vonHelmut Höge 29.11.2015

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

Mehr über diesen Blog

 

Von der Ankunft zur Niederkunft dauert es manchmal nur ein paar Wochen

 

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Die klassisch-griechische Ankunft (Lovis Corinth)

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Die römisch-christliche Ankunft (Robert Campin):

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Bleiben wir bei den Flügeln und Vögeln: Nach der Ankunft wird der Nestbau vorbereitet:

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Das planvolle Entwerfen und Gestalten von Bauwerken ist der zentrale Inhalt der Architektur.“ (Wikipedia)

Nun gibt es unter vielen Vögeln kaum etwas, das mehr Sex-Appeal ausstrahlt als der Nestbau.“ (Vitus B.Dröscher)

Kann man vielleicht erst bei den von Menschen entworfenen Nistkästen von Architektur sprechen? Bei Karl Marx heißt es im „Kapital. Band 1“: „Eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war.“

Der DDR-Biologe Matthias Freude hat im Berliner Kinderbuchverlag einen illustrierten Band über „Die Bauten der Tiere“ veröffentlicht. Darunter versteht er „nur solche Konstruktionen, die durch selbständige Handlungen der Baumeister entstanden sind.“ Damit hat er bei den Vogelnestern die Marxsche Unterscheidung zwischen Natur (Instinkt) und Kultur (Bewußtsein) kurzerhand beiseite geschoben.

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Die Allgäuer Ornithologin Monika Himmel möchte ein Vogel sein.

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Zwar stimmt es, dass es beim Nestbau der Vögel wie beim Hausbau der Architekten stets um die gleichen „Hauptsachen“ geht: Dach, Wand, Boden, Tür – und darüberhinaus vielleicht noch um Fenster, Balkon… 15 Dinge hat Rem Kohlhaas, Kurator der Architekturbiennale in Venedig, aufgezählt: mehr gäbe es nicht… Bei den meisten Vogelnestern bilden die Eltern für ihre Jungen den Boden und das Dach, viele auch noch die Wände, auf Fenster scheinen jedoch alle Vögel beim Nestbau zu verzichten.

Aber selbst wenn die meisten Vögel das Bauen ihrer Nester nicht erst – wie etwa junge Orang-Utans ihre allabendlichen Schlafnester in den Astgabeln von Bäumen – lernen müssen, sondern ihnen diese Fähigkeit wie man so sagt angeboren ist, so ist doch die Vielfalt ihrer Nestbauten noch nicht annähernd erfaßt. Darwinistische Biologen würden desungeachtet sagen: Die menschliche Baukunst ist individuell und die der Vögel artgemäß, konkret variieren sie ihre Nester und Höhlen jedoch immer wieder – mindestens in bezug auf Standort- und Klimaunterschiede, Baumaterialien, Nachbarn, Nahrungsangebote, Feinde usw..

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Die Biologiestudentin Monika Himmel im Kreis ihrer Familie.

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Mit den Worten des Münchner Ökologen Josef Reichholf: „Die Vogelwelt ist lernfähig…In den Städten leben Arten, die ursprünglich in felsigem Gelände lebten, Arten der Wälder und auch Wasservogelarten, von denen man angenommen hatte, sie bräuchten große, offene Gewässer.“

Die Baumbrüter sind bei den aus Versicherungsgründen meist nicht alt und löchrig werdenden Stadtbäumen wohl am meisten gefordert, sich Alternativen zu suchen. So hacken einige Singvögel z.B. Höhlen in das dünn verputzte Dämmmaterial an wärmeisolierten Häusern. Japanische Krähen bauen ihre Nester neuerdings gerne auf Leitungsmasten und benutzen dabei Draht-Kleiderbügel. In Mecklenburg brütet die Hälfte aller Fischadler inzwischen auf Hochspannungsmasten. Und in der Nähe von Köln brüteten Wanderfalken auf einem Braunkohlebagger, der sich während der Brutperiode etwa 50 Kilometer weiter bewegte. Noch extremer war ein männliches Hausrotschwänzchen, das als Nistplatz ein Achsloch in der Gondel einer Drahtseilbahn wählte – und ihn mit Zahnstochern vom nahen Restaurant sowie mit Putzwolle aus dem Maschinenraum auspolsterte. Als das Weibchen fünf Eier gelegt hatte und anfing zu brüten, begann die Saison und die Gondel wurde in Bewegung gesetzt. „Erst flog er ein Stück nebenher, doch bald kehrte er sichtlich verstört wieder um.“ Als die Jungen geschlüpft waren, begann er dennoch mit der Fütterung – an der Talstation. „Dann schwebte die Gondel bergauf. Doch nun kehrte er nicht wieder um… Ständig um die Gondel kreisend flog er mit nach oben. Dort ernährte er seine hungrige Familie mit Fliegen, die er von den Restaurant-Fenstern pickte. Unten fand er auf dem Parkplatz der Talstation an den Kühlern der Autos genügend Insekten kleben.“

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Noch mal Himmels Familie.

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An der Eidermündung sah ich einen Austernfischer „im Schutz“ eines Verkehrsschildes brüten, direkt neben der vielbefahrenen Küstenstraße, das Nest bestand aus einer mit Federn ausgepolsterten Mulde. Ein Stück weiter brüten dort auf Beton jedes Jahr zig Seeschwalben – keinen Meter von den ihnen dabei zuschauenden Touristen entfernt. Ihre Nester bestehen aus schnell zusammengeklaubtem Unrat, den die Flut um sie herum angespült hat. Attackiert werden von ihnen nur die Vogelschutzwarte, wenn sie sich dort sehen lassen. Sie beringen jedes Jahr ihre Jungen, was die Vögel wohl als Störung oder gar Angriff auffassen.

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Himmels erster Eindruck vom Osten nach dem Mauerfall

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Das Gegenteil ist bei den Graugänsen der Fall: Seit sie im Nationalpark Wattenmeer mitbekommen haben, dass sie dort relativ geschützt sind, brüten sie auch auf den Halligen, wo keine Füchse hinkommen. Für den Bau der Nester sammeln sie schnell einige angeschwemmte Gegenstände. Ihre Jungen können sich aber nicht – im Gegensatz zu den sibirischen Ringelgänsen etwa – von den salzhaltigen Hallig-Gräsern ernähren, so dass ihre Eltern gezwungen sind, mit ihnen nach dem Schlüpfen sofort zum Festland rüber zu gehen bzw. bei auflaufendem Wasser zu schwimmen. Dabei werden sie von etlichen Möwen und Krähen verfolgt, die es auf ihre Jungen abgesehen haben. Wenn die Überlebenden schließlich den Deich erreicht haben, sind sie so erschöpft, dass sie es kaum noch nach oben schaffen. Dahinter befindet sich zudem eine vielbefahrene Küstenstraße und dann kommt erst eine Wiese mit einem großen Süßwassersee, wo die Eltern eigentlich hinwollen. Um ihnen zu helfen, nehmen die Vogelschutzwarte die müden Junggänse am Deichfuß in Empfang und tragen sie in Eimern rüber zum See, wo sie mit ihren Eltern wieder vereint werden. Ihre Population wird jedes Jahr größer, die Vogelschützer sind daran nicht ganz unbeteiligt.

