertes Gesetz wurde in den US-Senat eingebracht, in der Absicht auf die Genehmigung umfassender wirtschaftlicher Sanktionen gegenüber Syrien. In einem Brief an Präsident Oba ma von Anfang August forderte zudem eine Gruppe von mehr als 60 US-Senatoren die „Umsetzung von zusätzlichen Sanktionen … während man es auch dem syrischen Regime klarmachen muss, dass es immer mehr bezahlen müsse für seine empörende Repression.“

    Diese Sanktionen würden das Blockieren von Bank- und Finanztransaktionen verlangen wie auch ein „Aufkündigen des Bezugs von syrischem Öl und das Einstellen von Investitionen im syrischen Öl- und Gassektor.“

    In der Zwischenzeit hat sich das US-Aussenministerium auch mit Mitgliedern der syrischen Opposition im Exil getroffen. Insgeheim wurde zudem Unterstützung an bewaffnete Rebellengruppen geleitet.

    Im Anschluss an das am 3. August vom Vorsitzenden des UNO-Sicherheitsrates an Syrien gerichtete Statement warnte Moskaus NATO-Gesandter Dimitry Rogozin vor den Gefahren einer militärischen Eskalation:

    • „Die NATO plant eine militärische Aktion gegen Syrien, um dabei zu helfen, das Regierung von Präsident Bashar Al-Assad zu stürzen, und zwar mit dem langfristigen Ziel, einen Brückenkopf für eine Attacke auf den Iran vorzubereiten…

    • „(Dieses Statement) bedeutet, dass die Planung (eines Feldzugs) bereits in vollem Gange ist. Es könnte ein logisches Ergebnis jener Militär- und Propagandaoperationen sein, die gewisse westeuropäische Länder gegen Nordafrika betrieben haben“, sagte Rogozin in einem Interview mit der Zeitung „Isvestia“… Der russische Diplomat unterstrich die Tatsache, dass die Allianz sich nur bei jenen Regierungen einzumischen beliebt, „deren Gesichtspunkte nicht mit jenen des Westens übereinstimmen“.

    • Rogozin stimmte mit der von einigen Experten ausgedrückten Meinung überein, dass Syrien und dann später Jemen die letzten Schritte der NATO auf ihrem Weg sein könnten, eine Attacke auf den Iran zu starten.

    • „Die Schlinge um den Iran zieht sich zusammen. Die militärische Planung gegen den Iran ist im Gang. Und wir sind allerdings besorgt über eine Eskalation eines grossangelegten Krieges in dieser riesigen Region“, sagte Rogozin.

    • Da es aus der libyschen Lektion gelernt habe, werde Russland „sich weiterhin einer gewaltsamen Lösung der Situation in Syrien widersetzen“, sagte er und fügte bei, dass die Konsequenzen eines grossflächigen Konflikts in Nordafrika für die ganze Welt zerstörerisch sein würden“. (Siehe: „Beachhead for an Attack on Iran: NATO is planning a Military Campaign against Syria” [Brückenkopf für einen Angriff auf den Ian: Die NATO plant einen Feldzug gegen Syrien] , Novosti, 3. August 2011.)

    Dimitry Rogozins Warnungen gründen sich auf in militärischen Kreisen bekannten und dokumentierten konkreten Informationen, dass die NATO gegenwärtig eine militärische Kampagne gegen Syrien plant. So ist diesbezüglich ein Szenario eines Angriffs auf Syrien auf dem Zeichenbrett, welches französische, britische und israelische Militärexperten einbezieht. Gemäss dem früheren Kommandeur der französischen Luftwaffe (Chef d’Etat Major de l’Armée de l’air), General Jean Rannou, „ist ein NATO-Angriff, um Syriens Armee ausser Gefecht zu setzen, technisch machbar“:

    • „Mitgliederländer der NATO würden mit dem Anwenden von Satellitentechnologie beginnen, um Syriens Luftabwehr ausfindig zu machen. Einige Tage später würden Kriegsflugzeuge von der englischen Basis in Zypern starten, aber in grösserer Anzahl als im Falle von Libyen, und etwa 48 h damit verbringen, Syriens Boden-Luftraketen (SAMs) und Jets zu zerstören. Dann würden Flugzeuge der Allianz eine unbefristete Bombardierung von Syriens Tanks und Bodentruppen beginnen.“

    • Das Szenario stützt sich auf Analysten des französischen Militärs, von der britischen Fachpublikation „Jane’s Defence Weekly“ und von der israelischen TV-Station Kanal 10.

