vonImma Luise Harms 20.11.2006

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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1. Schweine füttern

Thomas ist mit H. auf der Treibjagd, Eindrücke für eine Reportage sammeln. Ich füttere seine Schweine. Drei kleine Blecheimer mit geschrotetem ökologischem Tortillamais aus New Mexico, den wir geerbt haben, aber das ist eine andere Geschichte.

Die drei Wollschweine stehen  schon Schnauz’ an Schnauz’, als ich auf den Acker komme. Früher hatten sie Namen, die alle mit W wie „Wollschein“ anfingen. Mit der Zeit haben sich die Bezeichnungen „die Dicke“, „die Kleine“ und „die Gemeine“ durchgesetzt. Denn die Schweine haben eine strenge Hierarchie. Die Schwierigkeit ist, die Eimer so zu verteilen, dass alle an ihr Fressen kommen. Ich schrei, renne am Zaun entlang, mache plötzlich kehrt, setze ganz schnell einen Eimer ab, täusche kurz an und renne dann weiter zur nächsten Ecke. Der zweite Eimer landet halb im Schlamm. Die Dicke, die sich schon über den ersten Eimer hergemacht hatte, findet jetzt den zweiten interessanter. Die Kleine nutzt die Gelegenheit, an den ersten Eimer zu kommen. Aber die Gemeine hat aufgepasst und beißt sie weg. Die Kleine irrt weiter Eimerlos übers Gelände. Ich setze den letzten Eimer hinter dem Schweinekoben ab. Die Kleine ist schlau und findet ihn dort. Hektisches Mampfen, getrieben von der Hoffnung, der anderen doch noch was abjagen zu können. Die Schweine sollten längst geschlachtet sein. Aber mit ihrer berechnenden Schlauheit haben sie ihr Leben verlängert, erst eine nach der anderen Rotlauf gekriegt und dann pünktlich zum Schlachttermin rauschig geworden. Jetzt fressen sie noch drei Wochen weiter. Die leeren Eimer angle ich mit der Kartoffelhacke hoch und verabschiede mich.

 

2. Nach Strausberg

Zwanzig vor Zwölf. Wenn ich mich beeile, schaffe ich es noch, das Paket in Strausberg auf die Post zu bringen. Die Allee nach Herzhorn ist kaum noch eine. In der letzten Woche sind wieder etliche Robinien gefällt worden. Angeblich krank, die Bäume, aber nicht wirklich hinfällig, nur aus Versicherungs-Sicht. Das Holz der gefällten Bäume ist schon ratzeputz weg. Das nehmen die Straßenarbeiter selbst mit.

Auf der Hauptstraße asten sie in diesem Jahr die großen Alleebäume nur aus. Die Äste liegen ordentlich aufgeschichtet im Straßengraben. Ein Schredder ist unterwegs, macht sie klein und pustet die Häcksel auf eine LKW-Ladefläche. Ich nehme das Handy aus der Tasche und spreche Thomas auf den Anrufbeantworter, dass auf der Hauptstraße Häcksel anfallen. Vielleicht kriegt er die Leute dazu, sie bei uns für die Hackschnitzelheizung abzukippen. Der Kubikmeter kostet 13 Euro, wenn wir’s kaufen müssen.

Auf der Post kann ich mich gerade noch durch die Tür klemmen. Das Paket mit dem kaputten DVD-Recorder ist auf den Weg geschickt. Ich fahre weiter zu Kaufland.

In der ländlichen Versorgungswüste gibt es riesige Einkaufsoasen, umfriedet mit ausufernden Park-Landschaften, in denen Einkaufswagen-Spender in adretten Häuschen warten. Der Mann vor mir holt seinen Euro raus, ich stecke meinen Euro rein.

Wenn man nur ein paar Sachen zu kaufen hat, fragt man sich, ob man sich die weite Wanderung durch die Regalschluchten antun soll. Aber ich will auch alkfreies Krombacher. Das gibt’s nur hier. Zitronen und Knoblauch und Sahne und Joghurt. Ich muss mich entscheiden „Zitronen im Netz“ vier Stück 59 Cent, „Schale gewachst und mit Diphenyl behandelt, nicht zum Verzehr geeignet“ oder „Zitronen unbehandelt“ ein Stück 39 Cent. Aber da steht auch dran: „Schale gewachst und mit Diphenyl behandelt, nicht zum Verkehr geeignet“ Wie denn nun? Ich spreche eine Frau mit Namensschild an. Sie sagt, sie weiß auch nicht, was das zu bedeuten hat, will Hilfe holen. Ich sage: „Lassen Sie mal, ich nehm das Netz“ und entferne mich, höre aus den Lautsprechern, wie die Nummer 523 gebeten wird, sich am Obststand einzufinden.

