vonImma Luise Harms 19.03.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Drei Tage später schickt mir Frau B. vom Amt meine Unterlagen wieder zu. Es kleben ein paar post-it Zettelchen dazwischen, wo ich noch – mit meiner Handschrift – Sachen nachtragen muss, mal eine Hausnummer, mal ein Wahlkreis. Außerdem hat sie herausgefunden, dass ich, trotz Kandidatur auf einer Wählergruppenliste, zwanzig Unterstützungsunterschriften brauche. Bisher sind es nur acht. Ich sammle also auf dem Gutshof und beim MöHRe-Verein. Das ist nicht so schwierig; die Reaktionen sind wohlwollend bis freudig.
Frau B. vom Amt hat mir mehrfach ans Herz gelegt, die Kandidatur-Unterlagen persönlich nach Seelow zu bringen, der Kreiswahlleiter wolle mich gerrne kennenlernen. Das fand ich seltsam; wieso will er mich kennen lernen? Muss ich mich etwa bei ihm bewerben? Na ja, ich rufe an und vereinbare einen Termin. Und mache mich dann auf den Weg nach Seelow.
Die Kreisstadt ist öde; man kann es nicht anders sagen. Das Landratsgebäude ist ein geschniegelt und geschnackelter Neubau, mit glänzenden Linoleum-Fußböden, denen man ansieht, dass sie vor allem gut zu pflegen sein sollen. Wie im Krankenhaus. Und wirklich wischt eine Reinigungskraft auf den langen Gängen herum. Die metallenen Sitze für die Wartenden sind an der Wand angebracht, damit sie leichter darunter durch kommt mit ihrem Wischer.
Vor dem Zimmer für Asyl-Angelegenheiten sitzen ein paar dunkelhäutige Menschen und warten. Ich denke: grüß mal, das schafft ein anderes Klima, und grüße. Sie schauen verwundert zu mir auf.
Im ersten Stock finde ich das Zimmer von Herrn O., dem stellvertretenden Kreiswahlleiter. Er erhebt sich, als ich reinkomme, bittet mich, abzulegen und Platz zu nehmen. Ich bin im Jackett und überlege, was ich ablegen kann, entscheide mich, meinen Schal auf den Tisch mit den Broschüren hinter mir zu legen. Das sieht ziemlich unordentlich aus.
Herr O. sagt, er wird jetzt noch Frau X und Frau Y dazu bitten. Oha, tatsächlich so was wie eine Prüfungskommission! Mir wird immer förmlicher zumute.
Während Herr O. seine Tastatur bearbeitet und die Effekte seiner Fingerarbeit auf seinem Bildschirm beobachtet, sitzen die beiden Frauen mit mir am Tisch und prüfen meine Unterlagen. Hm-hm. Ach, hier. Richtig. Ab und zu schieben sie mir ein Blatt rüber, und reichen mir ihren Stift, damit ich eine 1 oder ein Datum oder einen Bindestrich in der mir eigenen Handschrift ergänze. Ich denke mal, sie dürfen auf meinen Bewerbungsbögen nichts selber reinschreiben.
Während ich höflich warte, was verfügt wird, überlege ich, ob hier große Politik gespielt wird oder ob das große Politik ist, die ich nur nicht kenne. Überall scheinen Ursachen für lange Rechtsstreits über irgendwelche Gültigkeitsfragen zu lauern.
Die beiden Kreiswahl-Helferinnen haben die Seiten durchgesehen, ihre Prüfergebnisse haben sie Herrn O. mitgeteilt, der hat sie protokolliert. Jetzt zählen sie die Unterstützer-Unterschriften. Sie überfliegen die angegebenen Adressen, ob auch alle aus dem Wahlkreis kommen, zählen noch mal. Ich habe 23 gesammelt, zur Vorsicht, falls eine ungültig sein sollte, aus irgendeinem Grund. Dann wenden sie das letzte Blatt – es ist unausgefüllt. Sie tuscheln miteinander, dann schauen sie mich betreten an. “Hier fehlt ja die Bestätigung durch die Meldebehörde.” Davon hat Frau B. nichts gesagt. “Und hier muss der Bürgermeister unterschreiben, dass die Unterschriften eigenhändig geleistet wurden, das ist auch nicht ausgefüllt.” Und es hat auch kein post-it-Zettel drangehangen. “Ich hab sie doch alle selbst eingesammelt”, sage ich. “Ja, aber die Unterschriften hätten in Anwesenheit des Bürgermeisters geleistet werden müssen”, sagt Frau X. Die beiden Frauen werfen sich ein wissendes Lächeln zu; es ist klar, dass auch eine nachträgliche Unterschrift des Bürgermeisters diesen Formfehler nicht mehr heilen kann. Denn er war ja nicht dabei – meine eigene Aussage! Sie sind bereit, darüber hinweg zu sehen, aber die Unterschrift muss her. Soll er doch damit leben, wenn er was testiert, was er eigentlich gar nicht testieren kann!
“Und dann müssen Sie vom Amt bestätigen lassen, dass die Unterzeichner alle im Wahlkreis 1 gemeldet und wahlberechtigt sind. “Ist gut, wann kann ich wiederkommen?” Ich will die Unterlagen in meine Klarsichthülle zurück schieben. Aber der Vorgang ist noch nicht abgeschlossen. Sie wollen die anderen Formulare dabehalten; schließlich wollen sie nicht alles noch einmal prüfen. Ich packe also nur das Formular mit den Unterschriften wieder ein. Für die anderen Bögen, überhaupt für die eingereichten Kandidatur-Unterlagen, bekomme ich eine Quittung. Herr O. macht den Ausdruck, wobei er mir erklärt, dass er bei dem Posten für den Unterstützungsbogen weder eine 1 noch einen Strich eingetragen hat, sondern ihn offen gelassen hat; denn ich bringe dieses Dokument ja noch. Er unterschreibt mir den Bestätigungsbogen, und ich soll ihm seine Bestätigung auch noch mal bestätigen. Ich weiß zwar nicht, wofür, aber ich unterscheibe.
Dann mach ich mich grummelnd auf den Weg, das Amt in Wriezen aufsuchen und den Bürgermeister suchen. (wird fortgesetzt)

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https://blogs.taz.de/jottwehdeh/2014/03/19/mein-letzte-groses-abenteuer-kandidatur-fur-den-kreistag-2/

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