    • Es wird gesagt, dass die syrische Luftwaffe eine kleine Bedrohung darstellt. Syrien hat etwa 60 russische MiG-29. Aber der Rest – etwa 160 MiG-21, 80 MiG-23, 60 MiG-23BN, 50 Su-22 und 20 Su-24MK – ist überaltert.

    • …“Ich sehe keine rein militärische Probleme. Syrien hat keine Verteidigung gegen westliche Systeme … (Aber) es wäre riskierter als in Libyen. Es wäre eine schwierige militärische Operation“, sagte Jean Rannou, der frühere Kommandant der französischen Luftwaffe zu „EUobserver“. Er fügte bei, dass es ziemlich unwahrscheinlich sei, dass es zu einem Angriff komme, weil Russland von seinem Veto beim UNO-Mandat Gebrauch machen werde, die NATO-Truppen schon stark in Afghanistan und Libyen engagiert seien und die NATO-Länder in der Finanzkrise steckten. (Andrew Rettman: „Blueprint For NATO Attack On Syria Revealed (Entwurf für eine NATO-Attacke auf Syrien enthüllt], Global Research, 11. August 2011.)

    Während Libyen, Syrien und Iran Teil des militärischen Fahrplans sind, würde dieser strategische Einsatz, wenn er denn durchgeführt würde, auch China und Russland bedrohen. Beide Länder haben Investitionen, Handelsabkommen wie auch Abkommen über militärische Zusammenarbeit mit Syrien und Iran. Iran hat Beobachterstatus in der Shanghai Cooperation Organization SCO).
    .

    Seit 2005 sind die USA und seine Verbündeten, einschliesslich Amerikas NATO-Partner und Israel, mit der weitläufigen Stationierung und Vorrataufstockung von hochentwickelten Waffensystemen beschäftigt. Die Luftabwehrsysteme der USA, der NATO-Mitgliederländer und Israel sind voll integriert.

    Ankara und Tel Aviv sind beide daran beteiligt, die bewaffneten Aufstände zu unterstützen. Diese Unternehmungen sind zwischen den beiden Regierungen und ihren Geheimdiensten koordiniert.

    Es gibt Berichte darüber, dass Israels Mossad den radikalen Salafi-Terroristengruppen im Geheimen Unterstützung gewährt hat, welche nach dem Beginn der Protestbewegung in Daraa Mitte März im Süden Syriens aktiv wurden. Es gibt Berichte, die andeuten, dass die Finanzierung des Salafi-Aufstandes von Saudi-Arabien komme. (Siehe: Syrian army closes in on Damascus suburbs [Syrische Armee umkesselt Vorstädte von Damaskus], „The Irish Times”, 10. Mai 2011.)

    Die türkische Regierung von Premierminister Recep Tayyib Erdogan unterstützt nicht nur syrische Oppositionellengruppen im Exil, sondern auch die bewaffneten Rebellen der Moslembruderschaft im Norden Syriens.

    Die syrische Moslembruderschaft (MB), (deren Führung im Exil in England ist), und die verbotene Hizb-ut-Tahrir (Befreiungspartei) sind beide hinter dem Aufstand. Beide Organisationen werden vom britischen MI6 unterstützt. Das erklärte Ziel beider, des MB und des Hizb-ut-Tahrir ist es, letztendlich den säkularen Staat Syrien zu destabilisieren. (Siehe Michel Chossudovsky: SYRIA: Who is Behind The Protest Movement? Fabricating a Pretext for a US-NATO “Humanitarian Intervention[Wer ist hinter der Protestbewegung? Das Erschaffen eines Vorwandes für eine “humanitäre Intervention“ der USA-NATO], Global Research, 3. Mai 2011.)

    Im Juni überquerten türkische Soldaten die Grenze zu Nordsyrien, offiziell, um syrischen Flüchtlingen zu Hilfe zu kommen. Die Regierung von Bashar Al-Assad beschuldigte die Türkei, das Eindringen von Rebellentruppen in Nordsyrien direkt zu unterstützen:

    • „Eine Rebelleneinheit von bis zu 500 Kämpfern attackierte am 4. Juni eine Position der syrischen Armee in Nordsyrien. Sie sagten dass das Ziel, eine Besatzung des militärischen Geheimdienstes, während eines 36 H dauernden Angriffs, bei welchem 72 Soldaten getötet wurden, gefangen genommen wurde, und zwar in Jisr Al Shoughour, in der Nähe der Grenze zu der Türkei.“

    • „Wir stellten fest, dass die Kriminellen [Rebellenkämpfer] aus der Türkei stammende Waffen benutzten, und dies ist sehr besorgniserregend“, sagte ein Beamter.