Bei Schleswig hat man den Lachmöwen eine ganze Insel in der Schlei zum Brüten überlassen, dort sind ihre Kolonien vor Raubtieren sicher, die Insel hat man jedoch einem „Möwenkönig“ in Erbpacht überlassen, der ihnen alljährlich eine große Anzahl Eier wegnimmt, um sie zu verkaufen: Möweneier gelten in der Gegend als Delikatesse. Ihre Inselpopulation hat sich von 6000 Brutpaaren 1913 auf 250 bis 300 im Jahr 2000 verringert.

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Himmels Hund Charly mit ihrer Studienkollegin Bettina.

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Die Ursache ist noch nicht eindeutig geklärt, Vitus B. Dröscher vermutet, dass sie sich selbst dezimieren: „Seit 1973 sind in den großen Möwenkolonien an Europas Küsten kannibalische Kindesentführungen große ‘Mode’ geworden.“ Auf der „erheblich überbevölkerten Kolonie von Spiekeroog“ enden so sieben von zehn Küken, auf der Vogelinsel Memmert bei Borkum sogar neun von zehn. Dröscher sieht in diesem Verhalten eine Strategie der Möwen gegen Überbevölkerung, wie sie – in anderer Form – auch z.B. Höckerschwäne praktizieren, indem die Brutpaare mal riesige Reviere beanspruchen und mal in einer Kolonie auf engstem Raum brüten, wo sie pro Paar dann weniger Eier legen. Auch bei Krähen gibt es eine solche Alternative.

Der Erforscher von Silbermöwen Nikolaas Tinbergen schreibt über deren Nestbau: „Sind sie richtig verlobt, gehen sie auf Wohnungssuche. Sie verlassen den Club [der Singles] und beziehen ein Revier irgendwo in der Kolonie. Hier beginnen sie ein Nest zu bauen. Beide sammeln Genist und tragen es zum Nistplatz. Dann setzen sie sich abwechselnd, scharren eine flache Grube aus und polstern sie mit Gras und Moos.“

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Himmels Kindsvater mit Sohn Andreas.

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Der Haubentaucher baut sich eigene Inseln aus Schilf und Blättern – als schwimmendes Nest. Eine andere Taucherart baut gar kein Nest, sondern verteilt die Eier heimlich in die Nester von Enten – ähnlich den Kuckucksweibchen. Diese sind jedoch „auf die Wirtsvogelart geprägt, bei denen sie aufwuchsen,“ wie der Münchner Ökologe Josef Reichholf schreibt, während die Taucherjungen überhaupt nicht geprägt werden, weil sie gleich nach dem Ausschlüpfen das Nest ihrer Ente verlassen und sich fortan alleine durchs Leben schlagen. Sie haben auch nicht, wie die geschlüpften Kuckucke, die Eier bzw. die Jungen ihres Wirtsvogels zuvor aus dem Nest gedrückt. Ihre Eltern lernen sie nie kennen.

Beim Nestbau, seiner Instandsetzung und Benutzung gibt es Unterschiede, je nachdem, ob sich das Männchen oder das Weibchen, beide zusammen oder gar mehrere daran beteiligen. Bei den wachtelähnlichen Laufhühnchen, auch Kampfwachteln genannt, „trägt das deutlich größere Weibchen ein Prachtkleid, balzt vor dem Männchen und treibt sogar Vielmännerei,“ wie der Herausgeber von „Grzimeks Tierleben“ Herbert Wendt schreibt. „Das unscheinbar gefärbte Männchen hockt auf dem Boden und stößt leise, kläglich klingende Töne aus. Die Laufhenne aber rennt im Kreis um den Hahn herum, gurrt und brummt, pfeift und trommelt, trampelt und scharrt mit den Füßen, bis der Hahn ihren Werbungen nachgibt. Nach der Begattung legt sie mehrere Eier in eine Bodenmulde und überläßt dem Männchen das Brüten und die weitere Pflege der Kinder. Während der Hahn auf dem Gelege sitzt, tanzt sie längst um ein weiteres Männchen herum. Eine einzige Laufhenne kann auf diese Weise drei bis vier Männer nacheinander gewinnen und ebensoviele Nester anlegen.“

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Himmels Kind mit Patentante Sonja.

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Ähnlich geht es bei den tropischen Blatthühnchen und den nordskandinavischen Thors- sowie Odinshühnchen zu: Bei ihnen hält sich eine Mutter bis zu vier Männchen, die vom Bau der Mulden auf kleinen Inseln bzw. der ‘Floßnester’ aus Pflanzenteilen bis zum Führen und Füttern der Jungen laut Vitus B. Dröscher „alle ‘Hausfrauarbeiten’ zu erledigen haben, während sie nicht ein einziges Mal engeren Kontakt zu ihren Kindern aufnimmt. Nur wenn ein Feind naht und die ängstlichen Väter um Hilfe rufen, kommt die Mutter sofort herbei, um die ihren zu verteidigen.“

Die afrikanischen Graufischer bauen sich Höhlen in lehmigen Steilwänden, in denen sie brüten. Wenn eines ihrer schon ein oder zwei Jahre alten männlichen Jungen noch unverpaart ist, kehrt er zu seinen Eltern zurück und hilft ihnen bei der Aufzucht der Brut. Vitus B. Dröscher meint, dieses Verhalten hänge mit dem „Weibchenmangel“ bei den Graufischern zusammen. Während es bei den afrikanischen Schmuckbartvögeln der „Männchenmangel“ ist, der die Weibchen dazu bringt, ihren Eltern zu helfen. Beim australischen Lachenden Hans, eine Eisvogelart wie der Graufischer, helfen dagegen beide den Eltern bei der Aufsucht: unverpaarte Söhne und Töchter. Hier soll der Grund ein Mangel an Nisthöhlen in alten Bäumen sein.

