vonImma Luise Harms 11.04.2007

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Der letzte MöHRe-Stammtisch war richtig gut besucht. Vielleicht lag es daran, dass über das Thema „kinderfreundliches Dorf“ geredet werden sollte, vielleicht auch daran, dass aus dem Anlass Aushänge gemacht worden waren.

Sitzordnung

Als der übliche Stammtisch nicht mehr reichte, hatten die Vereinsmitglieder die Tische in Wegners „Kellerstübchen“ zu einem T zusammengeschoben.  U oder T – das ist von entscheidender Bedeutung für die Kommunikationsstruktur – also, wer mit wem reden kann oder reden muss. Die Innenplätze beim U sind prekär. Man ist seinen Sitznachbarn und dem Gegenüber des äußeren Kreises ausgeliefert. Die Außenplätze dagegen haben den Vorteil, den Überblick über die ganze Runde zu erlauben, allerdings nicht auch die direkte Kommunikation, denn die Innenplätze sind im Weg. So kann man aus dem Außenring zwar gut beobachten, wer mit wem redet, kann aber nicht selbst mitmischen, was unter Umständen das größere Problem ist. Man kann das U natürlich auch so groß machen, dass keine Innenplätze besetzt werden müssen. Das überzeugt aber nur wirklich, wenn in der Mitte ein bodenhohes Blumengesteck ist.

Die strategische Verteilung für eine effektive Gesprächskontrolle scheint beim T ausgeglichener. Der Querbalken ist der repräsentative Platz für das Podium, ohne jedoch das Zentrum zu bilden. Am unteren Ende des Längsbalkens kann man Ränke schmieden, die das Podium zwar sieht, aber nicht beeinflussen kann. Die Plätze in den Achseln des T’s erlauben zwar die Kommunikation in alle Richtungen, aber man sitzt doch sehr beengt. Von den Enden muss man, halb vom Sitz erhoben, über die Köpfe der Achselplätze hinwegreden.

Wer so alles da ist

Gerdchen Sch., einer der Bauern aus der Gemeinde, Mitglied im Gemeinderat und Vorstandsmitglied im Bauernbund, setzt sich immer freiwillig an eine Ecke; er braucht mit seinen etwa anderthalb Kubikmetern sonst zwei Plätze. Neben ihm, am linken Querbalkenende des T’s, teilt sich das Ehepaar W. aus der Neuen Dorfstraße einen Platz. Auf der anderen Seite sitzt Willi S., sehr kontaktfreudig und meinungsstark und bis zum fünften Bier und dritten Schnaps ein freundlicher und hilfsbereiter Mensch. In der Mitte des Podiums Birgit L., die Vereinsvorsitzende von MöHRe – nach allen Seiten offen. Martin H., Kindergärtner am Ort, hat sich neben sie gesetzt, um ihr seine Pläne zur Erweiterung der Kinderarbeit auf eine offene Jugendarbeit nahe zu bringen. Maria P. hat das schon getan; als dauer-arbeitslose Zahntechnikerin sucht sie sich seit langem Tätigkeiten, die für sie und andere nützlich sind. Unter anderem macht sie Töpferkurse für die Kinder im Dorf, und jetzt auch für Jugendliche und Erwachsene. Fritz St. saß an der Theke, als die Tische zusammengeschoben wurden. Er kommt an den Tisch, begrüßt einen Nachbarn , bleibt sitzen und offenbart neue Wesenszüge. Sonst kennt man ihn nur als einen, der hinter seinem Gartenzaun steht und auf alle schimpft. Karin W. ist Finanzbeamtin, Mitglied im Gemeinderat und Bauersfrau aus Herzhorn. Ihr gegenüber Marlies Sch., ehemalige Kindergärtnerin, auch Bauersfrau und ehrgeizige Mutter eines heranwachsenden Jungbauern. Am rechten Tischende residiert Dieter G. aus Möglin, Rektor im Ruhestand, stellvertretender Vereinsvorsitzender, dessen Redebeitrag zur Lage der Rentner in der Gemeinde schon vorbei ist, als ich komme. In der rechten T-Achsel klemmt Beate J., gemütlich runde, stets gut gelaunte, aber schweigsame Gerichtsprotokollantin. Auch im MöHRe-Vorstand führt sie das Protokoll. Antje D. ebenfalls Möhre-Vorstand, ebenfalls Finanzbeamtin, Motorradfahrerin, ist blond, drahtig und einsilbig. Kathrin E. arbeitet im Installationsbetrieb ihres Bruders in Schulzendorf. Die Umstände ihres Umzugs aus Strausberg bietet ihr Gesprächsstoff für den ganzen Abend.