    • Dies bedeutet das erste Mal, dass die Assad-Regierung die Türkei der Unterstützung der Rebellenrevolte beschuldigt hat. … Beamte erklärten, die Rebellen hätten die Stellungen der syrischen Armee durchbrochen und dann den Ort eingenommen. Sie sagten, bevor eine weitere Assad-Truppe eingetroffen sei, seien die Regierungsgebäude geplündert und in Brand gesetzt worden. …

    • Ein syrischer Offizier, der den Einsatz führte, sagte, die Rebellen in Jisr Al Shoughour hätten diverse türkische Waffen und Munition verwendet, beschuldigte aber nicht die Regierung von Ankara, sie habe die Ausrüstung geliefert. (Syria’s Assad accuses Turkey of Arming rebels [Syrien: Assad beschuldigt die Türkei der Bewaffnung von Rebellen], TR Defence, 25. Juni 2011.)

    Zwar wird es von den westlichen Medien bestritten, aber die Unterstützung aus dem Ausland der islamistischen Aufständischen, welche die „Protestbewegung infiltriert haben“, ist nichtsdestotrotz von westlichen Geheimdienstquellen bestätigt worden. So erklärt der frühere MI6-Mitarbeiter Alastair Crooke (und hochgestellter EU-Berater): „Zwei wichtige Kräfte [in Syrien] sind Sunni-Radikale und syrische Exilgruppen in Frankreich und in den USA.“ Er sagte: „Die Radikalen folgen den Belehrungen von Abu Musab Zarqawi, einem ehemaligen jordanischen Islamisten, der ein Sunni-Emirat in Jordanien, Libanon, Palästina und Syrien zu schaffen anstrebte, das Bilad a-Sham heissen sollte. Sie sind erfahrene Stadtguerilleros, die im Irak kämpften und aus dem Ausland finanziert werden. Sie infiltrieren Proteste, um Assads Truppen anzugreifen, wie in Jisr al-Shougour im Juni, wo sie denen schwere Verluste beibrachten.“ (Andrew Rettman, Blueprint Fot NATO Attack ON Syria Revealed [Plan für eine NATO-Attacke gegen Syrien enthüllt], GlobalResearch, 11. August 2011, Auszeichnungen beigefügt.)

    Politische Parteiengruppen in Libanon sind ebenfalls daran beteiligt. Der libanesische Geheimdienst hat die geheime Lieferung von Sturmgewehren und automatischen Waffen an die Salafi-Kämpfer bestätigt. Die Lieferung wurde durch von den Saudis unterstützte libanesische Politker durch geführt.

    Israel und die Türkei haben ein Abkommen über militärische Zusammenarbeit, welches auf eine sehr direkte Weise Syrien und die strategische libanesisch-syrische Küstenlinie am östlichen Mittelmeer betrifft (einschliesslich der Gasreserven Libanons vor der Küste und der da verlaufenden Pipelines).

    • Schon während der Administration Clinton hat sich eine aus drei Parteien bestehende Militärallianz zwischen den USA, Israel und der Türkei ergeben. Diese durch die amerikanischen Vereinigten Stabschefs dominierte „Dreierallianz“ koordiniert und fasst die militärischen Kommandoentscheidungen zwischen den drei Ländern zusammen, die den Nahen Osten im weiteren Sinne betreffen. Sie basiert auf engen militärischen Verbindungen Israel und respektive der Türkei mit den USA, zusammen mit einer starken bilateralen militärischen Beziehung zwischen Tel Aviv und Ankara. …

    • Die Dreierallianz ist zudem seit 2005 mit einem militärischen Kooperationsabkommen zwischen NATO Und Israel verbunden, welches „viele Gebiete von gemeinsamem Interesse einschliesst, wie den Kampf gegen den Terrorismus und gemeinsame militärische Übungen. Diese militärischen Beziehungen zur Zusammenarbeit werden durch das israelische Militär als ein Mittel betrachtet, „Israels Abschreckungskapazität hinsichtlich potentieller, es bedrohender Feinde zu steigern, hauptsächlich Syrien und Iran“. (Siehe Michel Chossudovsky, „Triple Alliance: The US, Turkey, Israel and the War on Lebanon”, August 6, 2006 [Dreierallianz: Die USA, Türkei und Israel und der Krieg gegen den Libanon].)

