vonImma Luise Harms 03.09.2007

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Auf dem Land ist immer was los. An jedem Wochenende gibt es irgendwo ein Fest. Das Bedürfnis nach Geselligkeit ist groß. Man steht zusammen, mit der Bierflasche oder dem Weinglas, macht Witzchen, spielt sich Stichwörter zu; eine Anekdote gibt die andere, Pointen werden entgegenkommend mit Lachsalven quittiert. Vorübergehende werden mit einem Blick gestreift, mit einem Spruch in den Kreis gezogen oder mit einem knappen Gruß weitergeschickt, um anschließend als Gesprächthema zu dienen. Mit Tratsch und Gerüchten wird Stille Post gespielt. Angenehmes Gruppengefühl macht sich breit.

Die Dorffeste funktionieren nicht anders als die Geselligkeiten in der Stadt. Auf ihnen werden die kleinen und großen Gravitationszentren sichtbar, die sich um Menschen mit Macht oder Selbstbewusstsein herum bilden. Die Gruppenzusammensetzungen ändern sich nur schwerfällig. Man trifft sich, man zeigt sich, man bleibt unter sich. Wer hier nicht Teil eines Planetensystems sein kann, wandert weiter. Es gibt ja zum Glück noch andere Galaxien. Unangenehm, wenn man es nicht schafft, elegant in eine Umlaufbahn einzuschwenken.

Morgen ist in Reichenow das Erntefest, in Altranft das Volksfest mit Gespann-Pflügen, in Altfriedland das Klosterfest mit Konzert am See, in Klosterdorf das Teichfest und in Strausberg das Friedensfest. Das ist nur die nähere Umgebung.

Scharfe Konkurrenz der Ausflugsziele um Aufmerksamkeit. Grillstände und DJ-Pulte überall. Man muss sich promoten, das weiß heute jeder HartzIV-Empfänger. Die Dörfer tun, was sie können. Immer ist irgendwo eine Schaum-Party, ein Karaoke-Fest.

Am letzten Wochenende gab es Ritterspiele in Altlandsberg, in Neuhardenberg war eine Theaterperformance im Park. Und in Prötzel gab es den diesjährigen Schlosskampf. Im letzten Jahr hatten Thomas und ich in voreiligen Verkleidungen alleine dort herumgestanden. Ein Gruppenauftritt war wegen mangelhafter Besetzung abgesagt worden. Da standen wir nun in unseren Bauernkleidern, und es schien genauso peinlich, sich ihrer verschämt zu entledigen, wie, weiter darin zu posen. In diesem Jahr hatte ich rechtzeitig für ein ansehnliches „wir“ gesorgt.

Wir waren also in Prötzel.

Das Schloss, ein ehemals barocker Bau, von realsozialistischer Baukunst nüchtern überformt, steht seit vielen Jahren leer. Vorübergehend waren ein paar Künstler hierher komplimentiert worden. Es gab auch schon Kunstausstellungen und Konzerte – alles Maßnahmen, um das Interesse an dem hoch verschuldeten Kasten aufrecht zu erhalten. Denn ein Investor, der der Gemeinde die 2 Millionen Schulden abnimmt,  wurde nach wie vor dafür erwartet. Nun hat einer angebissen, ein Armenier aus Moskau, der angeblich auch in Westdeutschland schon Schlösser in Luxushotels umrestauriert hat. Das war also das letzte Schlossfest der Gemeinde an diesem Ort.

Die Wiese vor dem zweiflügeligen Gebäude ist von Miniermotten-befallenen maroden Kastanien umstanden, sie war für diesen Anlass gemäht worden und ähnelte einem Stoppelfeld. Vom Säulen-getragenen Hauptportal führen ein paar steinerne Stufen herab auf einen kleinen gepflasterten Platz, den ein Mäuerchen von der Wiese abgrenzt. Mittig angeordnet ist dort ein von Platten eingefasstes Wasserbecken – die Idee eines Brunnens, aus dessen Mitte eine Wasserschlauch-artige Düse herausragt und ihr Wässerchen hochwarf, so gut es ging.

