vonImma Luise Harms 22.09.2011

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Im herrschaftlichen Schlosspark lag der See. Alte Reichenowerinnen erzählen, dass sie ihn nach dem Krieg das erste Mal zu Gesicht bekommen haben. Im Privatvergnügen der Familie von E. hatten die Dorfbewohner unsichtbar zu bleiben. Das war mit dem Ende der Junker-Ära vorbei. Das Schloss, der Park und der See gehörten plötzlich allen. Es sprach also nichts mehr dagegen, die Verbindung von den Gutshof-Gebäuden, dem ersten Teil der „Neuen Dorfstraße“ zu ihrem dahinter gelegenen zweiten Teil einfach durch den dazwischen liegenden Schlosspark laufen zu lassen. Die Neue Dorfstraße zweigte also von der Hauptstraße des Dorfes ab, führte auf das riesige, mit Kopfsteinen gepflasterte Gutshofareal, machte von dort einen Schlenker durch den Schlosspark und mündete in den von beiden Seiten bebauten, etwa 50 Meter breiten Streifen Grasland.

Mag sein, dass der traditionelle Dorfaufbau dieser Region die Planung beeinflusste. Der Platz in der Mitte der Dörfer war wie erwähnt traditionell für Kirche, Schule, Schmiede und Kneipe. Auf den Dorfangern entstanden nach dem ersten Weltkrieg die Kriegerdenkmäler und nach dem zweiten Weltkrieg die Gedenkstätten für die Opfer des Faschismus und nach der Wende die Parkplätze.

In der Neuen Dorfstraße, erster Teil, zwackte sich die LPG Morgenroth, die in den 60er Jahren das Gebäude übernahm, einen erheblichen Teil des Kopfstein-Platzes ab und betonierte ihn kurzerhand zu. In der Neuen Dorfstraße, zweiter Teil, blieb alles Gras, das nur von einer Schotterpiste wie von einem dünnen Rinnsaal durchzogen ist.
Inzwischen sind neue Optionen und Begehrlichkeiten für die Neu-Reichenower Puszta-Landschaft entstanden. Der Gemeinderat möchte sich die Möglichkeit offen halten, hier noch weiteres Baugelände abzuzweigen und zu verkaufen und damit eine richtige Asphaltstraße zu finanzieren. Ambitionierte Neu-Reichenower dagegen planen eine ausschweifende Parklandschaft, um damit die Bebauungspläne zu unterbinden. Die Anwohner machen solche Überlegungen misstrauisch, weil sie ihre Gewohnheitsrechte bedrohen. Denn längst sind Zäune gezogen und Teile des öffentlichen Graslandes eingedeicht worden.

Nach der Wende begann die Zeit der lange zurück gestauten Privatheit, eine Blütezeit für Vorgärten, die nun mit Blautannen und Kirschlorbeer begrünt und befestigt wurden. Es begann auch die Zeit der Aufsitzrasenmäher. Dort wo der Zaun nicht nach vorne gewandert war, wurde das Gemeindegras mit geschoren und so ein gewisser privatrechtlicher Erstzugriff markiert.
Noch immer wird der Zwischenraum auch als klassische Allmende, nämlich als Futterfläche für Tiere benutzt. Selbst geschweißte Roll-Käfige mit laut schnatternden Gänsen werden Stück für Stück über das Grün bewegt. Gelegentlich grast dort auch ein angepflocktes Pony.

Die Privatisierung der Nach-Wende-Zeit machte auch vor dem Schloss und dem Gutshof nicht Halt. Das große Stallgebäude kam in die Hand einer verdächtig bayrisch sprechenden Clique von Berliner Polit- und Kunstbohèmiens und wurde von da an „Künstlerstall“ genannt. Schloss und Schlosspark riss sich die Bandenburgische Schlösser GmbH für eine Mark unter den Nagel und verpachtete es nach aufwändiger Sanierung als Wellness- und Hochzeits-Hotel an zwei Damen aus dem Hannover’schen.
Das war dann auch das Ende der neuen Verbindung, denn die Gemeinde behielt nur ein Wegerecht durch den Park.

Ein Weg ist zum Laufen, allenfalls zum Radfahren, nichts mit Motor jedenfalls. Den neuen Golfs und alten Trabbis sollte die Durchfahrt durch den Schlosspark verwehrt werden, sie sollten in weitem Bogen vom hinteren Ende in die Straße kommen. Die Anwohner nahmen die Planungen und Entscheidungen mit Gleichmut hin – und fuhren weiter durch den Park. Aber die neuen Schlosspächterinnen hatten die Absicht, gerade das Exklusive, quasi-Feudale der Schlossanlage zu vermarkten, und ließen Barrikaden auf den Weg bauen. Es gab kleine Akte von Sabotage und Vandalismus; Anpflanzungen wurden geköpft und ein Holzzaun in der Nacht einfach umgefahren. Die Zäune wurden verstärkt, umfangreiche, mit Steinen befestigte Beete angelegt. Jetzt wächst auf dem ehemaligen Sstaßendurchbruch eine dichte Brombeerhecke; die Neue-Dorfstraßenbewohner haben aufgegeben. Nur das Mopedfahren durch den Schosspark lassen sie sich nicht nehmen, besonders, wenn sich gerade eine Hochzeitsgesellschaft auf dem Rasen vor der malerischen Schlosskulisse zum Erinnerungsfoto gruppiert.

So kommt es, dass es eine alte Neue Dorfstraße und eine neue Neue Dorfstraße gibt. Nummer 1 bis 7 ist alt-neu und umfasst den ehemaligen Gutshof, Nummer 8 bis 27 ist neu-neu und ist das Siedlungsgebiet.

(wird fortgesetzt)

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