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Himmels Grilleinladung während eines Mauerspaziergangs.

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Bei den afrikanischen Rotschnabelbaumhopfe helfen dem brütenden Paar sogar bis zu 14 noch unverpaarte Artgenossen. Sie leben in Baumhöhlen – die Weibchen eines Schwarms sammeln sich nachts in der einen, die Männchen in einer anderen Höhle. „Bis zu fünf Jahre ihres höchstens achtjährigen Lebens opfern Weibchen und Männchen anderen Schwarmmitgliedern als Helfer, bevor sie selbst zur Brut schreiten…“, schreibt Vitus B.Dröscher. Die Erforscher dieser Vögel, David und Sandra Ligon, meinen, „ein Pärchen, dem bei der Kinderbetreuung von 14 Arbeitskräften geholfen wird, zieht genauso viele Junge auf wie eines ohne jegliche Assistenz.“ Der Unterschied fällt also statistisch nicht ins Gewicht, Dröscher folgert daraus: „Die Helfer helfen im Endeffekt nur sich selbst!“ Gleichzeitig sagt ihm jedoch das Beispiel der Rotschnabelbaumhopfe: „Bei Tieren ist nicht der Krieg, sondern die gegenseitige Hilfsbereitschaft der Schöpfer aller großen Dinge.“

In einem anderen Fall, bei den Lärmdrosseln, „Arabian Babbler“ auf Englisch, bekommen die Paare ebenfalls „Hilfe beim Nestbau und beim Füttern“ – von Artgenossen. Sie legen ihre halbschaligen Nester in dichtem Gebüsch an. Der israelische Ornithologe Amotz Zahavi interpretierte ihren schon fast klassischen Fall von Kooperation – neuerdings: Altruismus genannt – einfach in „ein selbstsüchtiges Verhalten” um, das er dann mit Darwinscher BWL-Logik durchdekliniert: “die Individuen wetteifern untereinander darum, in die Gruppeninteressen zu investieren…Ranghöhere halten rangniedere Tiere oft davon ab, der Gruppe zu helfen”. Es ist von “Werbung”, “Qualität des Investors” und “Motivationen” die Rede. Zuletzt führt Zahavi das Helfenwollen der Vögel quasi mikronietzscheanisch auf ein egoistisches Gen zurück, indem die “individuelle Selektion” eben “Einmischung und Wettstreit um Gelegenheiten zum Helfen” begünstige – der “Selektionsmechanismus” aber ansonsten erhalten bleibe.

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Himmels erster Flug.

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Bei manchen Arten helfen sich die Kinder schon im Nest: Bei den Schleiereulen übernimmt laut Dröscher das älteste Kind im Nest die Verteilung des Mäusefleischs, das die Eltern ihm in höchster Eile zustecken. Auf einer Internetseite des NABU heißt es dazu: „Schleiereulen bauen kein Nest. Die Eier liegen auf dem Boden, allenfalls eine Schicht zerfallener Gewölle dient als Unterlage.“ Bei den Sperlingspapageien helfen die unverpaarten Weibchen nicht nur ihren Eltern bei der Brutaufzucht, sondern auch ihren verpaarten Schwestern. Und beim wilden Truthahn schließen sich kleinere Brüder ihrem großen Bruder als „Balzgehilfen“ an.

Kleine Höhlenbrüter wie die Meisen leiden unter großem Brutplatzmangel, deswegen hängen die Vogelfreunde besonders viele Nistkästen für sie auf. Darin sammelt sich jedoch laut Reichholf schnell eine Menge Parasiten, wie Vogelflöhe z.B., an, so „dass sie als Nistplatz für mehrere Jahre gemieden werden müssen. Wohl nicht zuletzt aus diesem Grund zimmern sich Spechte ihre Bruthöhlen selbst – und immer wieder aufs Neue.“ Dem hält Maria Leena Räihälä, die bisher rund 200 ihrer „Morgenvogel-Nistkästen“ allein in Berlin aufgehängt hat, entgegen: „So etwas kenne ich nicht, ich putze viele Vogelhäuser selber und manche hatten schon mehrere Jahre gehangen ohne Reinigung, trotzdem gab es da viele Schichten von Nestern. Auch von Freunden habe ich gehört, wie die Meisen mehrmals im Jahr kommen, obwohl ihre Häuser nicht jährlich gesäubert werden. Es ist sowieso eine schwierige Entscheidung mit dem Nest putzen, z.B. im Herbst – da lass ich ganz wenig von der obersten Nestschicht in den Häuschen, so dass es die Vögel gemütlicher haben.“

Neben den Meisen haben auch die in Brutröhren an Steilufern nistenden Eisvögel, Uferschwalben und Bienenfresser einen „katastrophalen Nistplatzmangel“, weil man laut Josef Reichholf die meisten Fließgewässer inzwischen begradigt und die Uferabbrüche gesichert und abgeschrägt hat.

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Himmel am Meer.

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Eine ähnliche Wohnungsnot herrscht unter den Stockenten in der Stadt, die nicht selten mangels geeigneter Nistplätze in Balkonkästen von Hochhäusern brüten: Die Jungen müssen nach dem Schlüpfen von dort runterspringen und dann muß ihre Mutter unten mit ihnen über z.T. vielbefahrene Straßen zum nächsten Gewässer gelangen. Alljährlich gelangen Bilder ihrer Wanderung in die Tagespresse. Auf vielen städtischen Seen bietet man ihnen zum Brüten sogenannte „schwimmende Entenhäuschen“ – in den unterschiedlichsten Ausführungen und Preisklassen. Meistens werden sie von den Parkverwaltungen angeschafft. Sie heißen nicht nur „Enten-Häuschen“ sondern ähneln oft auch Einfamilienhäusern mit Spitzdach, manchmal sogar noch mit Fenstern. In Ostdeutschland hat man nach der Wende auf vielen städtischen Seen Entenhäuschen verankert, die von Arbeitslosen auf ABM-Basis hergestellt wurden. Dies geschah auch in Bremerhaven, der westdeutschen Stadt mit der höchsten Arbeitslosigkeit, dort gab der Bird-Watcher Burkhard Scherer jedoch zu bedenken, dass dabei noch allzu oft die linke Hand nicht wisse, was die rechte tue. So hätten die entenfreundlichen Maßnahmen dazu geführt, dass diese Vögel sich schnell vermehrten. Man erwog deswegen den Abbau der Entenhäuschen, mindestens den Rückbau der Entenrutschen für die Küken, der Arbeitssenator schlug das Einsammeln ihrer Eier vor – ebenfalls auf ABM-Basis. Schließlich konnte sich aber die zuständige feministische Abteilungsleiterin im Umweltsenat durchsetzen: Die allein erziehende Mutter hatte beobachtet, dass die Erpel sich überhaupt nicht um die Aufzucht der Küken kümmern und noch dazu den armen Entenmüttern auflauern – um sie zu mehreren zu vergewaltigen, was nicht selten mit dem Tod der Küken einhergeht. Flugs verfügte sie, nahezu die gesamte Erpelpopulation einzufangen – und zu töten. So geschah es dann auch.