Am langen Ende des T sitzen Thomas und ich, daneben Doreen G., die gerade eine ABM-Stelle im Prötzeler Schloss hinter sich hat und die neuesten Skandale aus der Nachbargemeinde auftischen kann. Frau B., früher Chefbuchhalterin der LPG, und Frau H., Schwiegermutter von Bauer F., beide um die 70, nehmen gern gemeinsam an fröhlichen Ereignissen teil. Bürgermeister Wölfi H., der von allen geliebte Phlegmatiker, setzt sich mal hierhin, mal dahin.

Radweg, Reichenower Volkshaus, Biogasanlagen

Die Gespräche sind ein Flechtwerk aus den aktuellen Themen. Radweg-Eröffnung im Mai – ob er überhaupt fertig wird, ob wir für das Buffet Brötchen schmieren, und mit was, oder lieber Brötchen aufschneiden, Wurst rein und fertig, oder ob wir das Buffet ganz in Auftrag geben. Das Amt zahlt schließlich.

Thema ist auch das seit vielen Jahren leerstehende Haus zwischen Schloss und Gutshof, in dem früher das LPG-Büro war, also Arbeitsplatz von Frau B. und noch einigen anderen im Ort. Die Agrargenossenschaft, die es besitzt, will und muss es jetzt verpachten, weil sonst der Bestandsschutz für das Gebäude gefährdet ist. Soll die Gemeinde es pachten, es mit Fördermitteln sanieren und Raum für Projekte darin schaffen? Eine schöne Vorstellung, alle hätten das LPG-Haus gerne wieder, aber wer soll die Projekte darin machen? Frau H.  spricht in begeistertem Ton von einem ähnlichen Objekt in Sachsen, das von der Nachbarschaft mit neuem Leben erfüllt wurde und jetzt „Volkshaus“ heißt. Schon ist von unserem LPG-Objekt auch als „Volkshaus“ die Rede.

In Möglin muss das Thaer-Museum jetzt aus dem ehemaligen Thaer’schen Hof raus. Der Horstmeier, der Investor aus Bielefeld, hat sich durchgesetzt, der ist allen über. Die Gemeinde stellt ihr Haus, auch so ein 70er Jahre-Flachbau wie unser LPG-Gebäude, als Auffanglager zur Verfügung. Es soll außerdem in den Garten hin angebaut werden.

Die Agrargenossenschaft baut ihre Biogas-Anlage immer noch nicht. Die haben schon seit einem Jahr die Genehmigung dafür. Aber die Getreidepreise sind so gestiegen. Seit in Schwedt Bioethanol aus Roggen gemacht wird, drückt das auch bei den anderen Getreidesorten den Preis nach oben. Plötzlich sieht die Rechnung für die Biogasanlagen anders aus; sie wären nur noch wirtschaftlich zu betreiben, wenn die Abwärme effektiv genutzt wird. Aber das ist schwer. Im Winter brauchen sie einen großen Teil der Wärmeenergie für die eigene Anlage, und im Sommer – „Wer will’n da Wärme haben?“ fragt Willi S., das Bierglas in der Hand. Gerdchen Sch. hat ihm einen Cognac rübergeschoben. Thomas will keinen, lässt sich lieber ein Bier in Reserve ausgeben.

Genmais? Hier nicht!

Auf die Biogasanlagen haben auch die Gentechnik-Bauern aus der Umgebung gesetzt. Der Agrarbetrieb aus Prötzel, Bauer B. aus Prädikow und Großbauer P. aus Hohenstein, die größten Genmais-Anbauer der Umgebung, haben Anlagen beantragt, genehmigt gekriegt, bauen aber nicht – wahrscheinlich aus denselben Gründen. Biogas-Anlagen finden eigentlich alle eine gute Sache. Aber den Genmais, nein, davon halten sie nichts. Zu unsicher, zu unkalkulierbar, und überhaupt: in die Natur so einzugreifen?

Den Bauer P. kennt die Marlies Sch. noch aus Seelow, oder vielmehr dessen Eltern. Zahnarztfamilie. Der Sohn ist gegen den Willen seiner Eltern Bauer geworden. „Der war früher so ne Art Grüner“ erzählt Marlies. Jetzt ist er der größte Genmais-Bauer der Bundesrepublik.