Die Schlosswiese ist groß, zu groß für die wenigen Menschen aus Prötzel und den angrenzenden Gemeinden, die sich zum launigen Spektakel eingestellt hatten. Ein Schlosskampf sollte ausgetragen werden. In diesem Jahr war also auch eine Mannschaft aus Reichenow angetreten, nämlich wir: drei Damen zwischen 27 und 58, zwei Herren so um die 50, zwei Kinder, 6 und 10 Jahre. Kostüme hatten wir uns auch angezogen; Das gab einen Punkt extra.

Im letzten Jahr hieß es, es geht um die Schlossherrschaft für ein Jahr, und es wurde ein Schlüssel überreicht. Das konnten sie in diesem Jahr nicht mehr machen, denn das Schloss ist ja verkauft. Die polnische Mannschaft aus Miezkovice musste die Schlüsselgewalt, die sie im letzten Jahr errungen hatte, wieder abgeben. Ich weiß nicht, ob sie mal Gebrauch davon gemacht haben.

Während unsere zusammengesuchten Kleidungsstücke sämtliche akzeptierten Zeitalter umfassten, von den Bauerkriegen bis zum eigenen Kleiderschrank, während die Polen folkloristisch in rot-weiß auftraten, die Kolonistenmannschaft aus Neulietzegöricke in ländlich-rauhes Sackleinen gekleidet war, hatte sich die Heimmannschaft der Prötzeler in eine feine Rokoko-Gesellschaft verwandelt, mit weißen Perücken, gebauschten Samtkleidern und Sonnenschirmchen.

Beim ersten Wettkampf zeigte Ortsbürgermeister Kaupat und seine Mannschaft, dass sie hier die Herrschaften sind. Eine große und schwere Kutsche sollte über die holprige Wiese bis zu einer Markierung und zurück geschoben werden. Der feine Herr aus Prötzel kündigte an, dass er und seinesgleichen vielleicht Kutsche fahren, sie aber auf keinen Fall schieben werden. Er bat seine Untertan, das für sie zu übernehmen und stellte ihnen Freibier in Aussicht. Vergeblich legte ich im Namen meiner Mannschaft Protest beim Schiedsgericht ein; ich hatte die Absicht der Prötzeler nicht durchschaut: sie hatten gar nicht vor, die schnellsten zu sein. Mit gezierten Gesten stiegen alle sechs in die Kutsche und ließen sich von den Dorf-Jugendlichen hin und zurück schieben. Beim Aussteigen die gleiche Prozedur. Schlechte Zeit, aber gute Haltung. Chapeau!

Wir waren die letzten in der Reihenfolge und hatten die Möglichkeit, von den Techniken und Fehlern der anderen zu lernen. Die Kutsche hatte hüfthohe Räder und eine Deichsel, allerdings ohne Querholz. Nachdem wir die ehrgeizigen und schnellen Kolonisten aus dem Oderbruch beobachtet hatten, wussten wir, dass der Wagen sich besser von hinten schieben, als an der Deichsel ziehen lässt. Also nur die Kinder und eine Frau nach vorn, um zu lenken, die anderen nach hinten. Los geht’s. Ich fasste die Deichsel in der Mitte, um die Kinder beim Lenken zu unterstützen – zu nah am großen Vorderrad. Schon nach den ersten Metern wurde meine wehende Schürze von der Radnarbe erfasst, mein ganzer deutschtümelnder Leinenrock kam unter die Räder. Ich lag am Boden, dicht neben mir drehte der große eisenbeschlagene Reifen vorbei. Beim Blick aus der Grasnarbe schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass etwas Schwerwiegendes passiert war. Da kam auch schon der zweite Reifen. Auch er überrollte  glücklicherweise nur meine Kleider, dann folgten die schweren Schuhe des wuchtigen Reichenower Mannschafts­mitgliedes St. Sie sprangen über mich hinweg. „Weiter, weiter!“ rief ich der Kutsche nach, raffte meine altdeutschen Röcke zusammen und rannte ihr nach. Unsere Zeit war nicht mehr konkurrenzfähig, aber wir bekamen einen Extrapunkt für Tapferkeit bei Verunfallung..