Brot noch. Man kann jedes Brot auch halb kaufen. Auf dem Brett liegen jede Menge halbierte Brote. Aus irgendeinem Grund kaufen die Leute gerne die Brote, die schon durchgeschnitten sind. Vielleicht, weil man das Angeschnittene immer zuerst verbrauchen soll. „Das halbe Brot“ sagt der Mann vor mir. „Welches?“ fragt die Verkäuferin. „Na das angeschnittene“. „Aber wir haben ganz verschiedene“ Sie zeigt die Schnittflächen hoch. Der Mann entscheidet sich brummelnd, als er merkt, er kann nur eine Schnittfläche vor dem Austrocknen retten. Aber ich bin ja auch noch da. „Zwei halbe Brote“ sage ich und zeige auf zwei Hälften. Das sind aber beides Hälften von derselben Sorte. Soviel Zwanghaftigkeit ist mir peinlich, ich lasse ab und entscheide mich für ein krüppeliges kleines Vollkornbrot.

 

3. Seelow

Den Neonazis reicht es nicht, in Halbe auf dem Bahnhof rumzustehen. Deshalb fahren sie nach Seelow. Da haben auch immerhin 100.000 ins Gras gebissen. Viele sind da liegen geblieben, auf die kann man jetzt gut Kränze draufwerfen. Am Ortseingang stehen Polizeiposten. Ein Bulle nähert sich meinem Auto „Wo wollen Sie denn hin?“ – „Zur Demonstration“ – „Ja, zu welcher denn?“ – „Welche gibt’s denn?“ – „NPD, Demokraten und Ultralinke“ – „Ich glaub, ich guck zu allen mal“ – „Also wenn Sie zu den Demokraten wollen, müssen Sie die zweite links fahren, wenn Sie zu den Ultralinken wollen, müssen Sie vorher beim gelben Schild abbiegen. Und wenn Sie zur NPD wollen, müssen Sie hier geradeaus fahren. Aber ich glaub, Sie wollen nicht zur NPD“.  In der Stadt mach ich’s mir ein bisschen leichter und schleuse mich und mein Auto mit dem Journalistenausweis durch. Kurz hinter der Kirche ist wieder so eine Park-Landschaft rund um eine Einkaufsoase angelegt. Da kann ich unauffällig stehen bleiben. Vom Marktplatz schallt Soundcheck herüber. Meine Demokraten, Bürger und andere Menschen, vermute ich. Ich gehe auf die Polizeikette zu. Aus den Lautsprechern tönt „Wir können gleich mit der Kundgebung beginnen, liebe Kameradinnen und Kameraden!“ – „… Kameraden?!“ Ich pralle zurück. Falsche Veranstaltung. Druck im Bauch. Aber im Abdrehen halte ich inne: immer der Angst das Gesicht zuwenden, nie den Rücken! Ich zeige meinen Journalistenausweis, den ein junger Beamter aus dem Frankenland kurz auswendig lernt. Dann bin ich zwischen den Kameraden, den Glatzen und Scheiteln, den tätowierten Stiernacken und schwarzen Bomberjacken mit den einschlägigen Erkennungsmerkmalen. Fahnen und Kränze werden bereit gehalten. Man nimmt Landserkost zu sich. Ob das Springteufelchen Gerhard S. sich wohl trauen würde, hier als Hitlers Schnurrbart aufzutreten? Das fand er doch auf dem Bloggertreffen so lustig. „Ein Lachen wird es sein, das euch beerdigt“? Ich weiß nicht so recht.

Die Kameraden müssen noch warten, weil der Nachschub durch Kontrollen aufgehalten wird. Sie werden in der Zwischenzeit mit Musik unterhalten. Irgendwas mit Edelweiß. Mir wird schlecht, ich will raus, dränge mich an der Schlange der auf die Kontrolle Wartenden vorbei. „Stalingrad – Deutschland, Katastrophenstaat..“ schallt mir von der anderen Seite entgegen. Die Antifas feiern die Tatsache, dass die Nazis nicht nach Halbe gegangen sind, als großen Sieg. Aber das war doch das Gericht und nicht die demokratischen Massen! Vielleicht sehe ich da einen Zusammenhang nicht. Die Ultralinken machen Krach, sind aber wenig und hinter zwei weiteren Polizeibarrieren ganz schön abgeklemmt. Ich wandere mit meinem Ausweis als Schlüssel durch die künstlichen Zwischenwelten und komme auf der anderen Seite bei den Demokraten raus. Hier treffe ich dann auch M. und H., fühl mich nicht mehr ganz so verloren. Alle stehen rum, auch der Amtsdirektor aus unserem Kreis, ein CDU-Mann, knall-schwarz gefärbte Haar, gleichmäßige Solariumsbräune. Im sportlichen Trenchcoat. Auch der Landrat von MOL ist da, SPD. Er kennt ja Reichenow ganz gut, aber hat mich nicht bemerkt. Viele Seelower laufen rum, gucken sich das Ganze an, drücken ihr Entsetzen in Einzelgesprächen aus. Ein Stückchen weiter gibt es Musik und Würstchenbuden.

