vonImma Luise Harms 09.11.2013

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Wir teilen ja unser Geld und Eigentum mit ein paar anderen Menschen, und zwar restlos. Genaueres kann ich nicht sagen, sonst werden interessierte Stellen hellhörig. Das nennt sich “gemeinsame Ökonomie”, abgekürzt “Gemök”.

Gestern saßen wir zusammen – man muss oft zusammen sitzen, nicht, weil es so wahnsinnig viel zu organisieren und zu entscheiden gäbe, das auch, aber das ist nicht der Hauptgrund, sondern weil das wichtigste Gleitmittel bei dieser Art von existenzieller Bindung das Vertrauen ist, und Vertrauen entsteht nun mal über die gemeinsame Praxis und die Auseinandersetzung, also im Konflikthaften. Eigentlich treffen wir uns daher zum Streiten – also saßen wir gestern mal wieder zum Streiten zusammen. Das ist auch halbwegs gelungen.

Der Ablauf ist ja ungefähr bekannt. Erst angespanntes Vermeiden der heiklen Problematik. Dann Vorstöße von tastender Agressivität, wie wenn man sich erst schubst, um ein Zuhauen zu provozieren. Dann der Schritt ins Explizite, meist von weniger involvierter Seite, weil den Konflikt von anderen zu moderieren eine angenehme Position ist. Dann Angriffs- und Verteidigungsreden, GFK-Regeln (Gewaltfreie Kommunikation) werden in Anschlag gebracht, Generalisierungen langsam wieder eingehegt. Angriff und Verteidigung gehen über in Positionsbestimmungen. Man gibt sich Raum, die Energie-zehrenden Turbulenzen gehen über in laminare, Energie-bündelnde Strömungen. Jetzt machen auch die den Mund auf, die sich bisher verbissen oder ängstlich im Hintergrund gehalten haben. Die Problemlage klärt sich, es zeichnen sich Überschneidungen und Verständigungsmöglichkeiten ab. Tabuisierte Standpunkte verlieren ihren Schrecken, nachdem sie ausgesprochen sind. Wider Erwarten sind sie auf Verständnis gestoßen. Die Verständnisbereitschaft ist einfacher, weil die Problemlage zugestanden und die Suche nach den Schuldigen aufgegeben wurde. Dann ist der Zeitpunkt zum Aufatmen, zum Lächeln und zum Griff nach leichteren, spielerischen Themen, gleichsam das Tiramisu nach dem schweren Hauptgang.

Der Begriff “Gemök”, den wir immer in unsere Kalender eintragen, gefällt uns nicht, hat uns noch nie gefallen. Können wir das nicht mal umbenennen? Würden wir eine andere Bezeichnung gegen unsere eigene Trägheit überhaupt durchkriegen? Es gab schon mal den Versuch, “Gemsen” dazu zu sagen, aber das bezeichnet die Einzelnen, nicht die Gruppe, und es hat auch nicht gegriffen. A. erzählt, dass er sich von jemand, dem er unsere gemeinsame Ökonomie erklärt hat, das Statement eingehandelt hat: “Dann seid ihr ja ne Art Sekte!” Sind wir das? Wir verneinen: weder bündelnde Autorität noch transzendente Glaubensgrundlagen, noch fanatische Abgeschlossenheit vereinen uns. Sind wir vielleicht eher ein Orden? Eine klösterliche Gemeinschaft, verteilt auf mehrere Klöster? Denn das dezentrale Leben ist Teil der Struktur. Es gibt ja auch weltliche Klöster, und brüderlich-schwesterliche Klöster, die sich nicht unter Vater und Mutter sondern in einem Geiste vereinigen.

Wir lesen das Selbstverständnispapier einer vorwiegend spanischen Gruppe, die sich “FamiliaFeliz” nennt, größer, geradezu international angelegt ist und sich verschiedene Regeln, vor allem aber Benennungen gegeben hat, für das, was wir benennungslos einfach tun. Sind wir auch eine “glückliche Familie”, eine frei gewählte? M. sieht das nicht; Familien sind Zwangsgemeinschaften, man kann nicht austreten. Und irgendwie bleibt die Cheffunktion der Eltern immer strukturbildend. Die familiaFeliz macht auch nur gemeinsamen Nießbrauch von dem individuellen Eigentum – wir nennen sowas Einkommensökonomie -, bei dem die laufenden Erträge in einen Topf kommen. Wir sind einen Schritt radikaler und haben eine Eigentumsökonomie, in der auch Erbschaften, Sparguthaben, Schenkungen, Immobilien oder Autos in das Gemeinschaftsvermögen kommen. JedeR hat eine individuelle Ausstiegsvereinbarung mit den anderen, in der festgelegt ist, was er oder sie von der Gruppe will oder braucht, wenn er/sie alleine weitermachen will. Die Vereinbarungen werden umgeschrieben, so bald sich das Absicherungsbedürfnis anders anfühlt. Mit anderen Worten: so richtig festgelegt ist eigentlich nichts. B. schlägt deshalb den Namen “Rök” für uns vor: radikale Ökonomie, denn radikaler kann man das Teilen eigentlich nicht angehen. Ich lehne ab, denn ich komme über die Assoziation mit Marika Rökk nicht hinweg. Und sowieso – Rök! Das finden die anderen auch nicht gut. “Radök”? Nee, auch nix. “Finanz-Coop” hab ich auch schon mal gehört. Das ist vielleicht ein bisschen zu unspektakulär.

Vielleicht sollte man das mit dem Geld gar nicht so in den Mittelpunkt stellen, weil das ja nur auf dieser extremen Vertrauensbasis funktioniert, die immer wieder hergestellt werden muss. Früher nannte man das “Bezugsgruppe”; das waren die, die zusammen zur Demo gingen und sich gegenseitig raushauten. Unsere Bezugsgruppe hieß “Nussini”, weil man sich auf den Demos ja nicht mit Klarnamen anrief. Wenn “Nussini!” gerufen wurden, spurteten alle Nussinis heran. Oder noch früher wäre das eine “Basisgruppe” gewesen, die also zusammen das “Kapital” liest, die neuen Strategiepapiere durcharbeitet und auf den großen Kongressen oder VVs immer von “wir” redet.

Wir wünschen uns menschliche Beziehungen, die nicht vom Gerangel um Geld bestimmt sind. Aber auf der anderen Seite, das müssen wir zugeben, gibt es ja auch handfeste Eigeninteressen, die uns in dieser Form zusammengeführt haben. Sie haben den Charakter von Rückversicherung für den persönlichen Notfall. Also sind wir auch so eine Art Raiffeisen-Bank. “Jeder für alle, alle für einen!”, das war und ist die Parole dieses Genossenschaftsmodells. Kleine Gruppen, die in Sichtweite von einander leben und wirtschaften, sodass das Vertrauen sich auf Kennen und Beobachten stützen konnte. Sind wir schlicht und einfach eine genossenschaftlich geführte Bank? Die Namensgebungs-Diskussion konnte nicht abgeschlossen werden.

“Vielleicht wäre es ja ein Name ganz schön, der überhaupt nichts bedeutet”, meint M. “Nussini” fand ich gar nicht schlecht.

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