vonImma Luise Harms 29.01.2013

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Fenster mit Gardine

Wieso stehtn Frau Wächter anner Bushaltestelle? Machts der Opel nich mehr oda jibs den garnich mehr?

Ich gloob, gleich kommt der 927er, auf den wird’se warten. Aber der fährt do nach Wriezen. Was willsn da? Die fährt do sonst immer nach Strausberg, da macht se so Kurse. Oder zum Arzt. Ob se einkaufn geht? Dis kann doch ihr Heinz-Ehrlich machen, wenna vonna Arbeit kommt.
Vielleicht is ja doch det Auto kaputt. Gestern, als se Eier jeholt hat, hat se nüscht jesacht.

 

Bushaltestelle. Reichenow-Schule

Naja, die Leute werden denken, dass mein Auto kaputt ist. Das könnte ja auch wirklich sein. Jedenfalls kann es mal passieren. Dann ist das jetzt eben ne Art Probe, für den Fall, dass ichs wirklich mal brauche. Ich mein, das ist doch auch leicht zu erklären. Wenn ich schon die Buchführung für den Laden mache, dass ich das auch mal benutzen muss. Da muss man doch wissen, wie das geht, wie sich das anfühlt.
Ach, da kommt die Kleine von Borichs. Ach so, der Bus kommt auch gleich, fährt nach Wriezen. Wird sie wohl denken, dass ich auch auf den Bus will. Da warte ich dann lieber, bis der durch ist.

 

Straße.

Ach Scheiße, die Frau Wächter, ich hab das Buch aus der Bücherstube noch gar nicht zurück gebracht. Ob sie was sagt? Ich weiß gar nicht, wo das ist. Warum fährt die denn überhaupt mit dem Bus? Die hat doch n Auto. Ich setz mich aber woanders hin. Sonst quatscht se mich noch an. – „Tach, Frau Wächter“

 

Bushaltestelle.

Die Kinder können aber auch nicht einen Moment ohne was rumstehen, immer SMS, oder Musik in die Ohren oder Bilder aufm Handy angucken. Hat die Kleine von Borichs jetzt auch schon so ein Internet-Handy? Denen muss es ja gut gehen. Ich dachte, er ist arbeitslos. Ich würd’s verbieten im Unterricht, mit den SMS dauernd. Beim Projekt wollen sie das mit dem Handy ja auch nicht, „low level“ ist es gedacht. Kein Posten für elektronische Vernetzung in der Kalkulation. Nur diese Karten, die sind aber nur zum Gucken und zum Zeigen.
Ne pfiffige Idee eigentlich. Ich meine, nichts Neues, wir sind ja früher auch getrampt, gab sogar auch schon mal so einen Versicherungsausweis, war wohl mehr für die Eltern. Aber dass diese Stiftung dafür Geld ausgibt, schon merkwürdig. So ne simple Sache, eigentlich ne Selbstverständlichkeit, dass die Leute sich gegenseitig mitnehmen.
Nur, dass das Projekt so einen bescheuerten Namen hat: MOPS. Das mag man doch keinem sagen, dass man da mitarbeitet. MObiL hätten sie doch sagen können, oder so was. Aber nein, der Tobias ist ja auch so ein Künstler, so ein verkannter, da muss es immer schräg sein. MO für den Landkreis und PS erklärt sich selbst, meint er. Ich weiß nicht.

 

Bushaltestelle.

Was hat die Frau Wächter denn da für ein komisches Handy?  Grün. Aber das ist gar nicht viereckig, das sieht aus – wie ein Hund. Das eine Ohr so hoch gestreckt. Nee, das ist kein Handy. Aber ne Buskarte ist das auch nicht. Wo ist überhaupt meine Karte?

 

Bus-Innenraum.

Reichenow-Schule mal wieder bloß zwei Leute. Ich weiß nicht, wie lange ich noch mit so ’nem großen leeren Bus rumfahren soll. Für den Sprit könnten die sich alle n Taxi nehmen. Die Kleine von Borichs ist aber ganz schön spät für die Schule. Die Frau daneben ist hier noch nie eingestiegen.
„Nu kommse mal rin! Na, du ma wieder zuerst, wa? Wolln’Se nicht einsteigen? Wenn ick diese Karte akzeptiere? Wat isn det? Ne neue Buslinie? Wauwau-Linie, wa? MOPS – nie jehört. Mitfahrgelegenheiten – na denn könn wa ja uffhören, hier mitn leeren Bus durch de Gegend zu schaukeln. Ick wer denn ooch Mitglied. Wenn Se um viertel zwölf noch hier stehen, könn’ Se sich den Fall ja noch mal überlegen und mit nach Strausberg fahren.“

 

Fenster mit Gardine

Die Wächter  is gar nich mitjefahren. Kommt denn noch’n Bus? Wat hältsn da inne Luft? Ist det ne Karte? Sieht aus wie n Daumen aus Pappe. Will die Wächter per Anhalter fahren? In ihrem Alter? I würd mi ja schämen!