Am nächsten Freitag ist in Klosterdorf dazu eine Veranstaltung; Thomas verteilt Handzettel. Sie werden weitergereicht und beguckt. Imma auf dem Podium? Die Nachbarn sehen mich an. Ich falle in einen agitatorischen Ton, probiere die verschiedenen Saiten einer wirkungsvollen Argumentation gegen den Genmaisanbau aus. Aber das ist gar nicht nötig. In Reichenow sind alle dagegen, so sieht es jedenfalls in der Stammtischrunde aus.

Gerdchen Sch. ist schon von Amts wegen dagegen, als Vorstandsmitglied des Bauernbundes, aber auch als Bauer. Marlies Sch. ist dagegen; außerdem bauen sie gar keinen Mais an. Ihr Mann, Herbert, ist genau wie Gerdchen im Gemeinderat. Karin W. , ebenfalls Gemeinderatsmitglied, ist dagegen. Ihr Mann ist der einzige aktive Landwirt in Herzhorn. Frau H. ist dagegen. Es ist hauptsächlich ihr Land, das ihr Schwiegersohn Kalle F. bearbeitet.

Jetzt fällt mir ein, dass auch Herr F., der Geschäftsführer von der Agrargenossenschaft gegen den Genmais-Anbau ist, „derzeit noch“, hatte er gesagt. Und der Agrargenossenschafts­vorsitzende Sch. sitzt auch im Gemeinderat. Das heißt, überlege ich, eigentlich sind alle Landwirte aus der Gemeinde gegen den Anbau von Gentechnikpflanzen. Und fast alle sind im Gemeinderat. Nein, ich will keinen Schnaps, aber Wölfi H. nimmt noch einen; ich nehme mir was von Thomas’ Bier und lehne mich weit vor. „Dann könnten wir doch eigentlich beschließen, dass Reichenow Gentechnik-freie Gemeinde wird, oder?“ Hm. Ja. Eigentlich ja. Wie macht man das denn? Tagesordnungspunkt auf der nächsten Gemeinderatssitzung. „Kann aber nur ne Empfehlung sein“, sagt Wölfi vorsorglich, „nur ne Absichtserklärung“, fügt Karin hinzu. Aber immerhin, denke ich. „Die Radweg-Touristen sind doch meistens Gentechnik-Gegner“, fahre ich schlau fort. „Stellt euch mal vor, wie das auf die wirkt, wenn die durch das Hauptanbaugebiet von Genmais fahren. Oder wenn es heißt: ‚Reichenow, am Radweg Tour Brandenburg, erste Gentechnik-freie Gemeinde aus Märkisch Oderland’!“ Wölfi, gut einen Kopf größer als der Rest der Versammlung, sieht über das Stammtisch-T hinweg durch das Backstein-Imitat an den Wänden bis hinaus auf den neuen Radweg. Er stellt sich einen Zusatz auf dem Ortswegweiser vor, einen Artikel in der Märkischen Oderzeitung, Prospekte. „Das wär gar nicht schlecht. Das ist ne Idee.“ sagt er immer wieder und nordet dabei sein Bierglas auf der Unterlage. Gerdchen grinst vieldeutig.

Der Stammtisch ist überschaubar geworden. Die Übriggebliebenen reden direkt miteinander, den Arm lässig auf die Stuhllehne des frei gewordenen Nachbarstuhls gestützt. Während ich die Vorstellung zu nähren versuche, so was wie ein unbeugsames gallisches Dorf zu werden,  rechnet Eva W. die Zettel aus. Um die Sache konkret zu machen und weil ich weiß, dass Wölfi H. für Hilfe in Formulierungsfragen dankbar ist, schlage ich vor: „Wir können doch für die nächste Gemeinderatssitzung einen Antrag formulieren“. Ach was – Anträge. Es kommt auf die Vision an! Wölfi trinkt seinen letzten Schluck Bier; sein Blick streicht über uns hinweg: „Das wär doch was: ‚Atom-freie Gemeinde’ – äh, ich mein: ‚Gentechnik-freie Gemeinde Reichenow!’“

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2007/04/11/gene-atome-und-andere-schweinereien-stammtisch-in-reichenow/

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kommentare

  • Wie hoch ist “bodenhoch”? Flechten und Moose sind bodenhoch aber ich glaube die würden bei einem sehr großen U nichts retten.

    Bodenlose Gestecke wären hier angebrachter.

  • hat mir gut gefallen der text – und zwar nicht nur “ästhetisch”, sondern auch wie Du über die teilnehmer am Stammtisch schreibst – kein bisschen werden sie verraten, sondern mit und trotz all der kleinen Macken ernst genommen – und ich hatte einen richtig guten eindruck von der ganzen gegen ende sich verflüchtigenden sitzung …

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