Eine weitere Disziplinen war, Möhrensalat zubereiten. Die Zutaten, sechs Möhren, zwei Äpfel, drei Schälmesser, eine Reibe, Zitronensaft, Salz und Zucker lagen bereit.

Wir waren noch vom ersten Contest auf Schnelligkeit bedacht. Den Kleinsten und vielleicht Ehrgeizigsten unter uns, den sechsjährigen I., lenkte ich vom Wunsch, der Haupt-Möhrenschäler zu sein,  mit der Aufgabe ab, die Schalen einzusammeln. Das ist jetzt Frauensache. Drei Hände bewegten gleichzeitig und dicht nebeneinander eine Möhre über die Reibe. Ich hätte nicht gedacht, dass das geht. Aber unser Wunsch zu gewinnen half, unsere Bewegungen zu synchronisieren. Wir waren auch wirklich als erste fertig. Aber darum ging es diesmal gar nicht. Die Jury nahm Geschmacksproben, fand dies zu fad, das zu sauer. Die Prötzeler hatten ihren Testlöffel boshaft eingesalzen.

Wie die Punkte verteilt wurden, mauschelte die Jury untereinander aus. Die Mannschaften wurden zum nächsten Wettkampf gerufen: Kind baden. Aus dem Wasserbecken waren sechs bereitgestellte orange-farbene Obi-Eimer mit Wasser zu einem großen, bereits vorgefüllten Zuber zu bringen. Ein Kind ausziehen, untertauchen, abtrocknen, anziehen, Eimer zurück, fertig.

Wir waren schnell, aber die Mannschaft aus dem Oderbruch war schneller. Diesmal hatten sie von uns gelernt: Die Eimer wurden nicht wild gegrapscht sondern ausgeteilt und nur halb voll gemacht.

Auf den nächsten Wettkampf, den Bau einer Vogelscheuche, hätten wir uns vorbereiten müssen. Heubündel und Holzkreuze lagen bereit. Aber alle anderen Zutäten hätten wir mitbringen müssen. „Das war doch angekündigt“, sagte Sch., der Ortsbürgermeister. „Ich habe so einen Brief aber nicht gekriegt“, protestierte ich. Der Brief ging an unseren Bürgermeister. Der hatte ihn in den Ortszeit-Briefkasten an der Vorderseite meines Hauses geworfen. Aber die Ortszeit gibt es schon seit dem letzten Jahr nicht mehr. Warum sollte ich in den Briefkasten schauen? Dort lag also der Brief mit der Ankündigung, was man zum Schlosskampf dabei haben sollte.

Die anderen hatten bunte Bänder, mit Gesichtern bemalte Ballons, Hüte, Büstenhalter und andere lebensnahe Accessoires mitgebracht; wir nahmen verzichtbare Teile unserer eigenen Kleidung und stopften sie mit Stroh aus. Die Jury anerkannte die Eigenart jeder Vogelscheuche und verstreute in weiser Entscheidung die Punkte gleichmäßig unter die vier Exemplare.

Dann sollte Bier getrunken und Wurst gegessen werden. Es war schwer, sich zu entspannen, weil sich die Mucke des hierzu verpflichteten, schon bei Arbeitsbeginn schwer betrunkenen DJ’s  („Das beste aus den 90er Jahren!“) auf fatale Weise mit dem stilistisch ähnlichen Sound des kleinen Karussells mischte.  Jetzt nahm der Leidensdruck der wenigen uns begleitenden Gutshofbewohner bis zur Unerträglichkeit zu. Ihr städtisch verfeinerter Geschmack wurde durch die blöden Witze des lallenden DJ’s, das stumpfe Wumm-Tata, die faden Kuchen, die gummiartige Supermarktwurst fortwährend beleidigt. Wie kann man sich hier nur amüsieren? Den Kindern gefiel es; also bissen die Erwachsenen weiter die Zähne zusammen und nahmen das ganze für Folklore. Aber man drängte die Veranstalter, die vorgesehene Mittagspause zu reduzieren und dem Ganzen dann doch bald mal ein Ende zu machen.