Populationen kommen und gehen. Die Haubenlerche kam einst vom Balkan – und breitete sich, dem Straßen- und Schienenbau folgend, immer weiter nach Norden aus. Über die damals neu gebaute Bremer Chaussee erreichte sie 1824 Oldenburg. In Zürich nisteten die Haubenlerchen auf Bahngelände. Von den Eisenbahnern verehrt und geschützt, wichen sie bald den Menschen nicht mehr aus, vorausgesetzt sie trugen eine Eisenbahneruniform. Heute gibt es sie in Zürich dennoch kaum noch.

Auch um die Kulturfolger Schwalben wird gebangt. Den Mehlschwalben bietet man gerne Nisthilfen in Form von kleinen Brettern an, damit ihr aus Lehm und Speichel gemörteltes Nest unter vorspringenden Dächern nicht von der Wand fällt. Besser sind jedoch laut Josef Reichholf „nach Mehlschwalbenart geformte Kunstnester“, die es aus Holzbeton mit hellem Farbanstrich als einfaches Nest und als Doppelnest im Handel gibt.

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Himmel auf der Suche nach Überresten der Antike.

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Stützende Unterlagen sind auch für die Nester der Rauchschwalben nützlich, die am Liebsten innerhalb von Räumen (Ställen z.B.) nisten, wobei ihnen ein kleines offenes Fenster zum Rein- und Rausfliegen reicht. Auch für sie gibt es Kunstnester – sie sind offener als die für Mehlschwalben. Die Schwalben werden in der Stadt langsam von den Mauerseglern verdrängt. Anfang des 19. Jhds. traten sie noch gemeinsam in Erscheinung. Der Zürcher Stadtbiologe Stefan Ineichen erklärt sich die Veränderung ihrer Populationen damit, dass „die Segler großstädtischer, moderner als Schwalben sind.“ Ihre Brutplätze sind meist in Gebäudeöffnungen oder Dachdrempeln, ihr Nest kleben sie mit aus der Luft gesammelten Halmen, Federn u.ä. zusammen. „Außerhalb der Brutzeit halten sie sich über mehrere Monate höchstwahrscheinlich ohne Unterbrechung in der Luft auf,“ heißt es auf Wikipedia. Sie paaren sich auch in der Luft.

Maria-Leena Räihäläs „Morgenvogel-Häuser“ werden meist von Meisen besetzt, sagt sie. Ihren Standard-Nistkasten stellt sie in Serie her (mit Hilfe der „Kufa Holzwerkstatt“) und ist eine Mischung von finnischem Vogelhaus-Design mit strengen NABU-Normen. Es ist in seinen Abmessungen für Meisen, Spatzen, Kleiber und Trauerschnäpper gedacht: 28 cm hoch, 15 cm breit, 15 cm tief, mit einem Flugloch von 3,5 cm Durchmesser. Alle vier Wände und der Boden sind aus Massivholz, dazu hat es ein dickes überstehendes Flachdach.

Vogelliebhaber können das „MV-Haus“ für 35 Euro kaufen und es an Bäume oder
an ihre Hauswände, Fenster und Balkone hängen. In Berlin gibt es auch
einen Hängeservice für Leute, die es nicht selber schaffen ein Vogelhaus
aufzuhängen; und die werden dann auch oft (freiwillig) von „Morgenvogel Real Estate“ gepflegt. Immer
 mal wieder hängt die Künstlerin zusammen mit dem Kulturwissenschaftler Manuel Bonik auch an
 Straßen- oder Parkbäume eines ihrer „MV-Häuser“ auf. Gleich mehrere befinden sich z.B. an den
 Bäumen um die Zionskirche herum, in der die beiden 2012 einen Kongreß über Vögel veranstalteten. 
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Himmel steigt vom Bus auf ein Kamel um.

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Dort sah ich bisher vor allem Spatzen, die sich für diese Nistkästen interessierten. Umgekehrt wurde eine von mir auf einem Kreuzberger Dachgarten aufgehängte „Spatzen-WG“ bisher nur von Meisenpaaren angenommen. Berlin hat im Gegensatz zu etlichen anderen Großstädten noch viele Spatzen, aber mit den ganzen Fassadenrenovierungen seit 1990 haben sich auch für sie die Nistmöglichkeiten erheblich verringert. (1) Seltsamerweise gilt das nicht für Mauersegler. Der Naturschutzbund legt nahe, dass diese sich von den Spatzen Nistplätze „erobern“. Auf einer NABU-Internetseite heißt es: „Im Spätsommer kann man überall in der Stadt Gebäudespalten und -nischen anfliegende Mauersegler beobachten, die sich bereits einen Brutplatz fürs kommende Jahr suchen, denn dann muss ja alles wieder ganz schnell gehen. Sie gehören zu den letzten Zugvogelarten, die in Berlin eintreffen, und sie verlassen uns als erste.“

Erwähnt seien hier auch noch die Salangane – indonesische Verwandte des Mauerseglers: „Sie verwenden Speichel als alleinigen Baustoff“ für ihre Nester, die sie in großer Höhe an die Felswände von Höhlen „kleben“. Ihre Nester werden von den Einheimischen bewirtschaftet, weil sie weltweit als Delikatesse gelten, schreibt Matthias Freude, der auch gleich eine kurze Geschichte des Nestbaus mitliefert:

Am Anfang gab es nur „einfache Muldennester. Viele Strandvögel, Wüsten- und Steppenbewohner bauen auch heute noch solche Nester.“ Ihre Jungen sind Nestflüchter. Diese Nestbauweise gilt auch für Enten, Schwäne und Gänse. Die Jungen der Singvögel sind dagegen Nesthocker, „die wochenlang im Nest bleiben und von den Eltern versorgt werden. Sie brauchen eine warme und geschützte Kinderstube, sonst könnten sie nicht überleben.“ Unter den Baumbrütern gibt es viele Arten, die „kunstvoll geflochtene, geknüpfte und sogar gewebte“ Nester bauen, andere – wie Krähen, Adler, Störche, Reiher und Kormorane – bauen „sperrige Nester aus Ästen, Knüppel und Zweigen“. Für kleinere Vögel sind sie nicht geeignet, da die Wärmeverluste darin zu hoch sind. Für ihre meist „napfförmigen Nester“ verwenden diese „ Halme, Pflanzenfasern und Würzelchen. Einige Arten, wie Buchfink, Stieglitz und Goldhähnchen verwenden daneben noch Spinnenseide und Moos. Daraus fertigen sie eine besonders dichte, filzartige Nestwand.“

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Himmels Ferien am Mittelmeer.