    Inzwischen haben die Umstrukturierungen innerhalb von „Denen da oben“ der Türkei die proislamistische Gruppe innerhalb der Armee wieder gestärkt. Ende Juli hat der Oberkommandierende des Heers und Chef der Vereinigten Stabschefs, General Isik Kosaner sein Amt niedergelegt, zusammen mit den Kommandeuren der Marine und der Luftwaffe.

    General Kosaner vertritt eine mehr säkulare Einstellung innerhalb der Armee. Als sein Nachfolger als Kommandeur des Heeres und als Armeechef wurde General Needet Ozel bestimmt. Diese Entwicklungen sind von grösster Wichtigkeit. Der Tendenz nach unterstützen sie die amerikanischen Interessen. Sie weisen auch auf eine potentielle Verlagerung innerhalb des Militärs zugunsten der Moslembruderschaft hin, einschliesslich des bewaffneten Aufstandes in Nordsyrien.

    „Die neuen Ernennungen haben Erdogan und die regierende Partei in der Türkei gestärkt… Die militärische Führung ist fähig, ehrgeizigere Projekte in der Region durchzuführen. Es wird gesagt, dass im Falle der Anwendung des libyschen Szenarios auf Syrien es möglich sein wird, dass die Türkei sich für eine militärische Intervention entscheiden wird. (New appointments have strengthened Erdogan and the ruling party in Turkey [die neuen Ernennungen haben Erdogan und die Regierungspartei gestärkt]: Öffentliches Radio von Armenien, 6. August 2011, (Auszeichnung beigefügt).

    Ägypten, die Golfstaaten und Saudi-Arabien (innerhalb der erweiterten militärischen Allianz) sind Partner der NATO, deren Truppen in einem Feldzug gegen Syrien eingesetzt werden könnten. Im Anschluss an ein 2005 unterzeichnetes Abkommen ist Israel de facto Mitglied der NATO.

    Der Prozess der militärischen Planung innerhalb der erweiterten NATO umfasst eine Koordination zwischen Pentagon, NATO und Israels Verteidigungsarmee (IDF) wie auch die aktive militärische Beteiligung der arabischen Frontstaaten, einschliesslich Saudi-Arabien, die Golfstaaten und Ägypten: alles in allem zehn arabische Staaten plus Israel sind Mitglied des „Mittelmeer-Dialogs“ und der „Istanbul Kooperationsinitiative“.

    Wir befinden uns an einem gefährlichen Scheideweg. Die geopolitischen Auswirkungen sind weitreichend.

    Syrien hat Grenzen mit Jordanien, Israel, Libanon, Türkei und Irak. Es dehnt sich über das Tal des Euphrats, und auf seinem Territorium befinden sich die Kreuzungen von wichtigen Wasserwegen und Pipelines. Syrien ist ein Alliierter des Irans. Russland hat im Nordwesten von Syrien eine Marinebasis.

    • Die Einrichtung einer Basis in Tartus und der rasche Fortschritt einer militärischen technologischen Zusammenarbeit mit Damaskus macht aus Syrien Russlands wertvoller Brückenkopf und Bollwerk im Nahen Osten.

    • Damaskus ist ein wichtiger Alliierter des Irans und ein unversöhnlicher Feind von Israel. Es braucht nicht speziell gesagt werden, dass das Auftauchen einer russischen Militärbasis in der Region mit Sicherheit Korrekturen innerhalb der existierenden Korrelation der Kräfte bewirken wird.

    • Russland nimmt Syrien unter seinen Schutz. Die wird mit Bestimmtheit die Beziehungen Russlands mit Israel versauern. Es mag sogar die nicht weit davon gelegene iranische Regierung ermutigen und sie weniger lenkbar machen hinsichtlich der Gespräche über das Nuklearprogramm. (Ivan Safronov, Russia to defend its principal Middle East ally: Moscow takes Syria under its protection [Russland muss seinen wichtigsten Alliierten in Nahen Osten verteidigen: Moskau nimmt Syrien unter seinen Schutz], Global Research, 28. Juli 2006.)

