vonImma Luise Harms 12.02.2007

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Ich habe das Theater am Rand wieder nicht gefunden, obwohl ich sicher schon zehn mal da war. Eigentlich ist es gar nicht zu verfehlen, es liegt nämlich direkt an der Oder in Zollbrücke im Oderbruch. Aber das Oderbruch ist von Irrwurzeln durchzogen – immer wenn man denkt, jetzt hat man die Richtung zur Oder, bäumt sich die Straße wieder nach einer anderen Seite weg, ohne einem Alternativen anzubieten. Und dann die Orte; ich kann doch nicht dauernd anhalten und auf der Karte suchen. Aber ich kann mir auch nicht merken, ob es nun Neuletschin, Neutrebbin, Neulewin oder Neuküstrinchen war, wo ich abbiegen musste, ob es die Güstebieser Loose oder die Zäckericker Loose oder was für eine Loose war, die ich zu durchqueren hatte.

Es ist die Geschichte des Oderbruchs, in der ich mich verirre. Die tausend Quadratkilometer waren ursprünglich Sumpf- und Wassergebiet und wurden vor 250 Jahre trocken gelegt. Das Gebiet ist von Hunderten von Entwässerungsgräben durchzogen, die auch heute noch den Straßen ihren Verlauf diktieren und benachbarte Ortschaften auf komplizierten Zickzackwegen verbinden.

Das Theater am Rand lädt heute Abend zu einem Vortrag über die Wasserwirtschaft im Oderbruch unter dem schönen Titel „Flut und Vorflut“ im Oderbruch. Als ich endlich die entscheidende Stichstraße Richtung Deich gefunden habe, erhebt sich vor mir, dunkel abgehoben vom schneebedeckten Untergrund, ein monströser Bau aus hölzernen Bauelementen aller Art. Tobias Morgenstern und Thomas Rühmann haben 1998 in einem kleinen Fachwerkhaus nebenan mit ihrem Theater begonnen, das zunächst als Kuriosität, dann als ländlich-kultureller Leckerbissen schnell in der ganzen Region bekannt wurde. Den wachsenden Zuschauerzahlen wurde eine Freiluftbühne gebaut, die ein paar Jahre später ein Dach auf dicken Baustämmen bekam. Für den Winter wurden auch die Seiten mit Heuballen und Holzverschalungen geschlossen. Lichterketten schlängeln sich um die Kontur des Gebäudes und erinnern an die Formgebung anthroposophischer Bauten – bloß keine rechten Winkel!

Im Inneren fächern sich Sitzgestänge bis unters Dach auf. Der Vortrag von Prof. Dr. Joachim Quast vom Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg hat schon begonnen. Ich liebe Experten. Sie lehren uns die Benutzung von bewusstseinserweiternden Begriffen wie „Meliorationen in Auenlehmböden“, die ein nachhaltiges Gefühl von Informiertheit hinterlassen. Die Powerpoint-Präsentation läuft flüssig hinter ihnen ab, während sie ihre zu maßvollen Aussagen verpackten Erkenntnisse in den Raum entlassen. Prof. Quast möchte Bewusstsein in der Bevölkerung schaffen; er sagt auch, wie er sich dieses Bewusstsein wünscht: „gesunder Menschenverstand auf der Basis von Ergebnissen!“ Ich lausche mit angehaltenem Atem, noch bevor ich verstanden habe, worum es genau geht. Längs- und Querschnitte der Grundwassersituation im Oderbruch helfen mir auf die Sprünge. Ich liebe Schaubilder. Gepunktete, längs und quer schraffierte  Flächen, Kurven, die trotz aller Abweichungen ihrem Ziel zustreben. Prof. Quast beschäftigt sich seit dreißig Jahren mit dem Oderbruch. Er ist der Meinung, dass die Wasserspiegel in den Poldern angehoben werden müssen aus Gründen, die offenbar mit den Erdschichtungen zu tun haben. In die Deiche müssen Durchleiter für das Oderwasser in die alten Oderarme eingebaut werden. Das sind keine akademischen Spielchen. Das letzte Oder-Hochwasser 1997 brachte die Katastrophe in greifbare Nähe, das nächste kommt bestimmt. Und bevor das Wasser über die Deichkrone schwappt und das Land überflutet, dringt es in großer Menge unter den Deichen hindurch und drückt das Grundwasser hoch. Deshalb gibt es eine Vielzahl von Pumpstationen, Schöpfwerken, Gräben und Vorflutern.