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Meistens bauen die Weibchen die Nester. Das fast kugelförmige Nest der Schwanzmeise steht auf Bäumen nahe am Stamm; bei Zaunkönig und Laubsängern dagegen in Bodennähe. Bei der Beutelmeise fängt das Männchen an zu bauen, aber wenn der Rohbau einem Weibchen gefällt, dann vollendet sie das Nest und polstert es aus. Und damit sind sie ein Paar. Das filzige Gewebe ist so haltbar und warm, dass die Nestbeutel früher in Osteuropa von Kindern gesammelt und als Pantoffeln getragen wurden.“

Bei den Singvögeln erreicht der Nestbau der Vögel seine Höhepunkte, was die kunstvollen Formen anbelangt,“ schreibt Josef Reichholf, der ebenfalls die Nester der Beutelmeise für „die kunstvollsten“ hält. Andere Ornithologen sagen das über die Nester der Webervögel.

Auch bei den afrikanischen Webervögeln fangen die Männchen mit dem Bau an, wobei die Weibchen sehr kritisch zusehen und nicht nur das, sie prüfen auch die Konstruktion im Hinblick auf ihre Stabilität. Wenn sie sie für gut genug befinden, bauen sie das Nest zu Ende. Junge Webervogel-Männchen müssen angeblich noch einige Jahre üben, so wie die jungen Nachtigallmännchen das Singen.

Wir hatten zu Hause, im Atelier meiner Eltern, ein Dutzend Webervögel, „Silberschnäbel“, herumfliegen. Ihre Nester, aus Kokosfasern, mit waagerechtem Einflugloch, hatten wir im Zoogeschäft gekauft. Als ein Spatz dazu kam und sich sofort mit ihnen verstand, schlief er nachts auf diesen rundum geschlossenen Nestern. Um in das kleine Einflugloch schlüpfen zu können, war er zu groß. Außerdem war es eng darin. Manchmal gesellten sich einige Webervögel zu ihm und schliefen nachts ebenfalls auf den Nestern.

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Himmels Tante spielt für sie in einem Gletscherrestaurant auf.

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Reichholf findet insbesondere die „Gemeinschaftsnester der Siedelweber ganz außergewöhnlich: Sie nehmen mitunter eine ganze Baumkrone ein.“ Aber auch die Nester anderer Webervögel sind oft so gebaut und freischwingend aufgehängt, mit dem Einflugsloch nach unten, „dass selbst die geschicktesten Schlangen beim Versuch scheitern, zu den Nesteingängen hinabzukriechen.“ In Südamerika bauen auch einige kleine Papageienarten „große Gemeinschaftsnester“.

Die Nestbaukunst der hiesigen Singvogelarten hat jedoch ebenfalls „viel Interessantes zu bieten“. So baut z.B. der Pirol eine „dünne Nestwiege“, sie ist wie eine kleine Hängematte zwischen Astgabeln eingeflochten. Und der Teichrohrsänger befestigt sein Napfnest „zwischen Schilfhalmen wie Körbchen mit seitlichen Henkeln.“

Die in der Antarktis lebenden Kaiserpinguine haben ein körpereigenes Nest, ähnlich dem der Beuteltiere – nur umgedreht: Das Weibchen legt dem Männchen ein Ei auf die Füße und er stülpt eine Bauchfalte darüber. Das Ausbrüten und Aufziehen dauert für beide Elternteile 251 Tage. Sie haben 15 Tage im Jahr Zeit, um sich von dieser Anstrengung zu erholen. Ihre Fürsorgebedürfnis ist so stark, dass wenn ihr Kind verloren geht, sie mit anderen darum kämpfen, um eins zu adoptieren. Die Jungtiere müssen sich regelrecht in Sicherheit bringen – vor diesen kinderlos gewordenen Eltern.

Beim Zwergbinsenhuhn, das an den Gewässern Mittel- und Südamerikas lebt, hat sich ein „fliegendes Vogelnest“ bewährt: „Das Männchen hat unter den ‘Achseln’ zwei tragetaschenähnliche Höhlungen, in das die Mutter ihre Jungen gleich nach dem Schlüpfen steckt, der Vater füttert sie dort – bis sie flügge sind,“ schreibt Vitus B. Dröscher. Bei Gefahr aus dem Wasser rettet der Vater sie, indem er sich in die Luft erhebt, bei Gefahr aus der Luft taucht er mit ihnen unter Wasser.

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Himmel nach ihrer Nasenverschönerungsoperation mit ihrem Onkel.

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Bei den Stadttauben trägt das Männchen das Nistmaterial zusammen, es besteht zumeist laut Wikipedia aus einer dünnen Schicht Zweigen, Wurzeln, Halmen, Federn, Papier- und Kunststofffetzen. Oft werden die Eier auch ohne Unterlage auf den nackten Boden des Brutplatzes, eine Mauernische z.B., gelegt. Neubauten haben so etwas jedoch nicht mehr. Findet ein Pärchen dennoch eine Nische, brütet das Weibchen dort bis zu vier Mal im Jahr jeweils zwei Eier aus. Die Jungen werden von beiden Elternteilen mit „Kropfmilch“ ernährt.

Ähnlich ist es bei den Flamingos, deren Kropfmilch jedoch rote Blutkörperchen enthält: „Herzblut als Nahrung für die Kinder,“ nennt Vitus B.Dröscher das. Flamingos brüten in Kolonien, zum Nestbau schieben sie mit ihrem Schnabel Schlamm zu einem stumpfen Kegel zusammen, auf den sie dann ein Ei legen.