Im letzten Wettkampf sollte ein berittener Bote eine Depesche überbringen. Ein langer schwarzer Umhang war umzubinden, ein Steckenpferd zu besteigen und eine Reihe von Slalomstangen zu umrunden, ohne dass der wehende Mantel die aufgelegten Blechdosen von den Stangen fegte. Jetzt kamen beide Kinder unserer Mannschaft zum Einsatz. Sie machten ihren Parcours großartig. Im Gegensatz zu den anderen Mannschaften hatten wir noch keine Strafpunkte kassiert und lagen gut im Rennen. Dann kam S., unser letzter Mann. In seinem unbändigen Wunsch, uns zum Sieg zu reiten, ließ er allen seinen Kräften die Zügel schießen und – keiner wusste, wie das passieren konnte – spaltete seinem Holzpferd den Kopf!  Das brachte Zeitverlust, einen Strafpunkt und den Kolonisten, die uns schlau berechnend ihr Pferd ausgeliehen hatten, einen zusätzlichen Bonuspunkt.

Siegerehrung. Der DJ war jetzt glücklicherweise so betrunken, dass er sich nur noch selten einmischte. Bürgermeister Sch. nahm und behielt das Wort. Die Prötzeler Mannschaft war natürlich abgeschlagen, aber heimste – auch von uns – Beifall für ihre gute Performance ein. Die Miezkovicer – auch gut, aber nicht gut genug – mussten den Schlüssel abgeben. „Die haben im letzten Jahr total verbissen gekämpft, wollten unbedingt gewinnen“, raunte mir eine Frau aus der Prötzeler Mannschaft vertraulich zu, während die Polen in ein Gruppenbild lächelten.

Dann bereitete Sch. den Showdown der Veranstaltung vor.  „Ganz knapp“, sei das Ergebnis zwischen den letzten beiden Gruppen ausgefallen. Sportlich gute Ergebnisse auf der einen Seite, Pfiffigkeit auf der anderen. Der Schlossschlüssel könne ja nicht mehr überreicht werden, den müsste die Gemeinde nun abliefern, aber für den Gewinner gäbe es in diesem Jahr einen Wanderpokal – Sch. schwenkte mit der linken Hand ein bauchiges Etwas mit viereckigem Fuß und einer in apartem Rauhputz gehaltenen Oberfläche – der im nächsten Jahr natürlich verteidigt werden müsse.

Die Pfiffigen hatten einen Punkt weniger, und das waren wir. Zweiter Sieger, herzlichen Glückwunsch! Die strahlenden Sieger aus Neulietzegöricke nahmen das bauchige Etwas in Empfang und nutzten die Gelegenheit, um  zum Tag des Offenen Denkmals im „ältesten Kolonistendorf des Oderbruchs“ in 14 Tagen einzuladen. DJ, Grillwurst, Hüpfburg usw..

„Gut, dass wir nicht gewonnen haben, sonst müssten wir im nächsten Jahr ja wieder antreten“, räsonnierte T. Gut, dass wir nicht gewonnen haben, dachte ich, wo sollten wir bloß mit diesem Pokal hin?

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2007/09/03/knapp-am-pokal-vorbei-schlosskampf-in-proetzel/

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kommentare

  • herzallerliebste autorin und fest-teilnehmerin, was machst du uns leserinnen und lesern für ein riesenvergnügen mit diesem text! der reiseziel- und kulturkonkurrenzkampf auf dem lande ist demnach nicht weniger originell als manches stadtteilfest und ist mit der polnischen beteiligung auch interkulturell auf dem laufenden. dass ihr auch noch generationenübergreifend und innovatioinsmäßig den vogel abgeschossen habt, macht euch vollends liebens- und nachahmenswert!

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