Guck, det erste Auto fährt ooch vorbei, guckt sich ooch janz komisch um, der Fahrer; den kenn ick jar nich. Ob det was mit den komischen neuen Verein zu tun hat, wat der Tobias macht? Heeßt det nich „Dackel“ oder so? Die Frau Wächter macht da doch die Buchführung. Aber dat se selber da mitmacht, also dat se ooch richtig trampt, det is stark. Eijentlich richtig stark! Mut hat se.
Kuck ma, da hält n Auto. Das ist doch dem Kurt sein Lada. Jetzt redense. Aber jetzt fährta doch weiter. Ob er se nicht mitnehmen will? Oder will sie nich, weil er nich im Verein iss? Kanna do jez mitmachn.

 

Bushaltestelle.

Jetzt versteh ich das selber erst, mit dem Mops-Ohr, dass das so nach oben steht, das sieht aus wie ein Daumen. Ich hätt auch wirklich gleich den Daumen rausstrecken können. Und dann dem Kurt das unterwegs erklären mit dem Verein. Da kann er dann am nächsten Wochenende gleich Mitglied werden, in Tobias seinem neuen mobilen Büro, wenn in Harnekop das Drachenboot-Rennen ist.
Ach guck ma, der silbergraue da, ist das nicht Marlenes Toyota? Dass die nu ausgerechnet kommen muss. Die findet das bestimmt total überdreht von mir, dass ich jetzt auch schon trampe. Obwohl die ja auch im Verein ist. Und MOPS Mitglied ist sie dann bestimmt auch. Schnell die Karte wieder einstecken? Nee, jetzt bleib ich dran. „Morgen Marlene, fährste nach Strausberg?“ „Na, da hättste aber nicht deine Karte rauszuholen brauchen, dass ich dich mitnehme. Komm rin.“ „Fährste denn überhaupt nach Strausberg rein?“ „Nee, ich wollte eigentlich nach Gielsdorf. Da wohnt doch meine Kusine, die hat morgen ihren 60ten, der wollt ich ein bisschen helfen. Aber ich kann dich auch kurz rumfahren.“ „Nee, mußte nicht, ich kann denn die paar Schritte laufen. Oder ich tramp noch mal weiter. Kannst mich am Kreisel an der Bushaltestelle rauslassen.“ „Na, wenn de willst. Aber ich tät’s gerne.“

 

Wageninnenraum.

Das hat sie ja ganz entspannt genommen. Aber jetzt muss ich das auch mit der Benzinkostenbeteiligung ansprechen. Das ist ja gerade der Unterschied. „Wo hast du denn die MOPS-Kasse? Damit ich da was reintun kann?“ „Spinnst du? Ich nehm doch kein Geld von dir für die paar Kilometer!“ „Sollst du aber. Das gehört dazu.“ „Nee, also jetzt hör ma uff. – Bist du eigentlich früher auch schon mal manchmal getrampt?“ „Ja ganz früher, als junge Pioniere, obwohl meine Eltern das nicht wollten.“
Was war das für ein Gefühl von Abenteuer damals, gerade die Ungewissheit, wenn man in so einem fremden Auto saß und nicht wusste, wie es weiter geht, und ob man abends noch bei den Freunden ankommt, rechtzeitig. Und dann irgendwann: die Ostsee, die Wellen, der Horizont. Die Weite. Aber nicht die weite Welt. Die weite Welt, die liegt uns jetzt offen. …und wenn ich jetzt einfach weitertrampen würde? In Strausberg nicht zum Arzt, sondern an der Bushaltestelle am Kreisel einfach den Daumen oder meinetwegen das grüne Mops-Ohr wieder rausstrecken und weiterfahren, bis zur Autobahn, und dann nach Dresden runter, nach Prag, weiter nach Wien, über die Alpen rüber, bis ans Mittelmeer. Die Weite am Mittelmeer sehen, mich rüberträumen nach Afrika, immer weiter…

„Weißt du was, Marlene, ich bring dir heute Nachmittag ne Mops-Kasse rüber. Die kannst du dann hier vor dem Beifahrersitz festmachen.“ „Na gut, mach ma. Wenn’s dazugehört, dann nehm ich auch so ne Kasse.“ „Die kostet dann eins fuffzig“. „Ja, ist in Ordnung“.
Das weiß sie wohl nicht, dass die Kasse eigentlich zwei fuffzig kostet. Das ist gut so. Den Euro zahl ich dazu; das ist dann die Benzinkostenbeteiligung. Und dann ist das richtig verbucht.

 

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