Josef Reichholf erwähnt zwei Extreme beim Nestbau- und Brutverhalten: Zum Einen das australisch-papuanische Großfußhuhn, das einen riesigen Haufen Erdmaterial und Pflanzenreste zusammenscharrt, in das es die Eier reinlegt, die dann durch die Gärungswärme „bebrütet“ werden. Die Temperatur reguliert es durch Hinzu- oder Wegscharren. Das Großfußhuhn hat einen temperaturempfindlichen Bereich im Schnabel, er wird deswegen auch Thermometerhuhn genannt. Vitus B.Dröscher ergänzt: Das „Nest“ des nur rebhuhngroßen Weibchens erreicht einen Basisdurchmesser von 12 Metern und eine Höhe von 5 Metern. „Es sind die gewaltigsten Bauwerke überhaupt, die Vögel in aller Welt auftürmen können. Und dafür müssen sie unvorstellbar viel schuften.“ Mit Glück finden sie aber auch einen Geysir in vulkanischer Landschaft. Dahin kommen dann einige tausend Großfußhühner. Sie graben Höhlen, in die sie verschwinden und treiben dann einen Stollen so tief, bis ihr „’Thermometer’ exakt 33 Grad registriert, also die erwünschte Bruttemperatur. Dann legen sie schnell ein Ei dort hin und „verschwinden wieder im Dschungel“.

Das Gegenteil an Aufwand treibt die auf tropischen Inseln brütende Feenseeschwalbe. Sie baut kein Nest, sondern legt einfach ein Ei in eine Astgabel, das sie dann dort ausbrütet. „Das aus dem Ei schlüpfende Junge bleibt fest an Ort und Stelle sitzen.“

Eine südamerikanische Papageienart brütet in Baumhöhlen, wenn das Weibchen sich auf die Eier setzt, mauert das Männchen den Eingang zu – und läßt nur einen kleinen Spalt offen, durch den er sie während des Brütens füttert. Bei den indonesischen Nashornvögeln ist es dagegen laut Annie Francé-Harrar das Weibchen, das sich eine Baumhöhle baut, die sie mit feinen Holzspänen und trockenem Moos auspolstert und dann während des Brütens das Einflugloch mit ihren „dicken klebrigen Kotballen allmählich zumauert“. Das Loch bleibt gerade groß genug, damit das Männchen es füttern kann. Nach dem Schlüpfen der maximal drei Jungen muß er die „geschwächte Brüterin“ befreien, indem er mit „stürmischen Schnabelhieben die kalkige, steinharte Vorderwand der Nisthöhle zerbricht.“

Zu den Baumhöhlen sei noch erwähnt, dass sie oft nicht einfach nur aus einem waagerechten Eingang und einem senkrechten Loch bestehen, der Höhleneingang macht noch einen Bogen und die Röhre ist am Boden verdickt.

Eine andere südamerikanische Papageienart, die ebenfalls in Baumhöhlen brütet, legt diese so tief an, dass es unten bei den Jungen völlig dunkel ist. Um ihre geöffneten Schnäbel zum Füttern zu finden, haben diese einen im Dunkeln leuchtenden Schnabelrand, der sich erst zurückbildet, wenn sie flügge sind.

Ähnlich ist es bei den afrikanischen Prachtfinken: Sie bauen ein am Baum hängendes Kugelnest, das nur durch ein an der Seite befindlichen Einflugloch zu erreichen ist,“ schreibt Vitus B.Dröscher. Damit die Eltern sie im Dunkeln des Nestes füttern können, „besitzen die Jungen leuchtend farbige ‘Rückstrahler’ am Schnabelrand und grellbunte ‘Zielscheiben’ im Rachen…Keine der 125 Prachtfinkenarten tragen als Nestlinge das gleiche Rachenmuster. Ein falscher Farbtupfer mit dem Pinsel genügt, und das Küken erhält von seinen Eltern keinen Happen mehr.“

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Himmels Platz an der Sonne.

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Man kann diese Aufzählung nicht beenden, ohne die australisch-papuanischen Laubenvögel zu erwähnen, die sich etwas ganz besonderes ausgedacht haben, „was sonst nur der Mensch vermag,“ wie Herbert Wendt schreibt: Bei ihnen baut das Männchen eine nach vorne und hinten offene Laube mit rundem Dach. Dann wird ein Stöckchen zu einem Pinsel umgearbeitet, mit dem sie den blauen Saft einer zerquetschten Beere im Innenraum verstreichen. Anschließend legen sie um die Laube herum so etwas wie ein großes Mosaik an – bestehend aus „Schneckenschalen, Käferflügeln, Papageienfedern, Blättern, bunten Samenkörnern und Blüten, die sie austauschen, wenn sie verwelken; in neuerer Zeit verwenden sie daneben auch Glasscherben, Papierschnitzel und andere Hinterlassenschaften der menschlichen Zivilisation“ für ihr Kunstwerk, bei dem die blauen Laubenvögel-Männchen die Farbe blau bevorzugen. Ständig sind sie am verbessern und ergänzen, gelegentlich werden ihnen, während sie auf der Suche nach neuen Gegenständen sind, auch Teile daraus von anderen Männchen geklaut. „Jede der 19 Arten hat einen anderen Geschmack.“ Bei allen geht es darum, mindestens ein Weibchen in die Laube zu locken, um sich dort mit ihr zu verpaaren, anschließend fliegt das Weibchen weg und baut sich mehr oder weniger lieblos ein halbschaliges Nest, während das Männchen weiter an seinem Mosaik arbeitet.

Dieses Kunstwerk gibt den Befürwortern einer Trennung von Natur und Kultur schon lange zu denken.

Schließlich seien noch die Krähen erwähnt, die sich ebenfalls etwas Besonderes einfallen ließen. Ursprünglich stammen die Krähenvögel aus der Inselwelt Neuguineas, ebenso wie die mit ihnen verwandten Paradiesvögel und Laubenvögel. Die beiden Letzteren leben dort immer noch, sind aber vom Aussterben bedroht. Währenddessen haben sich die Krähen nahezu über die ganze Erde verbreitet – und ziehen inzwischen massenhaft vom Land in die Städte. Das alles gelang ihnen, schreibt Josef Reichholf, weil diese schwarzen Vögel – im Gegensatz zu den bunten – sich irgendwann den “Fortschritt” auf ihre Fahnen schrieben.

Die männlichen Paradiesvögel schaffen es mit ihrer Schönheit, die Weibchen zu beeindrucken, und den Laubenvögel gelingt es, sie mit farbigen Ornamenten in ihre eigens für sie gebaute Laube zu locken, wo sie sich blitzschnell mit ihnen verpaaren. Danach verdrücken sich die einen wie die anderen Männchen. Den Nestbau überlassen sie den Weibchen. Nicht so bei den Krähenvögeln. Sie können ebenso wenig wie die anderen beiden Arten klangvoll singen, sind aber weder künstlerisch begabt, noch können sie die Weibchen mit ihrer Schönheit beeindrucken, denn sie sehen diesen zum Verwechseln ähnlich.

