vonImma Luise Harms 30.03.2011

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Das Meer liegt flach ausgebreitet vor der Bucht. Die Felsblöcke im Hafen sind feucht und grün, und die Kaimauer auch. Es kommt Ada so vor, als ob immer Ebbe wäre, jedenfalls immer, wenn sie kommt. Sind die Gezeiten jeden Tag eine halbe Stunde vor oder zurück? Ada hat es vergessen. Es lässt sich wahrscheinlich an den Mondphasen ausrechnen. Wenn sie weiter um diese Zeit kommt, müsste in vierzehn Tagen jedenfalls Flut sein.

Die Stege im Hafen sinken mit dem Wasser ab, und mit ihnen die Schiffe, die daran festgemacht sind. Es sind Segelboote, Motorboote und richtig große Jachten. Für die Fischkutter gibt es eine Extra-Rampe aus Beton, die entlang der Kaimauer  schräg hinunter ins Wasser führt.

Am Ufer gehen Rentnerpaare spazieren. Manche haben einen Hund. Weiter hinten ist eine große Fläche planiert. Sie ist von großen aufgehäuften Felsbrocken umgeben. Es sieht so aus, als ob das Hafenbecken bis dahin erweitert werden soll. Jetzt stehen Wohnwagen auf der Fläche. Aus den Wohnwagen kommen Rentnerpaare. Das Betreten der Felsblöcke ist verboten. Das hat Ada gelesen, nachdem sie mit ihrer Tüte darüber balanciert ist, um zu sehen, was auf dem Schild steht. Sie ist aus der falschen Richtung gekommen, von den Riffs.

Die Rentner lehnen sich auf die Absperrung an der Kaimauer oder sie gehen in der Nähe der Betonrampe auf und ab. Drei Boote liegen da unten; sie sind am Ende der Rampe und aneinander festgebunden. Auf der Betonschräge stehen verschiedene Autos – Kleintransporter und Kombis. Sie sind alle weiß und ohne Aufschriften. Zwischen den Autos und den Booten herrscht Betrieb. Es werden  Kisten geschoben und Sätze gerufen. Drahtkörbe werden über die Boote an Land gereicht und wieder zurück.

Es könnte sein, dass sich ein Fischverkauf vorbereitet. Und die Rentner wissen das. Ada guckt, ob die Wartenden so etwas wie Taschen oder Portemonnaies in der Hand haben. Fisch vom Schiff, das wär doch was. Ada hat schon eine Tüte voll Muscheln gesammelt. Aber Fisch, fangfrisch – oder herausfinden, wie das geht, und dann an einem anderen Tag wieder kommen. Neben ihr hat sich ein dicker älterer Mann auf einen Elektroschaltkasten gesetzt. Ada legt sich die Wörter zurecht, um ihn zu fragen, was hier passiert. Er hat seine Beine weit geöffnet, damit sein Bauch Platz hat, und wischt sich mit einem Taschentuch durchs Gesicht. Sie fragt ihn doch nicht.

Zwischen den Lieferwagen, die auf der Rampe warten, fährt ein Gabelstapler auf und ab. Er transportiert nichts. Es sieht so aus, als wenn er sich ständig neu positioniert, für den Fall, dass er gebraucht wird.

Wo ist der Fisch, der von den Booten kommt? Ada kann nichts erkennen. Die leeren Drahtkörbe werden aus dem Innern der Transporter herausgereicht, die Türen werden zugeschlagen, und dann lösen sich die Wagen einer nach dem anderen aus der Gruppe und fahren mit hohem Tempo die Rampe hoch, ohne anzuhalten, an der Absperrung und an den Rentnern vorbei, biegen in die Straße ein und sind nach wenigen Augenblicken hinter den Hügeln verschwunden.

Das erste der Boote hat sich losgemacht und startet. Es rückt von der Mauer ab, zieht einen Bogen und verlässt den Hafen. Ada glaubt nicht mehr, dass es hier Fische zu kaufen gibt. Sie hat ja auch schon die Muscheln. Die Rentner folgen ihren Hunden woanders hin.

Der dicke ältere Herr ist aufgestanden und geht zum Ausgang von einem der schwimmenden Stege. Auf der Schräge, die von dem Steg nach oben führt und die jetzt sehr steil hängt, weil das Wasser so niedrig ist, ziehen zwei Männer eine Kiste hinter sich her. Als sie oben ankommen, gibt der Mann vom Stromkasten ihnen die Hand, sie reden ein paar Sätze. Vielleicht kommt da der Fisch, der für hier bestimmt ist. Ada bewegt sich langsam in die Richtung der Gruppe und versucht, in die Kiste zu gucken. In dem Moment, als sie nahe genug ist und schon glaubt, Fischleiber zu erkennen, wirft einer der Männer seine Gummijacke darauf. Dann wird auch diese Kiste in das Heck eines Autos geschoben und aus dem Hafen gefahren.

Zwischen den Steinen am Fuß der Kaimauer zerrt eine Möwe an einem langen, schlappen, für sie zu großen Fisch. Die anderen Möwen fliegen kreischend und klagend über sie hinweg. Sie pickt in den Fisch, so dass es aussieht, als ob er noch zappelt. Sie schaut sich um und pickt wieder. Die Möwe steht unschlüssig da. Sie hat den Fisch, aber sie kann ihn nicht mitnehmen.

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