vonImma Luise Harms 01.09.2013

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Nachdenken im K-Fetisch
Mittag. Zeit für einen Kaffee und ein Brötchen vielleicht. Ich komme an der „Welt des Essens“ vorbei. Ein großer Name für einen erweiterten Imbiss. Aber ich sehne mich nach etwas, wo ich in irgendeine Art von Selbstverständlichkeit eintauchen kann. So ein ruhiges Szene-Teil, nicht zu vegan. Das K-Fetisch ist in der Wildenbruchstraße. Kollektiv, kein Verzehrzwang. „K-Fetisch“ ist eine Verumsprachung von „Kaffeetisch“; man kommt erst nach einer Weile drauf.
Ich hole mir einen Milchkaffee am Tresen und setze mich an einen Tisch, an dem man nicht mit Laptop sitzen soll, im Unterschied zu allen anderen Tischen, wo das egal ist und wo auch viele ihren Laptop aufgeklappt haben. Der Mann hinter dem Tresen hat mich freundlich angelächelt, locker und luftig irgendwie. Ich habe leichthin zurückgelächelt. Mehr braucht man doch eigentlich nicht.
Ich lese in meinem mitgebrachten Buch. Hinter mir an der Wand stehen weitere Bücher von befreundeten Buchläden zur Auswahl, die man kaufen kann, aber die man sich auch zum Durchblättern nehmen könnte. Mir reicht meins.
Am K-Fetisch neben mir nimmt ein Paar Platz, erst die Frau; der Mann holt die Getränke. Die Frau ist schön. Das dunkle Haar ist kontrolliert locker aufgesteckt, das ärmellose dunkel gemusterte Kleid ist wahrscheinlich aus Viskose, so, wie es fällt. Das Gesicht der Frau ist wie gemalt. Seidiges Make-up, dunkler Liedstrich über den braunen Augen, korallenroter Mund, der weder zum Küssen noch zum Essen bereit ist. „Optisch kultiviert bis in die Haarspitzen und Fußnägel“, denke ich, um Distanz zu schaffen. Wie ein gemaltes Bild sieht sie aus. Das Bild kann man berühren, aber das darauf Abgebildete entzieht sich für immer der Berührung. Braucht sie meinen Blick, um zu existieren? Der Mann kommt mit den Getränken. Sie sprechen englisch miteinander.
Ich bin mir ja selbst ein Bild, denke ich. Ich kann mich nur als Bild von einer wahrnehmen, die durch Einfälle und Begegnungen durch den Tag geschubst wird. Ich bin nicht Herrin meiner Entscheidungen und weiß nicht, was mich umtreibt. Und während mein Blick zwischen der bildschönen Frau und den Seiten meines Buches hin und her schwimmt, fällt mir eine Diskussion mit W. über den Unterschied zwischen Bedürfnis und Bedürftigkeit ein. Bedürfnisse hat jede, man geht ihnen nach, bekommt sie vielleicht nicht erfüllt, man ist enttäuscht und dann geht man weiter. Für Bedürftigkeit dagegen schämt man sich, man hat den Impuls, sie zu verbergen. W. meinte, alle Bedürftigkeit besteht aus einzelnen Bedürfnissen, kein Grund, sich zu schämen. Ich habe erst zugestimmt, bin dann aber doch ins Zweifeln gekommen.
Warum flieht man vor der vielleicht nur vermuteten Bedürftigkeit anderer, warum schämt man sich für die eigene, warum fühlt man sich bloß gestellt, wenn sie doch ans Licht kommt? Ich habe zuerst geglaubt, dass Bedürftigkeit abschreckt, weil sie so uferlos erscheint. Der bedürftige Mensch droht, einen auszusaugen, sich festzukrallen. Wenn man sich da erst mal in ein Gespräch, in einen Kontakt einlässt, wird man den oder die nie wieder los. Das ist das Gefühl. Und in der umgekehrten Rolle genau so: im bedürftigen Zustand sucht man im Kontakt mit jemand anderem immer geradezu zwanghaft Spuren von Ablehnung, von Ungeduld. Man selbst spürt nur, dass man mehr will, als der oder die andere zu geben bereit ist. Ständig haut man sich den Kopf an einer Grenze an.
Jetzt denke ich anders darüber. Man will nicht mehr, sondern man will was anderes. Man will den oder die andere eigentlich nur benutzen, um sich selbst zu spüren, sich selbst lieben zu können. Umgangssprachlich gesagt: man will diffuse Bestätigung; und da ist einem jeder und jede recht, der in der Lage zu sein scheint, sie zu geben.
Das ist ein kapitalistisches Phänomen: die gegenseitige Affizierung mit Wert. Wenn ich bei jemand etwas gelte, der oder die für sich etwas gilt, dann bin ich selbst wiederum in der Lage, anderen Geltung zu verschaffen, und das verleiht mir Macht, meine Bedürfnisse zu befriedigen.
Vielleicht ist es diese Instrumentalisierung, vor der jemand flieht, der oder die sich der Bedürftigkeit eines anderen ausgesetzt fühlt. Unter der Maske des Interesses an einer anderen Person versucht das Bedürfnis nach Anerkennung das Interesse der anderen abzuzapfen, um das eigene Selbstwertgefühl aufzupäppeln. Das funktioniert natürlich nicht, wenn es aufgedeckt wird. Das muss geheim bleiben, man schämt sich zu Recht. Unter der Scham liegt die Ratlosigkeit verborgen, wie man denn anders dazu kommen könnte, sich selbst zu lieben. Darüber muss ich mit W. demnächst noch mal reden.
Im Flur des K-Fetisch hängt ein Plakat, das ein antirassistisches Festival auf dem Blücherplatz ankündigt. Der letzte Tag des Festivals ist heute. Nicht, dass ich mich auf solchen Events sonderlich heimisch fühlen würde; Solidaritätsbewegungen stand ich schon immer ein bisschen misstrauisch gegenüber, weil sie so zur Hysterie neigen. Aber jetzt bin ich doch interessiert, wie das da aussieht. Und außerdem ist es ein schönes Ziel für den Nachmittag. Ich könnte da auch was Antirassistisches essen.
Ich fahre am Landwehrkanal entlang, auf der südlichen Seite, Maybachufer, Planufer. Dann das Gelände vom Urbankrankenhaus, wo Veranstaltungsschiffe liegen und Menschen auf der Wiese sitzen. Auch viele Menschen, die allein sind, die die Schwäne füttern, die Zeitung lesen, die Flaschen aus den Mülleimern sammeln, die in sich hineinsehen oder deren Blick Grenzen zieht. Probeweise lächle ich jemanden im Vorbeifahren an, bin aber schon vorbei, bevor ich eine Reaktion sehen könnte.

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