Was also tun? Die Krähen beteiligen sich einfach am Nestbau, verteidigen es und ernähren die brütenden Weibchen, danach ziehen sie mit ihnen gemeinsam die Jungen groß. Diese “Idee” war einst “superfortschrittlich”, wie Josef Reichholf meint.

Die Menschen taten es ihnen später quasi nach. Die Krähen sind unterdessen aber schon wieder weiter: In München zum Beispiel lebt bereits die Hälfte aller Weibchen mit zwei Männchen zusammen. Da immer nur einer jeweils auf dem Nest sitzt, zieht diese neue Lebensweise keine Veränderungen beim Nestbau nach sich. Für die Krähen wie ebenso für viele andere Vögel gilt im übrigen, dass das Nest nur für die Aufzucht von Jungen benutzt wird, also nur einige Wochen im Jahr, und oft auch nur einmal, d.h. jedes Jahr wird das alte Nest, oft schon ab Herbst instandgesetzt oder ein neues Nest gebaut bzw. ein fremdes instandbesetzt.

Bei vielen Vögeln muß der Bräutigam Grundeigentum vorweisen können. Das ist vor allem bei in Höhlen brütenden Vögeln der Fall,“ schreibt Vitus B. Dröscher, folgt man ihm, gilt das z.B. für Spechte, aber auch für Spatzen. Andere, wie die Männchen bei den australischen Brillenpelikanen, bieten dem Weibchen „Nestbaumaterial“ (einen Mangrovenzweig z.B.) an, bei den südafrikanischen Kaptölpeln ist es „eine bunte Feder zum Ausschmücken des Heimes,“ die sie bei der „Brutablösung“ mitbringen, und bei den flugunfähigen Kormoranen auf den Galapagosinseln ist es ein Tangbüschel, ein Seeigel oder eine Muschelschale. Nur mit einem solchen „Geschenk“ darf er zum Nest zurückkommen, „sonst wird er davongejagt.“ Auch vom Männchen des australischen Dornastrilds erwartet das Weibchen, dass er das Nest „mit fremden Federn und bunten Beeren schmückt“.

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Himmel über der Krim.

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Anmerkung:

(1) 2002 erklärte der Naturschutzbund (NABU) den gefährdeten Haussperling bereits zum “Vogel des Jahres”. Der NABU hieß anfänglich Bund für Vogelschutz und dann – gleichgeschaltet – Reichsbund für Vogelschutz (RfV). Im Zusammenhang der Autarkiebestrebungen des Reiches rief der RfV schon 1936 dazu auf, mehr Vogelfutter aus einheimischen Rohstoffen zu verwenden, um die diesbezügliche Abhängigkeit vom Ausland zu verringern. Ab 1937 fanden Obstkern-Sammelaktionen in den Schulen statt. Außerdem sollte selektiv gefüttert werden, d.h.: Die unnützen Spatzen sollten nichts abbekommen.

Schon 1912 hatte der Bund für Vogelschutz die Rechte an speziellen Futterhäuschen erworben, die “Antispatz”, “Kontraspatz” und “Spatznit” hießen. Mit Kriegsbeginn stellte man auch den Vogelschutz unter Kriegsbewirtschaftung: Spatzen wurden fortan aktiv bekämpft, und Spatzenfallen exklusiv über den Reichsbund vertrieben.

Für die Winterfütterung mußten die Ortsgruppen im Frühjahr den voraussichtlichen Bedarf an Hanfsamen und Sonnenblumenkernen melden, die RfV-Zentrale meldete die Gesamtmenge dann an staatliche Stellen und wurde im Herbst entsprechend beliefert. Von Giengen beziehungsweise Stuttgart aus wurden dann die Gruppen beliefert, teils wurde das Winterfutter über die Ortsstellen der Volkswohlfahrt und des Winterhilfswerks verteilt – gegen Vorlage des RfV-Ausweises. Dieses Verfahren wurde bis in den letzten Kriegswinter hinein durchgehalten. Noch im Jahre 1944 wurden je 5000 Futterhäuschen und Nistkästen durch die Geschäftsstelle Giengen abgegeben. Selbst im Februar 1945, als die Infrastruktur des Reiches weitgehend zerstört war und die Bahnkapazitäten eigentlich für Truppentransporte in Beschlag genommen wurden, verschickte der RfV Hanfsamen per Bahnfracht an seine Gruppen im noch unbesetzten Restreich. Auch an der Front und in der Etappe war der Vogelschutz eine willkommene Ablenkung von den Gräueln des Krieges. Für die deutschen Soldaten in Norwegen z.B. wurden im Auftrag des Oberkommandos der Kriegsmarine in einer Auflage von 200.000 Stück Anleitungen zum Bau von Nistkästen und ein Blatt über Futtergeräte produziert. Zahlreiche Wehrmachtsangehörige schickten Fotos von der Winterfütterung vor ihren Bunkern oder Nistkästen am Westwall nach Giengen. Trotz aller Vogelleidenschaft waren aber auch sie dem Spatz nicht sonderlich wohlgesonnen.

Das hat sich jedoch geändert: Inzwischen gibt es mehrere Anbieter von sogenannten „Spatzen-WGs“, in denen 2-4 Nester angelegt werden können. Nistkästen gibt es ansonsten in allen möglichen Formen, Materialien und Farben – bis hin zu ausgeweideten Kuckucksuhren an den Bäumen. Für exotische Vögel gibt es Indoor-Nester, die man in den Käfig oder die Voliere hängt. In einem Geschenkeladen in Pankow sah ich im Schaufenster richtige kleine Häuschen mit Türen, Fenster und allem – als Nistkästen. Sie waren nicht billig. Ich fand, dass man dabei das menschliche Alleinstellungsmerkmal „Entwerfen und Gestalten von Bauwerken“ überstrapaziert hat. Im Tierpark Friedrichsfelde gibt es eine ganze Allee mit unterschiedlichen Nistkästen. Und neuerdings sieht man immer öfter „Insektenhotels“ in Parkanlagen und Privatgärten. Sie sind als „Nisthilfen für Wildbienen, Hummeln Schmetterlinge etc.“ gedacht. Dahinter steht der richtige, obwohl für Städter schwer zu akzeptierende Gedanke: Ohne Insekten keine Vögel – bis auf die Stadttauben, die ihre Jungen wie erwähnt mit selbstproduzierter „Kropfmilch“ ernähren.