Dieses Rumstehen nervt. Hier kommen die Nazis nicht mehr durch, werden vom Bahnhof im großen Bogen auf den Marktplatz geleitet. Von der anderen Seite kommen Aufforderungen, den Nazis wenigstens Sprechchöre und andere Geräusche nachzuschicken. Ich fange an zu klatschen. Damit auf dieser Seite überhaupt mal was passiert. M. holt seine Trillerpfeife raus. Die nebenstehenden Demokraten oder was auch immer schütteln den Kopf über so viel Renitenz und gehen weg. Jetzt hat der Landrat uns erkannt und nickt uns dezent zu.

Na ja, jetzt sind die Nazis mit ihren Kränzen unterwegs. Nichts weiter zu tun hier. Ich gehe auf Umwegen zum Parkplatz zurück. Als ich da ankomme, defiliert der Zug der Glatzen gerade vorbei. Direkt neben mir. Ich schlucke, denke kurz: „Jetzt könnt’ ich doch, jetzt müßt’ ich doch…“ Dann krabble ich in’s Auto und hau ab.

 

4. Kunersdorf

Das schöne, platte, horizont-weite Oderbruch. Das Oderbruch, obwohl ich immer wieder denke, der.  Die Sonne geht unter, der rote Ball sinkt hinter ferne Pappeln. Ich suche mir einen heruntergefallenen Apfel und finde den Weg nach Kunersdorf heraus. Hier lebte Ende des 18. Jahrhunderts Frau von Friedland, eine Emanze aus der Zeit, als die Frauen vor allem als empfindsame Seelen dienten. Hat nicht nur ihre Ländereien fest im Griff gehabt, sondern zusammen mit ihrer Tochter auch noch ein reich blühendes Kulturleben klassischer Prägung gepflegt.  Das Schloß wurde nach dem zweiten Weltkrieg dem Erdboden gleichgemacht. Aber neben der Kirche steht noch eine alte Villa. Die haben sich zwei Frauen in meinem Alter, DDR-Intelligenz aus Ostberlin, in würdigem Stil wiederhergerichtet. Sie betreiben einen Verlag und wollen an die kulturelle Tradition der Damen von Friedland anknüpfen. Also haben sie gebildete Menschen zur Einweihung ihres Salons eingeladen. Ich bin ein bisschen spät, wegen Seelow. Aber Häppchen und Kaffee sind noch nicht alle. Und eine Lesung gibt es auch noch. Ein gedimmt beleuchteter Schreibtisch vor einer edel gearbeiteten Bücherwand, die die Klassiker enthält. Oben links stehen auch die blauen und die braunen Bände, eine Geste der Loyalität, vielleicht auch ein geheimes Zeichen. Die gebildeten Damen und Herren  gruppieren sich ganz im Empire-Stil lose auf dem Parkett, auf Kanapées und verteilten Stühlen, und lauschen einem weißhaarigen Herrn, dem zuvor die Honneurs gemacht wurden. Die Honneurs gibt er in vervielfachter Form zurück und berichtet dann launig von Adalbert von Chamisso, der auch in Kunersdorf weilte und werkte. Er liest auch ein bisschen was von ihm vor. Eine Zeile habe ich mir gemerkt: „Ich hätte doch so vieles werden können auf der großen weiten Welt/ hätte nicht mein Schicksal grausam sich mir in den Weg gestellt.“ Das ist schön ausgedrückt.

 

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kommentare

  • Netter Stil. Erinnerte mich an Ryszard Kapuscinki, habe das überprüft und die Ähnlichkeit ist ganz deutlich. Hast Du also auch solches Potential? Aber vielleicht hat er seine Anerkennungen ja nicht wegen Stil sondern Inhalt bekommen.
    Tanga.

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