Den Grundwasserspiegel überall unter Kontrolle zu halten ist auch wichtig, um das Absinken von Chemikalien aus den Äckern ins Grundwasser zu verhindern, meint Quast. Aha, so so! Aber war er nicht der Meinung, dass die Wasserstände in den Gräben ohnehin zu niedrig sind? Ich hab’s doch nicht wirklich verstanden.

Beeindruckt haben mich die Fotos eines elektrischen Modells vom gesamten Oderbruch. Es gibt nämlich eine verblüffend genaue Analogie zwischen Wasserkraft und elektrischer Kraft. Darum konnten die Forscher aus dem genauen Messnetz der Grundwasserstände und der dazwischen wirksamen Gefälle ein Netz aus Hunderten von elektrischen Widerständen aufbauen. Mit Potentiometern werden Wasserdrücke darauf simuliert und die Stromverläufe geben Aufschluss über das Verhalten der unterirdischen Wassermassen. Das Modelleisenbahn-große Objekt wurde 1971 gebaut, noch vor der Möglichkeit von Computersimulationen. Es ist von großer sinnlicher Überzeugungskraft. Ich frage mich, ob es diese Modellanordnung noch irgendwo gibt. Ab ins Technik-Museum!

Kenneth Anders stellt in einem zweiten Referat das Projekt des Oderbruchpavillons vor, einer vorerst nur virtuelle Einrichtung, die Aufschlüsse über das Oderbruch von allen denkbaren Seiten gibt. www.oderbruchpavillon.de, eine sehr schöne Seite. Was mir allerdings fehlt, ist eine leicht durchschaubare Straßenkarte.

 

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2007/02/12/wasser-das-sich-quer-stellt/

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kommentare

  • Die Straßen im Oderbruch sind vor allem deshalb so verwirrend, weil es kaum topografische Gründe für ihren Verlauf gibt – oft fährt man im rechten Winkel und manchmal im Kreis. Das hängt mit den alten Schlägen zusammen – eigentlich sind es alte, aneinander geknüpfte Feldwege.
    Was die Schwierigkeit anbelangt, diese wasserbaulichen Dinge zu verstehen (im Oderbruchpavillon gibt es auch einen Text dazu) – wir werden einige Wasserorte zu einer Radtour zusammenstellen und sie so erläutern, dass sich die Sache hoffentlich erschließt. Am 23. Juni findet diese Tour statt – vielleicht hast Du ja Lust, mitzukommen. Wir kümmern uns dann um die Route.
    Grüße, Kenneth

  • A.T schechow hat von einer reise nach Sachalin fotos mitgebracht,die an schiebkarren gekettete gefangene zeigen.Ist weit weck vom Oderbruch,aber zeitlich nicht so sehr.der scanner hier tut`s nicht,sonst gäbe es bilder

  • Lieber Helmut, danke für dieses ausgedehnte Ko-Referat. Interessante Details über die Oderbruch-Trockenlegung, auf die ich in mienem Ausflugs-Bericht nicht weiter eingegangen bin, verdanke ich einem befreundeten Oderbruch-Bauern: Die ansässigen Fischer haben sich nach Kräften gewehrt, als ihre Fischgründe durch die Eindeichung trocken gelegt wurden. Sie haben nachts die Aufschüttungen für den Deich angegriffen und auch sonst versucht, das große Trockenlegungswerk nach Kräften zu sabotieren. Das veranlaßte den aufgeklärten und daher praktisch denkenden Monarchen zu der Spezialstrafe: mehrere Jahre “Karren”. D.h., die Delinquenten wurden an den Karren geschmiedet, mit dem sie in den folgenden Jahren selbst den Aushub für das neue Oder-Bett wegfahren mußten.