Literatur:

Josef H. Reichholf: „Ornis – Das Leben der Vögel“, München 2014

Josef H. Reichholf: „Rabenschwarze Intelligenz: Was wir von Krähen lernen können, München 2011

Vitus B. Dröscher: „Nestwärme – Wie Tiere Familienprobleme lösen“, München 1984

Vitus B. Dröscher: „Tierisch erfolgreich. Überlebensstrategien im Tierreich“, München 1994

Nikolaas Tinbergen: „Tiere untereinander – Formen sozialen Verhaltens“, Berlin und Hamburg 1975

Herbert Wendt: „Das Liebesleben in der Tierwelt“, Hamburg 1962

Matthias Freude: „Bauten der Tiere“, Berlin 1984

Amotz Zahavi: „Arabian babblers: The quest for social status in a cooperative breeder“, auf Deutsch im Reader „Hyperorganismen“ des Themenparks der Expo 2000, Hannover 2000.

Annie Francé-Harrar: „Ich das Tier lebe so“, Graz 1966

Nicht berücksichtigt wurde das Buch „Vogeleier und Vogelnester“ von Jan Hanzak, mit Aquarellen von Premysl Pospisil und Miroslaw Rada sowie mit Randzeichnungen von Antonin Pospisil, das 1972 im Prager Verlag „Artia“ auf Deutsch erschien. Dort heißt es z.B. über Haubentaucher: „Es kommt vor, dass sich das Haubentaucherpaar sein Nest frei auf der Wasserfläche inmitten treibender Wasserpflanzen baut.“ Über Stockenten: „Die auf dem Boden liegenden Nester bestehen aus trockenen Pflanzenteilen und haben eine schön geformte Mulde.“ Über Teichrallen: „Das Rallenpärchen baut gewöhnlich mehrere Nester, benutzt schließlich aber nur eines zur Aufzucht der Jungen.“ Über Dreizehenmöven: „Ihre Nester auf unzugänglichen Felsvorsprüngen sind sehr fest, denn ihr Rand ist mit Kot oder Lehm ausgesteift. Sie können in schmalen Felsspalten bis zu 1 Meter hoch werden.“ Über Ziegenmelker: „Vom ordentlichen Nisten können wir beim Ziegenmelker nicht sprechen. Das Weibchen legt seine Eier ohne irgendeine Vorbereitung auf die nackte Erde.“ Über Saatkrähen: „Das Nest der Saatkrähe ist im Unterschied zu dem der Rabenkrähe nicht so fest, es ist jedoch größer.“ Ob das für die ganze Art gilt? Gleiches läßt sich auch bei vielen Beschreibungen von Nestern anderer Arten fragen. Nicht zuletzt gibt es z.B. auch Mentalitätsunterschiede. So bessert das Nebelkrähenpaar, das vor meinem Haus in Kreuzberg auf einer hohen Linde brütet, sein Nest ab dem Herbst nach einigen Tagen mit heftigen Windböen jedesmal wieder aus, während ein Nebelkrähenpaar, das in einer Linde vor dem Haus meiner Freundin in Pankow sein Nest hat, dies nicht tut.

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Im Buch der Kölner Ameisenbärforscherin Lydia Möcklinghoff („Ich glaub, mein Puma pfeift“ – 2015) fand ich den Hinweis, dass bei den Nandus das Männchen eine schmucklose Kuhle baut und dann gleich mehrere von ihm befruchtete Weibchen dazu bringt, dort ein Ei reinzulegen. Ab ungefähr 12 fängt er an zu brüten und zieht sie nach dem Schlüpfen dann auch groß.

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In dem Sammelband „Environment, Ecocriticism and Literature“ (1998) findet sich ein Aufsatz der Literaturwissenschaftlerin SueEllen Campbell mit dem Titel „Elster“. Darin schreibt sie laut Catrin Gersdorf (im “kulturwissenschaftlichen Handbuch ‘Tiere’“ 2016): „ihre Nester sind komplexe architektonische Gebildet: ‘messy but strong’.“ Über Campbell heißt es in ihrem Handbuch-Eintrag “Tiere und Umwelt”: “Für Campbell ist das Tier nicht nur Objekt der vom Menschen ausgelösten Umweltkrise, sondern ein Lebewesen, das durch die Interaktion mit seiner Umwelt zum handelnden Subjekt und damit, wie die Elster, zum Vorbild kritischen Handelns wird.” Das ist es, was man neuerdings – auch unter deutschen Sozial-,Kultur- und Geisteswissenschaftlern – als “Animal Turn” bezeichnet.

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Der obige Text über den Nestbau wurde zuerst veröffentlicht in dem Künstlerbuch „Morgenvogel Real Estate von Maria-Leena Räihälä und Manuel Bonik, Verlag gegenstalt 2014.

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P.S.: Weil die taz sich ein neues Haus baut, vorwiegend aus vogelgefährdendem Glas, brachte die Vogelschützerin Claudia Wegworth der Geschäftsführung eine Broschüre „Vogelsfreundliches Bauen mit Glas und Licht“ der Schweizerischen Vogelwarte Sempach vorbei.

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P.P.S.: Auf „dekoratives-und-mehr.de“ wird für 175 Euro eine Bronzestatue von einem Jungen als Nestdieb angeboten. Früher haben die Jungs gerne Vogelnester geplündert. In vielen Museen gibt es Nestsammlungen. Aus Vogelschutzgründen hat man davon inzwischen Abstand genommen.Ebenso wie der taxonomische Wahn nachgelassen hat, der mindestens zehn Lebewesen vernutzte, um ein “Typusexemplar” zu bekommen und die Art zu benennen. Wenn ein Biologe sie nach sich benennt, gilt das unter Taxonomen als ganz schlechter Stil, wie ich dem Buch “Die Kunst der Benennung” des Kenners der Taxonomie-Scene Michael Ohl vom Berliner Naturkundemuseum entnehme.

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P.P.P.S.: Die Röm-kath Pfarre Neunkirchen betreibt ein „Vogelnest“: Ihr „Vogelnest ist ein Angebot der Pfarre für Familien mit Kleinkindern, und es findet einmal in der Woche statt.“ Im Tuxer Skigebiet gibt es ein Restaurant namens „Vogelnest“.

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Vogelnester in Felswand.

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