vonImma Luise Harms 09.11.2008

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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9. November, der Tag, an dem uns vor 19 Jahren ein Umland gegeben wurde. Es ist ungewöhnlich warm, nieselig in den letzten Tagen. Aber heute scheint die Sonne. Pilzwetter. Ist es nicht zu spät für Pilze? Wer weiß, vielleicht gibt es späte Sorten. Parasole haben wir in diesem Herbst noch kaum gesehen. Ich habe mir gemerkt, wo wir die Krause Glucke gefunden haben, vielleicht ist da noch mal was nachgewachsen?

Nein, keine Pilze. P. und A. kommen zum Essen. Es gibt Tafelspitz mit Roten Beeten. L’s haben eines ihrer Highlander Rinder geschlachtet und wir haben ein Stück abbekommen. Nicht umsonst sondern zu einem angemessenen Preis. Aber was wäre schon angemessen bei diesen im Naturpark aufgewachsenen, im Beisein ihrer Bezugsperson geschlachteten kleinen Zotteltieren? Was meinst du, was das im KaDeWe kosten würde? Die Rote Beete ist aus der Sandmiete, die wir im Keller mit den 30 Kilo von H. aus dem Oderbruch angelegt haben. Die Kartoffeln dazu sind eine Gabe der Kartoffelkommune Karlshof, ebenfalls eingekellert. („Nein“, sagt er, „das sind welche von meinem Acker“. Désirée, mehlig-kochend. Gut für Kartoffelbrei.)

Wir werden gezogen und getrieben von den Früchten der Natur, die sich uns an allen Ecken und Enden in den Weg legen – so unverfälscht, so appetitlich, so günstig oder sogar als Geschenk. Hinzu kommen die Vorräte, für die wir selbst Vorsorge getragen haben und die wir jetzt einheimsen, als Früchte unserer Arbeit. Unbezahlbar eigentlich, deswegen zwingend, nichts, aber auch gar nichts verkommen zu lassen.

Dass etwas verkommt, das ist die große Angst. Ich bin ja ein Nachkriegskind, aus einer Zeit, als die Butter noch „gute Butter“ hieß, und der Kaffee „Bohnenkaffee“. Mit angeschnittenem Obst und dünn beschmierten Butterbroten wurden wir großgezogen – und mit dem donnernden Diktat, dass alles aufzuessen ist, was da ist, dass Lebensmittel nicht weggeworfen werden.
Einen trockenen Kanten Brot in den Mülleimer zu werfen, ohne die Ohrfeige zu fürchten, habe ich inzwischen gelernt. Aber viel weiter geht es auch nicht. Noch immer wird der Speiseplan von dem bestimmt, was im Kühlschrank lauert und weg muss. Und anstatt den Druck aus den Gefäßen herauszunehmen, füllen wir sie immer wieder nach. Ist das zwanghaft?

Holunderbeeren habe ich in diesem Herbst nicht entsaftet; da stehen noch Flaschen von 2006. Eigentlich mache ich mir gar nichts aus Holundersaft, aber er soll ja so gut bei Erkältungen sein. Und alle haben Holundersaft im Regal.
Im Oktober gab es eine Quittenschwemme an der Straße von Wriezen nach Neulewin. Wir haben Körbe voll gesammelt. Die Dinger sind knüppelhart, verfaulen aber dann doch genau so schnell wie Äpfel oder Birnen. Die Verarbeitung drängt. Schon steht der Küchentisch voller Gläser mit Quittengelée. Können wir doch auch verschenken. Oder auf den Tauschmarkt.
Aus dem zweiten Korb mache ich Mus, das streiche ich auf Blechen aus, um es zu Quittenbrot zu trocknen. Nachdem ich es zwei Tage im Backofen hatte, kommen mir Bedenken wegen der Energiebilanz, aber nun muss ich durch. Das Quittenbrot wird zuende getrocknet, eingezuckert, eingelagert. Meine Gäste mögen es nicht besonders. Zu süß. Ich esse es demonstrativ vor ihren Augen.
Die restlichen Quitten schicke ich durch die Zentrifuge und filtere die dicke Brühe in einem aufwändigen Prozess zu klarem goldenem Saft, den ich mit Zucker, Weinbrand und Gewürzen in die Sonne stelle. In der letzten Woche haben wir den Quittenlikör probiert. Lecker. Wirklich lecker. Davon hätten wir mehr machen sollen, jetzt, wo es so viele Quitten gibt. Ob noch welche an der Straße hinter Wriezen hängen? Vergessen ist die mühsame Arbeit des Entsaftens und Filterns. Die Ressource lockt. Wir fahren noch einmal los.

Es ist Anfang November. Im Oderbruch hat es neulich schon einmal Nachtfrost gegeben. Die Quittenbäume hängen voller schwarz geschrumpelter Früchte. Wie schade! Was für eine Vergeudung!
M., der weise Gärtner sagt „Wieso Vergeudung? Die Früchte nimmt der Boden zurück, aus dem sie gewachsen sind.“ So kann man das auch sehen. So wollen wir es aber nicht sehen. Auf dem Rückweg fahren wir über Frankenfelde. Dort ist eine Apfelallee. Die Zeit der Apfelernte ist natürlich vorbei, aber es ist ein Boskop-Baum darunter, und die Bosköppe halten sich lange, wenn sie auf den Boden gefallen sind. Ich könnte doch noch mal Apfelkuchen backen, zum Einfrieren. Wir sammeln zwei große Eimer voll. Ich backe Hefekuchen, Thomas backt gedeckten Apfelkuchen. Die Äpfel werden nicht weniger.

Eine Nachbarin ruft an. Ob wir Dill haben wollen. Vielleicht will E. welchen für ihre Kneipe? Ich sage. „Ja, sicher!“ Dill ist oft schwer zu kriegen. Die Schwemme muss man nutzen und irgendwie abschöpfen. Die Nachbarin mäht den Dill in großen Büscheln vom Beet. Er ist in diesem Jahr zum zweiten Mal gewachsen. Jetzt soll das Beet für was anderes vorbereitet werden. Der Dill muss weg. „Weg“ ist in diesem Fall das Geschenk an den Künstlerhof. „Kann man ja auch einfrieren“, sagt die Nachbarin, um mir Mut zu machen, als sie mich mit einem Arm voller Dillpflanzen durch das Gartentor schiebt.
E. will nichts. Sie hat eine schützende Resistenz gegen günstige Angebote. Das habe ich leider nicht. Ich kenne ein Rezept für Rote Beete-Salat mit Äpfeln und Dill. Ich produziere zusammen mit Jan eine große Menge davon. Dem Dill-Haufen merkt man das kaum an. Jan findet den Salat zu erdig. Thomas, der ihn bisher gerne gegessen hat, ist nun auch nicht mehr begeistert. Der missbilligende Blick der beiden fällt wie ein Schwarm von Fäulnisbakterien über das glänzende burgunderfarbene Kraut her. Schon wirkt es schlapp; es verfällt. Ich muss was tun. J. und S. waren neulich ganz wild auf den Salat. Ich fülle eine Schüssel ab, bringe ihn rüber und bleibe gerne zum Sauerbraten-essen.

Will vielleicht jemand eine Kiste Dill haben?

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