  • Liebe Imma,

    das war wieder eine interessante Feldforschung als Tagesausflug. Wir waren zwar auch neulich in Müncheberg, haben dort aber nichts von der Existenz eines Oderbruch-Professors Quast erfahren – im Restaurant zur Sonne oder so ähnlich. Später stießen wir dafür in Neuhardenberg auf Naturhinweisschildern, die eine Quappe hervorhoben, ein aalähnlicher Fisch, der wahrscheinlich in der Lage ist, wenn sein Wassergraben, in dem er dort lebt, trockenfällt, über Land einen neuen Graben sich im Oderbruch zu suchen.Er ist fast eine regionale Besonderheit – deswegen wirbt die Region auch mit ihm.. Wenn ich richtig erinnere bestätigte dies später dann auch der Wirt eines Fischrestaurants in Neu-Hardenberg, der einen Zierfischteich im Garten besaß – und überhaupt gut über Fische bescheid wußte.

    Der von uns sehr geschätzte Neal Ascherson hat derweil in der Le Monde Diplomatique einen langen Text veröffentlicht, der ebenfalls auf einem Oderbruch-Ausflug basiert. Hier ein Auszug als Zitat:

    Die Metaphorik war von Anfang an kriegerisch. Der Schotte James Dunbar schrieb im Jahr 1780: “Lasst uns einen Krieg gegen die Elemente führen statt gegen unseresgleichen.” Friedrich II. erklärte beim Anblick trockengelegter Sumpfflächen: “Hier habe ich im Frieden eine Provinz erobert.” 1743 begann er seine große Offensive im Oderbruch, und obwohl er dabei keine Kanonen einsetzte, gehörten zu den “friedlichen” Mitteln umfängliche Zwangsmaßnahmen, Militarisierung der Arbeitskraft und ethnische Säuberungen, das heißt die Vertreibung des Volkes, das in dieser Sumpflandschaft zu beiden Seiten der Oder zu Hause war.

    Zur Zeit Friedrichs II. galten Sumpfgebiete als elende und nutzlose Landstriche, wo malariaverseuchte Dämpfe aufstiegen und nicht nur gefährliche wilde Tiere hausten, sondern auch ein primitiver Menschenschlag, der weder Recht noch Ordnung kannte.

    Heute würden wir die verlorene Welt des Oderbruchs dagegen als landschaftliches Kleinod schätzen und zu bewahren suchen. Der Fluss verzweigte sich auf seinem Weg in die Ostsee in zahllose flache Kanäle und Lagunen, die überall Sümpfe, Sandbänke und schlammige Inseln entstehen ließen. Diese Landschaft wurde zweimal im Jahr von bis zu drei Meter hohen Wassermassen überflutet, die eine üppige Strauchvegetation zurückließen. Hier lebte eine fast unvorstellbare Vielfalt von Insekten, Fischen, Vögeln und Säugetieren, darunter Wölfe und Luchse.

    Einen Einblick geben die wunderbaren Beobachtungen Theodor Fontanes, der Mitte des 19. Jahrhunderts die trockengelegten Gebiete längs der Oder bereiste und auch viele Erinnerungen aus der Zeit vor dem Landgewinnungsprojekt sammelte. Dabei berichteten ihm die Einheimischen von den vielen seichten Seitenarmen mit zahllosen Fischarten, von Schwärmen von Hechten, die so dicht standen, dass man die Fische eimerweise herausschöpfen konnte, von Flusskrebsen, die in heißen Sommern aus den flachen Tümpeln in den Schutz der Blätter auf die Bäume kletterten, sodass man sie wie Pflaumen herunterschütteln konnte.

