vonImma Luise Harms 28.02.2013

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Mit dem Hochzeitsschloss in Reichenow ist es aus. Die beiden Pächterinnen müssen den Bau räumen. Ich glaube, heute ist ihr letzter Tag. In den letzten Wochen haben sie ihre Möbel verkauft, auf ihrer Homepage und bei Ebay, ihren ganzen pseudo-aristokratischen Plunder: Königsstuhl usw.
Seit zehn Jahren ärgere ich mich über die Disneyland-Fahne, auf die am Morgen immer als erstes mein Blick gefallen ist. Ich hab ja öfter
drüber geschrieben. Jetzt weht die neutral-orangene. Und angestrahlt wird sie auch nicht mehr. Das Geld sparen sie sich, kommt ja doch keiner mehr.
Sie haben noch einen letzten Polterabend im Schloss gefeiert. Ende Januar war das. Und dann stilvoll das zerdepperte Geschirr in die ausrangierte Herzchenfahne eingewickelt und neben die Mülltonnen gelegt. Jemand vom Gutshof hat die Trophäe später geborgen.
Ob das Geschäft mit der Hochzeit nicht gut genug ging, wissen wir nicht. Die Pächterinnen sagen in der Ortspresse: doch. Aber die brandenburgische Schlösser GmbH, die Eigentümerin, wollte mehr Pacht und einen langfristigen Pachtvertrag. Und die Pächterinnen wollten nur noch ein paar Jahre weitermachen und dann mit dem Arbeiten aufhören. Von der Schlösser GmbH hat ein Nachbar etwas anderes erfahren: Man wollte auch diese hochnäsige Distanz zum Dort und zur Umgebung nicht mehr. Die Schlossdamen haben sich ja bei allen unbeliebt gemacht. Sicher fragt man sich jetzt, wo sie unter Spießrutenlaufen ausziehen müssen, ob sich da nicht auch ein Bild verselbstständigt haben könnte. Fakt ist, dass das Ausräumen des Schlosses mit einem Aufatmen begleitet wird, besonders von mir, die ich mit einem Bein immer auf den Schlossgelände stehe. Bei allen Arbeiten im (eigentlich Schloss-eigenen Vorgarten) musste ich immer rüberschielen, ob die Pächterin, Frau H., kommt, um sich über  Bretter und anderes Gedöne zu beschweren, das die Aussicht aus den Hochzeitszimmern wertmindert. Ich kann jetzt sogar erwägen, eine Wäscheleine zu spannen, die ich schon lange entbehre. Oder gar ein Feuer machen, um die Äste und das Laub nicht so weit wegschleppen zu müssen.
Durch die kahlen Zweige der mittlerweile hochgepäppelten Hecke sehe ich ab und zu eine nachtblaue oder silbergraue Limousine die Schlossauffahrt hochfahren. Männer in weichen Wintermänteln treten ins Haus und wieder heraus. Wenn die Wagen wieder abfahren, an mir und meiner schütteren Hecke vorbei, sehe ich ein Potsdamer oder ein Bonner Kennzeichen darauf. Wie man liest, gibt es bereits neue Interessenten. Eine InteressentInnen-Gruppe formiert sich auch bei uns; der Traum, das Schloss wieder zu öffnen, zum volkseigenen oder wenigsten zum Dorf-eigenen Zentralgebäude zu machen, ist zu verlockend. “So soll das sein, für alle offen: vorne rein und hinten wieder raus”, hieß es auf einem Treffen.
Die Limousinen sagen mir, es könnte auch alles noch viel schlimmer kommen. Führungsakademie, Konzern-eigenes Schulungszentrum, diskretes Hotel für durchreisende russische Magnaten…
Wer weiß, was da noch für Fahnen gehisst werden.

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