vonImma Luise Harms 21.03.2014

Land Weg

Das Land ist Ressource und Erweiterungsgebiet für die Stadt, aber auch ihre bestimmte Negation. Grund zum Beobachten, Experimentieren und Nachdenken.

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Von den Seelower Höhen nach Wriezen, dem Amtssitz unseres Gemeindesverbandes, fährt man nordwestlich, immer an der Kante des Oderbruchs entlang. Ich mache aber einen Umweg über Letschin, um mir bei Ph. die Haar schneiden zu lassen. Er macht das sonst immer auf dem Tauschmarkt. Das hat diesmal nicht geklappt und ich habe um einen Haustermin gebeten.

Ph. und H. wohnen in Wilhelmsaue, H. betreut Katzen, Ph. züchtet Hühner. Er zeigt mir seinen neuen Brutapparat, zieht die Schublade auf, wo die gerade schlüpfenden Küken an ihren schaligen Gehäusen herumpicken. “Hm”, sage ich, “wo ist denn da die Mutter?” “Ich bin der Vater”, sagt Ph. “ich guck immer mal”. Und zur Bekräftigung sagt er noch in die Schublade rein “Na? Tz, tz, tz” und macht die Klappe wieder zu. Seine Hühner glucken erst später im Jahr und die Nachfrage ist groß, sowohl nach toten wie nach lebendigen Hühnern. Ph. hat eine Kneipe und einen Laden in Berlin, da werden ihm die Landimporte aus den Händen gerissen. Die lebenden Hühner verbreiten sich über die Nachbarschaft und die Oderbruch-Bekanntenkreise. Viele Leute haben ein paar Hühner hinterm Haus. Aber es gibt Habichte, es gibt Füchse und – ganz schlimm – es gibt den blutgierigen Marder. Wenn Hühnerstall und Auslauf nicht wirklich gut gesichert sind, kann die Hühnersippe auch schnell mal tot oder weg sein. Dann kommen sie zu Ph. und holen sich Edelsorten, die unter seiner Kontrolle, wenn auch nicht unter Mutterflügeln ausgebrütet wurden. Er hat Maran- Hühner – das sogenannte Zweinutzen-Huhn: Gute Eierlegerinnen die Frauen, saftige Hähnchenbeinchen die Männer -, altsteyrische Sorten und andere, die ich nicht kenne. Neuerdings züchtet er auch Seidenhühner, die mit feinstem, bis zu den Füßen reichendem, schimmerndem Flaum bedeckt sind und zur Dekoration im Garten spazieren gehen dürfen.
Ich dränge auf den Haarschnitt, denn ich muss weiter zu Frau B. in Wriezen. Ph., in seinem vorigen Leben ein metropolitaner Frseur, holt sein Werkzeug. Kommentarlos hebt er ein Haarbüschel über meiner Stirn mit der stummen Frage: Was ist das denn?, weil ich da ganz offensichtlich wieder selbst rumgeschnippelt habe. Den Friseuren kann man sowas nicht verheimlichen. “Konnte nicht warten”, murmele ich. Und er in drohendem Ton: “Soll ich das jetzt alles auf diese Länge machen?” Ich: “Machma.” Während er an meinem Kopf arbeitet und ein paar leichte Plauderthemen anschneidet, betrachte ich die Wand des Stallgebäudes vor mir, beobachte, wie aus den verschiedenen Türchen, hinter Klappen und Mauervorsprüngen Hühner, Katzen und Hunde auf- und abtreten. Über mir summen die Bienen zwischen den aufblühenden Seidenkätzchen. Ein Zootop, wie man es sich friedlicher nicht vorstellen kann.
Ich telefoniere mit Frau B., dass ich da noch ihre Bestätigung brauche, und ob sie noch im Amt ist. “Habe ich schon gehört”, sagt sie “Seelow hat schon angerufen.” Und klar, sie wären da. Aber ich könnte aut dem Amt auchz gleich zu Frau Sch. von der Meldebehörde gehen, die müsste das nämlich testieren. Ja, und die wäre auch bis 16 Uhr da.
In Wriezen auf dem Amt vor dem Zimmer von Frau Sch. warten zwei ältere Leute. Die Tür ist angelehnt. “Ist erst um 2 Uhr wieder auf sagen die beiden. Tatsächlich steht auf der Tür “von 12 bis 14 Uhr geschlossen”. Nee, denke ich. Es ist halb zwei. Ich stecke meinen Kopf durch die Tür. Frau Sch. sitzt zwischen Akten. Ich sage schnell, Frau B. schickt mich her, um zu verdeutlichen, dass ich nicht einfach eine Kundin sondern quasi ein amts-interner Vorgang bin. Kann sein, dass sie mich von Sehen kennt. Jedenfalls schickt sie mich nicht wieder raus. Ich reiche ihr das Unterschriften-Formular und weise auf die eingekastelte Rubrik für die amtliche Bestätigung. Sie rätselt auf dem Blatt herum, wendet die Bögen, betrachtet und zählt die Unterschriften. Dann dämmert ihr, dass sie jetzt von 23 Leuten in den Meldeunterlagen nachsehen müsste, ob sie von hier und wahlberechtigt sind und auch sonst alles richtig ist. “Frau B. hat Sie geschickt?” fragt sie nochmal nach. Ich ahne, dass da ein Ausweg gegraben wird. “Ja”, sage ich und das ist ja auch nicht falsch. “Ja, wenn Frau B. meint, dass ich das bestätigen soll, dann kann ich das ja machen”, sagt Frau Sch. und greift nach dem kleinen runden Dienstsiegel.

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