    Aber Fontane schrieb auch über die alten Bewohner des Oderbruchs. Die waren nicht Deutsche, sondern Wenden: eine slawische Volksgruppe, die zu beiden Seiten der Oder noch das Marschland besiedelte, als die Deutschen das fruchtbare Land rundum kolonisiert hatten. Die Wenden lebten inmitten der Sumpflandschaft auf flachen Sandinseln in Holzhütten oder Lehmkaten, “von Kuhmistwällen eingefasst, die 8] halb zum Schutz gegen das Wasser, halb zu Kürbisgärten dienen”

    Mit alldem hat Friedrich II. Schluss gemacht. Das Marschland wurde trockengelegt, der Oder hob man ein neues, begradigtes Bett aus, womit man das ganze Wasserlabyrinth aus Seitenarmen und -kanälen abtrennte. Kilometerlange Deiche wurden aufgeschüttet, um den Fluss in sein Bett zu bannen und die bäuerlichen Anwesen zu schützen, die jetzt mit geometrischer Exaktheit im ganzen Oderbruch angelegt wurden.

    Die etwa 6 000 deutschen Kolonisten, die man in der Folge anwarb, wurden in kleine, ziegelgedeckte Bauernhäuser gesetzt. Als die abgeschnittenen Wasserarme mit der Zeit austrockneten, verzogen sich auch die scheuen Wenden. Die schwarzen, seidenen Kopftücher der Frauen waren die einzige Hinterlassenschaft, die Fontane in den Dörfern des Oderbruchs noch entdeckte. Doch die alten Lebensformen waren schon damals endgültig verschwunden.

    Der Boden der neugewonnenen Ackerflächen war überaus fruchtbar. Die Kolonisten wurden reich und erwarben schnell den Ruf, keine Manieren, aber umso mehr Geld zu haben. Friedrich II., ihr aufgeklärter Despot, verkündete unterdessen, dass, wer brachliegendes Land kultiviere und Sümpfe trockenlege, über die Barbarei obsiege. Hier begegnen wir bereits einer gedanklichen Verknüpfung, die in deutschen Köpfen noch lange herumspukte: Die Deutschen sind Eroberer mit einer zivilisatorischen Mission. Die Slawen dagegen, etwa die demütigen Wenden und die weit weniger fügsamen Polen, sind Barbaren.

    Spätere nationalistische Visionäre haben aus diesem Gegensatz eine geopolitische Rassenideologie gebastelt, die das pseudodarwinistische “Recht der Stärksten” postulierte. Mit begehrlichem Blick auf die Pripjatsümpfe verkündete der Nazi-Landschaftsplaner Heinrich Wiepking-Jürgensmann 1942, eine Landschaft zeige “in unerbittlicher Strenge”, ob ein Volk “Teil der göttlichen Schöpfungskraft” sei oder “den zerstörenden Kräften zugeordnet werden” müsse. Letzteres gelte vor allem für die Slawen: “Die Morde und Grausamkeiten der ostischen Völker sind messerscharf eingefurcht in die Fratzen ihrer Herkommenslandschaften”, die als “verkommen und verwahrlost” geschildert werden.

    Blackbourn sieht in solchen Äußerungen eine “mentale Verknüpfung zwischen Rasse und Landgewinnung”. Die Pripjatsümpfe trockenzulegen oder deutsche Kolonien auf solche Weise zu gewinnen, wie es Friedrich II. im Oderbruch getan hatte, bedeutete das Austrocknen ungesunder Rassen. Reinhard Heydrich, der Chef des Reichssicherheitshauptamts, benutzte das Bild der Trockenlegung von Sumpfgebieten, um das langsame Vordringen deutscher Wehrbauern zu beschreiben, die er als “menschliche Deiche” sah, die sich der “Flut aus Asien” entgegenstemmen sollten.

    Zweihundert Jahre zuvor hatten die Preußen im Oderbruch schnell gemerkt, dass die “Fluten” durch den Bau von Deichen und die Trockenlegung von Marschland nicht verhindert, sondern lediglich stromabwärts verlagert wurden. Die gigantischen Erdbewegungen und Regulierungen, die von Johann Gottfried Tulla Anfang des 19. Jahrhunderts am Oberrhein ins Werk gesetzt wurden, hatten schlimme Folgen, die sich in den kommenden 150 Jahren noch multiplizieren sollten. Die Begradigung und Verengung des Flussbetts, die auch noch auf Kosten der Uferauen ging, erhöhte die Fließgeschwindigkeit des Rheins, was zu katastrophalen Überflutungen am Unterlauf führte. Damit begann eine Kettenreaktion, in der jede Gemeinde am Mittel- und später auch am Unterrhein neue Deiche baute, was das Problem nur an die weiter flussabwärts liegenden Nachbarn weiterreichte.