    Szenario des Dritten Weltkriegs

    Während der letzten fünf Jahre hat sich die Region des Nahen Ostens und von Zentralasien auf einem aktiven Marsch in den Krieg befunden.

    Syrien verfügt über bedeutende Luftabwehrkapazitäten wie auch Bodentruppen.

    Syrien hat sein Luftabwehrsystem mit der Lieferung von russischen Pantsir S1 Luftabwehrraketen verstärkt. 2010 lieferte Russland ein Yakhont Raketensystem nach Syrien. Die von Russlands Marinebasis in Tartus aus operierenden Yakhont „sind für den Einsatz auf feindliche Schiffe im Umkreis bis zu 300 km konzipiert“. (Bastion missile systems to protect Russian naval base in Syria [Bastion-Raketensystem um russische Marinebasis in Syrien zu schützen], Ria Novosti, 21. September 2010.)

    Die Struktur der jeweiligen militärischen Allianzen der USA-NATO einerseits und von Syrien-Iran-SCO (Shanghai Cooperation Organization) anderseits, geschweige denn die militärische Teilnahme von Israel, die komplexe Beziehung zwischen Syrien und Libanon, der von der Türkei auf Syriens Nordgrenze ausgeübte Druck, weisen unauslöschlich auf einen gefährlichen Prozess der Eskalation hin.

    Jede Form einer von den USA-NATO organisierten und gegen Syrien gerichteten militärischen Intervention würde die gesamte Region destabilisieren; sie könnte zudem möglicherweise zu einer Eskalation über eine riesige geografische Zone führen, die sich vom östlichen Mittelmeer bis zur Grenze von Afghanistan-Pakistan mit Tadschikistan und China ausdehnt.

    In der Kleinauflage, im Krieg gegen Libyen, ist die USA-NATO bereits überstrapaziert, was ihre Kapazitäten betrifft. Während wir die Durchführung einer militärischen Operation seitens der USA-NATO nicht voraussehen für die nächste Zeit, so wird der Prozess der politischen Destabilisation durch die geheime Unterstützung eines Rebellenaufstandes aller Wahrscheinlichkeit nach weitergehen.

    (Dieser Artikel wurde am 11. August 2011 aktualisiert und von Remo Santini übersetzt.)

    P.S.: In seinem Buch “Die Herausforderung Amerikas. Weltpolitik im 21. Jahrhundert” schreibt Henry Kissinger:

    “Kein Gebiet der Welt konfrontiert Amerikas Regelwerk mit größeren Komplexitäten als der Golf. Von wilsonschen Grundsätzen kann sich Amerika in dieser Region nicht leiten lassen. Das Grundprinzip, um zu verhindern, daß eine feindliche Macht in dieser Region die Vorherrschaft ausübt, ist – vom wilsonschen Standpunkt aus – eine Wahl unter mehreren Übeln; es gibt keine Demokratien zu verteidigen. Doch die Vereinigten Staaten – und andere demokratische Industriestaaten – haben ein zwingendes nationales Interesse daran zu verhindern, daß die Region von Staaten dominiert wird, deren Ziele mit den unseren unvereinbar sind. Die fortschrittlichen Industriewirtschaften hängen von den Erdöllieferungen vom Golf ab, und eine Radikalisierung der Region hätte Konsequenzen von Nordafrika über Zentralasien bis nach Indien. Doch dieser geopolitische Imperativ muß vor einem Hintergrund durchgesetzt werden, bei dem die beiden stärksten Nationen am Golf, Iran und Irak, den Vereinigten Staaten feindlich gesinnt sind und auch ihren Nachbarn gegenüber ein feindseliges Verhalten an den Tag legen.”

    P.P.S.: In einem Interview mit der WELTWOCHE erklärte der Friedensforscher Johan Galtung: “Die geopolitische Doktrin der USA seit Anfang dieses Jahrhunderts lautet: Wer Osteuropa beherrscht, beherrscht Zentralasien, wer Zentralasien beherrscht, beherrscht Eurasien. Und wer Eurasien beherrscht, beherrscht die Welt. Die Welt beherrschen bedeutet zweierlei: den Welthandel kontrollieren und militärisch dominieren.”

    P.P.P.S.: Der ehemalige US-Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski gab bereits kurz nach Auflösung der Sowjetunion den US-Strategen zu bedenken: “Wer Zentralasien beherrscht, beherrscht die Welt”

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