    Mitte des 20. Jahrhunderts waren auf diese Weise 85 Prozent der Überflutungsauen verloren gegangen, und die Fließgeschwindigkeit des Rheins verdoppelte sich innerhalb von zwanzig Jahren. Die “Regulierung” des Stroms bedeutete das Ende für die Rheinfischer, weil sie die seichten Uferzonen und Nebenarme beseitigte, die Lachs, Maifisch und Stör zum Laichen brauchen. Und die Strömung trug auch die Kiesel davon, in denen das berühmte “Rheingold” eingeschlossen war. Das aus den Alpen heruntergespülte diluviale Schwemmgestein hatte dem Königreich Baden im Jahre 1830 noch 13 Kilogramm Gold beschert; bis 1870 schrumpfte dieser Beitrag zum staatlichen Budget auf weniger als 100 Gramm jährlich. So verblasste das alte Bild vom Rhein als einem Fluss mit reicher Fauna und Flora und vielfältigen menschlichen Aktivitäten. An seine Stelle trat, zumal seit Einführung des Raddampfers, das touristische Panorama der “romantischen” Schluchten zwischen Köln und Mainz.

    Rückschläge konnten die Begeisterung der Deutschen für die “Eroberung der Natur” nicht zügeln. Wenn es stimmte, dass Geografie und Geologie bis dahin die Geschicke der Völker geformt hatten, so wollte Deutschland die Größe seines Geistes nun demonstrieren, indem es alte Zwänge durchbrach, um sein Schicksal ganz neu zu gestalten. Die Menschen, hier die Deutschen, machten sich die Erde untertan.

    Was das Oderbruch betrifft, entwickelte sich auch bei diesem Thema seit der deutschen Vereinigung von 1990 eine “grüne” Sichtweise. Heute wird das Oderbruch häufig als “Paradies” beschrieben, “wo die Natur noch intakt ist”. Doch so ist es nicht. Der ruhig dahinfließende Strom ist immer noch der alte Entwässerungskanal, den Friedrich II. ausheben ließ, und die gelben Blumenteppiche, die sich an seinen Ufern erstrecken, sind lauter Adonisröschen – eine aus Südeuropa eingewanderte Spezies.

    Selbst die katastrophale Flut von 1997, die im Westen Polens ganze Städte unter Wasser setzte und das Oderbruch fast zerstört hätte, war weniger eine Natur- als eine von Menschen gemachte Katastrophe: Ihre Hauptursache war die Abholzung von Wäldern und die Zerstörung von natürlichen Überflutungszonen am Oberlauf der Oder in Polen und Tschechien.

    Am Ende seines Buches denkt Blackbourn über die Illusionen nach, die das Bemühen der Menschen um die Gestaltung ihrer Umwelt begleiten. Das Oderbruch in seiner heutigen Gestalt ist ein dünnbesiedelter Landstrich, der aber mehr als 250 Jahre nach seiner künstlichen Entstehung “die Patina des Alters” erworben habe. Gleichwohl würde Blackbourn keineswegs wünschen, “dieses Land würde in die ,Wasser- und Sumpfwildnis’ zurückverwandelt, die es vor der Trockenlegung war – selbst wenn das möglich wäre”.

    Und es ist nicht möglich. Nach Blackbourn müssen wir uns endlich der Einsicht beugen, dass wir die Natur weder “restaurieren” noch ihren Wandel aufhalten können. Der Mensch vermag eine Landschaft lediglich für eine begrenzte Zeit so zu verändern, dass sie seinen praktischen oder ästhetischen Bedürfnissen gerecht wird. Aber danach wird die Landschaft ihre alte Rolle zurückfordern und den Prozess ihrer unberechenbaren Verwandlung wiederaufnehmen. Die “Eroberung der Natur” kann allenfalls zu einem Waffenstillstand führen.

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